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Haus / Haushalt (NT)

Andere Schreibweise: gr. oíkos/oikía; lat domus; familia; (engl.) house; household

(erstellt: April 2013)

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1. Terminologie

1.1. Übersetzung

Die Übersetzung der griechischen Begriffe oíkos/oikía im Kontext des Neuen Testaments mit dem deutschen Wort „Haus“ trifft nicht die gemeinte Sache, denn oíkos/oikia bedeutet nicht in erster Linie „Gebäude“, sondern meint die Gesamtheit aller Personen und Dinge, die zu einem Haushalt gehören, also alle Menschen und Besitztümer, die rechtlich einander zugeordnet sind. In neutestamentlicher Zeit ist ein Haushalt meist auf einen Hausherrn (kýrios; oikodespotēs) hin organisiert gedacht (Phlm 2), aber auch Frauen fungieren als Hausherrinnen (Apg 12,12, Apg 16,15). Dem Hausherrn untergeordnet sind Sklavinnen und Sklaven, Kinder und Frauen (Kol 3,18-4,1) Der räumliche Aspekt des Hauses (Mk 1,29) ist ein Teil der mit den Begriffen oíkos/oikía gemeinten sozialen und ökonomischen Struktur, die als Grundstruktur der griechisch-römischen Welt anzusehen ist. Auf eine ähnliche Struktur als sozialgeschichtlichen Hintergrund des Alten Testaments weist z.B. Ex 20,17 hin. Eine sprachliche Unterscheidung zwischen oíkos und oikía ist im Neuen Testament nicht festzustellen. Dies gilt auch weitgehend für die griechische Literatur.

Im Lateinischen bezeichnen die Begriffe domus (mit Betonung des räumlichen Aspekts) und familia (mit Betonung des sozialen Aspekts) die entsprechende Struktur, die in der Regel dem pater familias (Ehemann und Vater des Hauses), der zugleich auch dominus (Herr über Sklavinnen und Sklaven) und patronus (Fürsprecher und Versorger weiterer dem Haushalt zugeordneter Personen, insbesondere der Klienten) untergeordnet war. Eine Patronatsfunktion konnte aber auch von Frauen bekleidet werden (Phöbe, Röm 16,2) Der pater familias/dominus hatte weitgehende Rechtsvollmacht über die ihm untergeordneten Personen (vita necisque potestas). (→ Familie). Das soziale und materielle Gefüge oíkos/oikía, bzw. domus/familia wird im Folgenden mit „Oikos“ bezeichnet.

1.2. Literalsinn und Metaphorik

Der Oikos bildet im Neuen Testament den sozialgeschichtlichen Hintergrund, vor dem die Geschichte Jesu und seiner ersten Anhänger und Anhängerinnen, sowie die Entwicklung erster urchristlicher Gemeinden verstanden werden muss. Daneben verwendet gerade → Paulus eine Metaphorik, die vor dem Hintergrund des Oikos zu verstehen ist. Dies gilt für das Begriffsfeld oikodomē (Aufbau, 1Kor 3; 2Kor 5,1), das nicht auf einen realen Bau, sondern auf die Gemeinde bezogen wird, und für das Begriffsfeld oikonomía (Hausverwaltung, 1Kor 4,1; 1Kor 9,17). Daneben verwendet Paulus eine Reihe von Begriffen metaphorisch, die in sachlichem Zusammenhang mit dem Oikos stehen (Gerber). In den nachpaulinischen Briefen wird die Gemeinde bildhaft als „Haus Gottes“ (oíkos theoú 1Tim 3,15) bezeichnet, Oikos-Metaphorik verwendet auch Eph 2,19-22 (Klauck, 65-68).

1.3. Haus-Problemstellung: Oikos-Modelle

Der Begriff des Oikos impliziert eine vergangene sozialgeschichtliche Wirklichkeit, deren Komplexität immer wieder Anlass gegeben hat, Modelle zu entwickeln, um die mit dem Oikos verbundene soziale, rechtliche, räumliche oder ökonomische Wirklichkeit begreifbar und übersetzbar zu machen. Während früher das „ganze Haus“ als geschlossene, hierarchisch klar strukturierte und wirtschaftlich autarke Einheit verstanden wurde (Brunner, 1956), setzt sich mit Beginn des sozialgeschichtlichen und feministischen Interesses seit den 1980er Jahren eine differenziertere und dynamischere Sicht des Oikos durch. Eine sachgerechte Erforschung des Oikos als Lebenswirklichkeit der Antike muss interdisziplinär unter Einbeziehung philologischer, philosophischer, archäologischer, papyrologischer und wirtschaftshistorischer Forschungsergebnisse erfolgen und mit einer Vielfalt der Ausprägungen des Oikos bei bleibender Grundstruktur je nach historischem, geographischem und sozialen Kontext rechnen.

