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Hermeneutik

(erstellt: Oktober 2018)

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1. Begriff

Nicht nur das Hören und Lesen geschriebener oder gesprochener Äußerungen, sondern alles Wahrnehmen und auch die Selbstwahrnehmung beruhen auf Interpretationsakten. Der Begriff Hermeneutik bezeichnet im Allgemeinen Theorien, die sich mit der Möglichkeit, der Notwendigkeit, den Bedingungen, Problemen und Zielen von Verstehens- bzw. Interpretationsprozessen befassen. Das Wort Hermeneutik geht auf das griechische Verb hermeneuein zurück, das selbst viele Bedeutungen aufweist. Insbesondere seine semantischen Aspekte (→ Semantik) „verstehen“, „erklären“ und „übersetzen“ (→ Übersetzungstheorien) wirkten auf die Begriffsbildung ein. Schon in der Antike wurde das Verb hermeneuein mit dem Namen des Götterboten → Hermes in Verbindung gebracht, um den Aspekt einer kommunikativen Vermittlung göttlicher und menschlicher → Wirklichkeit anzuzeigen.

Vielfach wird Hermeneutik als Lehre vom Verstehen definiert. Diese Definition erscheint aber schon aufgrund der vielfältigen Konzepte von Verstehen als zu eng gefasst. Einige hermeneutische Theorien behaupten nämlich, dass Verstehen geschieht, aber nicht methodisiert und deshalb auch nicht gelehrt werden kann (u.a. Genieästhetik; Posttheory). Die vielfältige Kritik der Hermeneutik (u.a. Poststrukturalismus und Konstruktivismus) dagegen unterstellt jedem Konzept von Verstehen ein substanzontologisches Vorurteil, das den Inhalt des Verstehens als eine von den Verstehensprozessen, ihren Medien und den beteiligten Subjekten unabhängige, statische, identisch bleibende Größe voraussetze. Das eigentlich zu Verstehende bilde in Hermeneutikkonzepten den gehaltvollen Kern, während die sprachliche oder bildhafte Äußerung nur als verzichtbare Schale mit der Funktion eines Transportmittels gedacht werde. Damit verkenne man die Dynamik und Komplexität kommunikativer Prozesse. Durch die in Anspruch genommene Deutungsmacht (→ Bibelauslegung, politische) würden stets auch unabsichtlich gewaltvolle Effekte erzeugt. Die „Wut des Verstehens“ (Hörisch) zeige sich nicht zuletzt in der Anmaßung, alles und jeden verstehen zu wollen und zu können.

Da aber auch die Kritik der Hermeneutik ein explizites oder implizites Verständnis von Hermeneutik und ein mehr oder weniger geklärtes Konzept von Verstehen bzw. Interpretieren voraussetzt, an dem sie sich abarbeitet, bedarf es einer Definition des Begriffs Hermeneutik, die der Komplexität und Disparatheit der damit angezeigten Diskurse gerecht wird und gerade nicht – mehr oder weniger suggestiv – für oder gegen Hermeneutik Partei ergreift. Diese Definition sollte sich nicht auf den umstrittenen Begriff des Verstehens verlassen, sondern die Erkenntnis der Differenz zwischen Auslegungsgegenstand und Ausleger in den Vordergrund stellen: In allen kommunikativen Prozessen müssen Subjekte (→ Subjekttheorien) kreativ handeln, damit überhaupt etwas als etwas wahrgenommen werden kann, ganz gleich, ob man die Leistung der Subjekte konzeptionell als Verstehen, als Konstruktion (→ Konstruktivismus) oder als Zeichenprozess (Semiose [→ Semiotik]) fasst. Damit diese verschiedenen Konzeptionen zumindest sachbezogen miteinander streiten können, sollte Hermeneutik als Diskursraum (→ Diskurstheorie) zur Klärung der Fragen nach Zielen, Grenzen, Voraussetzungen, Bedingungen, Effekten, Konstellationen und Modalitäten von Interpretationsakten und Interpretationsverfahren definiert werden.

Auf allgemeine Hermeneutikkonzeptionen bauen spezielle fach- oder themenbezogene Hermeneutiken auf wie u.a. Bildhermeneutik, Kulturhermeneutik, Kunsthermeneutik, Rechtshermeneutik, Texthermeneutik, alttestamentliche, neutestamentliche, biblische, theologische Hermeneutik, Gleichnis- oder Wunderhermeneutik. Die allgemeine Hermeneutik ist aber jünger als die diversen Ausprägungen spezieller Hermeneutiken. Insbesondere die juristische und die theologische Hermeneutik der Schriftauslegung haben die hermeneutische Diskussion bis ins 19. Jahrhundert dominiert.

2. Grundprobleme und Kritik der Hermeneutik

Hermeneutische Theoriebildung wird veranlasst durch eine alltägliche Erfahrung: Einer Äußerung ist ihr Verständnis nicht gleichursprünglich mitgegeben. Das wird z.B. zum Problem, wenn man selbst etwas äußert, aber anders verstanden wird, als man es möchte oder wenn man meint, jemanden verstanden zu haben, diese/r sich aber missverstanden fühlt oder wenn andere dieselbe Äußerung eines Dritten anders verstehen als man selbst. Diesen punktuellen Erfahrungen liegt das alle Kommunikation betreffende Problem der Differenz zwischen Äußerung und Aufnahme dieser Äußerung zu Grunde.

Es geht bei dieser Differenz nicht lediglich um ein zeitliches Nacheinander, als würde der Äußerung das Verstehen schon auf dem Fuße folgen. Vielmehr handelt es sich um zwei voneinander strikt zu unterscheidende Sachverhalte. Im Akt der Äußerung wird nämlich etwas Innerliches – Gedanken, Träume, Stimmungen usw. – nach außen getragen und dadurch für andere physisch wahrnehmbar gemacht. Die Wahrnehmung des Geäußerten kann nicht den Weg zurück in den Körper des sich Äußernden gehen, sondern muss das als Äußerung Wahrgenommene im Körper des Wahrnehmenden verarbeiten. Dabei geht die Wahrnehmung nicht nur deswegen selektiv vor, weil sie überhaupt nur einen Teil dessen verarbeiten kann, was geäußert wurde. Vielmehr bedarf es einer Neuverortung des Wahrgenommenen in der eigenen Innerlichkeit des Wahrnehmenden. Das Geäußerte erfährt in diesem Kommunikationsprozess gleich mehrere Umgestaltungen (Transformationen): Es verwandelt sich von einem nur im Körper des sich Äußernden Befindlichen zu einem physisch von anderen wahrnehmbaren Medium, seien es Schallwellen, Papier und Tinte oder elektronische Bildschirme, die eine Zeichenfunktion erhalten. Dieser Prozess der Zeichenbildung ist unumkehrbar und er kann nicht zurückgenommen werden: Gesagt ist gesagt, geschrieben ist geschrieben, gemalt ist gemalt. Diese Zeichenmedien können aber auch nicht als solche in den Körper des Wahrnehmenden eindringen, sondern nur mittels komplexer Verarbeitungsprozesse im Körper der Wahrnehmenden, die nicht das Physische des Zeichenmediums in den Körper aufnehmen, sondern von dessen physischer Materialität abstrahieren und das Abstrahierte gleichursprünglich im Inneren des eigenen Körpers neu verorten und konstruktiv vernetzen.

