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Weinen (AT)

(erstellt: Oktober 2011)

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Weinen ist eine Form des emotionalen Ausdrucks. Es ist im Alten Testament meist Ausdruck von Trauer, Verzweiflung und Klage. Den Anlass bilden insbesondere natürliche Todesfälle (→ Tod) sowie Verwüstung und Zerstörung vor allem in kriegerischem Kontext (→ Krieg). Das Weinen eines Säuglings (→ Mose) wird nur einmal erwähnt (Ex 2,6).

1. Begriffe und Belege

„Weinen“ wird im Alten Testament meist mit der Wurzel בכה bkh ausgedrückt.

בכה bkh wird außer in Jer 31,15 und Ez 8,14 stets im Qal verwendet. Davon abgeleitet sind das Substantiv בְּכִי bəkhî mit 30 Belegen sowie die Substantive בֶּכֶה bækhæh (Esr 10,1), בָּכוּת bākhût in Gen 35,8 („Eiche des Weinens“) und בְּכִית bəkhît in Gen 50,4 (יְמֵי בְכִיתוֹ jəmê vəkhîtô „Tage seiner Beweinung“).

Für „Tränen“ steht der kollektive Singular דִּמְעָה dim‘āh, das Verb דמע dm‘ begegnet nur in Jer 13,17 (vgl. auch Sir 12,16).

T. Collins hat versucht, eine ganze Reihe weiterer Stellen, an denen die einschlägigen Begriffe fehlen, als Beschreibungen von Weinen zu deuten (z.B. Jer 13,7; 1Sam 2,33 und Ps 69,4). Dabei geht er von Klgl 2,11f. aus. Vor dem Hintergrund der expliziten Erwähnung der Tränen in V. 11 versteht er in in V. 12 die Wendung שׁפך šfk Hitp. + נֶפֶשׁ næfæš – wörtl. „die Seele / das Leben ausschütten“ – als Beschreibung von Weinen. Gegen diese Deutung spricht jedoch u.a. der Vergleich der Kinder mit vom Schwert Durchbohrten / Erschlagenen. Er zeigt, dass die Wendung als Bild des Todes zu verstehen ist. Die von Collins vorgenommene Konstruktion des Prozesses des Weinens, nach der die Tränen ihre Quelle im Innern des Menschen haben und dann durch den Hals / Rachen (נֶפֶשׁ næfæš) zu den Augen fließen, setzt eine Reihe von Hypothesen voraus, die keinen tragfähigen Anhalt am Text haben, zumal Klgl 2,11f. die Körperteile nicht in der von Collins postulierten Reihenfolge nennt (vgl. dazu ausführlich Bester, 172-174).

In der Regel sind es Menschen, die weinen. Eine Ausnahme bildet Hi 31,38, denn dort wird in einer rhetorischen Frage vom Weinen der Ackerfurchen gesprochen (Hi 31,38).

Gegenbegriffe zu בכה bkh und דִּמְעָה dim‘ā werden in Pred 3,4 und Ps 126,5f. greifbar. In Pred 3,4 ist es שׂחק śḥq → „lachen“, während ספד sfd „klagen“ einen Paralellbegriff bietet:

„Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit, klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit“.

In Ps 126,5f. wird der Gegensatz in einem Bild von Saat und Ernte ausgestaltet, Gegenbegriff zu Weinen ist רִנָּה rinnāh „Jubel“:

„Die mit Tränen (דִּמְעָה dim‘āh) säen, mit Jubel (רִנָּה rinnāh) werden sie ernten. Einer der weinend geht, den Samenbeutel tragend, der kommt mit Jubel (בְּרִנָּה bərinnāh), seine Garben tragend.“

2. Kontexte und Verwendungsweisen

2.1. Tod und Trauer

Vom Weinen angesichts des → Todes, sowohl des bereits eingetretenen als auch des wegen Krankheit erwarteten Todes, erzählen Gen 21,16; Gen 23,2; Gen 37,35 (angeblicher Tod → Josefs); Gen 50,3; Num 20,29; Dtn 34,8; 2Sam 3,32.34; 2Sam 13,36; 2Sam 19,1f.; 2Kön 13,14; Ps 78,64; Hi 27,15. Die ausdrückliche Aufforderung, einen Tod nicht zu beweinen, findet sich in Jer 22,10. Auch → Ezechiel soll als → Zeichenhandlung den Tod seiner Frau nicht öffentlich beweinen (Ez 24,16 und die damit verbundene Vorhersage Ez 24,23). Explizit in Verbindung mit der Totenklage wird das Weinen in 2Sam 1,12 und Jer 9,17 erwähnt, im Kontext von → Trauerriten begegnet es in Jes 22,12; Ez 27,31; Est 4,3. In 2Sam 1,24 steht die Aufforderung zu weinen im Klagelied → Davids über → Saul und → Jonatan.

2.2. Kriegsereignisse

Neben dem Tod allgemein sind speziell Kriegstote sowie die durch Krieg verursachte Verwüstung und Zerstörung Anlass zum Weinen. Tränen fließen über eine verlorene Schlacht (Dtn 1,45), die zu beklagenden Kriegstoten (Ri 20,23.26; Ri 21,2; Jer 8,23; Jer 14,17; Jer 31,15.16), über Zerstörung und Verwüstung (Jes 15,2.3.5; Jes 16,9; Jes 22,4; Jes 33,7; Jer 9,9; Jer 48,5.32; Klgl 1,2.16; Klgl 2,11; Neh 1,4), über Brandschatzung und Verschleppung (1Sam 30,4) sowie über drohendes Kriegsunheil (1Sam 11,4.5; 2Kön 8,11.12; Jes 16,9; Jer 13,17; Jo 1,5; Mi 1,10).