Gegenüber dem Konzept des „ganzen Hauses“ als wirtschaftlich autarkem und sozial starr heriarchischem Gebilde etabliert sich in der wirtschaftshistorischen Forschung eine stärker auf Markt und Tausch hin orientierte Sicht des Oikos (Richarz) Die Fülle des archäologischen Materials in Pompeji und Herculaneum macht systematische und statistische Auswertungen hinsichtlich der Gebäudestrukturen und Gebäudeveränderungen möglich. Das zu einer familia gehörige Gebäude ist nicht in sich geschlossen, sondern der Außenwelt gegenüber in bestimmten Teilen offen zu denken (Laurence/ Wallace-Hadrill).

Aus dem 4. Jh. n. Chr. zeigt ein nordafrikanisches Mosaik das Ideal eines ländlichen Oikos. Das Mosaik zierte den Eingangsbereich eines Stadthauses in Kathargo. Es bildet modellhaft die Elemente ab, die zu einem Oikos gehören: Menschen und Besitztum.

Im Original 5,65 mal 4,50m groß zeigt dieses Fußbodenmosaik das idealtypische Bild eines großen Landhaushalts. Um die im Zentrum dargestellten, mit dicken Mauern umgebenen Gebäude sind die Personen angeordnet, die den Haushalt konstituieren: der Hausherr rechts unten sitzend, der einen Brief in Empfang nimmt, auf welchem sein Name („Julius“) zu erkennen ist. Links unten auf einer Säule lehnend die Hausherrin, der eine Sklavin Schmuck überreicht. Links und rechts der Gebäude ist der Hausherr jagend dargestellt. In der oberen Zeile nimmt die Hausherrin (in der Mitte sitzend) den Ertrag des Gutes entgegen. Wie auch in anderen nordafrikanischen Mosaiken orientiert sich die Darstellung der vier Ecken an den Jahreszeiten (Oliven im Winter, oben links; Getreide im Sommer, oben rechts; Blumen im Frühling, unten links; Wein im Herbst, unten rechts, vgl. Dunbabin, Mosaics, 118-119).

haus1

2. Das „Haus“ und die Gemeindestruktur

Als soziale Struktur begegnet der Oikos durch die Schriften des Neuen Testaments eher beiläufig, etwa im Präskript (Phlm 2) oder den Schlussgrüßen der Briefe (Röm 16,5; 1Kor 16,19; Kol 4,15), den Erzählungen von der Aussendung der → Jünger (Mk 6,10; Lk 10,5) oder den Berichten vom Missionserfolg (Apg 10,2; Apg 11,14; Apg 16,15.31). Vom greifbaren Beginn der ersten Jesus-Gemeinschaften an ist der Oikos als Hintergrundstruktur zu denken, rückt jedoch in der Forschung immer im Rahmen theologischer Fragestellungen in den Blick (Lehmeier, 17-39).

2.1. Biblische Archäologie: Hauskirche

Zum ersten Mal systematisch interessant wurde der Oikos für Filson, angeregt durch die Entdeckung der ältesten christlichen Hauskirche in Dura-Europos im Jahre 1931/32. Heute wird biblisch-archäologisch über die Möglichkeit diskutiert, das Haus der Schwiegermutter des → Petrus in → Kapernaum (Mk 1,29) entdeckt zu haben (Horseley, anders Runesson). In den Städten der paulinischen Mission waren Häuser Orte, die den Gemeinden in Analogie zu anderen Gruppen Raum boten (Balch/Weissenrieder; Ebner; Gerber/Vieweger).