Diese komplexen Kommunikationsprozesse mit ihren vielfältigen Transformationen, Transpositionen und Neuvernetzungen werfen eine Reihe von Fragen auf, die in der hermeneutischen Theoriebildung diskutiert und kontrovers beantwortet werden. Das hermeneutische Grundproblem lässt sich daher folgendermaßen formulieren: Welchen Einfluss nehmen die beschriebenen Transformationen der inneren Gedanken und Empfindungen auf ihrem Weg nach Außen und dann wieder in das Innere des Wahrnehmenden auf das ursprünglich innerlich Gedachte und Empfundene? Diese Frage macht eine Einschätzung notwendig, auf welcher Basis und mit welchen Kriterien die Frage eine Antwort finden bzw. ob sie überhaupt sachlich begründet und intersubjektiv nachvollziehbar und plausibel beantwortet werden kann.

Die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage generieren die Diversität hermeneutischer Theorien, bis hin zu einem gänzlichen Theorieverzicht. Vertreter von autorintentionalen Hermeneutiken gehen etwa von der Möglichkeit einer hinreichenden Identität zwischen Äußerung und Verstehen der Äußerung aus. Zeichentheoretische bzw. textologische Theorien dagegen favorisieren ein Zusammenwirken von Kontinuität und Differenz, bzw. Konstruktion und Rekonstruktion. Poststrukturalistische und (de)konstruktivistische Ansätze wiederum gehen von der unüberwindbaren Differenz zwischen Äußerung und Aufnahme der Äußerung aus und verneinen damit die Möglichkeit von Verstehen prinzipiell.

Autorintentionale Hermeneutiken bevorzugen den Begriff des Verstehens für ihr Anliegen. Zeichentheoretisch verankerte Theorien favorisieren dagegen den Begriff der Interpretation, um die Unhintergehbarkeit eines bedeutungskonstitutiven „Zwischen“ als Vermittlung zwischen (inter) der Vorgabe der Äußerung und der notwendigen Kreativität der Interpretationsleistung anzuzeigen. Konstruktivistische und poststrukturalistische Positionen hingegen betonen die bedeutungskonstitutive Leistung der Rezipienten und sprechen daher bevorzugt von Konstruktion bzw. Dekonstruktion.

3. Notwendigkeit hermeneutischer Theoriebildung

Zu der im vorigen Abschnitt 2. beschriebenen hermeneutischen Grundproblematik treten mindestens drei Begründungen hinzu, die hermeneutische Theoriebildung unerlässlich machen: 1. eine ethische Begründung 2. eine methodologische Begründung 3. eine anthropologische Begründung.

3.1. Ethische Begründung

Die hermeneutische Einsicht in die Differenz von Auslegungsgegenstand und Ausleger führt die ethische Problematik vor Augen, dass jedes Interpretieren ein Verhalten zur Äußerung eines Anderen in den Konstellationen der je gegenwärtigen lebensweltlichen und politischen Zusammenhänge ist. Dieser ethische Aspekt kommunikativen Verhaltens macht es wiederum notwendig zu diskutieren, wie Interpretationsprozesse gestaltet werden können bzw. sollen, um der auszulegenden Äußerung mit Respekt vor dem Anderen zu begegnen. Für die Gestaltung ethisch verantwortbarer Interpretationshaltungen und Interpretationsprozesse bedarf es aber hermeneutischer Reflexion darüber, welche Komponenten für die Akte der Interpretationsprozesse relevant und welche davon wie und in welchem Maße beeinflussbar sind, wie sie zusammenwirken und welche Erwartungshaltungen an Interpretationen geknüpft werden können.

Weil das Verstehen / Interpretieren / Konstruieren der Äußerung eines Anderen kein wertfreies Verhalten dem Gegenstand und der Gesellschaft und der Kultur gegenüber ist, die und in der interpretiert wird (→ Bibelauslegung, politische; → Lebenswelt), bezieht jede Interpretation Stellung zum Interpretationsgegenstand, zu anderen Interpretationen und zur Lebenswelt. Diese Einsicht kann in drei Grundkriterien einer Ethik der Interpretation (vgl. S. Alkier, Ethik der Interpretation) festgehalten werden:

  1. 1.Realitätskriterium: Eine Interpretation ist nur dann ethisch vertretbar, wenn sie danach strebt, den Interpretationsgegenstand als real vorgegebenes Anderes, vom Ausleger Unterschiedenes in gewisser Hinsicht darzustellen, und wenn sie diesem Anderen mit Respekt gegenübertritt.
  2. 2.Sozietätskriterium: Eine Interpretation ist nur dann ethisch vertretbar, wenn sie sich als ein Beitrag zu einer gemeinschaftlichen Wahrheitssuche versteht, und andere Interpretationen, auch wenn sie inhaltlich nicht geteilt werden, als Beitrag zu dieser vom dynamischen Objekt motivierten Wahrheitssuche respektiert.
  3. 3.Kontextualitätskriterium: Eine Interpretation ist nur dann ethisch vertretbar, wenn sie ihre kulturelle und das heißt auch ihre politische Verortung offenlegt und sich als ein Beitrag zur kommunikativen Erschließung der Welt präsentiert.

3.2. Methodologische Begründung

Die hermeneutische Diskussion wurde bis ins 18. Jahrhundert überwiegend in Methodenlehren geführt. Dennoch sind Methoden und ihre hermeneutischen Begründungen voneinander zu unterscheiden. Das Wort Methode geht auf das griechische meth´ hódos zurück und bedeutet: mit einem Weg. Es soll ein bestimmter, regelgeleiteter Weg gegangen werden um das Ziel der Auslegung zu erreichen.

Dieses Ziel kann aber selbst nicht methodisch begründet werden, sondern nur hermeneutisch. Nicht die Methode bestimmt das Ziel und auch die Grenzen der Auslegung bzw. der Interpretation, sondern sie bestimmt, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Es ist nicht per se klar, worin das Ziel der Interpretation bestehen soll oder wann gesagt werden kann, dass man etwas oder jemanden verstanden hat. Es ist auch nicht klar, ob es nur eine richtige Auslegung gibt, oder ob mehrere Interpretationen ein und desselben Auslegungsgegenstandes denkbar oder sogar wünschenswert sind. So zielen autorintentionale Hermeneutiken auf genau eine richtige Interpretation, auch wenn eingestanden wird, dass diese nur annäherungsweise oder unter Vorbehalt ermittelt werden kann. Semiotische Interpretationen dagegen rechnen aufgrund der Mehrdeutigkeit von Zeichen bzw. Zeichenprozessen nicht nur mit mehreren adäquaten Interpretationen, vielmehr begrüßen sie diese als dem Reichtum von Zeichenkomplexen und der notwendigen kreativen Mitarbeit der auslegenden Subjekte angemessen. Sucht man in einer Schulklasse nach der Intention des Autors, wird im Klassenraum zumeist nur eine Interpretation zugelassen werden, die als richtig ausgezeichnet wird. Vertritt man dagegen das semiotische Ziel, angemessene Interpretationen zu generieren, wird man es als Erfolg ansehen, wenn gleich mehrere gute, überzeugende, am Zeichenbestand ausgewiesene Interpretationen methodisch erarbeitet werden. Die hermeneutische Frage, ob es für jeden Auslegungsgegenstand nur eine oder mehrere oder gar unendlich viele plausible oder gar keine Interpretationen geben soll, – kann nicht durch Methoden oder durch Interpretationen entschieden werden. Dafür bedarf es des theoretischen Diskurses, der mit dem Begriff Hermeneutik angezeigt wird. Die Methode hilft das Ziel zu erreichen, das die Hermeneutik vorgibt.

