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Tag Jahwes (AT)

Andere Schreibweise: Tag Jahwes; Jahwetag; Tag des Herrn

(erstellt: Februar 2008)

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1. Belege

Die exakte hebräische Formulierung für den „Tag JHWHs“ lautet יום יהוה (jôm jhwh). Sie begegnet im gesamten Alten Testament nur sechzehn Mal: Jes 13,6.9; Ez 13,5; Jo 1,15; Jo 2,1.11; Jo 3,4; Jo 4,14; Am 5,18 (2-mal); Am 5,20; Ob 15; Zef 1,7.14 (2-mal); Mal 3,23. Variiert begegnet die Formulierung in der Form יום ליהוה (jôm ljhwh) „ein Tag hinsichtlich von / für JHWH“ in Jes 2,12; Ez 30,3.

Beide Ausdrucksweisen können durch ein zwischen יום (jôm) „Tag“ und יהוה (jhwh) „JHWH“ eingeschobenes Element X aufgesprengt werden. Als Belege für den „Tag JHWHs“ sind solche Wendungen aber nur dann anzusehen, wenn das eingeschobene Element X eine Beziehung zu eindeutigen „Tag JHWHs“-Texten aufweist. Dann kommen in Frage:

יהוה X יום (jôm X jhwh) Jes 14,3; Ez 7,19; Zef 1,8.18; Zef 2,2.3; Klgl 2,22,

ליהוה X יום (jôm X ləjhwh) Jes 34,8; Sach 14,1,

לאדני יהוה צבאות X יום (jôm X la’donāj jhwh ṣəbā’ôt) Jes 22,5,

לאלהינו X יום (jôm X le’lohênû) Jes 61,2 und

X לאדני יהוה צבאות יום (la’donāj jhwh ṣəbā’ôt jôm X) Jer 46,10.

Wendungen, die im Kontext des יום (jôm) „Tag“ das handelnde göttliche Subjekt erwähnen* oder die nur die Form X יום ohne die Nennung des Gottesnamens bieten**, kommen dann als Belege für den „Tag JHWHs“ in Frage, wenn ihr unmittelbarer Zusammenhang und ihre Bezüge eine derartige Einschätzung wahrscheinlich machen. Dies ist zumindest der Fall in Jes 13,13; Jes 63,4; Jer 50,31; Ez 7,7; Ez 30,3; Jo 2,2; Zef 1,15-16; Zef 3,8; Sach 14,3; Mal 3,2.17.21; Klgl 1,12; Klgl 2,1.22.

Belege der Wendung ביום ההוא (bajjôm hahû’; auch ohne Präposition und Artikel) „an jenem Tag“ gehören nicht zu den „Tag JHWHs“-Stellen, da diese Formulierung völlig unabhängig von einer „Tag JHWHs“-Vorstellung“ grundsätzlich als Zeitadverb verständlich ist (s. Munch). Nur wenn die Formel im Zusammenhang mit einem klaren „Tag JHWHs“-Beleg begegnet, kann sie mit herangezogen werden.

2. Herkunft der Vorstellung

Die im Einzelnen sehr unterschiedlichen Thesen, die in der alttestamentlichen Forschung zur Herkunft der „Tag JHWHs“-Vorstellung vertreten werden, lassen sich auf drei charakteristische Positionen reduzieren.

2.1. Kult

Erstens sprechen etliche Beobachtungen dafür, dass der „Tag JHWHs“ einen kultischen Tag bezeichnet und somit im Kult zu Hause ist (so z.B. Mowinckel, 213ff.229ff.; Gray, 23f.; Weiser, 170; Seybold, 39ff.; Ahlström, 64ff.; Stolz, 159ff.).

1. Die Licht-Motivik (s. Am 5,18.20; [Sach 14,7;] negiert in Jes 13,10; Ez 30,3; Jo 2,10; Zef 1,15) ist kultisch konnotiert (s. Ez 1,4.13.27; Ez 10,4; Ps 18,13).