2.2. Kinder im Oikos

An den „Oikosformeln“ in der Apg („du und dein ganzes Haus“, sú kaí pás o oíkos sou Apg 11,14; vgl. Apg 10,2; Apg 16,15.31) macht sich der Streit um die Kindertaufe fest (Jeremias/Aland 1958-1962). Der summarische Bericht von → Taufen ganzer Häuser ließ nach der Oikos-Struktur fragen: könnte hier ein Beleg für die frühe Praxis der Kindertaufe vorliegen, wenn Kinder als Teil des Oikos gedacht werden müssen? Auch wenn die theologische Frage der Kindertaufe sich nicht exegetisch klären lässt, lag hier ein Anstoß zur systematschen Untersuchung des Oikos als sozialer Struktur früher Gemeinden.

2.3. Oikos und die Sozialstruktur von Gemeinden

Durch das wachsende Interesse an sozialgeschichtlichen Fragestellungen in den 1970er Jahren kam der Oikos als Grundstruktur der gesellschaftlichen Organisation in den Blick, verbunden mit den ethischen Fragestellungen des Umgangs der Personengruppen im Oikos untereinander („Haustafeln“ s. 3.2), der Interaktion des Oikos mit der Gesellschaft und des Einflusses desselben auf die Entwicklung urchristlicher Gemeinden. Oikos ist in der Apostelgeschichte Ort der Versammmlung (Apg 2,2) und des Gottesdienstes (Apg 2,46), sowie Ort und Sozialzusammenhang der Taufe von Gruppen (Apg 16,15.33; Apg 18,8; auch 1Kor 1,16), die als Kern von Gemeinden gesehen werden. In den Briefen wird die Existenz von → Hausgemeinden (ekklēsía kat´oíkon) vorausgesetzt (Röm 16,5; 1Kor 16,19; Kol 4,15 Phlm 2). Grußlisten geben Aufschluss über die Zuordnung zu bestimmten Haushalten (Röm 16, 5; 1Kor 16,15.19; Phil 4,22) und werden im Blick auf ihre Aussagen hinsichtlich des sozialen Status interpretiert (Theißen, Soziale Schichtung). Klauck sichtete 1981 erstmals systematisch alle Stellen des Neuen Testaments, die auf die Existenz von Hausgemeinden hinweisen, darunter auch die → synoptischen Evangelien; und die nachpaulinischen Briefe. In den Evangelien begegnet der Kontrast zwischen vom eigenen Oikos unabhängigen „Wanderradikalen“ (Lk 10,7; Theißen, Wanderradikalismus) und stationären Haushalten, die für Missionare sorgten und in die sich Menschen, die sich vom Oikos losgesagt hatten, eingliedern konnten (Mk 10,29-30). In den → Pastoralbriefen bildet der Oikos den Horizont für eine Hierarchisierung der Gemeinde im sog. Episkopenspiegel (1Tim 3,1-7).

2.4. Amt, Hierarchie und die Rolle von Frauen

Diese Hierarchisierung, die mit dem Ausschluss von Frauen aus gemeindeleitenden Positionen einhergeht, veranlasst feministische Theologinnen nach der Rolle von Frauen im Oikos und den entstehenden Gemeinden zu fragen. Eine „Hermeneutik des Verdachts“ (Schüssler-Fiorenza) fragt nach der gemeindlichen Wirklichkeit, die hinter den Verboten der Übernahme von Lehrtätigkeit durch Frauen in 1Tim 2,8-15 steht. Männer, die Ämter übernehmen, sollen ihren eigenen Oikos gut führen (1Tim 3,4.12), während Witwen in der Gemeinde in ihrem eigenen Oikos leben, die eigenen Hausgenossen (oikeíoi) versorgen und sich nicht in fremden Häusern bewegen, sondern dem eigenen Oikos vorstehen (oikodespoteín) sollen (1Tim 5,9-16). Frauen sollen aus gemeindeöffentlichen Tätigkeiten verdrängt werden, die sie aber vorher und auch von Paulus her (→ Priska; Phöbe) innehatten. Vor diesem Hintergrund wird allgemein 1Kor 14,34 (Frauen sollen in der Gemeinde schweigen) als nachpaulinische Interpolation angenommen. Im Gegensatz zur paulinischen Hausgemeinde fungiert hier der Oikos (die Frau soll den Mann im Privatbereich, en oíkoi, fragen, wenn sie etwas lernen will; 1Kor 14,35) als Gegenüber zur Gemeinde. Eine feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums mit Bezug auf die patriarchiale Oikos-Struktur (Cicero, de re publica) bietet Schottroff, Lydia. Die Struktur und Paränese der Pastoralbriefe ist nur vor dem Hntergrund des Oikos als hierarchischer Struktur zu verstehen (Verner). Diese Struktur erhellen antike Texte aus dem Bereich der Oikonomik-Literatur, eine besonders enge Parallele zur → Paränese in den Pastoralbriefen findet sich in neupythagoreischen Frauenspiegeln (Schlarb, 314-342; Wagener, 89-92).