3.3. Anthropologische Begründung

Keine Interpretation ist dazu in der Lage, den Interpretationsgegenstand in jeder Hinsicht und ein für alle Mal zu erfassen und darzustellen. So sind nicht erst die intertextuellen und intermedialen Verflechtungen (→ Intertextualität; → Intermedialität) auszulegender Texte unüberschaubar, sondern schon die intratextuellen Verwebungen der Textzeichen (→ Text, Texthermeneutik, Textologie, Textwissenschaft) können wegen der begrenzten menschlichen Wahrnehmungskapazitäten nicht von einer Interpretation allein vollständig erfasst werden. Jede Interpretation ist eklektisch und perspektivisch durch die notwendige Auswahl von Themen, Methoden und Zielen sowie durch die lebensweltlich wie historisch diversen Konstellationen, in denen die Interpretationsprozesse vollzogen werden. Weil kein Mensch und auch kein menschliches Kollektiv – auch nicht mit technischen Hilfsmitteln wie Computer und Internet – einen Überblick über alle semantischen, syntagmatischen, pragmatischen, intertextuellen, intermedialen, (inter)kulturellen, politischen und lebensweltlichen Relationen der Auslegungsgegenstände erreichen kann, ist jede Interpretation defizitär und immer auch fehlbar. Sie ist immer nur eine von den Grenzen, der Verortung und den Interessen der Auslegenden und ebenso von den Gegebenheiten und materiellen Erscheinungsweisen des Auslegungsgegenstandes abhängige mehr oder weniger gut begründete Hinsicht auf den Auslegungsgegenstand. Deshalb darf sich keine Interpretation an die Stelle des Interpretationsgegenstandes setzen.

So sind Schriften, Bilder, Klänge, Gebäude, Körper usw. immer reicher, offener, lebendiger, überraschender als nur eine ihrer Interpretationen. Wer dennoch meint, z.B. eine Schrift wie die Bibel, eines ihrer Bücher oder auch nur eine Perikope vollständig und abschließend erfasst zu haben, überschreitet die Differenz zwischen Ausleger und Auslegungsgegenstand. Wer auch immer seine Interpretation mit absoluter Deutungsmacht versieht, wie z.B. mit der Formel: „Gott sagt …“ ohne dazu zu sagen „so wie ich es interpretiere“, maßt sich die Position eines Gottes an, die keiner menschlichen Instanz zukommen kann. Es gilt diesbezüglich, die hermeneutische Erkenntnis aus dem Bereich theologischer Wissenschaft zu beachten, dass selbst göttliche Offenbarungen, auch wenn man sie als solche wertschätzt und ihnen Folge leisten will, vom Offenbarungsempfänger interpretiert werden müssen. Auch für den als göttlich aufgefassten Interpretationsgegenstand der Offenbarung müssen die Bedingungen und Grenzen der Rezipienten in Rechnung gestellt werden, um nicht menschlicher Hybris zu verfallen, die die begrenzte eigene Perspektive mit der des Offenbarungsgebers identifiziert und sich so unberechtigter Maßen selbst als Gott aufführt.

Mag diese theologisch-hermeneutische Erkenntnis im Lebensvollzug nur für diejenigen unmittelbar relevant sein, die sich aus der Relation zu einer wie auch immer gelagerten göttlichen Offenbarung begreifen, so führt die Einsicht, dass sich kein Mensch unmittelbar selbst versteht, zur anthropologischen Notwendigkeit hermeneutischer Theoriebildung. Selbst Körperempfindungen können als eigene Körperempfindungen nur interpretativ erschlossen werden. Die von der kategorialen → Semiotik Charles Sanders Peirces (1839-1914) entdeckten vorkritischen Phänomene von Erstheit oder der präsentische Charakter von Sprachereignissen, die im Anschluss an Ernst Fuchs (1903-1983) Eberhard Jüngel (*1934) für die Gleichnisforschung fruchtbar machte oder auch die von Hans Ulrich Gumbrecht (*1948) anempfohlene Akzeptanz der Phänomene bzw. Ereignisse einer Präsenz der Dinge „Diesseits der Hermeneutik“ können als solche nur interpretierend erschlossen werden. Auch wenn Gumbrechts Kritik am Universalanspruch der Hermeneutik berechtigter Weise einbringt, dass der Mensch nicht auf seine Interpretationsleistungen zu reduzieren ist, wird man zwar damit das Monopol hermeneutischer Theoriebildung auf Welterschließung, nicht aber die anthropologische Universalität der Interpretationsprozesse in Frage stellen können. Der Mensch ist – auch und immer – ein interpretierendes Wesen. Um sein interpretierendes Verhalten zu erschließen, bedarf es auch hermeneutischer Theoriebildung.

4. Von der antiken Frage nach dem gelingenden Leben zur neuzeitlichen Frage nach dem Sinn des Lebens – eine kleine Geschichte der hermeneutischen Wende durch die Geisteswissenschaften

4.1. Anwendungsbezogene hermeneutische Verfahren in Antike und Mittelalter

Die Erfahrung der Mehrdeutigkeit von Orakelsprüchen und die Notwendigkeit ihrer richtigen Auslegung fanden in der griechischen Literatur der Antike vielfachen Ausdruck. Das Orakelwesen kann daher als (ein) maßgeblicher Ort antiker hermeneutischer Bewusstseinsbildung gelten und somit einsichtig werden lassen, warum das griechische hermeneuein vor allem als Übersetzen, Erklären und Verstehen göttlicher Kommunikation aufzufassen ist und mit dem Götterboten Hermes in Verbindung gebracht wurde. Das vielleicht bekannteste Beispiel erzählt Herodot (490 / 480 v. Chr. - 430 / 420 v. Chr.) in seinen Historien: Als der Lyderkönig Kroisos das Orakel zu Delphi befragen lässt, ob er gegen die Perser in den Krieg ziehen solle, erhält er die Antwort: „Wenn Kroisos gegen die Perser ziehe, werde er ein großes Reich zerstören.“ (Historien I 53,5f). Kroisos verstand das Orakel als Prophezeiung seines Sieges. Dass aber die falsche Deutung tödlich sein kann, zeigt der Ausgang dieser Episode bei Herodot. Kroisos zieht in den Krieg, verliert ihn und zerstört dadurch sein eigenes Reich. Das Orakel behielt also Recht – nur nicht im Sinne des Kroisos.

Das Verstehen eines Orakelspruches zielte auf seine lebenspraktische Anwendung (Applikation). In der griechischen und römischen Antike gibt es keine universale hermeneutische Frage nach dem Sinn des Lebens oder dem Sinn der Geschichte oder dem Sinn des Seins oder auch nur dem Sinn eines Textes. Eine allgemeine Theorie der Hermeneutik wurde in der Antike nicht ausgearbeitet. Übersetzen, Verstehen, Auslegen, Erklären richteten sich auf die Ermittlung richtiger Schlussfolgerungen in konkreten Problemlagen, in denen handlungsleitend entschieden werden musste.