2. Das Verb קום (qûm) „aufstehen“ in Jes 2,19.21 und der Gottesname Schaddaj in Jes 13,6 sind kultisch geprägt.

3. In den Kult verweisende Wortfelder finden sich in Zef 1,7 („Schlachtopfer“; der mit הס has „still!“ beginnende kultische Ruf; das Verbum קדשׁ qdš „heilig sein“), Jes 34,6 („Blut“; „Fett“; Opfertiere; „Schlachtopfer“), Jer 46,10 („Blut“; „Schlachtopfer“) und Sach 14,16.20f. (universales Laubhüttenfest; Gefäße; „Altar“; die Wurzel קדשׁ qdš „heilig).

4. Direkt nach Am 5,18-20 folgt ein kultkritischer Abschnitt.

5. Mit dem Zentralbegriff „Tag JHWHs“ verwandt sein könnten der akkadische ûm ili „Tag Gottes“ mit seinem liturgischen Charakter sowie Hos 2,15 („Tage der Baale“) und Hos 9,5 („Festtag JHWHs“).

6. Außerhalb der Prophetie finden sich (variierte) „Tag JHWHs“-Belege in den in gottesdienstlichen Feiern verwendeten Klageliedern (Klgl 1,12; Klgl 2,1.21.22).

2.2. Krieg

Zweitens legen einige Indizien die Annahme nahe, dass man unter dem „Tag JHWHs“ den JHWHkrieg verstanden und die „Tag JHWHs“-Vorstellung demzufolge im Bereich des Militärwesens gepflegt hat (so z.B. von Rad, 1993, 129ff.; ders., 1959; Müller; 72ff.; Eggebrecht, 41ff.; Irsigler, 319ff.336ff.; Jeremias, 97ff.).

1. Auf den Krieg verweisende Wortfelder begegnen in Jes 2,15 („Türme“; „Mauern“), Jes 13,15ff. („durchbohren“; „durchs Schwert fallen“; „Häuser plündern“; „Frauen schänden“), Jes 22,1-14 („Schwert“; „Kampf“; „Anführer“; „Bogen“; „Köcher“; „Wagen“; „Reiter“; „Schild“), Ez 7,14ff. („ins Horn blasen“; „Schlacht“; „Schwert“), Ez 13,5 („Schlacht“), Ez 30,2ff. („Schwert“), Jo 2,7-9 („Krieger“; „Schlacht“; „Mauer“), Zef 1,14.16 („Krieger“; „Horn“; „Lärmblasen“; „befestigte Städte“; „hohe Zinnen“) und Sach 14,1-3 („Beute“; „Kampf“; „Stadt einnehmen“; „Häuser plündern“; „Frauen schänden“; „kämpfen“; „Kriegstag“).

2. Der „Tag JHWHs“ wird in Jo 4; Sach 14 als Völkerkampf gezeichnet (s. Jo 4,9; Sach 14,2).

3. Kompositionell betrachtet verstehen Am 5,18-20 und Zef 1,7-16 den „Tag JHWHs“ als Israel bzw. Juda treffende, kriegerische Katastrophe.

4. Mit dem Zentralbegriff „Tag JHWHs“ vergleichbar sind die Kriegsereignisse anvisierenden Ausdrücke „Tag Midians“ (Jes 9,3), „Tage von Gibea“ (Hos 9,9; Hos 10,9) oder „Tag Jerusalems“ (Ps 137,7).

2.3. Tagewählerei

Drittens kommt auch eine Herkunft des „Tages JHWHs“ aus der allgemein orientalischen Omendeutung, genauer der Menologie („Monatslehre bzw. Monatswählerei“) bzw. Hemerologie („Tagelehre bzw. Tagewählerei“) in Betracht (so z.B. Černý, 77ff.; Spieckermann, 200ff.).

