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(erstellt: Juni 2021)

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1. Die historische Person

Die Rekonstruktion von Person und Wirken des Barnabas ist trotz der zahlreichen Erwähnungen im Neuen Testament durchaus schwierig: Einerseits wird er in den Paulusbriefen nur schlaglichtartig anlässlich einzelner Begebenheiten genannt, andererseits steht er in der Apostelgeschichte erzählerisch zum größten Teil im Schatten des Apostels Paulus. Überdies lassen sich aus späteren Überlieferungen keine weiteren historischen Details erheben.

1.1. Namen und Herkunft des Barnabas

In Apg 4,36 findet sich folgende Einführung des Barnabas in die Erzählung: „Aber Joseph, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das bedeutet übersetzt: ,Sohn des Trostes‘ – ein Levit, nach der Herkunft ein Zypriote“. Der Name Joseph (Ἰωσήφ) gehört zu den besonders häufigen Namen im Judentum, v.a. in Ägypten und Palästina. Rätselhafter ist allerdings der Beiname Barnabas (Βαρναβᾶς).

1.1.1. Der Name „Barnabas“

Nach Apg 4,36 ist Barnabas ein Beiname, durch den Joseph von anderen Trägern dieses Namens unterschieden wurde. Die Übersetzung dieser aramäischen Namensform ist umstritten. Klar ist, dass bar „Sohn“ bedeutet, für nabas werden hingegen vier Möglichkeiten erwogen:

1) Laut Apg 4,36 verweist der Name auf eine Art „Trost“ oder „Ermahnung“ (παράκλησις). Allerdings gibt es dazu kein entsprechendes aramäisches Äquivalent. Bezieht man nabas auf das Wort nabi („Prophet“), würde Barnabas als „Sohn der Prophetie“ (Bar-Nebi‘ah) bezeichnet werden. Sprachlich ist dies aber nicht naheliegend. Es würde sich bei „Sohn des Trostes“ also um eine Volksetymologie handeln, die dem Namen später gegeben wurde.

2) In der Antike sind zahlreiche ähnliche Namensformen von Barnabas überliefert: Barnabo, Barnabus, Barnebus, Barnabion und Barnabis. Alle diese Namen verweisen auf die populäre babylonische Gottheit Nabu (vgl. Jes 46,1). Dass eine solche Benennung auch für einen Juden möglich war, zeigt ein Papyrus aus Ägypten, in dem ein Barnabis erwähnt wird (CPJ II 331; Mitte 1. Jh. n. Chr.). Allerdings ist die Vergabe eines paganen theophoren aramäischen Beinamens für einen Juden in Jerusalem relativ unwahrscheinlich. Auf die Apostel ginge er dann zumindest sicher nicht zurück.

3) „Bar-Nabas“ könnte auf den Vater des Joseph verweisen, der dann Nabas geheißen hätte („Sohn des Nabas“). Das würde dem antiken Sprachgebrauch sehr gut entsprechen. Die Übersetzung in Apg 4,36 wäre dann aber falsch, eine Benennung durch die Apostel freilich möglich.

4) Der Name könnte auf den Ort Nob in der Nähe Jerusalems verweisen. Er wird von Josephus „Naba“ genannt (Antiquitates judaicae 6,242.254.260). Barnabas wäre somit als „Sohn des (Ortes) Nob“ bezeichnet worden. Dazu würde passen, dass Barnabas Grundbesitz verkaufte, um die Gemeinde zu unterstützen (Apg 4,37). Auch die Vergabe des Namens durch die Apostel wäre plausibel. Nur die Übersetzung in Apg 4,36 wäre in diesem Fall unzutreffend.

1.1.2. Die Herkunft

Als Mitglied des Stammes Levi hatte Barnabas ein gewisses Sozialprestige innerhalb des Jerusalemer Judentums. Da er aber als Zypriote aus der Diaspora stammte, ist es unwahrscheinlich, dass er selbst beim Tempelkult mitwirkte. Seiner Zugehörigkeit zu den nach Jerusalem zurückgekehrten Diasporajuden verdankte er wahrscheinlich gute Kenntnisse des Griechischen, eine bessere ökonomische Stellung und die Teilhabe an zwei Kulturen: der jüdisch-palästinischen, die auch in seinem Namen Joseph präsent ist, wie der hellenistischen. Man kann ihn daher auch als Gräcopalästiner bezeichnen.