Nicht eine an Sinn orientierte hermeneutische Theorie, sondern die Rhetorik als Argumentationslehre stand im formalen Zentrum antiker Bildung. Die materiale Kernfrage der Antike war nicht die abstrakte Frage nach dem Sinn, sondern die pragmatische Frage nach gelingendem Leben. Auch dafür liefert Herodot ein vielsagendes Beispiel. Als Kroisos die Möglichkeit hat, mit dem für seine Weisheit berühmten Solon zu sprechen, fragt er nicht nach dem Sinn von allem, sondern nach dem glücklichsten Menschen – und er ist maßlos enttäuscht, dass Solon nicht ihn, den reichen, mächtigen König der Lyder dafür hält (vgl. Historien I,29-33).

Auch die antike jüdisch-christliche Literatur kennt keine allgemeine Theorie der Hermeneutik Sie ist eingebunden in die antike Frage nach dem gelingenden Leben, hier allerdings in der Beziehung zu Gott. Weder Moses noch Jesus stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens. Es geht vielmehr darum, das eigene Leben und den gesamten Kosmos als Gottes Schöpfung zu begreifen und dementsprechend zu handeln und die Macht und Güte Gottes zu bezeugen. Die Schriften des Kanons zielen nicht auf hermeneutische Theologie, sondern vielmehr auf die Performativität einer Zeugenschaft (→ Performativität), die der Macht, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit des Gottes Israels und seines getöteten und auferweckten (→ Auferweckung) Sohnes Jesus Christus entspricht.

Wie sehr die antike hermeneutische Grunderfahrung in der Auslegungsbedürftigkeit göttlicher Kommunikation gründete, wird auch an der Einführung von Auslegungsmethoden sichtbar, wie sie zunächst in der Homerauslegung Anwendung fanden, bald aber auch für die Interpretation der Heiligen Schriften Israels und dann auch der neutestamentlichen Schriften fruchtbar gemacht wurden. Über → Philon von Alexandrien (um 15/10 v. Chr. - nach 40 n. Chr.) werden allegorische, multiperspektivische Interpretationsverfahren im Griechisch sprachigen Judentum und durch dieses vermittelt in der Alten Kirche etabliert, die als Modelle mehrfachen Schriftsinns (→ Vierfacher Schriftsinn) bis zur Reformation und auch noch darüber hinaus bis heute in Geltung stehen und wirken. Sie werden aber keineswegs grundsätzlich für die Interpretation jeglicher menschlicher Kommunikation gefordert, sei sie mündlich, schriftlich oder darstellerisch in Bildhauerei, Malerei oder Musik. Sie bleibt Werken vorbehalten, in deren Auslegung es um eine normative Gestaltung von Lebenspraxis geht, also vornehmlich Gesetzeswerken und heiligen Schriften. Juristische Hermeneutik und theologische Hermeneutik im Dienste der Schriftauslegung bilden daher bis zur hermeneutischen Wende im 17. Jahrhundert die Kerngebiete hermeneutischer Theoriebildung.

So unterschiedlich die beiden bedeutendsten methodischen Ansätze in der Schriftauslegung der Alten Kirche – Origenes (185 - um 254) für den Osten und Augustinus (354-430) für den Westen – auch sein mögen, so handelt es sich bei beiden um Fortführungen bzw. Transformationen des skizzierten anwendungsorientierten antiken griechisch-römischen Denkens. Ihre hermeneutischen Überlegungen zielen auf das richtige und zugleich mehrperspektivische Verstehen der Heiligen Schriften mit Blick auf eine dem Glauben angemessene Lebenspraxis. Ihre jeweiligen Fassungen der Lehre vom mehrfachen Schriftsinn zeigen, dass die Auslegung der Schrift nicht auf eine abstrakte theologisch-hermeneutische Theorie, sondern auf die Gestaltung des konkreten individuellen wie gemeinschaftlichen christlichen Lebens zielt. In diesen Zusammenhängen entwickeln sie aber nicht ausschließlich methodische Verfahren. Vielmehr kommen sie zu grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Text und Geschichte, Zeichen und Realität, und insbesondere bei Augustinus zu einer Theorie der Zeit, die aber nicht zu einer allgemeinen Hermeneutik systematisiert werden.

4.2. Die Entdeckung der Unabschließbarkeit der Auslegung und die Zumutung des je eigenen Verstehens durch die reformatorische Schrifthermeneutik sola scriptura

Auch die von → Martin Luther (1483-1546) angestoßene Schriftkonzeption sola scriptura (→ sola scriptura) steht noch ganz im Zeichen einer anwendungsorientierten Schriftauslegung. Dabei entdeckt Luther nicht nur die schlechthinnige Unhintergehbarkeit von Interpretation, sondern auch ihre Unabschließbarkeit und Unvertretbarkeit: Jede und jeder muss selbst interpretieren, jede und jeder kann selbst interpretieren und niemand erreicht einen abschließenden Endpunkt des eigenen Interpretierens. Der Notwendigkeit der je eigenen Auslegung ist die Übersetzung der Bibel ins Deutsche geschuldet. Luther erkennt zudem, dass es Kriterien angemessener Interpretationen bedarf, damit nicht subjektive Willkür an die Stelle der Heiligen Schrift tritt. Maßstab der Interpretation ist die Vorgabe der Schrift als Schrift selbst. Nur wer sich auf die Schriftzeichen und ihre grammatischen, syntaktischen und intertextuellen Zusammenhänge einlässt, kann sein jeweiliges Schriftverständnis als schriftgemäß begründen (vgl. Alkier, Sola Scriptura). Die methodischen Verfahren und exegetischen Konkretionen Luthers und mehr noch Philipp Melanchthons (1497-1560) fußen weitgehend auf der Rhetorik und in der mittelalterlichen Ausprägung des vierfachen Schriftsinns, auch wenn sie den litteralen Sinn in den Mittelpunkt ihrer hermeneutischen Überzeugungen stellen. Eine einflussreiche methodische Systematisierung legt dann Matthias Flacius Illyricus (1520-1575) vor, der in hermeneutischer Hinsicht insbesondere mit dem Problem des Verhältnisses der einzelnen biblischen Bücher zum Ganzen des Kanons ringt.

4.3. Umbrüche im 17. Jahrhundert

Der Streit um die reformatorische Schriftauslegung wurde nicht nur mit Argumenten, sondern schon bald auch mit Waffen ausgetragen. Gewaltvoller Tiefpunkt der Auseinandersetzungen war der Dreißigjährige Krieg, in dem es zwar nicht in erster Linie, aber doch auch um grundlegende Fragen der Schriftauslegung ging: Wer hat das Recht die Bibel auszulegen? Wie soll sie verstanden werden? Welche politischen Konsequenzen bringt der Konflikt der Interpretationen mit sich? Verträgt ein Land mehrere Auslegungen oder gefährdet das den inneren Frieden? Der westfälische Friede von 1648 klärt diese Fragen politisch, nicht jedoch hermeneutisch.

Aber nicht nur die konfessionellen Streitigkeiten, sondern auch die naturwissenschaftlichen Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Astronomie führten von Nikolaus Kopernikus (1473-1543) über Galileo Galilei (1564-1642) und Johannes Kepler (1571jul-1630greg) zunehmend zu Problemen und Differenzen in der Bibelauslegung. Luther hatte gefordert, der Bibel stets Recht zu geben und Kopernikus dort zu widersprechen, wo er nicht im Einklang mit der Bibel stehe. Galileo Galilei wurde gar zum Opfer der römisch-katholischen Inquisition, Johannes Kepler wurde vom Abendmahl ausgeschlossen.