1. In derartigen Texten werden ungünstige und günstige Monate bzw. Tage aufgelistet bzw. beschrieben. Dabei werden oft Gottheiten bestimmten Tagen zugeordnet.

2. In diesen Listen begegnet teilweise eine Terminologie („finsterer Tag“; „böser Tag“; „Zornestag“; „Sonnenfinsternis“; „Trübsal“; „Verwirrung“; „Wehklage“), die den biblischen Texten vergleichbar ist.

2.4. Fazit

Eine letztlich überzeugende Entscheidung zwischen den drei Herleitungsmöglichkeiten ist m.E. kaum möglich. Die Herkunft der Vorstellung vom „Tag JHWHs“ muss daher offen bleiben.

So urteilen auch andere Bibelwissenschaftler: „Der Ursprung des Tages liegt nach wie vor im Dunkeln.“ (Zapff, Prophetie, 72ff.82f.). „There seems little hope of deciding rationally between these two explanations [gemeint sind die Herleitungen aus dem Kult und aus der JHWHkrieg-Tradition; M.B.] of the Day of Yahweh in Amos.“ (Barton, 70). „Man hat (immer noch) vielfach nach seinem [gemeint ist der „Tag JHWHs“; M.B.] Ursprung gefragt; doch weiß man eigentlich (trotz vielen Vermutungen) fast nichts, was er (gegebenenfalls) vor Amos gewesen ist, sondern nur was er unter den Propheten geworden ist. Und das Bild dabei ist verwirrend mannigfaltig.“ (M. Sæbø, 583).

3. Aspekte der Vorstellung

Die traditionsgeschichtliche Entwicklung der „Tag JHWHs“-Vorstellung im Alten Testament ist äußerst komplex und wäre anhand detaillierter literargeschichtlicher und traditionsgeschichtlicher Untersuchungen der einzelnen Texte, die in der Forschung für sich genommen schon höchst unterschiedlich analysiert werden, nachzuzeichnen. Dies kann in diesem Artikel nicht geleistet werden.

In der gegenwärtigen Forschungssituation interessiert außerdem die redaktionsgeschichtliche Frage, ob die diversen „Tag JHWHs“-Passagen für die Entstehung des → Zwölfprophetenbuchs, wenn nicht gar des (Vorderen) Prophetenkanons insgesamt auszuwerten sind (kritisch dazu Beck; positiv vorausgesetzt hingegen bei Schwesig). Auch diese Frage kann hier nicht behandelt werden.

Im Folgenden sollen in aller Knappheit wenige theologische Schwerpunkte der „Tag JHWHs“-Vorstellung im Alten Testament hervorgehoben werden. Weder ist die Reihenfolge der gestreiften Texte als Reihenfolge ihrer Abfassung zu verstehen noch gehen die Texte voll in den Rubriken auf, in denen sie behandelt werden. Für tiefer gehende Einsichten in die diversen Text-Text-Beziehungen und den theologischen Reichtum der Texte verweise ich auf die Literatur.

3.1. Punktuelles Gericht gegen das eigene Volk

Einige Texte verstehen den „Tag JHWHs“ als punktuelles Gerichtshandeln JHWHs gegen sein eigenes Volk.

1. In Am 5,18-20 liegt der älteste „Tag JHWHs“-Text vor, der die Verkündigung des → Amos im Nordreich Israel um 760 v. Chr. widerspiegelt. Eine offensichtlich positive Hörererwartung nach einem ersehnten, lichten Tag, wird von Amos ins Gegenteil verkehrt: der „Tag JHWHs“ ist Finsternis und nicht Licht. Das Bildwort Am 5,19 betont seine Unausweichlichkeit. Im Zusammenhang der Amosschrift in früher Gestalt bringt die Rede vom „Tag JHWHs“ auf den Punkt, dass JHWH sein eigenes Volk wegen dessen sozialer Vergehen mit einem Erdbeben, der Verwüstung des Landes und schließlich mit Deportation straft.