1.2. Barnabas als Mitglied der Jerusalemer Gemeinde

Laut Apg 4,37 verkaufte Barnabas ein Grundstück und übergab den Erlös den Aposteln zur Verteilung an die Bedürftigen in der Jerusalemer Gemeinde. Dies geschah freiwillig und es bleibt offen, ob Barnabas damit seinen gesamten Besitz aufgab. Sein Sozialprestige in der Jerusalemer Gemeinde war aber offensichtlich hoch: Das zeigt sich u.a. an seiner Rolle beim Apostelkonvent (Gal 2,1-10, s.u.).

Umstritten ist, ob die Informationen der Apg, wonach Barnabas einerseits Paulus in die Jerusalemer Gemeinde einführte (Apg 9,26-30) und andererseits selbst als Gesandter Jerusalems nach Antiochien ging (Apg 11,22-24), historisch sind. Gegen ersteres spricht, dass Paulus nach seinen eigenen Angaben bei dem ersten Besuch in Jerusalem nur die Apostel Petrus und Jakobus sah (Gal 1,18f). Da Barnabas für Paulus als Apostel galt (vgl. 1Kor 9,1-6), besteht hier eine Spannung. Gegen zweiteres lässt sich einwenden, dass die Sendung nach Antiochien sehr deutlich einem erzählerischen Schema der Apg entspricht. Entsprechend diesem sollten alle neuen Entwicklungen von Jerusalem ausgehen bzw. bewilligt werden (vgl. v.a. Apg 8,14-25). Oft wird daher damit gerechnet, dass Barnabas im Zuge der Verfolgung des hellenistischen Teils der Jerusalemer Gemeinde (Apg 6,8-8,3; Apg 11,19-21) nach Antiochien floh. Jene griechisch geprägten Judenchristen, zu denen er als Diasporajude gehörte, hatten nach dem Tod des Stephanus (ca. 31 n. Chr.) Jerusalem verlassen.

Laut Apg 11,27-30; Apg 12,25 kehrte Barnabas anlässlich einer Geldsammlung noch einmal nach Jerusalem zurück. Eine in Apg 11,28 auf die Zeit des Claudius datierte (41-54 n. Chr.) Hungersnot sollte so abgewendet werden. Während unsicher ist, ob Paulus bei dieser karitativen Reise dabei war – sie fehlt in seiner Aufzählung in Gal 1 – ist es möglich, dass Barnabas sie durchführte und so seine Heimatgemeinde erneut finanziell unterstützte. Diese erste Sammlung könnte auch Vorbild für jene spätere gewesen sein, die beim Jerusalemer Treffen vereinbart wurde (Gal 2,10; s.u.).

1.3. Barnabas in Antiochien

1.3.1. Die Wirksamkeit in Antiochien

Sowohl Paulus (Gal 2,11-14) als auch die Apg (Apg 11,22-24.30; Apg 13,1-3; Apg 14,26-15,39) verorten die Wirksamkeit des Barnabas v.a. in Antiochien, der Hauptstadt der Provinz Syrien. Die dortige Versammlung von Christusgläubigen bestand zunächst aus geflohenen Judenchristen hellenistischer Prägung aus Jerusalem. Sie verkündeten das Evangelium aber auch an Nicht-Juden (Apg 11,19f; vgl. Gal 2,11-14). Mit einiger Gewissheit war Barnabas an dieser Öffnung hin zu Menschen aus den Völkern mitbeteiligt. Ein wichtiges Element war dabei von Beginn an, dass von männlichen Glaubenden aus den Völkern die Beschneidung nicht verlangt wurde.

Laut der Liste von Funktionsträgern in Apg 13,1 stand Barnabas an der Spitze der Propheten und Lehrer in Antiochien. Apg 11,25f berichtet sogar, er hätte Paulus für die Mitwirkung in Antiochien aus Tarsus geholt. Das ist historisch allerdings umstritten. Von Antiochien aus geschah – mutmaßlich unter der Leitung des Barnabas – die Verkündigung auf Zypern und im südlichen Kleinasien (Apg 13-14; s.u.). Zudem wirkte Barnabas als Vertreter der Beschneidungsfreiheit von Nicht-Juden beim Apostelkonvent als Gesandter Antiochiens (Gal 2,1-10; vgl. Apg 15,1-3; s.u.). Mangels Quellen muss es offenbleiben, wie weit die Prägung theologischer Positionen in Antiochien auch auf Barnabas zurückging. Dass er an deren Formung beteiligt war, ist aber grundsätzlich wahrscheinlich.

