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Golgotha

Andere Schreibweise: Golgota; Golgatha; Calvaria; calvary

(erstellt: Juli 2019)

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1. Golgotha im Neuen Testament

Golgotha ist der Name einer in den neutestamentlichen Evangelien genannten Hinrichtungsstätte bei Jerusalem. Der Begriff findet sich ausschließlich in Mt 27,33, Mk 15,22 und Joh 19,17. Lukas verzichtet vollständig auf den Terminus und spricht in Lk 23,33 nur vom κράνιον / kránion („Schädel“), verortet an diesem Topos aber jene Handlungen und Ereignisse, die in den übrigen Evangelien mit Golgotha verbunden sind. In allen vier Evangelien ist Golgotha der Ort der → Kreuzigung Jesu und der beiden Mitgekreuzigten, seiner Verspottung am Kreuz, der Kleiderverteilung, des Kreuzestitulus, des Elijamissverständnisses (nur Mt und Mk), der Reue eines der Mitgekreuzigten (nur Lk), der Stiftung einer familiären Beziehung zwischen Maria und dem → Geliebten Jünger durch Jesus (nur Joh), der letzten Worte Jesu, seines Todes, des Bekenntnisses des Centurios im Angesicht des toten Jesus (Mt, Mk, Lk) und der Kreuzabnahme durch Josef von Arimathäa. Golgotha ist angesichts dieser zahlreichen Traditionen fraglos ein Kulminationspunkt im Rahmen der neutestamentlichen Passionsgeschichten.

2. Etymologie und innerbiblische Übersetzungen

Mt 27,33, Mk 15,22 und Joh 19,17 bieten für den von ihnen als τόπος / tópos („Ort“, „Platz“) verstandenen Ort der Hinrichtung Jesu den Namen Golgotha in griechischen Buchstaben. Johannes notiert dabei zusätzlich deutlich, dass es sich um einen hebräischen Ausdruck handle. Alle drei Evangelisten verspüren zudem offenkundig die Notwendigkeit, diesen Begriff in seiner Bedeutung für ihre Leserinnen und Leser zu übersetzen. Sie rechnen insofern nicht damit, dass der jeweilige Adressatenkreis um die Bedeutung des Begriffes weiß. Etymologisch geht Golgotha nach vorherrschender Meinung (Bieberstein, 1080; Küchler 2007, 420f.; Rüger, 78) auf das aramäische gulgultā’ zurück, das Schädel, Kopf oder Kreis bedeuten kann. Die Übersetzung, die das Matthäusevangelium und das Markusevangelium wählen – κρανίου τόπος / kraníou tópos („Schädel-Ort“) – fängt diese Bedeutung durchaus korrekt ein (gleiches gilt der Sache nach für Lk 23,33, wenngleich der Begriff Golgotha dort überhaupt nicht fällt). Das Johannesevangelium dreht die Reihenfolge von als unverständlich vermutetem Ausdruck und Übersetzung indes um und bietet zunächst den Ausdruck κρανίου τόπος / kraníou tópos, um sodann dessen explizit als hebräisch gekennzeichneten Lokalnamen zu nennen: Golgotha (hebr. eigentlich golgolet). Die Form Golgotha ohne zweites Lambda (eigentlich wäre Golgoltha zu erwarten gewesen) verdankt sich dabei der „Synkopierung des vierten Konsonanten der Reduplikationsform“ gulgultā’, die nach Hans Peter Rüger häufiger zu beobachten ist (Rüger, 78).

Die Verwendung des Begriffs Golgotha zur Beschreibung einer Ortslage legt nahe, dass der Ort selbst schädelartige Struktur hat und / oder im Vergleich zum durchschnittlichen Terrain Jerusalems, das seinerseits durch Stadttal und Quertal ein deutliches Relief aufweist, etwas erhöht liegt und einen sichtbaren Felskopf bietet (vgl. Frenschkowski / Martin, 550).