3. Das „Haus“ und ethische Fragestellungen

Ausgehend von der Erkenntis, dass die Oikos-Struktur nicht nur da relevant ist, wo tatsächlich Häuser genannt werden, sondern auch da, wo die Struktur als ganzes oder in Teilen problematisch ist, müssen noch eine Reihe anderer neutestamentlicher Texte vor dem Hintergrund der Oikos-Struktur interpretiert werden. Voraussetzung ist eine klare Bezugsmöglichkeit. Zu klären ist zunächst, was die Oikos-Struktur eigentlich ausmacht. Die Entdeckung, dass antike Oikonomia-Literatur diese Bezugsmöglichkeit bietet, ist sukzessiv erfolgt. Diese Texte stehen heute in Übersetzungen zur Verfügung (Audring/Broedersen, Lehmeier). Sie müssen als wichtiger Bezugspunkt für das Verständnis der Probleme um den Oikos herum, die im Neuen Testament ihren literarischen Niederschlag gefunden haben. Die Pastoralbriefe und deren Oikos-Paränese für Männer und Frauen bildet den hierarchisierenden Pol innerhalb der neutestamentlichen Texte, während etwa Lk 14,26 als Ethik der Ablehnung aller Oikos-Orientierung interpretiert werden kann.

3.1. Die Ethik des Verlassens

In unterschiedlicher Radikaliät finden sich in den Evangelien Texte, welche als Voraussetzung der → Nachfolge Jesu das Verlassen von Oikos-Struktur fordern (Lk 14,26; Mk 10,29, vgl. Theißen, Verlassen). Zugleich wird aber von bestehenden Haushalten Unterstützung für umherziehende Jünger und Jüngerinnen erwartet (Lk 10,2.7). Mk 10,30 verheißt als Lohn dieses Verlassens neue Oikos-Strukturen. Das Verbot der → Ehescheidung (Mk 10,1-12) mahnt in solche Strukturen hinein. Auch Paulus lebt ein Leben des Reisens und der Entwurzelung einerseits, andererseits kann er sich auf Unterstützung durch diese Struktur verlassen (Röm 16,4). Die Ambivalenz paulinischer Ethik wird in 1Kor 7,6-7 besonders deutlich. Er selbst lebt ehelos – im Gegenüber zu anderen → Aposteln (1Kor 9,5) - und wünscht sich das auch für andere, zugleich gesteht er die Möglichkeit der Eheschließung (1Kor 7,7-9), aber auch der Scheidung von einem andersgläubigen Partner oder einer andersgläubigen Partnerin zu (1Kor 7,12-16). Die Frage, ob Paulus sich für oder gegen den Verbleib von Sklaven und Sklavinnen in der Sklaverei ausgesprochen hat (1Kor 7,21-24; vgl. Phlm 16 und Wengst), ist umstritten (Schottroff, Lydia /Lührmann, Sklave). Deutlich wird in 1Kor 7 das Schema von Gal 3,28 (Jude-Grieche) / Sklave - Freier / Mann - Frau. Die Bedeutung dieser Unterschiede in der Gemeinde wird von Paulus verneint.