Dennoch kam es im 17. Jahrhundert noch nicht zum Auseinanderdriften von Geistes- und Naturwissenschaften, wovon die Schriften Keplers ein beredtes Zeugnis ablegen. Der überzeugte Protestant Kepler befasste sich nämlich in seinen astronomischen Schriften auch mit hermeneutischen Problemen der Bibelauslegung. Kepler begreift sich als „Priester Gottes, der das Buch der Natur studiert“ (Gesammelte Werke 7,9). Die hermeneutische Lösung der Diskrepanzen zwischen biblischen Texten und astronomischen Erkenntnissen lautete für Denker wie Galilei und Kepler: Die Naturwissenschaften erklären den Himmel, die biblischen Bücher führen zu ihm hin (vgl. Scholder, 74). Damit wurde die Aufgabe der Bibelauslegung ganz grundsätzlich zu einer hermeneutischen. Es sollte nicht mehr darum gehen, das biblische Weltbild zu adaptieren, sondern den Sinn der biblischen Bücher pragmatisch als Hinführung zu Gott zu begreifen und daraufhin das eigene Leben auszurichten. Weil das biblische Weltbild als Weltbild der Antike überholt erschien, konnte es zwar noch von historischem, aber nicht mehr von normativem Interesse sein. Der aufkeimende Verlust der Realitätserschließung durch die biblischen Bücher sollte kompensiert werden durch die Hermeneutisierung der Bibelauslegung.

Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass 1654 der Begriff der Hermeneutik erstmals zu einem Buchtitel wird: Hermeneutica Sacra sive methodus exponendarum S. Literarum, verfasst von Joseph Conrad Dannhauer (1603-1666). Dannhauers Ausführungen widmen sich überwiegend philologisch-methodischen Fragen der Bibelauslegung, allerdings als Spezialfall einer allgemeineren Hermeneutik der Textauslegung. Historisch-kritische Interpretationsverfahren hat Dannhauer noch nicht im Blick.

Diese formuliert aber schon kurze Zeit später Baruch de Spinoza (1632-1677) in seinem Politisch-theologischen Traktat. Er greift das reformatorische sola scriptura begrifflich auf und schärft die Einsicht in die Unhintergehbarkeit der Interpretation und in ihre politischen Implikationen. Spinoza nutzt sola scriptura aber nur noch als Modell der Freiheit der Auslegung und bestreitet die grundsätzliche Normativität der Schrift für die Wirklichkeitserschließung. Aus der Klarheit der Schrift wird bei ihm die vernunftgemäße Klarheit der Methode. In Kontinuität zur Antike geht es ihm um die Erlangung der Glückseligkeit im Sinne des gelingenden Lebens, die ihm zufolge mit aber auch ohne Schrift erkannt und ergriffen werden kann, weil sie der allgemeinen Erkenntnisfähigkeit der menschlichen Vernunft zugänglich ist. In Diskontinuität zu Antike, Mittelalter und Reformationszeit begreift er die Heilige Schrift nicht mehr als vornehmlichste Quelle der Wirklichkeitserschließung. Die biblischen Schriften Alten und Neuen Testaments bieten ihm zufolge historisch zu verortende religiöse Vorstellungen, deren Leistung für die Gegenwart darin besteht, auch unabhängig von der allgemeinen Vernunfterkenntnis zu einer guten Lebensführung beitragen zu können und damit die breiten Massen eher zu erreichen, als es reine Vernunfterkenntnis vermag. Weder für die Erkenntnis der Wahrheit noch für die darauf aufbauende freiheitliche Gesellschaft ist für Spinoza die Heilige Schrift notwendig. Spinoza trägt damit nicht nur erheblich zur religionsgeschichtlich begründeten Historisierung und Ethisierung der Bibelauslegung bei. Vielmehr weitet er die hermeneutischen Fragen methodischer Schriftauslegung aus zu einer historischen Kritik biblischer Schriften und zu einer philosophisch begründeten allgemeinen kritischen Hermeneutik der Wirklichkeitserschließung.

4.4. Die Hermeneutisierung der Geisteswissenschaften seit dem 18. Jahrhundert

Der Weg der Kombination einer allgemeinen Hermeneutik mit einer historisch-kritischen Hermeneutik für die Auslegung biblischer Schriften, den Spinoza vorgedacht hatte, wurde teils in Aufnahme, teils in Ablehnung, aber nur selten in Unkenntnis seiner Positionen im 18. Jh. fortgeführt. Christian Wolff (1679-1754) bearbeitete Hermeneutik als psychologische Texthermeneutik in seiner „Deutschen Logik“ und forderte für die Auslegung der Heiligen Schrift dieselben zeichentheoretischen Grundsätze zu berücksichtigen wie für jede andere Schrift. Dabei betrachte er Wörter als Zeichen von Vorstellungen und unterschied das Erklären (interpretari) unverständlicher Stellen vom Verstehen (intelligere) als Rekonstruktion der Semantik des Vorstellungsvermögens des Autors. Das Ziel der hermeneutischen Textauslegung ist für Wolff die Aufdeckung der vom Autor intendierten Vorstellungen. Mit dieser autorintentionalen Hermeneutik, die auch für die biblischen Schriften gelten sollte, rücken die menschlichen Verfasser der biblischen Schriften in den Blickpunkt, während der Heilige Geist aus der Texthermeneutik verschwindet.

Auf diesen Spuren arbeitete Sigmund Jacob Baumgarten (1706-1757), ein mittelbarer Schüler Wolffs, seinen „Unterricht von Auslegung der Heiligen Schrift“ aus, mit dem er seine Studenten in die Probleme und Methoden der Auslegung einführte. Er kombinierte Wolffs autorintentionale Hermeneutik mit dem Interesse an der Applikation (Anwendung) der ausgelegten Texte - ein Grundanliegen pietistischer Hermeneutik, die er in Gestalt seines Mentors Gotthilf August Francke (1696-1769) schon früh kennengelernt hatte. Baumgartens Hermeneutik ist ein knapper Leitfaden für die Auslegung der Heiligen Schrift, der mit einer semantischen Analyse einsetzt, dann die historischen Umstände der Entstehung der einzelnen Schriften thematisiert und auf dieser Basis den Redezweck des Autors erheben möchte. Abschließend sollen die ermittelten Wahrheiten erklärt und für das Leben der Glaubenden fruchtbar gemacht werden.

