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(erstellt: Januar 2019)

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Rezef bezeichnet im Alten Testament ein Gebiet, das von den Assyrern im 9. Jh. erobert und zur Provinz Raṣappa mit einer gleichnamigen Hauptstadt gemacht worden ist.

1. Name

Das hebräische Toponym Rezef (רֶצֶף ræṣæf; LXX: Ραφες Raphes) geht auf den assyrischen Provinz-Namen Raṣappa zurück. Dieser ist vermutlich von akkadisch raṣāpu „aufschichten (von Mauern)“ abzuleiten; die Wurzel kann sich wohl auch auf neu bebautes Land und damit auf die Lage der Provinz in einer bislang unbesiedelten Steppenlandschaft beziehen (vgl. Dornauer, 152). Eine Ableitung von hebr. רֶצֶף ræṣæf „Glühstein“ (im Feuer erhitzter Stein, der zum Backen verwendet wurde) legt sich nicht nahe, auch wenn man im hebräischen Sprachraum bei dem Ortsnamen an den Begriff gedacht haben mag.

2. Belege im Alten Testament

2.1. 2Kön 19,9-13 // Jes 37,9-13

Rezef kommt im Alten Testament nur an zwei gleichlautenden Stellen vor. Nach 2Kön 19,9-13 // Jes 37,9-13 hat der assyrische König → Sanherib (705-680 v. Chr.) den judäischen König → Hiskia bei der Belagerung → Jerusalems 701 v. Chr. schriftlich zur Kapitulation aufgefordert. In dem Schreiben soll er darauf verwiesen haben, dass Vertrauen auf Gottes Hilfe sinnlos sei. Auch die Götter anderer Völker hätten diese nicht gerettet, vielmehr hätten frühere assyrische Könige z.B. die Bewohner von Gosan, Haran und Rezef ausgerottet (vgl. 2Kön 18,33-34 // Jes 36,18-19). Demnach ist Rezef einst von den Assyrern erobert worden, und der Verweis darauf soll aktuell die Macht der Assyrer belegen.

2.2. Identifikation von Rezef mit Raṣappa

Rezef wird in 2Kön 19,12 // Jes 37,12 nach Gosan und Haran genannt. Gosan (akkadisch Guzāna), das mit Tell Ḥalāf identifiziert wird (→ Tell Ḥalāf; Koordinaten: N 36° 49' 36'', E 40° 02' 23''), und → Haran (Koordinaten: N 36° 51' 53'', E 39° 01' 53'') liegen in Nordmesopotamien. Auch Rezef dürfte deswegen grob in diesem Bereich zu suchen sein. Sanheribs Worte setzen zudem voraus, dass es sich um eine bedeutende Größe handelt.

Aufgrund der Namensähnlichkeit legt sich eine Identifizierung von Rezef mit dem assyrischen Toponym Raṣappa nahe. Dieses bezeichnet, wie assyrische Quellen gut belegen (Parpola 1970, 292f), z.B. eine Liste von Ortsnamen (2 R 53,1; State Archives of Assyria [= SAA] 11,1 r II,10, Online), sowohl eine assyrische Provinz als auch deren gleichnamige Hauptstadt. Die Provinz war von Salmanassar III. (858-824 v. Chr.) eingerichtet worden, nachdem er das Gebiet erobert und annektiert hatte. In der Hauptstadt residierten seitdem Statthalter (z.B. SAA 1,32 r 12), von denen einige des 9. und 8. Jh.s namentlich bekannt sind (Grayson, 46), z.B. der einflussreiche Palilerisch (dessen Name auch als Nergaleresch gelesen wird) im späten 9. und 8. Jh. (CScr 2, 274f; Tadmor, 147; Weippert, 44 Anm. 15; Grayson, 27-28; Niederreiter, 91-110). Nach der Babylonischen Chronik haben beim Sieg über das assyrische Reich Truppen des babylonischen Königs Nabopolassar in dessen 14. Jahr, d.h. 612/611 v. Chr., Ruṣāpu (babylonisch für assyrisch Raṣappa) geplündert und Einwohner nach Ninive zum König verschleppt (HTAT, 412).