3.2. Haustafeln und Gemeindetafeln

Schon für das Schema Gal 3,28, 1Kor 7 und Mk 10 wird die Oikos-Struktur, das „Haus als soziale Größe“ (Lührmann, Markus, 176; ders., Sklave) als Hintergrund gesehen. Als Konsens im Blick auf die sog. → „Haustafeln“ (Kol 3,18-4,1; Eph 5,21-6,9, 1Petr 2,18-3,7) kann heute gelten, dass diese, ebenso wie die Gemeindetafeln in den Pastoralbriefen (1Tim 2,8-3,13; 1Tim 5-6), vor dem Hintergrund der antiken Oikonomia-Literatur verstanden werden müssen (s.u. 4.1). Kennzeichnend ist für Kol und Eph das Schema der gegenseitigen Ermahnung von Mann und Frau, Kindern und Eltern sowie Herren und Sklaven. Frauen, Kinder und Sklaven werden zur Unterordnung aufgefordert, der Mann, Vater und Herr dagegen zu Liebe und Milde. Theißen hat hierfür in Anlehnung an → Troeltsch den Begriff des Liebespatriarchalismus verwendet (Schichtung, 268). Während es für Kol und Eph denkbar ist, dass Männer, Frauen, Kinder, Sklavinnen und Sklaven aus einem Oikos schon Teil der Gemeinde waren, gilt das für 1Petr 2-3 sicher nicht. Mitglieder der Gemeinde werden hier angesichts einer bedrohlichen Umwelt sowohl in Gestalt des Staates (1Petr 2,11-17) als auch in Gestalt des Oikos zu angemessener Unterordnung ermahnt. Das Ziel ist klar apologetisch: man soll ihnen kein Unrecht nachsagen können (1Petr 2,15.20; 1Petr 3,6; Balch, 109; ähnlich Standhartinger, 274 für Kol 3,18-4,1). In allen Fällen werden Haustafeln und Gemeindetafeln als Positionierung im Hinblick auf ein Oikos-Ideal interpretiert. Audring/Broedersen subsumieren sie unter die „Briefe ökonomischen Inhalts“ (240/241).

3.3. Versorgung und Unabhängigkeit

Sowohl für Paulus als auch für die Ethik des Verlassens in den Evangelien gibt es Parallelen in der Beschreibung kynischer Wanderexistenz (Theißen, Gewaltverzicht, 188-190; Lehmeier, 235). Die Kyniker lebten bezüglich des Oikos eine extreme Unabhängigkeit von der Oikos-Struktur. Als Ergebnis der neueren Erforschung antiker Oikonomia-Tradition kann gelten, dass materielle Versorgung und Prosperität zum Oikos ebenso gehört wie die sozialen Strukturen. Vor dem Hintergrund eines solchen Oikos-Schemas muss dann die Kombination von Topoi in 1Kor 9 (Ehe, Versorgung, Sklaverei) interpretiert werden. Vor dem Hintergrund des griechisch-römischen Oikos-Kontextes versklavt sich Paulus selbst, wenn er für seinen Lebensunterhalt sorgt, bleibt aber dabei unabhängig von den Bindungen der Oikos-Struktur, selbst wenn er sie punktuell nutzt. Paulus rückt damit in die Nähe anderer wandernder Missionare und Missionarinnen, wie sie auch die Evangelien bezeugen. Ein unterstützender Oikos muss sich würdig erweisen (Mt 10,13) (Lehmeier, 347).

4. Oikos in den Texten der Oikonomia-Literatur

Vom Begriff oíkos leitet sich der Begriff oíkonomía (Regeln zur Führung eines Haushalts) ab. Oikonomia-Literatur hat den Oikos zum Gegenstand. Oikonomia ist Lehre vom Oikos, sie kann auch als Wissensgebiet (epistēme-Xenophon Oikonomikos 1,1-4/scientia – Seneca Epistulae 89,10) bezeichnet werden. Teilbereiche dieses Wissensgebietes sind Fragen des Umgangs mit Besitz, mit Sklavinnen und Sklaven, mit Kindern und das Verhältnis von Mann und Frau. Entsprechend ist die Abgrenzung der Oikonomia-Literatur unscharf.

Audring/Broedersen zählen mit dem Blick auf antike Wirtschaftstheorie andere Texte zu den Oikonomika (z.B. unter der Überschrift „Briefe ökonomischen Inhalts“ die neupythagoreischen Autorinnen unter den Pseudonymen Theano, Myia und Melissa, sowie Kol 3,18-4,1; Eph 5,22-6,9 und 1Petr 2,18-3,7) als Lehmeier mit dem Blick auf den Oikos als sozialgeschichtliches Phänomen. Viele der Texte, welche Bereiche der Oikonomia thematisieren, sind nur fragmentarisch überliefert. Berücksichtigt werden im Folgenden nur Texte, welche den gesamten Themenbereich der Oikonomia im Blick haben. Vgl. auch Zoepffel.

