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Wildesel

(erstellt: August 2009)

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Wildesel 1

Der Wildesel – bzw. zoologisch zutreffender – der Halbesel wird hebräisch פֶּרֶא pæræ’ bzw. עָרוֹד ‘ārôd (nur Hi 39,5) und aramäisch עֲרָד ‘ǎrād (nur Dan 5,21) genannt; beide Begriffe sind auch als Personennamen belegt (vgl. Jos 10,3; 1Chr 8,15). Der Wildesel war bis in die Neuzeit in den Steppen und Halbwüsten Syriens / Palästinas anzutreffen (Hi 39,6). Vermutlich gab es in Syrien und Transjordanien in alter Zeit zwei Arten von Wildeseln, den syrischen Wildesel (Equus hemionus hemihippus) und den Onager (Equus hemionus onager). Beide Arten haben nichts mit den vom nubischen Wildesel abstammenden Hauseseln zu tun, sondern sie sind wegen des zierlichen Körperbaus und den kleinen Ohren eher dem Pferd ähnlich.

Wildesel wurden als Vertreter einer gegenmenschlichen Welt von den Königen Ägyptens und des Vorderen Orients gejagt, weil sie die Kulturpflanzen auf den Feldern zerstörten (vgl. zu entsprechenden Darstellungen der Bildkunst Keel 1978, 71ff und Abb. 1). Zu ihren natürlichen Feinden gehörten Löwen (Sir 13,19 [Lutherbibel: Sir 13,23]). Gottes Schöpfermacht und Fürsorge für die Wildesel wird daran erkennbar, dass er sie vom Dienst für den Menschen befreit (Hi 39,7) und ihnen die Quellen in den Tälern als Tränke geschaffen hat (Ps 104,11). Andererseits zeigen sich gerade am Wildesel die Auswirkungen von Futtermangel und Trockenheit, wenn er nach Futter schreit (Hi 6,5; vgl. Hi 39,8) und vor Durst hechelt (Jer 14,6).

Die Wildheit und der unbezähmbare Freiheitsdrang der Wildesel steht im Hintergrund vieler Vergleiche (vgl. Hi 39,5-8). Der Wildesel steht dann in Kontrast zu Menschen, die in einer wohlgeordneten Gesellschaft leben (vgl. Hi 11,12; Hi 24,5). Das wird besonders deutlich im Falle des gestürzten und aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßenen Königs Nebukadnezar (Dan 5,21), der bei den Wildeseln wohnen muss. Der Stammesspruch Gen 16,12, der → Ismael verheißt, er werde zu einem „Wildesel von einem Menschen“, nimmt vermutlich auf die sich auf ein weites Gebiet erstreckende, unstete Existenzweise des Stammes und seinen Kampf ums Überleben Bezug (vgl. Hen 89,11.16, wo der Wildesel als Bild für Ismael und Midian erscheint). Der gleiche Lebensraum und die gleiche Lebensweise von Mensch und Tier führen so dazu, beiden dieselben Eigenschaften zuzuschreiben.

Hos 8,9 enthält ein Wortspiel zwischen פֶּרֶא pæræ’ und אֶפְרַיִם ‘æfrajim, das auf die Unterwerfung → Hoscheas ben Elaunter Assur 733 v. Chr. Bezug nimmt: Während der Wildesel in seiner Herde bleibt und den Kontakt mit anderen Tieren und dem Menschen scheut, zog Israel eigenmächtig nach Assur, um zu verhindern, dass auch das Kerngebiet des Gebirges Ephraim zur assyrischen Provinz wird. Das Drohwort gegen Jerusalem in Jes 32,9-14 kündigt an, dass die einst pulsierende Hauptstadt zur Wonne der Wildesel, also einstiges Kulturland zum Bestandteil der Wildnis wird. Auch in akkadischen Vergleichen werden die Schnelligkeit und der abgelegene Lebensraum des Wildesels vorausgesetzt, der sich als Zufluchtsort für Menschen eignet (vgl. Schott 1926, 91.96.99). In assyrisch-babylonischen Vertragstexten (z.B. den Vasallenverträgen → Asarhaddons) findet sich für den Fall des Vertragsbruches die Fluchandrohung, wie ein Wildesel in der Wüste umherziehen zu müssen (vgl. dazu Fensham 1963 und möglicherweise Jer 48,6).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Realencyclopädie, Stuttgart, 1893-1978
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Bailey, K.E. / Holladay, W.L., The „Young Camel“ and „Wild Ass“ in Jer. II 23-25, VT 18 (1968) ,256-260
  • Brentjes, B., Die Haustierwerdung im Orient, Stuttgart 1965, 44f
  • Brentjes, B., Onager und Esel im Alten Orient, in: M. Lurker (Hg.), Beiträge zu Geschichte, Kultur und Religion des Alten Orients (FS E. Unger), Baden-Baden 1971, 131-145
  • Cansdale, G., Animals of Bible Lands, Exeter 1970, 94f
  • Feliks, J., The Animal World of the Bible, Tel Aviv 1962, 29f
  • Fensham, P.C., Common Trends in Curses of the Near Eastern Treaties and Kudurru-Inscriptions Compared with Maledictions of Amos and Isaiah, ZAW 75 (1963), 155-175, 163f
  • Helck, W., Jagd und Wild im alten Vorderasien, Hamburg 1968, 20-23
  • Janowski, B. u.a. (Hgg.), Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, Neukirchen-Vluyn 1993 (Register)
  • Keel, O., Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38-41 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bildkunst (FRLANT 121), Göttingen 1978 (Register)
  • Keel, O. / Küchler, M. / Uehlinger, C., Orte und Landschaften der Bibel, Band 1, Zürich u.a. 1984, 152f
  • Keller, O., Die Tierwelt der Antike, Hildesheim 1980, 271-274
  • Riede, P., Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2002, (Register s. v.)
  • Salonen, A., Hippologica Accadica (AASF 100), Helsinki 1955, 44-46.54.74f
  • Schott, A., Die Vergleiche in den akkadischen Königsinschriften (MVÄG 30), Leipzig 1926
  • Wünsche, A., Die Bildersprache des Alten Testaments. Ein Beitrag zur aesthetischen Würdigung des poetischen Schrifttums im Alten Testament, Leipzig 1906, 70-72

Abbildungsverzeichnis

  • Jagd auf Wildesel (Ausschnitt). Im nicht dargestellten Bereich verfolgt der König die Tiere mit Pfeil und Bogen auf seinem Pferd. Eindrucksvoll lässt das Muttertier sein Junges trotz der Gefahr nicht aus dem Blick (unten; Relief aus dem Palast Assurbanipals in Ninive; 7. Jh.). Aus: O. Keel / M. Küchler / C. Uehlinger, Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studienreiseführer zum Heiligen Land, Bd. 1, Zürich u.a. 1984, 153 Abb. 79; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz

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