2.3. 2Kön 19,12 // Jes 37,12 in babylonischem Kontext

Bei 2Kön 19,12 // Jes 37,12 stellt sich die Frage, warum Sanherib auf drei Eroberungen verweist, die Jahrhunderte zurückliegen, im Fall von Rezef ca. 150 Jahre, und ob diese alten Eroberungen bei den Lesern überhaupt als bekannt vorausgesetzt werden können, da die Argumentation des Textes anderenfalls nicht plausibel wäre. Nach einer ansprechenden These von Na’aman (396f), die auf Hardmeiers Deutung von 2Kön 18-19 basiert, stammen die Sanherib zugeschriebenen Worte erst aus viel späterer, exilischer Zeit und haben anachronistisch – für damalige Leser jedoch verständlich – die Eroberung Judas durch die Babylonier 587 v. Chr. im Blick (→ Zerstörung Jerusalems). Mit Gozan, Haran und Rezef seien nämlich Orte gewählt worden, die der babylonische König Nabopolassar 612-610 v. Chr., für die Leser also in jüngster Vergangenheit, erobert hatte. Der Verweis auf diese Eroberungen soll die Macht des mesopotamischen Großreichs belegen.

3. Zur Lage von Rezef / Raṣappa

Umstritten ist, wo die Provinz Raṣappa und ihre Hauptstadt gelegen haben:

1. Musil (210-211) lokalisiert die Provinz im heutigen Syrien westlich des Chabur, einem nördlichen Nebenfluss des → Euphrats. Nach Westen soll sie sich bis zum Euphrat und darüber hinaus erstreckt haben. Die Stadt Raṣappa identifiziert er aufgrund der Namensähnlichkeit mit dem heutigen er-Reṣāfa (römisch Resapha; Koordinaten: N 35° 37' 45'', E 38° 45' 31''), das ca. 30 km südsüdöstlich des heutigen Euphratstaudamms an der Straße von Haran nach → Palmyra liegt. Diese Identifikation, die in Arbeiten zum Alten Testament häufig anzutreffen ist (z.B. bei Wildberger, 1423; Zwickel, 1133; vgl. aber auch Parpola 1981, 143), scheitert jedoch daran, dass bei den von J. Kollwitz und T. Ulbert geleiteten, dortigen Ausgrabungen keine Spuren einer Besiedlung in vorrömischer Zeit gefunden worden sind (Ulbert, 445).

Der Ort wurde erst im 1. Jh. n. Chr. als römischer Wachposten gegründet und ist erstmals bei dem Geographen Claudius Ptolemaeus (5.15,24) belegt, der Resapha (‘Pήσαφα Rēsapha) um 150 n. Chr. in einer Liste der Städte der Palmyrene an erster Stelle nennt, und zwar mit den Koordinaten 72° 15', 34° 45' seines Systems. In byzantinischer Zeit hat die Stadt unter dem Namen Sergiopolis als christliches Pilgerzentrum große Bedeutung erlangt.

Rezef 01
2. Nach einer seit Forrer (1920, 12f) vielfach vertretenen These (vgl. Kessler 1980, 142f.155, vgl. 228 Anm. 838; Liverani 1992, 35-40; Fales 1992, 105-107) lag die Provinz Raṣappa viel weiter östlich im heutigen Nord-Irak, und zwar in dem Gebiet zwischen dem Ǧebel Sinǧār (Koordinaten: N 36° 22', E 41° 42') im Norden bzw. Westen und dem Tigris im Osten sowie zwischen der Provinz Tillê im Norden und der Provinz Isāna im Süden. Die Stadt Raṣappa identifiziert Forrer (15) mit dem heutigen Sinǧār (auch: Shingal), dem römischen Singara (Koordinaten: N 36° 19' 00'', E 41° 51' 33''), am Südrand des Sinǧār-Gebirges.

3. Nach Radner (2008, 52f), Jursa (2008, 254) und weiteren neueren Arbeiten lag die Provinz Raṣappa weiter südlich und westlich im heutigen syrisch-irakischen Grenzgebiet, nämlich südlich des Ǧebel Sinǧār, östlich des Chabur sowie westlich der Provinzen Isāna und Assur und reichte nach Süden bis zum Euphrattal. Die genaue Lage des Hauptortes bleibt unklar.