4.1. Xenophon und Aristoteles

Die erste überlieferte Auseinandersetzung um den Oikos ist im ersten Kapitel der Politika des Aristoteles greifbar. Es geht darum, ob die Chrematistik, die Lehre vom Umgang mit Besitz, Teil der Oikonomia ist. Während für Xenophon der Besitz Teil des Oikos ist, beschreibt Aristoteles den Oikos als Zusammenhang von Herrschaftsbeziehungen.

4.1.1. Xenophon, Oikonomikos

Xenophon setzt sich grundlegend mit dem Feld der Oikonomia auseinander und definiert den Oikos als Wohnhaus (oikía) und Besitz (1,5). Ziel der Kentnisse über Oikonomia sei es, einen Haushalt zu vergrößern und einen Überschuss zu erwirtschaften (1,1-4; 20-21). Im Rahmen dieses übergeordneten Ziels erläutert Xenophon die Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau, sowie die Kunst der Führung von Sklavinnen und Sklaven. Die Frau soll bei klar zugewiesener Rollenteilung zur gemeinschaftlichen und mitverantwortlichen Führung des Oikos befähigt werden (Oec 7,12-43). Die Lehre von der Landwirtschaft nimmt großen Raum ein (Oec 15-20). Gedacht ist offenbar an ein Landgut.

4.1.2. Aristoteles, Politika

Im Rahmen der Politika geht Aristoteles zunächst von der kleinsten denkbaren Einheit in der Polis aus, der Oikia. Diese besteht aus den Gemeinschaften von männlich und weiblich und aus der Gemeinschaft von Herrscher und Beherrschtem (Pol 1,2).

Eine vollständige Oikia besteht nach Aristoteles aus Herrn und Sklaven, Ehemann und Ehefrau, sowie Vater und Kindern. Alle drei Beziehungen sind als Herrschaftsverhältnisse gedacht, der freie erwachsene Mann herrscht über den jeweils anderen Teil. Im Blick auf den letzten Teil der Oikia, den Besitz, setzt sich Aristoteles mit anderen Positionen auseinander: andere hielten diesen Teil für den wichtigsten (Pol 1,3). Diese Position teilt Aristoteles nicht, jedoch differenziert er zwischen verschiedenen Formen des Umgangs mit Besitz. Naturwidrig ist für ihn das Streben nach Vermehrung des Besitzes, während die Versorgung mit dem Nötigen als naturgemäß beurteilt wird (Pol 1,8-9).

4.2. Pseudo-Aristotelische Ökonomik: Mensch und Besitz

Unter dem Namen des Aristoteles sind drei Schriften zum Thema Oikonomia überliefert, die aber nach übereinstimmender Meinung (Audring/Broedersen, vgl. Zoepffel) nicht von Aristoteles verfasst wurden. Für die Frage nach dem Oikos ist vor allem die erste dieser Schriften von Belang.

Die erste pseudo-aristotelische Schrift synthetisiert die Ansätze von Xenophon und Aristoteles. Er grenzt zunächst Haushalt und Polis voneinander ab und definiert den Haushalt als Alleinherrschaft (Oec I,1). Die Definition des Oikos wird zusammengefasst als „Mensch und Besitz“ (Oec I,2). Aufgabe der Leitung eines Haushaltes ist es, denselben in Gebrauch zu nehmen. Im Einzelnen geht es um die Themen „Mann und Frau“, „Sklavinnen und Sklaven“ und schließlich um den Umgang mit dem Besitz. Diese Mischung aus Sozialstruktur und Umgang mit Grund- und Sachbesitz macht die Struktur des Oikos aus und die Definition „Mensch und Besitz“ bleibt für die folgende Literatur gültig.

4.3. Oikonomia in römischer Zeit

Im 1. Jh. v. Chr. übersetzt M.T.Cicero den Text der Ökonomik Xenophons ins Lateinische (De Officiis 2,87). Einige Passagen dieser Übersetzung sind in L.M.Columellas Werk De Re Rustica (12 praefatio) erhalten (1. Jh. n. Chr.). Columella geht es um die Wiederherstellung der alten Tugenden. Hausherr und Hausherrin sollen sich um die Pflichten im Haushalt kümmern und kein Luxusleben führen (12 praefatio,7-9).

Den griechischen Text Xenophons zitiert der Epikureer Philodem von Gadara (1. Jh. v. Chr.)