2. Jes 2,12-17 enthält als Kern des literargeschichtlich komplexen Textes die Ankündigung des „Tages JHWHs“ durch Jesaja, der in der 2. Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. in Juda aufgetreten ist (→ Protojesaja). Der „Tag JHWHs“ zielt auf die Erniedrigung alles hochmütigen menschlichen Gebarens, desillusioniert vermeintlich menschliche Größe und verdeutlicht die Souveränität und Überlegenheit JHWHs. Im Kontext der Verkündigung Jesajas wird so das Gericht JHWHs aufgrund des sozial ungerechten Verhaltens der Jerusalemer Oberschicht und des falschen Vertrauens der Könige Judas auf außenpolitische Bündnisse sowie der Anspruch JHWHs auf sein Volk zur Sprache gebracht.

3. Jes 22,1-14 enthält in V. 1-4 die in der Form der Totenklage vorgetragene Kritik Jesajas am Verhalten der Jerusalemer, die sich nach der Kapitulation und dem Abzug der Assyrer ausgelassen freuen und offenbar die wirkliche Lage nicht hinreichend begriffen haben. Jesaja jedenfalls möchte ungestört trauern und nicht vertröstet werden. Jes 22,5 bietet die Begründung: das Geschehen war eine von JHWH initiierte Strafe. Dieses Eingreifen JHWHs wird also im Rückblick der als gegen sein Volk gerichtete „Tag JHWHs“ bezeichnet.

4. Die Komposition Zef 1,7-16 enthält an ihren Rändern (Zef 1,7.14-16) Ankündigungen des „Tages JHWHs“, die möglicherweise auf den Propheten → Zefanja zurückgehen, der im spätvorexilischen Jerusalem (7./6. Jh. v. Chr.) gewirkt und das Gebaren der höfischen Herren, des Händlervolkes und der selbstzufriedenen, religiös gleichgültigen Reichen kritisiert hat. Da die Komposition wohl in exilischer Zeit erstellt wurde, versteht sie unter dem „Tag JHWHs“ die Katastrophe des Südreiches Juda 587 v. Chr., mit der JHWH auf das Verhalten der Jerusalemer Oberschicht reagiert.

5. Die → Klagelieder resümieren im Rückblick über die Katastrophe 587 v. Chr., die als Folge des göttlichen Zornes über sein sündiges Volk interpretiert wird. Die Dichtungen greifen dabei zur Bezeichnung dieses Eingreifens JHWHs die Vorstellung vom „Tag JHWHs“ auf (Klgl 1,12; Klgl 2,1.21.22).

6. Ebenfalls im Rückblick begegnet der „Tag JHWHs“ in Ob 12-14 (→ Obadja). Mehrfache Erwähnungen des zurückliegenden Unglückstags Jerusalems spielen auf die Vorstellung vom „Tag JHWHs“ als Gerichtstag JHWHs gegen sein eigenes Volk an.

7. Genauso verhält es sich mit Ez 7, wo Ez 7,6-7 das nahe Ende (analog Jes 22,5 als „Tag der Bestürzung“ bezeichnet; jedoch ist der Text möglicherweise verderbt) über das Land bzw. dessen Bewohner ankündigen und damit im Rückblick die von JHWH initiierte Katastrophe des Jahres 587 v. Chr. meinen (→ Ezechiel). Der äußerst komplexe Kontext ist konkreter (ab Ez 7,10), enthält mehrere Anspielungen auf andere „Tag JHWHs“-Texte und kann auch (s. Ez 7,2) universal gelesen werden.