3. Zur Lage Golgothas nach dem Neuen Testament

Die neutestamentlichen Evangelien verorten dieses erhöhte Golgotha außerhalb der Stadtmauern des herodianischen Jerusalem (vgl. Küchler 2007, 416-418) und doch in großer Nähe zur Stadt (zu Hebr 13,12 siehe unter 4.). Joh 19,20 hält fest, dass der Ort der Kreuzigung nahe bei der Stadt lag, aber eben nicht in der Stadt. Die Wortwahl in Joh 19,17 macht überdies deutlich, dass Jesus mit seinem Kreuz hinausgeht (das Hinausführen Jesu in Mk 15,20 trägt indes zur Frage der Verortung Golgothas nichts bei, ist doch das Hinausführen aus dem Prätorium gemeint), was ebenfalls auf ein Verlassen der Stadt Jerusalem hinweist. Schließlich begegnet Jesus auf seinem Weg zum Kreuzigungsort Simon von Kyrene. Und dieser kommt gerade vom Acker (so die Richtungsangabe in Mk 15,21; Lk 23,26), also einer landwirtschaftlichen Nutzfläche, die man sich leichter außerhalb der Stadt als innerhalb der dichten Wohnbebauung des herodianischen Jerusalem vorstellen kann (siehe etwa das auf archäologischen Untersuchungen beruhende und von Michael Avi-Yonah erstellte → Modell des herodianischen Jerusalem im Israelmuseum. Auch das spricht für eine Wegrichtung, die Jesus aus der Stadt hinausführt. Die relative Nähe zwischen Golgotha und dem Ort der Grablegung Jesu (vgl. auch → Grab Jesu 2.3), die etwa Joh 19,41-42 sehr deutlich macht, spricht überdies für eine Verortung Golgothas außerhalb Jerusalems, liegen doch allenfalls die Gräber von Heroen, Kaisern und Königen innerhalb der Stadt, während ansonsten der Tod und die Toten vor die Stadtgrenze gebracht und im Idealfall so auch gebannt werden. Golgotha außerhalb und doch nahe bei der Stadt entspricht dabei ganz jüdischer wie römischer Tradition (Bieberstein, 1080), befinden sich Hinrichtungsstätten, die immer auch abschreckende Wirkung haben sollen, um die geltende Ordnung zu stabilisieren, doch in aller Regel außerhalb, aber nahe bei der Stadt, um gut sichtbar zu sein (vgl. Lev 24,14; Num 15,35-36; Tacitus, Annales II 32,3).

4. Die Funktionalisierung der Lage Golgothas im Rahmen von Hebr 13

Während die neutestamentlichen Evangelien Golgotha zwar als herausgehobenen Handlungsort innerhalb der Passionsgeschichten präsentieren, aber den Begriff selbst oder seine Übersetzung nicht funktional-pragmatisch für ihre theologischen Zwecke nutzen (vgl. immerhin zu einer möglichen Allusion auf das römische Kapitol in Mk 15,22, die sich in das Netz mk Triumphzugsallusionen einspannend lässt, Lau, 381-386), geht der Hebräerbrief hier andere Wege. Denn die Verortung Golgothas außerhalb der Stadt macht sich der auctor ad Hebraios zu Nutze, um für seine typologische Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer zu argumentieren. In einem exegetisch kreativen Akt interpretiert er dabei in Hebr 13,10-12 alttestamentliche Kultvorschriften zu → Jom Kippur. Diese verlangen, dass die Körper der Tiere, deren Blut Gott im Heiligtum geopfert wurde, außerhalb des Lagers der Israeliten verbrannt werden (Lev 16,27). Dieses „außerhalb des Lagers“ wird nun für den Hebräerbrief zum typologischen Einfallstor, um auf der Basis der Lage Golgothas außerhalb der Stadt den Tod Jesu am Kreuz dahingehend zu interpretieren, dass Jesu Tod in überbietender Analogie zum Sühnopfer von Jom Kippur steht, ja Jesus gerade aufgrund der alttestamentlichen Prätexttradition „außerhalb des Tores“ (Hebr 13,12) leiden musste, wie der Beginn von Hebr 13,12 mit begründendem διὸ καί / dió kaí („daher auch“) deutlich macht. Golgotha wird so gewissermaßen zum Altar, auf dem Jesus am Kreuz einmalig und endgültig ein Sündopfer dargebracht hat (vgl. Backhaus, 469-474; Gräßer, 376-393). Von diesem Altar freilich isst man nicht (Hebr 13,10), sondern am Lebensvorbild Jesu orientiert man sich (Hebr 13,13), was im Rahmen des Hebräerbriefes in eine ganze Reihe praktischer Weisungen für die Adressaten mündet (Hebr 13,13-17).

5. Rezeption in Stein: Das lokal identifizierte und überbaute Golgotha

Golgotha ist im Laufe der christlichen Tradition nicht allein ein literarischer Ort der Evangelien geblieben. Es ist das byzantinische Christentum, das gleichsam hinter die erzählten Texte in die Geschichte zurückgreift und im Rahmen der baugeschichtlichen Transformation (vgl. dazu Küchler / Lau) der paganen Militärkolonie Aelia Capitolina, die nach 135 n. Chr. an die Stelle der einstigen jüdischen Tempelstadt Jerusalem getreten ist, in der christlichen Metropole Jerusalem einen Ort Golgotha findet. Golgotha wird so eine topographische Realie, die Pilger besuchen können (zu Traditionen, die sich mit diesem Ort im Laufe der Geschichte verbinden, vgl. Bieberstein, 1080; Küchler 2007, 438-440.464-468). Die Baupolitik des Kaisers Konstantin gibt Golgotha im Verbund mit dem leeren Grab Jesu einen Ort in der Anastasiskathedrale Jerusalems. Die Felsnase Golgotha wird dabei in die südlichen Seitenschiffe des basilikalen Baukörpers integriert und bildet den Übergang zum Atriumsbereich, der sich westlich an die Basilika anschließt und zum heiligen Grab vermittelt, das das Zentrum des ganzen Kirchenbaus bildet (für Details → Grab Jesu).