1.3.2. Der Konflikt in Antiochien (Gal 2,11-14)

In Gal 2,11-14 berichtet Paulus von einem Streit in Antiochien, in den auch Barnabas verwickelt war. Dieser fand wahrscheinlich nach dem längeren Aufenthalt des Paulus in Korinth statt (ca. 52 n. Chr.; vgl. Apg 18,22). In der Auseinandersetzung um die Einhaltung von Speiseregeln und / oder die Zusammensetzung von Tischgemeinschaften schlug sich Barnabas auf die Seite des Petrus und der jüdischen Mitglieder der Gemeinde. Diese hatten von den Glaubenden aus den Völkern, mutmaßlich auf Betreiben von Gesandten aus Jerusalem, die Einhaltung von Toravorschriften verlangt. In Gal 2,13 heißt es, dass sich Barnabas bei dieser Entscheidung, die Paulus als Heuchelei bezeichnet, habe mitreißen lassen. Das klingt weniger scharf als die Polemik gegen Petrus („er war verurteilt“ Gal 2,11). Wahrscheinlich sah Barnabas die Einhaltung der Tora im Kontext von Mahlen als eine Kompromisslösung an, die die Einheit der Versammlung bewahren sollte. Der Umstand, dass die ganze Gemeinde sich dem Verhalten von Petrus und Barnabas anschloss, zeigt die hohe Bedeutung des Barnabas in Antiochien. Als eine der möglichen Folgen dieses Konfliktes wird häufig das Aposteldekret betrachtet (Apg 15,20; Apg 15,29; s.u.), das möglicherweise ursprünglich in Antiochien entstand.

Die Auseinandersetzung hatte zur Folge, dass Paulus die antiochenische Gemeinde nicht mehr besuchte. Eine grundsätzliche Ablehnung der Wirksamkeit von Petrus und Barnabas durch Paulus ist aber unwahrscheinlich, da beide im 1. Korintherbrief, der nach diesem Konflikt entstand, positiv gewürdigt werden (vgl. 1Kor 3,22; 1Kor 9,5f).

1.4. Barnabas beim Apostelkonvent

Nach einem Konflikt über die die Beschneidung von Nicht-Juden (Apg 15,1f) wurde bei einem Treffen in Jerusalem zwischen Vertretern der antiochenischen Gemeinde – u.a. Barnabas und Paulus – und der Jerusalemer Gemeinde – u.a. Petrus, Jakobus und Johannes – vereinbart, dass die Beschneidung von männlichen Glaubenden aus den Völkern nicht verlangt werden sollte (Gal 2,1-5; Apg 15,6-21). Dies entsprach der gelebten Praxis der Gemeinde in Antiochien. Mit der Anerkennung dieser Beschneidungsfreiheit von Nicht-Juden wurde auch die bisherige Verkündigungstätigkeit von Barnabas und Paulus anerkannt (Gal 2,6-9). Dementsprechend wurden die Verantwortlichkeiten aufgeteilt: Barnabas und Paulus sollten den Völkern, Jakobus, Petrus und Johannes den Juden das Evangelium verkündigen (Gal 2,9). Die von Paulus ebenfalls erwähnte Verpflichtung der Kollekte galt wahrscheinlich auch für Barnabas (Gal 2,10). Nicht geklärt wurden allerdings Fragen der Gemeindepraxis, die später zum Streit führten (Gal 2,11-14; s.o.).

Die Angabe in der Apostelgeschichte, Barnabas und Paulus hätten das sogenannte Aposteldekret verbreitet (Apg 15,23-29), wird in der Regel für eine spätere Konstruktion gehalten. Die darin enthaltenen, an der Tora orientierten Vorgaben widersprechen nämlich der Versicherung des Paulus, ihm sei nichts auferlegt worden (Gal 2,6).

1.5. Barnabas und die Verkündigung des Evangeliums

Neben der kurzen Notiz über die Verkündigung in Antiochien (Apg 11,26) berichtet Apg 13-14 von einer ausgedehnten Reise des Barnabas mit Paulus nach Zypern und in den Süden Kleinasiens. Die Reise fand in den späten 40er Jahren statt (47 / 48 n. Chr.).