Der bedeutendste Schüler Baumgartens, Johann Salomo Semler (1725-1791), hielt seine ersten Lehrveranstaltungen in Halle mit dem hermeneutischen Entwurf seines Lehrers. Diesen arbeitete er aber schon bald konzeptionell zur ersten historisch-kritischen Hermeneutik um. In seiner Autobiographie schreibt er rückblickend: „Den eigentlichen historischen kritischen Theil, der hier viel zu wenig mitgenommen worden, fing ich so gleich an viel deutlicher und volständiger einzuschieben […] und ich fiel selbst für mich auf die Unterscheidung der historischen Auslegung, die wirklich in jene Zeiten, des ersten Jahrhunderts, als damaliger Inhalt und Umfang der Vorstellungen dieser Zeitgenossen, gehöret; und der iezigen wirklichen Anwendung zur Belehrung unserer Christen, aus den richtig erklärten Stellen, welche Anwendung der Lehrer nach den Umständen seiner Zeit und seines Ortes, mit ieziger Lehrgeschicklichkeit zu befördern hat.“ (Lebensbeschreibung 1, 208f.). Semler begründet die historisch-kritische Hermeneutik, indem er den durch Baumgarten vermittelten autorintentionalen Ansatz Wolffs kombiniert mit der Beschränkung der hermeneutischen Aufgabe auf die Rekonstruktion des Textsinns in den Konstellationen seiner Entstehungszeit. Dieser hermeneutischen Grundentscheidung bleibt historisch-kritische Hermeneutik bis in die Gegenwart hinein verhaftet und wird damit zum Motor der Historisierung der Theologie insgesamt. Im Wortsinn „kritisch“, d.h. unterscheidend ist seine historische Rekonstruktion in zweifacher Hinsicht: Sie unterscheidet zwischen Text und Applikation und sie lässt nur solche Texterklärungen gelten, die in der Zeit der Textentstehung denkbar waren. Die theoretischen Grundlagen und Implikationen dieser historisch-kritischen Hermeneutik bedenkt er indes nicht systematisch.

Erst Friedrich Schleiermacher (1768-1834) legt in seinen Vorlesungen über Hermeneutik und Kritik ein universales Konzept des Verstehens vor, das nicht mehr nur auf spezielle Auslegungsprobleme gegebener Schriften zielt, sondern sich allgemein am Gespräch orientiert und behauptet, „daß sich das Mißverstehen von selbst ergibt und das Verstehen auf jedem Punkt muß gewollt und gesucht werden.“ (Schleiermacher, 92). Schleiermacher nimmt für sich selbst nicht zu Unrecht in Anspruch, die allgemeine „Hermeneutik als Kunst des Verstehens“ (75) begründet zu haben.

Die Überzeugungskraft seiner sprachphilosophisch und psychologisch argumentierenden Verstehenslehre trug maßgeblich zur verstärkten Hermeneutisierung der Geisteswissenschaften im 19. Jh. bei, wovon eindrücklich Wilhelm Diltheys (1833-1911) „Einleitung in die Geisteswissenschaften“, aber auch seine Schrift „Die Entstehung der Hermeneutik“ zeugen. Die Sinnfrage wurde zur Leitfrage der Erschließung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens. Die Geschichtlichkeit des Lebens wiederum wurde zur Basisüberzeugung jeder Verstehensbemühung. Der so genannte hermeneutische Zirkel als Ineinander von Individuellem und Allgemeinem, den für die Philologie bereits Friedrich Ast (1778-1841) im 18. Jh. konstatiert hatte, wird bei Dilthey zum Seinsprinzip seiner Lebensphilosophie. Die vornehmliche Methode der Beantwortung der Sinnfrage wurde die entwicklungsgeschichtliche Rekonstruktion, die es sich zur Aufgabe machte, „einen Sinnzusammenhang aus einer anderen «Welt» in die eigene zu übertragen“ (Gadamer, Art. Hermeneutik, 1061). Der Preis für diese Emphase des Sinns war die Historisierung und Relativierung jeglicher Ideen, Normen und Werte, die schon bald als Historismus beklagt wurde.

In Aufnahme und Kritik von Diltheys lebensphilosophischer Hermeneutik und mit dem expliziten Ziel, den Relativismus des Historismus zu überwinden, entwarf Martin Heidegger (1889-1976) in seiner unvollendeten Monographie „Sein und Zeit“ eine Hermeneutik des Daseins, die Verstehen nun nicht mehr rekonstruktiv, sondern konstruktiv als Entwurf des eigenen Selbstverständnisses begriff. → Rudolf Bultmann (1884-1976) modellierte Heideggers ontologische Hermeneutik als existenziale Interpretation (→ existenziale Interpretation) biblischer Texte, verbunden mit der Leitfrage nach dem jeweiligen Selbstverständnis, das durch die Texte ausgedrückt würde. Die Mittel des Ausdrucks begriff Bultmann als historisch bedingt und nicht mehr für die Gegenwart relevant. Ihr Inhalt aber, das Existenzverständnis, könne noch heute angeeignet werden.

Eine große Breitenwirkung entfaltete Bultmanns existenziale Interpretation durch seinen Ansatz der Entmythologisierung (→ Entmythologisierung) von Wundergeschichten. Das den Kausalzusammenhang von Ursache und Wirkung durchbrechende Wunderbare bezeichnet Bultmann als Mirakel, das nur noch religionsgeschichtlich interessiere, während das Selbstverständnis, das sich in den Wundergeschichten ausdrücke, auch heute noch Geltung beanspruchen könne. Vermittelt werden gegenwärtige und vergangene Selbstverständnisse über den von Bultmann eingeführten Begriff des Vorverständnisses, womit ein vortheoretisches Verständnis eines Sachverhalts wie z.B. Liebe oder Angst gemeint ist.

Hans-Georg Gadamer (1900-2002) führte die hermeneutischen Theoriebildungen in seinem Hauptwerk „Wahrheit und Methode“ zu einer wirkungsgeschichtlichen Hermeneutik zusammen und prägte das Bild der „Horizontverschmelzung“. In Aufnahme lebensphilosophischer und phänomenologischer Aspekte konzipiert er Verstehen als Ereignis, in dem rekonstruktive und konstruktive Aspekte zusammenwirken müssen. Gadamer setzt aber voraus, dass der Sinn vergangener Welten über(ge)setzt werden kann, so dass er heutigen Sinnwelten begegnen und mit ihnen zu etwas Neuem, Lebendigen verschmelzen kann. Genau an dieser hermeneutischen Überzeugung der möglichen Übersetzung von geschichtlich gegebenem und triftig rekonstruierbarem Sinn üben einerseits konstruktivistische und andererseits strukturalistische, poststrukturalistische und kategorial semiotische Ansätze grundlegende Kritik.

Konstruktivistische Überzeugungen bestreiten die Möglichkeit der Rekonstruktion gegebener Phänomene schlechthin. Sie fassen nicht nur Deutungen, sondern auch die vermeintlichen Auslegungsgegenstände selbst als Konstruktionen subjektiver Bewusstseinsinhalte auf. „Was man als ‚Realität / Realitäten‘ identifiziert, kann dann nur als Projektion oder als ‚Konstruktion‘ unseres Bewußtseins behandelt werden. Dieses Postulat wird durch die heiklere Doppelthese ergänzt, erstens sei es möglich, an diesen Konstruktionen Merkmale eines allen Menschen gemeinsamen Bewußtseins (des ‚transzendentalen Subjekts‘) zu ermitteln, und zweitens könne man Spuren dieser gemeinsamen Merkmale in allen existierenden Gesellschaften (‚Lebenswelten') ausfindig machen. Von dieser Grundlage ausgehend, führt der Konstruktivismus letzten Endes zu der Schlußfolgerung, alle Realitäten, die uns und anderen Menschen gemeinsam sind, seien ‚soziale Konstruktionen‘. Heute hat sich der Konstruktivismus […] in die banale Überzeugung verwandelt, der Mensch könne alles – vom ‚Geschlechtlichen‘ über die ‚Kultur‘ bis hin zur ‚Landschaft‘ - nach Belieben ohne weiteres ummodeln, denn alles sei ‚doch bloß eine menschliche Konstruktion‘.“ (Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik, 80). Die katastrophalen politischen Auswirkungen dieses banalen aber wirkmächtigen konstruktivistischen Weltbilds werden in dem 2016 von der Trump-Regierung geprägten Euphemismus der „Alternativen Fakten“ sichtbar, der es nicht mehr erlaubt, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Die Realität der Phänomene wird in jeder Spielart des Konstruktivismus nicht mehr als Kriterium ihrer Deutung akzeptiert. Vielmehr fallen Phänomen und Deutung zusammen. Einen Auslegungsgegenstand, der nicht allein im Bewusstsein des Interpreten verankert ist und gerade deshalb seiner Deutung Widerstand leisten könnte, gibt es in der konstruktivistischen Hermeneutik nicht mehr.

