Glaubensabfall
(erstellt: April 2021)
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Die neutestamentlichen Schriften durchzieht das Anliegen, zum Glauben an Christus zu rufen und die Gläubigen in der Bewahrung und Festigung des Glaubens zu stärken. Im Rahmen des Aufrufs zur Bewährung und zum Festhalten am Glauben wird auch der Verlust des Glaubens begrifflich, an konkreten Beispielen und in theologischer Ausführung thematisiert. Wie das Judentum, so versteht auch das Neue Testament Apostasie als Abwendung von Gott. Unter den im AT vorkommenden Begriffen zur Beschreibung der Apostasie werden häufig מְשֽׁוּבָה meshūbah (5-mal im AT: Jer 3,22
Auf das Gottesvolk bezogen ist mit Apostasie im AT der Bundesbruch verstanden, der meist mit der Zuwendung zu Fremdgöttern verbunden ist.
Im Neuen Testament gibt es keinen Terminus technicus für den Glaubensabfall. Ab dem 3. Jh. ist zwar der vom Verb ἀφίστημι aphístemi („wegtreten, abfallen, abstehen“) abgeleitete Begriff ἀποστασία apostasía (Apostasie), der in der alten Kirche als Abwendung von Gott und als Abwendung vom christlichen Glauben verstanden wurde, bedeutsam geworden, doch gibt es im NT daneben eine Vielzahl weiterer Begriffe, die den Glaubensabfall beschreiben, und keiner der Begriffe ist ausschließlich auf den religiösen Abfall zu beziehen.
1. Die Begriffe des Glaubensabfalls im NT
1.1. Das vom Wortstamm ἀφίστημι aphístēmi abgeleitete Substantiv ἀποστασία apostasía („Abfall“) erscheint im NT nur zwei Mal (Apg 21,21
Das Substantiv wird in Apg 21,21
1.2. Das Verlassen Jesu, d.h. die Beendigung seiner Nachfolge wird im NT mit ἀφιέναι aphiénai („verlassen“) beschrieben (Mk 14,50
1.3. Dieses Verlassen der Gefolgschaft Jesu wird mit φεύγειν pheúgein („fliehen“, Mk 14,50
1.4. Das Verleugnen Jesu bzw. die Leugnung, ihm zu folgen, ist mit ἀρνεῖσθαι arneisthai („leugnen“) beschrieben (Mt 10,32f
1.5. Die Verkündigung Jesu führt zu einer Scheidung seiner Anhängerschaft. In Joh 6,66
1.6. In Gal 1,6
1.7. Ebenso dient das Verb πίπτω píptō („fallen“) (1Kor 10,12
1.8. Das ausschließlich in den Pastoralbriefen gebrauchte ἀστοχέω astochéō („abirren, irren, sich lossagen“; 1Tim 1,6
1.9. Mit dem Begriff καταλείπω kataléipō („verlassen“) in 2Petr 2,15
1.10. Korrespondierend mit dem Verlassen des rechten Wegs in 2Petr 2,15
1.11. Nach dem Gleichnis vom Sämann ist derjenige, der das Wort Gottes zwar annimmt, aber keine Wurzel hat, in der Gefahr infolge von Bedrängnis und Verfolgung um des Wortes willen wieder vom Glauben abzufallen (Mt 13,21
1.12. 1Tim 1,19
1.13. Dem folgt der metaphorische Ausdruck: ναυαγέω nauagéō („Schiffbruch erleiden“), womit der Glaubensabfall in seiner Konsequenz beschrieben wird.
2. Glaubensabfall im Neuen Testament
2.1. Evangelien
Die Evangelien verstehen unter Apostasie die personale Abwendung von Jesus, die Aufhebung einer Beziehung. Während „bei ihm sein“ (Mk 3,14
Im Gleichnis vom Sämann benennt Jesus als Ursache für das Zu-Fall-Kommen von Gläubigen (Mk 4,17
In Mk 3,28f
2.2. Apostelgeschichte
Apg 20,30
2.3. Protopaulinen
In der Kontroverse über die Einhaltung der jüdischen Speisegebote, das Essen von bzw. den Verzicht auf Fleisch und die Einhaltung von Feiertagen greift Paulus in Röm 14,4
2.4. Deuteropaulinen
In 2Thess 2,3
Die Pastoralbriefe rücken das Verständnis der Apostasie stärker in den Zusammenhang mit der Irrlehre. Apostasie und Irrlehre werden zum Kennzeichen der Endzeit (1Tim 4,1
2.5. Hebräerbrief
Der Hebräerbrief thematisiert in fünf Abschnitten den Glaubensabfall am ausführlichsten (Hebr 2,1-4
2.6. Katholische Briefe
Die katholischen Briefe warnen vor Irrlehrern, die andere Gläubige zum Abfall führen (Jud 4; 2Petr 2,1). Demnach verweigern die Apostaten „dem Herrn, der sie erkauft hat“, die Gefolgschaft. Sie verlassen den rechten Weg (2Petr 2,15
Die Johannesbriefe sehen die Bedrohung der Gemeinde durch Häretiker, „die leugnen, dass Jesus der Christus ist“ (1Joh 2,22f
2.7. Apokalypse
Die Darstellung der Gläubigen in der Apokalypse als Überwinder impliziert auch die Möglichkeit des Nicht-Überwindens. In Apk 2,5
3. Schlussfolgerungen
In Anlehnung an alttestamentlich-jüdische Traditionen wird der Glaubensabfall auch im Neuen Testament nicht als Folge einzelner Taten des Ungehorsams und des sündigen Handelns verstanden, sondern als Absage an die Glaubensnachfolge und an die Beziehung zu Gott.
Theologisch kontrovers diskutiert wird die Frage, ob die in den neutestamentlichen Schriften beschriebene Warnung vor dem Glaubensabfall den Lesern nur als hypothetischer Fall vor Augen gestellt werde, der aber nicht real in Betracht komme. Die in Lk 8,12f
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