Abgesehen von der These, dass diese Reise insgesamt eine Konstruktion des Verfassers der Apostelgeschichte war, ist ihre chronologische Einordnung umstritten: Häufig wird sie entsprechend dem Ablauf der Apostelgeschichte vor dem Apostelkonvent (Apg 15) angesetzt (Schnelle, Koch). Bei diesem wird unter anderem auf die Verkündigung unter den Völkern Bezug genommen (Apg 15,12). Aufgrund des Fehlens dieser Reise in dem autobiographischen Rückblick des Paulus in Gal 1,15-2,10 wird aber auch die These vertreten, die Reise habe erst nach dem Apostelkonvent stattgefunden (Öhler). Die bei dieser Zusammenkunft übernommene Verantwortung für die Verkündigung unter den Völkern sei von Barnabas und Paulus zum Anlass genommen worden, eine gezielte Reise zu unternehmen.

Ausgehend von Antiochien soll es auf der Insel Zypern Barnabas und Paulus, die hier auch von Johannes Markus begleitet wurden, gelungen sein, den dortigen Statthalter Zyperns Sergius Paullus (sic) für das Evangelium zu begeistern (Apg 13,6-12). Da der volle Name des Statthalters nicht überliefert ist, ist eine genaue Bestimmung schwierig:

1) Laut einer Inschrift (IGRR III 935 = SEG 20,302) war ein Quintus Serg-[ius Paullus] unter Tiberius (14-37 n. Chr.) oder Caligula (37-41 n. Chr.) Statthalter. Dann hätte die Reise vor 41 stattgefunden. Allerdings bricht die Inschrift nach „Serg-“ ab und die Ergänzung ist sehr unsicher.

2) Ein Lucius Sergius Paullus (CIL VI 31545) ist für die Zeit des Claudius (41-54 n. Chr.) aus Rom überliefert und könnte später Statthalter auf Zypern gewesen sein. Dann wäre eine Datierung der Reise auf das Jahr 47 n. Chr. möglich.

Nach dem Aufenthalt auf Zypern setzten Barnabas und Paulus – ohne Johannes Markus – auf das kleinasiatische Festland über und reisten in das pisidische Antiochien, eine römische Kolonie im Landesinneren (Apg 13,14-52). Zahlreiche Inschriften zeigen, dass die Sergii Paulli dort Besitzungen hatten, was die Auswahl dieses Ortes durch Barnabas und Paulus plausibel macht. Die weiteren Stationen, die Kolonien Ikonion und Lystra (Apg 14,1-20), lagen auf der Römerstraße Via Sebaste. Derbe war der Endpunkt, von dem aus sie denselben Weg wieder zurückreisten (Apg 14,20-24).

Auf den Stationen dieser Reise gelang es, kleine Gemeinden zu gründen, die aus Nicht-Juden bestanden. Sie blieben in der Folge mit Barnabas und Paulus sowie der antiochenischen Gemeinde verbunden. Möglicherweise war an sie auch der Galaterbrief gerichtet. Die Darstellung in Apg 13-14 lässt annehmen, dass Barnabas nicht nur Mitarbeiter des Paulus, sondern maßgeblich an der Planung und Durchführung der Verkündigung beteiligt war. Das legt u.a. die Auswahl von Zypern als erstem Reiseziel nahe – Barnabas war Zypriote – sowie seine Gleichsetzung mit Zeus durch die Lykaonier (Apg 14,12).

Auf die gemeinsame Verkündigung mit Barnabas spielt auch Paulus in 1Kor 9,1-6 an. Im Zusammenhang seiner Überlegungen zur ökonomischen Versorgung der Apostel durch die Gemeinden nennt er ihn und sich selbst als Beispiele dafür, kein Geld zur Unterstützung anzunehmen. Diese Aussagen lassen erkennen, dass auch Paulus selbst Barnabas nicht als Mitarbeiter, sondern als eigenständigen Apostel verstand.

1.6. Barnabas und Johannes Markus

Laut Apg 15,36-40 kam es zwischen Paulus und Barnabas zu einer Auseinandersetzung über die Mitwirkung des Johannes Markus in der Verkündigung. Da Barnabas an Johannes Markus festhielt, trennte er sich von Paulus und reiste laut Apg 15,39 nach Zypern.

Die historische Auswertung dieser Erzählung wird unterschiedlich vorgenommen: Einerseits wird sie als Erklärung der Apg dafür interpretiert, dass Paulus nach dem Konflikt über die Tischgemeinschaft in Antiochien nicht mehr mit Barnabas zusammenarbeiten wollte (s.o.). An die Stelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung wäre dann vom Verfasser der Apostelgeschichte eine Personaldebatte gestellt worden, um die ideologischen Differenzen zu überdecken.