8. Ez 13 bietet eine breit ausgeführte Kritik an den falschen Propheten. Mit dem Bild von der bereits durchbrochenen Verteidigungsmauer in Ez 13,5 wird im Rückblick deutlich gemacht, dass es Aufgabe der Propheten gewesen wäre, in die Bresche zu springen, d.h. dem Volk das Standhalten dadurch zu ermöglichen, dass sie JHWHs Zorn (durch Fürbitte oder durch Aufdecken der Schuld oder durch Mahnen und Warnen) abgewendet hätten. Als „Tag JHWHs“ wird in diesem Zusammenhang das Gericht JHWHs gegen sein eigenes Volk bezeichnet, das die Propheten nicht verstanden haben aufzuhalten.

9. Jo 1,15-20 und Jo 2,1-11 gehören zur Grundschicht der → Joelschrift, die in die 1. Hälfte des 4. Jh.s v. Chr. zu datieren ist. Aus diesen Texten geht hervor, dass der Prophet Joel in einer aktuellen Heuschrecken- und Dürreplage den „Tag JHWHs“ im Anbruch gesehen hat und über die Naturkatastrophe hinaus auch mit einer Feindinvasion gerechnet hat. Literarisch wird dabei auf die Texte Jes 13; Jer 4-6 und Ez 30 zurückgegriffen. Eine konkrete Ursache für das Strafhandeln JHWHs gegen sein eigenes Volk geht aus dem Textzusammenhang nicht hervor. Offenbar beruht die Denkmöglichkeit einer Strafe JHWHs gegen das eigene Volk in der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit auch auf einem allgemeinen Sündenbewusstsein. Wie die Joel-Grundschrift zeigt, wurde dem Eingreifen JHWHs erfolgreich mit Buße und Umkehr begegnet. Umgekehrt vertraut man auf JHWH als gnädigen und barmherzigen Gott.

3.2. Universales Weltgericht

Eine weitere Gruppe von Texten deutet den „Tag JHWHs“ als universales Weltgericht. Vorausgesetzt dafür ist eine Eschatologisierung der „Tag JHWHs“-Vorstellung, die teilweise bis in frühapokalyptisches Denken hineinführt (→ Apokalyptik).

1. In dem erweiterten Text Jes 2,6-22 dient das zwar mit אדם (’ādām) „Mensch“ nicht explizit angesprochene, doch angesichts des Zusammenhangs (s. Jes 2,6) nach wie vor gemeinte Israel als Beispiel dafür, dass der „Tag JHWHs“ als universales Gericht (s. Jes 2,19.21), nun insbesondere wegen des Götzendienstes, in Aussicht steht.

2. Die Grundschicht von Jo 4*, ein später, fortgeschriebener Text, der die Erfahrung der Eroberung Jerusalems 302 v. Chr. verarbeitet, erwartet den „Tag JHWHs“ gegen die Völker und zugunsten des eigenen Volkes. JHWH will die Bedrücker Israels zur Rechenschaft ziehen, fordert die Völker zum Kampf und zur Versammlung im → Tal Joschafat auf, wo er über sie zu richten gedenkt. Den Israeliten hingegen will sich JHWH als Zuflucht und Schutz auf dem nicht mehr einnehmbaren → Zion erweisen. Hier werden erst sekundär (Jo 4,4-8.18-21) konkrete Völker zur Veranschaulichung nachgetragen.

3. In der → Obadjaschrift besitzt das Geschick → Edoms illustrativen Charakter. Die Verschuldung am Brudervolk Juda und die eigene Selbstüberschätzung verlangen nach JHWHs Strafe (s. Ob 15). Da Juda bereits den Zorn JHWHs erfahren hat, steht für es der Zion als Ort der Rettung in Aussicht. Der aus Jer 25,15ff. (vgl. Jer 49,7ff.) bekannte Zornbecher, den Juda bereits trinken musste, ist nun für Edom und alle Heiden eingeschenkt. Auch Jes 34 (s. Jes 34,6) illustriert an Edom das Gericht JHWHs über alle Völker (s. Jes 34,1).