In historisch-archäologischer Perspektive (vgl. Vieweger 2016, 33-40; Küchler 2007, 422-433.485f.) zeigt sich, dass der heute in der Jerusalemer Grabeskirche gezeigte und durch Kapellen eingefasste Fels Teil eines antiken Steinbruchgeländes war, das eine zerklüftete Struktur aufwies und nach dem Ende seiner Ausbeutung in herodianischer Zeit eine Mischnutzung als Garten- und Felsgrabgelände erfuhr.

Zu diesen Kapellen gehört auch die Adamskapelle am Fuß des Golgothafelsen auf dem Niveau des heutigen Eingangsbereichs, die an die bereits bei Origenes (Matthäuskommentar zu Mt 27,32) bezeugte Tradition vom Grab Adams anknüpft, das im Golgothafelsen verborgen war, um der literarischen Adam-Christus-Typologie des Sterbens und Lebens, der Sünde und der Erlösung (→ Adam [NT]; vgl. etwa Röm 5,12-21; 1Kor 15,21-22) ein topographisches Pendant zu geben. Zu weiteren Traditionen, die sich an den Golgothafelsen anlagern und vom ehemaligen Tempelplatz, dem Berg Zion, auf die Felsspitze Golgotha übertragen werden (etwa Nabel der Welt oder der Ort der Bindung Isaaks zu sein), vgl. Zevallos Padilla, 74-145, bes. 122-136.

Die relativ isolierte und erhöhte Lage des heutigen Felsens verdankt sich dabei dem Steinabbau, der offenkundig die heute bestehende Felsnase nicht erfasst hat, weil das Gestein sich als taub erwies und für Bauwerke schlechterdings von zu minderer Qualität war. Dieser archäologische Befund lässt die begründete Vermutung zu, dass dieser Steinbruchbereich in herodianischer Zeit vor der Stadtmauer lag, deren konkreter Verlauf im Norden Jerusalems allerdings ungeklärt ist, weil archäologische Befunde der Mauer (noch) fehlen. Ob der heute konkret gezeigte Golgothafelsen, der durch das Pilgerwesen überdies arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, weil Pilger bemüht waren, Steinfragmente als Reliquien aus dem als heilig erachteten Felsen herauszulösen, tatsächlich der Ort der Kreuzigung Jesu war, lässt sich freilich nicht sagen. Wohl aber erscheint das Gesamtareal der heutigen Grabeskirche ein in historischer Perspektive möglicher, ja wahrscheinlicher Ort für Kreuzigung und Grablegung Jesu zu sein (zu alternativen Verortungen von Golgotha beim Gartengrab nördlich der heutigen Jerusalemer Altstadt → Grab Jesu; zu Golgotha auf dem Ölberg vgl. Frenschkowski / Martin, 550f.; Martin; Küchler 1995, 829).

Literaturverzeichnis

  • Backhaus, K., Der Hebräerbrief (RNT), Regensburg 2009
  • Bieberstein, K., Art. Golgotha, in: RGG4 3 (2000) 1080
  • Frenschkowski, M. / Martin, E. L., Art. Kreuzigungsstätte, in: NBL II (1995) 549-551
  • Gräßer, E., An die Hebräer. 3. Teilband: Hebr 10,19-13,25 (EKK XVII/3), Zürich / Neukirchen-Vluyn 1997
  • Küchler, M., Art. Golgota, in: LThK3 IV (1995) 828-829
  • Küchler, M., Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV/2), Göttingen 2007
  • Küchler, M. / Lau, M., Topographie und Baugeschichte Jerusalems in römischer und byzantinischer Zeit, in: Heyden, K. / Lissek, M. (Hgg.), Jerusalem in Roman-Byzantine Times. Images, Politics and Life of the City from Hadrian to Heraclius (COMES), Tübingen 2019 (im Druck)
  • Lau, M., Der gekreuzigte Triumphator. Eine motivkritische Studie zum Markusevangelium (NTOA 114), Göttingen 2019
  • Martin, E. L., Secrets of Golgotha. The Forgotten History of Christ’s Crucifixion, Alhambra 1988
  • Rüger, H. P., Die lexikalischen Aramaismen im Markusevangelium, in: Cancik, H. (Hg.), Markus-Philologie. Historische, literargeschichtliche und stilistische Untersuchungen zum zweiten Evangelium (WUNT 33), Tübingen 1984, 73-84
  • Vieweger, D., A Re-Appraisal of the Ute Wagner-Lux Excavations Beneath the Church of the Redeemer, in: Vieweger, D. / Gibson, S. (Hgg.), The Archaeology and History of the Church of the Redeemer and the Muristan in Jerusalem. A Collection of Essays from a Workshop on the Church of the Redeemer and its Vicinity held on 8th/9th September 2014 in Jerusalem, Oxford 2016, 31-41
  • Zevallos Padilla, K., Die heiligen Berge Jerusalems. Erinnerungsträger dreier Weltreligionen, Berlin 2008 (Diss. masch. TU Berlin; Online unter: https://depositonce.tu-berlin.de/bitstream/11303/2330/2/Dokument_37.pdf [letzter Zugriff: 29.04.2019])

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