Konstruktivismus darf nicht verwechselt werden mit zeichentheoretischen Ansätzen, die zwar auch die Notwendigkeit der kreativen Konstruktion im Akt der Auslegung in Rechnung stellen, dabei aber gerade die Widerständigkeit und letztliche Unbeherrschbarkeit der Zeichen thematisieren. Während der Konstruktivismus als vereinseitigte kantianische Transzendentalphilosophie als radikaler Subjektivismus auftritt, kritisieren Strukturalismus, Poststrukturalismus und kategoriale Semiotik die vermeintliche Autonomie und Autokratie des Subjekts zugunsten der objektiven Wirksamkeit von Zeichenprozessen, in die die Subjekte als Unter-legenes eingewoben sind.

Im Zuge der Rezeption sprach-und literaturwissenschaftlicher Ansätze des russischen Formalismus, der Phonologie und mehr noch der strukturalistischen Neukonzeption der Sprachwissenschaft durch den Genfer Literaturwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857-1913) etablierten sich vor allem zunächst in Frankreich in verschiedenen Disziplinen Versuche, die jeweiligen Auslegungsgegenstände nicht mehr von einer Rekonstruktion einer intentionalen Sinngebung des Autorsubjekts her zu erfassen, sondern sie in Analogie zur Struktur eines Schachspiels durch die Analyse der Relationen ihrer Sinn relevanten Zeichenelemente deskriptiv vor allem als synchrone Strukturen zu beschreiben. Besonders einflussreich waren u.a. Claude Levy-Strauss (1908-2009) in der Ethnologie und Roland Barthes in den Literaturwissenschaften (vgl. Dosse, Geschichte des Strukturalismus). So divers die unter dem – von ihren Kritikern ersonnenen – Sammelbegriff „Strukturalismus“ zusammengefassten Theorien auch waren, so einte sie der Vorwurf an die hermeneutische Tradition, diese vertrete eine statische, substanzontologische Metaphysik des Sinns, die sich stets auch politisch verheerend auswirke, weil sie alles, was nicht dem bürgerlichen Begehren der Beherrschbarkeit entspreche, unterdrücke oder gar auslösche. Der Strukturalismus geriet aber bald selbst in den Verdacht, zu statisch und abgeschlossen zu denken, nachdem 1967 die bulgarische Studentin Julia Kristeva (*1941) die Konzepte von Dialogizität und Ambivalenz des russischen Philosophen und Literaturtheoretikers Michail Bachtin (1895-1975) in die strukturalistische Diskussion in Frankreich einbrachte und das dezentralisierende Konzept der Intertextualität prägte. Rolandes Barthes, in dessen Seminar sie 1967 ihr Referat gehalten hatte, sie selbst und neben vielen anderen besonders auch Jacques Derrida (1930-2004) wandelten die Theoriebildung zum so genannten Poststrukturalismus um, der zwar weiterhin mit der strukturalistischen Zeichentheorie de Saussures arbeitete, aber nicht mehr von geschlossenen, synchronen Strukturen mit abzählbaren Elementen ausging. Vielmehr sollte nun in ideologiekritischer Absicht aufgezeigt werden, wie Deutungsmacht konstruiert wird. Durch die Analyse der Konstruktion des Auslegungsgegenstandes sollte dessen Konstruiertheit aufgedeckt und damit sein Wahrheitsanspruch und seine Deutungsmacht dekonstruiert werden. Dabei ist Dekonstruktion gerade kein Konstruktivismus, weil das Konzept der De-Konstruktion die hermeneutische Möglichkeit voraussetzt, dass die Textstrategien objektiv re-konstruierbar seien und gerade deshalb auch Widersprüche darin aufgedeckt werden können.

Neben Intertextualität und Dekonstruktivismus fand die Diskurstheorie des Historikers Michel Foucault (1926-1984) breiten Anklang, der mit seiner Archäologie des Wissens Ordnungssysteme als machtförmig beschrieb und die Tradition der Hermeneutik des Sinns maßgeblich dafür verantwortlich machte, dass unter dem Deckmantel der Sinngebung gesellschaftliche Machtstrukturen etabliert werden.

Blieb die exegetische und theologische Hermeneutik in Deutschland zunächst weitgehend unberührt von strukturalistischen und poststrukturalistischen Gegenentwürfen zur Hermeneutik des Sinns, rezipierte der Bonner Neutestamentler Erhardt Güttgemanns (*1935) diese frankophonen Ansätze zeitgleich zu ihren Erstveröffentlichungen. Er erarbeitete daraus nicht nur seinen Ansatz der generativen Poetik, der auch als Heft 1 der Zeitschrift Semeia in den USA publiziert wurde, sondern auch eine eigenständige poststrukturalistische „Texthermeneutik für den Umgang mit der Hl. Schrift“ – so der Untertitel seiner 1983 erschienenen Monographie „fragmenta semiotico-hermeneutica“ – als Gegenentwurf zur autorintentionalen Hermeneutik historisch-kritischer Exegese. Die Arbeiten von Erhardt Güttgemanns trugen maßgeblich zur interdisziplinären Öffnung für den internationalen Theoriediskurs in der Hermeneutik und Methodologie neutestamentlicher Wissenschaft bei, auch wenn sein eigener Ansatz im deutschsprachigen Raum kaum Aufnahme fand.

Einen entscheidenden Schritt weg von der binären zeichentheoretischen Tradition des frankophonen Strukturalismus und Poststrukturalismus vollzog der Medievist Umberto Eco (1932-2016) mit seiner Hinwendung zur kategorialen Semiotik Charles Sanders Peirces. Die damit begründete Einbeziehung von Fragen der Referenz in das prozesshaft angelegte Zeichenkonzept ermöglichte es Eco, nicht nur die „Mitarbeit der Interpretation“ – so der Untertitel seines Buches „Lector in fabula“ – seitens der Rezipienten ins Spiel zu bringen, sondern auch „Grenzen der Interpretation“ zeichentheoretisch zu begründen. Die kategoriale Semiotik im Anschluss an Peirce etablierte damit ein dynamisches und ausgewogenes Interpretationskonzept, das die Vorgabe der gegeben Phänomene als Spielraum ihrer Auslegung begreift und zugleich die notwendig kreative Konstruktionsarbeit der Rezipienten als unverzichtbar für jegliche Interpretationsprozesse erkennt (vgl. Alkier, Neues Testament basics, 139-148). In der Religionsphilosophie und der systematischen Theologie machte Hermann Deuser (*1946) die kategoriale Semiotik Peirce´s für ein neues Verständnis von Religion, Kosmologie und Glaube fruchtbar.