Andererseits wird der Erzählung auch historisches Gewicht zugemessen, da sie zum einen gut erklärt, warum Paulus nicht mehr mit Barnabas zusammenarbeite, und zum anderen auch zu den Angaben über Johannes Markus in Kol 4,10 passt: Dort wird dieser als Neffe des Barnabas bezeichnet. Auch wenn der Kolosserbrief pseudonym ist, kann eine Personalnotiz wie diese durchaus historisch zutreffend sein. Sie wäre eine gute Begründung, warum Barnabas als Onkel des Johannes Markus an ihm festhielt. Zeitlich wäre die Auseinandersetzung dann nach der Verkündigung auf Zypern und in Kleinasien anzusetzen (ca. 48 n. Chr.).

1.7. Das Wirken des Barnabas im frühen Christentum

Mit der Person des Barnabas begegnen wir einem Mittler zwischen den prägenden Gemeinden von Jerusalem und Antiochien samt ihren jeweils unterschiedlichen Ausrichtungen in Fragen der Einhaltung des Gesetzes und der Verkündigung. Seine starke Verankerung in Jerusalem, seine prägende Wirkung in Antiochien sowie in der Verkündigung unter den Völkern gehörten zu seinen Verdiensten, wenngleich er in den Quellen weniger bedeutend erscheint: Während Paulus die Rolle des Barnabas beim Treffen zur Lösung der Beschneidungsfrage durchaus würdigt, stellt er ihn nach dem Konflikt über die Speisen- und Tischgemeinschaft als nachgiebig hin. Die Apostelgeschichte hingegen rückt Barnabas mehr und mehr in den Schatten ihres Helden Paulus (s.u.).

2. Die Darstellung in der Apostelgeschichte

Wie für Petrus und Paulus zeichnet der Verfasser der Apostelgeschichte auch von Barnabas ein differenziertes Portrait.

Die Reihenfolge der Namensnennungen von Barnabas und Paulus (Saulus) in der Apostelgeschichte ist auffällig. Sie ist wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass der Verfasser dadurch die Bedeutung dieser beiden Personen in den berichteten Ereignissen hervorheben wollte. In Apg 11,30, Apg 12,25, Apg 13,2 und Apg 13,7 wird Barnabas an erster Stelle vor „Saulus“ genannt. Dazu kommt in Apg 13,1, dass Barnabas an der Spitze der Fünferliste steht, Saulus an deren Ende.

Nach der Verkündigung auf Zypern bezeichnet der Verfasser die Reisenden als „die um Paulus“ (Apg 13,13). Folgerichtig wird Barnabas in den Erzählungen in Apg 13 und Apg 14 anschließend zumeist an zweiter Stelle genannt (Apg 13,43; Apg 13,46; Apg 13,50). Lediglich in Apg 14,14 wird dies noch einmal umgekehrt, wenn von „den Aposteln Barnabas und Paulus“ die Rede ist. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Menschen in Lystra Barnabas als Zeus und Paulus als dessen Bote Hermes deuten (Apg 14,12). Tatsächlich ist während der Reise zumeist Paulus derjenige, der das Wort führt und Wunder vollbringt (Apg 13,10f; Apg 13,16-41; Apg 14,8-12). Reden, die die beiden gemeinsam hielten, werden in Apg 13,46f; Apg 14,14-18 referiert und auch sonst verwendet der Verfasser Pluralformen. Doch stets wird Paulus hier aufgrund seiner Erstnennung als der eigentliche Wortführer porträtiert.

Rund um den Apostelkonvent wechselt die Reihenfolge immer wieder: Während Paulus bei den Streitigkeiten in Antiochien an erster Stelle geführt wird (Apg 15,2), ist in Jerusalem vor allem Barnabas der Erstgenannte (Apg 15,12; Apg 15,25; anders in Apg 15,22). Nach Antiochien zurückgekehrt, steht Paulus wieder im Vordergrund (Apg 15,35).

In die Apostelgeschichte wird Barnabas als Wohltäter der Jerusalemer Gemeinde eingeführt (Apg 4,36f). Er ist sowohl durch seine Großzügigkeit wie durch seine Herkunft besonders ausgezeichnet. In weiterer Folge wird Barnabas als Mittlerfigur dargestellt: Er ist derjenige, der bei den skeptischen Aposteln den neu bekehrten Paulus (Saulus) einführt und über dessen Verkündigung in Damaskus berichtet (Apg 9,27). Offen bleibt allerdings, warum gerade er dies kann. Barnabas rückt damit aber in die Rolle eines Patrons des Paulus (Saulus), die er auch später noch ausfüllen wird.