4. M. Weippert (2010, in: HTAT, 412) lokalisiert Raṣappa weiter nordöstlich, nämlich südlich des Gebirges Ṭūr ‘Abdīn, das sich am Südrand der heutigen Türkei mit der Stadt Midyat im Zentrum ca. 50 km nach Westen und Osten erstreckt und im Süden steil zur mesopotamischen Ebene abfällt.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • The Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville / New York 1962
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East, Oxford / New York 1997
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
  • The Routledge Handbook of the Peoples and Places of Ancient Western Asia, Routledge 2009

2. Weitere Literatur

  • Dornauer, A., Assyrische Nutzlandschaft in Obermesopotamien: Natürliche und anthropogene Wirkfaktoren und ihre Auswirkungen (Münchner Studien zur Alten Welt 12), München 2016
  • Dussaud, R., Topographie historique de la Syrie antique et médiévale (Bibliothèque archéologique et historique 4), Paris 1927
  • Fales, F.M., Mari: An Additional Note on „Raṣappu and Ḫatallu“, SAAB 6 (1992), 105-107
  • Forrer, E., Die Provinzeinteilung des assyrischen Reiches, Leipzig 1920
  • Grayson, A.K., Assyrian Officials and Power in the Ninth and Eight Centuries, SAAB 7 (1993), 19-52
  • Hardmeier, C., Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituation der Jesaja- und Jeremiaerzählungen in II Reg 18-20 und Jer 37-40 (BZAW 187), Berlin u.a. 1990
  • Jursa, M., Art. Raṣappa, in: Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Bd. 11, Berlin 2008, 254
  • Kessler, K., Untersuchungen zur historischen Topographie Nordmesopotamiens nach keilschriftlichen Quellen des 1. Jahrtausends v. Chr. (BTAVO 26), Wiesbaden 1980
  • Klaudios Ptolemaios, Handbuch der Geographie. Griechisch-Deutsch, hg. v. A. Stückelberger / G. Grasshoff, Basel 2. Aufl. 2017
  • Kühne, H., The Assyrians in the Middle Euphrates and the Ḫābūr, in: M. Liverani (Hg.), Neo-Assyrian Geography (Quaderni de Geografica Storica 5), Rom 1995, 69-85
  • Liverani, M., Raṣappu and Hatallu, SAAB 6 (1992), 35-40
  • Musil, A., The Middle Euphrates: A Topographical Itinerary, New York 1927
  • Na’aman, N., New Light on Hezekiah’s Second Prophetic Story (2 Kgs 19,9b-35), Biblica 81 (2000), 393-402
  • Niederreiter, Z., La „sainte offrande“ de Nergal-Ēreš à Aššur et Adad en 775. Une interprétation de l’inscription votive de la masse d’armes ASS 10274 (VA 5929), RA 103 (2009), 91-110
  • Parpola, S., Neo-Assyrian Toponyms (AOAT 6), Neukirchen-Vluyn 1970
  • Parpola, S., Assyrian Royal Inscriptions and Neo-Assyrian Letters, in: F.M. Fales (Hg.), Assyrian Royal Inscriptions: New Horizons in Literary, Historical, and Ideological Analysis (Orientis Antiqvi Collectio XVII), Rom 1981, 117-143
  • Postgate, J.N., Assyria: The Home Provinces, in: M. Liverani (Hg.), Neo-Assyrian Geography (Quaderni de Geografica Storica 5), Rom 1995, 1-17
  • Radner, K., Art. Provinz C, in: Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Bd. 11, Berlin 2008, 42-68
  • Simons, J.J., The Geographical and Topographical Texts of the Old Testament. A Concise Commentary in xxxii Chapters, Leiden 1959
  • Storm, E., Rusafa in der syrischen Wüste – Stadt eines Heiligen und eines Kalifen, Die Karawane 22 (1981), 3-56
  • Tadmor, H., The Historical Inscriptions of Adad-Nirari III., Iraq 35 (1973), 141-150
  • Ulbert, T., Art. Rusafa, in: The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East, Bd. 4, Oxford / New York 1997, 445-446
  • Weippert, M., Die Feldzüge Adadnararis III. nach Syrien. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, ZDPV 108 (1992), 42-67
  • Wildberger, H., Jesaja, Bd. 3, Jesaja 28-39 (BK X/3), Neukirchen-Vluyn 1982
  • Zadok, R., The Ethno-linguistic Character of the Jezireh and Adjacent Regions in the 9th-7th Centuries (Assyria Proper vs. Periphery), in: M. Liverani (Hg.), Neo-Assyrian Geography (Quaderni de Geografica Storica 5), Rom 1995, 217-282
  • Zwickel, W., Art. Rezef, in: Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003, Bd. 2, 1133

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage der Provinz Raṣappa nach Forrer (blaue Markierung) und Radner (rote Markierung). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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