2.3. Weitere traurige Anlässe

Neben den beiden Hauptursachen Tod und Krieg werden vielfältige Gründe und Anlässe für Tränen genannt.

2.3.1. Tränen können Ausdruck der Trauer über Abschied und Verlust sein:

Dtn 21,13 (Kriegsgefangene Frauen weinen über den Verlust ihrer Eltern);

Ri 11,37.38 (Klage über die verlorene Jungfrauenschaft von → Jeftas Tochter);

2Sam 3,16 (→ Paltiel über den Verlust seiner Frau → Michal);

2Sam 15,23 (darüber, dass → David mit dem Kriegsvolk Jerusalem verlässt);

Ps 137,1 (Klage der Exilierten)

1Sam 20,41; Rut 1,9.14; Tob 5,18 [Lutherbibel: Tob 5,25] (Trauer über den bevorstehenden Abschied eines nahestehenden Menschen).

Esau weint aus Verzweiflung, als er erfährt, dass er um den Erstgeburtssegen betrogen wurde (Gen 27,38). → Hanna weint über ihre Kinderlosigkeit und die damit verbundenen Kränkungen (1Sam 1,7.8.10). Hiobs Freunde weinen über sein Elend (Hi 2,12) und → Hiob erinnert sich an sein Weinen aus Mitleid mit den Armen (Hi 30,25); durch sein eigenes Leid ist seine Flöte „zur Stimme der Weinenden“ geworden (Hi 30,31).

Ausdruck von Klage und Unzufriedenheit ist das Weinen der Israeliten in der Wüste, als sie wider Gott und Mose murren (Num 11,4.10.13.18.20; Num 14,1).

2.3.2. Tränen können die Klage vor Gott oder eine Gebetsbitte unterstreichen (2Sam 12,21f.; 2Kön 20,3.5 par Jes 38,3.5; 2Chr 34,27; Hos 12,5; Jo 2,12.17; Ps 6,9; Ps 39,13; Klgl 2,18; kritisch: Mal 2,13) und mit verschiedenen Trauer- und Bußriten verbunden werden (Ri 2,4; 2Kön 22,19; Ps 69,11; Jo 2,12; Jer 3,21; Jer 50,4; kritisch: Sach 7,3). In den Psalmen werden die Tränen der Klage in verschiedenen poetischen Bildern aufgenommen (Ps 42,4; Ps 56,9; Ps 80,6; Ps 102,10).

Mit der Zusage des neuen → Bundes wie auch mit (eschatologischen) Heilsbildern verbindet sich die Verheißung, dass Weinen und Klagen ein Ende haben werden und Gott die Tränen abwischen wird (Jes 25,8; Jes 30,19; Jes 65,19; Ps 126,5f.; Verheißung des neuen Bundes: Jer 31,9.16).

Klagendes Weinen und Flehen können sich nicht nur an Gott, sondern auch an den König wenden (Est 8,3). Wie vor Gott kann Weinen auch auf zwischenmenschlicher Ebene Ausdruck der Reue sein (1Sam 14,17, als → Saul erkennt, dass David ihn verschont hat, weint er darüber, dass er ihn verfolgt hat).

2.3.3. Nicht immer sind die mit Weinen / Tränen zum Ausdruck gebrachten Gefühle echt. So ist die Klage von → Simsons Frau → Delila (Ri 14,16.17), aber auch das Weinen von → Jismael (Jer 41,6) Mittel zum Zweck.

2.4. Kultisches Weinen

Im Kontext eines fremden Kultes begegnet kultisches Weinen im Alten Testament in Ez 8,14: In einer Vision schaut → Ezechiel wie die sumerisch-babylonische Vegetationsgottheit → Tammuz, deren Sterben im Kult beweint und beklagt wurde, von Frauen beweint wird, die am Tor des Jerusalemer Tempels sitzen. In der Vision wird dieses Tun als Gräuel verurteilt.

Außerdem steht das in Jo 2,17 geschilderte Weinen der Priester in kultischem Zusammenhang. Allerdings ist dieses Weinen, mit dem die Priester ihre Fürbitte für das Volk verstärken sollen, hier eher nicht als ritualisiertes kultisches Weinen zu interpretieren, sondern im Kontext des mehrfach belegten Weinens zu verstehen, das eine Gebetsbitte unterstreicht (siehe oben 2.3.2).

2.5. Freudentränen

Neben all den eher negativ konnotierten Anlässen der Trauer und Klage können Tränen auch vor Rührung und Freude fließen (Gen 29,11; Gen 42,24; Gen 43,30f.; Gen 45,2.14f.; Gen 46,29; Gen 50,1.17 [Josef wegen seiner Brüder]; Esr 10,1 [Tempelneubau]; Neh 8,9 [Gesetzeslesung]); Tob 7,6f [Lutherbibel: Tob 7,7f]. In Entsprechung zur von Tränen begleiteten Gebetsbitte kann auch der Dank für die Rettung durch Gott in Tränen zum Ausdruck kommen (Ps 116,8).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973
  • Evangelisches Kirchenlexikon, 3. Aufl., Göttingen 1986-1997
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001

2. Weitere Literatur

  • Bester, D., Körperbilder in den Psalmen. Studien zu Psalm 22 und verwandten Texte (FAT II/24), Tübingen 2007
  • Collins, T., The Physiology of Tears in the Old Testament, CBQ 33, 1971, 18-38.185-197
  • Scharbert, J., Der Schmerz im Alten Testament (BBB 8), Bonn 1953
  • Seidl, Th., Tränenschlauch und Lebensbuch. Syntax und Semantik von Psalm 56,9, in: M. Ebner / B. Heininger (Hgg.), Paradigmen auf dem Prüfstand. Exegese wider den Strich (FS K. Müller), Münster 2004, 155-172

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