Auf die besonderen Qualitäten des Barnabas, der als ein „guter Mann, voll des Heiligen Geistes und des Glaubens“ beschrieben wird (Apg 11,24), ist auch zurückzuführen, dass die Jerusalemer Gemeinde ihn auswählt, um die Gemeinschaft in Antiochien zu inspizieren (Apg 11,22-24). Seine dauernde Anwesenheit in Antiochien führt nach Apg 11,24 dazu, dass „eine große Menge“ an Christus glaubt. Erneut als Mittler und Patron wirkt Barnabas, indem er den nach Tarsus geflüchteten Paulus (Saulus) nach Antiochien holt und dort mit ihm die Verkündigung fortsetzt (Apg 11,25f). Mit ihm gemeinsam überbringt Barnabas, der hier wieder als Wohltäter agiert, anschließend eine Sammlung an die von Hunger bedrohte Jerusalemer Gemeinde (Apg 11,27-30). Dort muss er erleben, wie Herodes (Agrippa I.) Jakobus Zebedäus hinrichten und Petrus festnehmen lässt. Unbeschadet kehrt Barnabas mit Paulus (Saulus) nach Antiochien zurück und nimmt auch den Jerusalemer Johannes Markus mit (Apg 12,25).

Entsprechend dieser Darstellung ist es nur folgerichtig, dass Barnabas an der Spitze eines Gremiums von fünf Personen in Antiochien steht, die als Propheten und Lehrer wirken (Apg 13,1). Aus dieser Gruppe wählte nach Apg 13,2f der Heilige Geist Barnabas und Paulus (Saulus) zur Verkündigung aus, sodass sie sich gemeinsam auf Reise begeben. Auch wenn die erste Station Zypern (Apg 13,4) hier nicht ausdrücklich mit Barnabas verbunden wird, ist doch vorausgesetzt, dass seine Herkunft von der Insel aus Apg 4,36 noch erinnerlich ist.

Die Begegnung mit dem Statthalter Sergius Paulus (in den ntl. Handschriften durchgehend nur mit einem L) bringt den Umschwung im Verhältnis von Barnabas und Paulus (Apg 13,4-13a): Letzterer tritt – nun nicht mehr Saulus, sondern Paulus genannt (Apg 13,9) – einem jüdischen Magier entgegen und straft ihn mit Blindheit. In der weiteren Folge ist Paulus die Hauptfigur, Barnabas wird erzählerisch in die zweite Reihe gerückt: Die sehr lange Rede im pisidischen Antiochien, die in der Apg exemplarisch für die paulinische Verkündigung in Synagogen steht, hält der Rhetor Paulus allein (Apg 13,16-41). Auch dort, wo beide gemeinsam sprechen, steht Paulus an erster Stelle (s. den Exkurs). In Ikonion geschieht alles gemeinsam – Reden wie Wundertaten (Apg 14,1-5) –, während es in Lystra Paulus ist, der einen Lahmen heilt und als Redner zu denken ist (Apg 14,8-20). Die Meinung der Bewohner*innen von Lystra, Barnabas wäre der Mensch gewordene Zeus, Paulus aber Hermes, ruft im antiken Kontext Bildtraditionen in Erinnerung: Barnabas als der bärtige und schweigsame Ältere, Paulus als der redegewandte Jüngere (vgl. Apg 7,58). Schließlich ist es aber dann doch nur Paulus, der in Lystra mit Steinen beworfen wird und dies auf wundersame Weise überlebt (Apg 14,19f). Die weitere Reise gestaltet sich in der Apg ähnlich: Barnabas wird Paulus nicht länger als Patron übergeordnet, sondern als dessen Begleiter dargestellt (vgl. schon Apg 13,13: „die um Paulus“).