Die Funde von Herculaneum haben Schriften des epikureischen Philosophen Philodem zu Tage gebracht. Hier konnte nicht nur eine philosphische Schrift über Haushaltsführung, sondern auch eine Reihe Schriften zu anderen Themen geborgen werden (www.classics.ucla.edu/index.php/philodemus [4.4.2013]). Die Villa des L.C.Piso, die im Rahmen der Grabungen entdeckt wurde, ist vermutlich auch der Ort, an dem eine Gemeinschaft von Epikureern miteinander gelebt hat. (Gigante, Philodemus; (http://de.wikipedia.org/wiki/Getty_Villa [4.4.2013])

Gut erhalten ist Philodems eigene Sicht auf den Oikos. Als → Epikureer sucht er ein richtiges Maß zwischen der Last, welche Haushaltsführung mit sich bringt, und der Lebensqualität, die nur durch den Ertrag einer Hauswirtschaft gesichert ist (Philodem Oec 14-15). Philodem selbst setzt sich mit den Kynikern auseinander (Oec 12), von denen zwar keine eigene ökonomische Schrift überliefert ist, die allerdings eine Extremposition bezogen haben, indem sie das Leben in einem Haushalt, also Besitz und hierarchische Gemeinschaft, ablehnten (Diogenes lebte in der Tonne, Diogenes Laertios Vitae, 6,23, s.o. 3.3). Typisch für diese Zeit ist es, sich mit den unterschiedlichen Positionen der Philosophenschulen auseinanderzusetzen. Dies zeigt sich im Werk des Stoikers Arius Didymus (70 v. Chr.-1. Jh. n. Chr.). Er formuliert die stoische Position zum Thema (nur der gute Mensch ist auch ein guter Hausherr, Stobaeus, Anthologium 2,95,9-23) und referiert daneben die aristotelische Position, bezieht allerdings die Chrematistik positiv mit ein (Stobaeus 2,148-149).

4.4. Oikonomia späterer Zeit

Aus späterer Zeit ist eine thematische Sammlung des Ioannes Stobaeus (5. Jh. n. Chr.) zur Oikonomia überliefert. Er stellt die wichtigsten Passagen der ihm bekannten Autorinnen und Autoren zum Thema Oikonomia zusammen. Unter diesen befinden sich Zitate von Xenophon, Plutarch und Musonius. Für die Erforschung der Pastoralbriefe haben die hier enthaltenen Schriften der sog. Neupythagoreer eine große Bedeutung gewonnen. Die Datierung der Fragmente ist unklar, die Schriften sind eindeutig pseudonym unter dem Namen berühmter Pythagoreer und Pythagoreerinnen verfasst. Das Fragment aus Periktione, Über die Harmonie der Frau, betont, dass die Frau den Mann lieben muss, damit sie ihren Pflichten im Oikos nachkommen kann (Stobaeus 4,692-693). Kallikratidas bezieht sich in seiner Schrift „über das Wohlergehen im Haushalt“ vor allem auf die aristotelische Tradition, allerdings ist für ihn unstrittig, dass ein Oikos aus Mensch und Besitz besteht. Diskutiert wird der gute Umgang mit dem Besitz (Stobaeus 4,684), die Hierarchie in der Ehe (Stobaeus 4,543-536) angemessene Art der Herrschaft (Stobaeus 4,684-686). Die bei Stobaeus überlieferten Fragmente des Bryson gehören zu einer längeren Oikonomia-Schrift, die im arabischen Mittelalter rezipiert wurde und als ganze nur noch arabisch und hebräisch erhalten ist (Plessner, Bryson, vgl. Lehmeier, 192ff). Ähnliches gilt für Buch 3 der ps.-aristotelischen Oikonomia-Schriften, das nur noch in lateinischer Form überliefert ist (Lehmeier, 202f). Bryson stellt die Frage nach Geld und Besitz an den Anfang, wichtig ist es hier, ein richtiges Maß zu finden. Es folgen Ausführungen über Sklaven, Frau und Kinder (vgl. Lehmeier, 195-197).

Literaturverzeichnis

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  • Zoepffel, R., 2006, Aristoteles. Oikonomika. Schriften zu Hauswirtschaft und Finanzwesen, Berlin (Aristoteles Werke 10,2)
  • Wengst, K.2005, Der Brief an Philemon, Stuttgart (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 16)

Abbildungsverzeichnis

  • Mosaik des Julius Tunis, Bardo-Mueum. Bild: O. Mustafin, gemeinfrei, Wikimedia Commons.

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