Gegen die strukturalistische, poststrukturalistische und semiotische Kritik verteidigte Paul Ricoeur (1913-2005) die hermeneutische Tradition von Bultmanns Heideggerrezeption bis zu Gadamers wirkungsgeschichtlicher Grundlegung. In Eberhard Jüngel (*1934), der das sprachhermeneutische Konzept des Bultmannschülers Ernst Fuchs aufgriff und über die fachwissenschaftlichen Grenzen der Theologie hinaus bekannt machte, fand er einen kongenialen Mitstreiter. Ricoeur wurde nach Gadamer zu dem philosophischen Gewährsmann insbesondere neutestamentlicher Hermeneutikkonzeptionen und der systematischen Fortführung hermeneutischer Theologie. Eine eigenständige Neukonzeption der Hermeneutik legte er allerdings nicht vor, so dass Gadamers „Wahrheit und Methode“ als der Klassiker der allgemeinen Hermeneutik des 20. Jh.s gelten kann.

In der Gegenwart werden nahezu alle hier vorgestellten hermeneutischen Konzepte weiterhin bzw. wieder vertreten: neben der klassischen autorintentionalen Hermeneutik, der wirkungsgeschichtlichen Hermeneutik, der Semiotik, dem Poststrukturalismus und dem radikalen Konstruktivismus werden auch die antiken und mittelalterlichen Ansätze der Rhetorik und des mehrfachen Schriftsinns mit Gewinn wieder ins Gespräch gebracht (vgl. z.B. Werner H. Kelber, Imprints, Viceprints & Footprints of Memory“), um die Mehrdimensionalität von Auslegungsprozessen zu befördern. Hinzukommen performative Ansätze und eine Wiederentdeckung von Präsenzkonzeptionen. So möchte Gumbrecht die Dominanz der von ihm als statisch aufgefassten hermeneutischen Theoriebildung dadurch unterlaufen, dass er im Anschluss an Martin Heidegger der „Präsenz der Dinge“ „diesseits“ aller Interpretationen nachspüren möchte, „und dies ohne die von den Geisteswissenschaften seit langem inaugurierte, höchst raffinierte und überaus reflektierte Kunst der Interpretation auch nur zu kritisieren.“ (Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik 76). Dass Gumbrecht selbst die Begriffe „Sinn“ und „Interpretation“ äußerst statisch versteht, führt ihn zum Unbehagen an der Hermeneutik: „Interpretation – d.h. Identifikation und Zuschreibung von Sinn“ (Gumbrecht, 38); eine Definition, die auf einem poststrukturalistischen Hermeneutik-Verständnis beruht und etwa aus semiotischer Perspektive nicht geteilt wird, da jegliche Kommunikation als dynamischer Zeichenprozess verstanden und nicht auf abstrahierende Sinnzuschreibung reduziert wird.

Ein allgemeines Hermeneutikkonzept, das alle Probleme der Reflexion von Interpretationsprozessen und ihren Bedingungen für alle und alles überzeugend löst, wird es nicht geben. Wegen der kaum zu überschätzenden theoretischen und praktischen Relevanz des Interpretierens wäre es ein großer Fortschritt in der Geschichte hermeneutischer Theoriebildung, wenn die jeweiligen Vertreterinnen und Vertreter der aktuellen Konzeptionen nicht nur die Stärken der eigenen und die Schwächen der anderen Positionen wahrnehmen würden, sondern wenn die nach wie vor kontroversen offenen Fragen auch wirklich offen miteinander diskutiert würden. Angesichts der gesellschaftlichen Verunsicherung durch den politischen Einsatz von verfälschenden Interpretationen, Halbwahrheiten und gezielten Lügen unter dem euphemistischen Deckmantel „alternativer Fakten“ und populistischer Rhetorik wäre diese offene hermeneutische Diskussion die längst überfällige Annahme gesellschaftlicher Verantwortung des akademischen Wissenschaftsbetriebes für einen qualitativen Pluralismus.

5. Offene Fragen

In der konfliktreichen Gegenwart pluraler Gesellschaften müssen zumindest folgende Grundfragen der allgemeinen Hermeneutik weiter diskutiert werden:

  1. 1.Welchen Einfluss nimmt die Rezeption einer Äußerung auf das Geäußerte?
  2. 2.Kann Sinn überhaupt rekonstruiert werden, oder ist Sinngebung als immer nur aktuelles, dynamisches Ereignis an die Zeitform der Gegenwart gebunden?
  3. 3.Kann Sinn von den ihn jeweils erzeugenden Zeichenprozessen abstrahiert werden?
  4. 4.Haben Äußerungen (genau) einen (rekonstruierbaren) Sinn, oder sind sie als Potenzen pluraler oder sogar unendlicher Sinnproduktion zu begreifen?
  5. 5.Wodurch können plausible Interpretationen von Fehlinterpretationen, manipulativen Halbwahrheiten oder gar bewussten Lügen unterschieden werden?
  6. 6.Muss man jemanden oder etwas verstehen, um mit ihr oder ihm leben oder zumindest koexistieren zu können?
  7. 7.Ist die hermeneutische Leitfrage nach dem Sinn hilfreich oder hinderlich für die wissenschaftliche Erschließung der Welt und für das Zusammenleben in pluralen Gesellschaften?
  8. 8.(Wie) Kann die unhintergehbare Pluralität von plausiblen Interpretationen mit der notwendig normativen Suche nach Wahrheit vermittelt werden?

6. Weiterführende Artikel

Um diese Fragen vertieft zu diskutieren ist es hilfreich, auch folgende Artikel zu lesen:

Autor / Autorkonzeption; Ethik der Interpretation; neutestamentliche Hermeneutik; Bibelhermeneutik; Bildhermeneutik; Diskurstheorie; Entmythologisierung; Existenziale Interpretation; Historik; Kommunikation; Intertextualität; Intermedialität; Leser / Leserkonzeption; Performativität; Pragmatik; Rezeptionsästhetik; Rezeptionsgeschichte; Semantik; Semiotik; Sinn; Syntagmatik; Verstehen; Text (Texthermeneutik, Textologie, Textwissenschaft); Übersetzungstheorien; Wirklichkeitskonzeptionen; Wahrheit / Wahrheitskonzeptionen; interkulturelle Hermeneutik.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Gadamer, Hans-Georg: Art. Hermeneutik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3, 1974, 1061-1073
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2. Monographien und Aufsätze

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  • Alkier, Stefan (Hg.) u. Mitarb. v. Botner, Max u. Blauth, Dominic (in Vorbereitung): Sola Scriptura heute. Rekonstruktionen – Kritiken –Transformationen, Tübingen 2019
  • Alkier, Stefan: Urchristentum. Zur Geschichte und Theologie einer exegetischen Disziplin, BHTh 83, Tübingen 1993
  • Alkier, Stefan / Koerrenz, Ralf / Schroeter, Harald / Zilleßen, Dietrich: Praktisch-theologische Hermeneutik, Ansätze, Anregungen, Aufgaben, FS Henning Schröer, Rheinbach-Merzbach 1991
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  • Wolff, Christian: Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstands (Deutsche Logik), 1713
  • ZNT 39/40 (2017, Themenheft Sola Scriptura)

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