Die Bedeutung des Barnabas wird in der Apostelgeschichte noch einmal im Kontext des Treffens der Gesandten der antiochenischen Versammlung mit der Gemeinde von Jerusalem hervorgehoben (Apg 15). Paulus und Barnabas treten jeweils gemeinsam auf: Im Streit mit jenen, die die Beschneidung fordern (Apg 15,2a), als Gesandte Antiochiens (Apg 15,2b), als Berichterstatter über „die Zeichen und Wunder … unter den Völkern“ (Apg 15,12) und als Boten, die die Einigung und den Brief der Jerusalemer überbringen (Apg 15,22; Apg 15,25). An diesen Stellen rückt Barnabas im Jerusalem Kontext nochmals etwas stärker in den Vordergrund. Bis zu diesem Punkt erscheinen Barnabas und Paulus auch als unzertrennlich, eine inhaltliche Differenz, wie sie Gal 2,11-14 erkennen lässt, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil: „Sie lehrten und verkündigten mit noch vielen anderen das Wort des Herrn“ (Apg 15,35).

Erst in Apg 15,36-40 berichtet der Verfasser von einer „Verbitterung“: Paulus vertraute Johannes Markus, der sich nach Zypern der Verkündigungstätigkeit entzogen hatte (Apg 13,13b), nicht mehr, während Barnabas an ihm festhielt. Der Grund dafür bleibt offen. Die Folge ist, dass Barnabas in der Erzählung nach Zypern entschwindet (Apg 15,39), während sich der Verfasser dem weiteren Schicksal des Paulus widmet.

So entsteht in der Apostelgeschichte ein vielschichtiges Bild des Barnabas, das von seiner Wohltätigkeit in Jerusalem über den Aufbau der Gemeinde in Antiochien und die Verkündigung unter den Völkern bis zur Aushandlung der Beschneidungsfreiheit reicht. Auch wenn Barnabas in der Erzählung immer weiter in den Schatten des Paulus gerückt wir, hat er in der Apostelgeschichte dennoch einen wichtigen Platz inne.

3. Die Rezeption

3.1. Barnabas und die Briefliteratur

Auf Tertullian (gest. nach 220) geht die Ansicht zurück, Barnabas hätte den Hebräerbrief verfasst (De pudicitia 20). Als Schüler des Paulus, dem der Hebräerbrief traditionell zugeschrieben wurde, habe er dessen Ansichten festgehalten. Diese Auffassung scheint weit verbreitet gewesen zu sein, zumindest in montanistischen Kreisen. Noch Hieronymus (gest. 420) nennt diese Möglichkeit (De viris illustribus 5). Historisch weist auf diese Überlegung allerdings nichts hin: Die Annahme, seine levitische Herkunft passe gut zur Bedeutung des Tempels im Hebräerbrief, ist doch sehr vage, zumal sich der Verfasser nicht auf aktuelle Vertrautheit mit dem Tempelkult stützt, sondern auf entsprechende Schrifttexte der Septuaginta.

Der Barnabasbrief, der Teil des Corpus der Apostolischen Väter ist, trägt ebenfalls keinen Verfassernamen. Dennoch setzt schon Clemens von Alexandrien voraus, dass Barnabas der Verfasser des Schreibens sei (Stromata II 20,116,3 u.v.m.). Auch die älteste Handschrift des Briefes, der Codex Sinaiticus aus dem 4. Jh., benennt den Brief als jenen des Barnabas. Im Text selbst gibt es keinen Hinweis darauf. Im Gegenteil spricht einiges dagegen, u.a. die Datierung: Barn 16,3f. bezieht sich auf einen geplanten Tempelbau des Hadrian in Jerusalem, der einer der Auslöser für den zweiten Judäischen Aufstand war (132-135 n. Chr.). Dementsprechend muss der Text zwischen 130 und 132 n. Chr. entstanden sein. Barnabas war zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht mehr am Leben. Die spätere Zuschreibung an Barnabas hängt vielleicht mit einer Entstehung des anonymen Schreibens in Alexandrien zusammen, wo Johannes Markus traditionell besonders verehrt wurde.

3.2. Die Barnabasakten

Als fiktiver Verfasser der Barnabasakten erzählt Johannes Markus vor allem von dem Wirken des Barnabas nach der Trennung von Paulus. Nach einem kurzen Aufenthalt in Pamphylien (Kleinasien) spielt die Geschichte ausschließlich auf Zypern. Die Akten berichten über Verkündigung, Wundertätigkeit, Konfrontationen mit paganen und jüdischen Gegnern und vom gewaltsamen Tod des Apostels. Seine Asche wird zusammen mit einem wundermächtigen Exemplar des Matthäusevangeliums in einer Höhle bei Salamis bestattet.

Diese Heiligenvita stammt aus dem 5. Jahrhundert und ist eine erzählerische Ergänzung zu einem Bericht über Kaiser Zeno (474-491), in dessen Regierungszeit diese Höhle entdeckt worden sein soll. Gemeinsam mit der späteren Lobrede auf Barnabas durch den Mönch Alexander (6. Jh.), in der zahlreiche weitere Phasen des Lebens des Barnabas beschrieben werden, erfüllen die Barnabasakten damit auch die Funktion der Etablierung einer apostolischen Herkunft der zypriotischen Kirche.

3.3. Das Barnabasevangelium

Das Barnabasevangelium ist in verschiedenen Sprachen überliefert (Italienisch mit arabischen Bemerkungen sowie in Spanisch), die Handschriften stammen aus dem 17. Jahrhundert. Bereits in einer Liste apokrypher Texte, dem sg. Decretum Gelasianum (6. Jh.), wird ein Barnabasevangelium erwähnt. Sehr wahrscheinlich ist damit aber nicht der heute erhaltene Text gemeint.

Es handelt sich beim Evangelium des Barnabas um eine Schrift, die die wahre Geschichte und Botschaft des Propheten Jesus von Nazareth erzählen will. Diese sei in den klassischen Evangelien falsch berichtet worden. Barnabas selbst tritt als Jünger Jesu auf, dem besondere Einsichten gewährt werden. Inhaltlich geht es in dem Evangelium u.a. darum zu zeigen, dass Jesus sich selbst nicht als Messias verstand, sondern den Propheten Mohammed als diesen ankündigte. Im Hinblick auf Mohammed übernimmt Jesus damit dieselbe Rolle wie Johannes der Täufer in den kanonischen Evangelien, der im Barnabasevangelium als Figur nicht vorkommt. Während der Gedanke der Gottessohnschaft explizit abgelehnt wird, gilt die Beschneidung als unerlässlich. Auch sei nicht Jesus, sondern Judas gekreuzigt worden (vgl. Koran Sure 4,157f.).

Der ursprünglich wohl spanische Text entstand im späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert. Der Verfasser stammte vermutlich aus dem Milieu spanischer Muslime (Morisken), die zwangsgetauft und später aus Spanien ausgewiesen wurden. Dieser Einordnung entspricht u.a. die Mischung aus klassischen islamischen Traditionen und christlichen Elementen, wie z.B. die Titulierung Mohammeds als „Messias“. Bis in die Gegenwart wird von muslimischer Seite die Echtheit des Textes immer wieder behauptet, um die Verfälschung der Botschaft Jesu durch das Christentum zu demonstrieren. Historisch ist das allerdings nicht plausibel nachzuweisen.

3.4. Barnabas in weiteren altkirchlichen Zeugnissen

Barnabas galt in der Alten Kirche häufig als einer der siebzig Jünger, die Jesus aussandte (vgl. Lk 10,1; Lk 10,17; so in Clemens von Alexandrien, Stromata II 20,116,3; Eusebius von Caesarea, Historia ecclesiastica I 12,1). In manchen ntl. Handschriften zu Apg 1,23 wird er auch als Kandidat für den nach dem Tod des Judas freigewordenen Platz unter den Aposteln geführt (u.a. im Codex Cantabrigiensis). In dem Roman der Pseudoclementinen (Recognitiones I 7-13; Homiliae I 9-16) tritt Barnabas zunächst in Rom auf (so auch in den Petrusakten 4) und gewinnt den Protagonisten Klemens als seinen Schüler. In weitere Folge verweist er ihn auf Petrus, der die zentrale Gestalt dieses Textes aus dem 4. Jh. ist. Ab der Wende von der Spätantike zum frühen Mittelalter spielte Barnabas auch für Mailand eine wichtige Rolle, da er als der erste Bischof der Stadt galt. Die Akten des Bartholomäus und Barnabas aus dem 10. Jh. nehmen viele Elemente dieser unterschiedlichen Traditionen auf.

Literaturverzeichnis

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  • Öhler, Markus, Barnabas. Der Mann in der Mitte, Biblische Gestalten 12, Leipzig 2. Aufl. 2013
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  • Prostmeier, Ferdinand R., Der Barnabasbrief, KAV 8, Göttingen 1999
  • Schnelle, Udo, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, Göttingen 3. Aufl 2019
  • Weiß, Alexander, Sergius Paullus, Statthalter von Zypern, ZPE 169, 2009, 188-192

Abbildungen

Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz) und ihrem Präsidenten Othmar Keel.

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