4. Auch einige Fremdvölkersprüche in den großen Prophetenbüchern enthalten die Ankündigung des „Tages JHWHs“: Jes 13 (s. Jes 13,6) kündigt ihn über Babylon, Jer 46 (s. Jer 46,10) und Ez 30 (s. Ez 30,3) über Ägypten an. Dabei ist zu bedenken, ob nicht diese Unheilstexte gegen fremde Völker erst durch sekundäre Erweiterungen zu „Tag JHWHs“-Ankündigungen gemacht wurden. Umgekehrt ist diskutabel, ob diese Texte nicht ebenso das Gericht JHWHs an einzelnen Völkern als exemplarisch für einen universalen „Tag JHWHs“ verstehen.

5. Die Verkündigung des „Tages JHWHs“ in der → Zefanjaschrift wird durch die Fortschreibungen Zef 1,2-3; Zef 1,18aβγb; Zef 3,8bβγ zu einem universalen kosmischen Gericht umgeprägt. Mit einem Rückgriff auf die Urgeschichte kündigen sie die Revozierung der Schöpfung am „Tag JHWHs“ an.

6. Das mehrschichtige, im Verlauf des 3. Jh.s v. Chr. entstandene Zukunftsszenario Sach 14 (→ Sacharjabuch) versteht unter dem „Tag JHWHs“ einen weltverändernden, Raum und Zeit sprengenden, strafenden sowie auch rettenden Eingriff JHWHs. Erstens initiiert JHWH einen Völkerkampf, bei dem die Völker Jerusalem einnehmen und die Hälfte der Bevölkerung deportieren. Zweitens werden diese Völker dann aber von JHWH vernichtet. Drittens bleibt auch unter den Völkern ein Rest, der sich zum Teil zur Verehrung JHWHs zusammenfindet. Ziel des ganzen Geschehens ist die Aufrichtung der universalen Königsherrschaft JHWHs und die Herstellung der Sicherheit und Heiligkeit Jerusalems als Zentrum der universalen JHWH-Verehrung.

3.3. Möglichkeiten der Verschonung

Da sich in nachexilischer Zeit die Vorstellung vom „Tag JHWHs“ zunehmend ausweitet, stellt sich die Frage, wie der Mensch, ganz gleich ob er dem Gottesvolk oder den Heiden angehört, beim Gericht JHWHs verschont werden kann. Explizit geäußert wird sie in Jo 2,11 und Mal 3,2.

1. Der Fortschreibungstext Mal 3,13-21, dessen Grundschicht nur grob ins 4./3. Jh. v. Chr. zu datieren ist, beantwortet die Frage mit der Differenzierung von Frevlern und Gerechten (→ Maleachi). Das von den Frommen benannte Problem der Gerechtigkeit JHWHs wird so gelöst, dass die Frevler am „Tag JHWHs“ verbrannt werden, den Gerechten hingegen unwiderrufliches Heil in Aussicht steht. Der „Tag JHWHs“ entscheidet somit das individuelle Geschick der Angehörigen des Gottesvolkes.

2. Mit einer ähnlichen Differenzierung reagiert Zef 2,1-3 auf die frühapokalyptische Ankündigung der universalen Vernichtung in Zef 1,18. Hier zeigt sich in der Ermahnung der Demütigen (Zef 2,3) die Möglichkeit, beim kommenden Gericht am „Tag JHWHs“ ausgenommen zu werden, während die Karikatur eines Mahnwortes (Zef 2,1-2) dem gleichgültigen Volk keine Chancen einräumt.

3. Die jüngste Fortschreibung der Joelschrift aus dem 3. Jh. v. Chr., Jo 3,1-5, versteht den „Tag JHWHs“ grundsätzlich als Heilsereignis für Israel. Doch wird die Barmherzigkeit JHWHs scheinbar an das Verhalten des Gottesvolkes geknüpft. Denn für die Rettung am „Tag JHWHs“ werden Bedingungen formuliert: das Anrufen des Namens JHWHs und den Aufenthalt auf Zion bzw. in Jerusalem. Auf der anderen Seite aber soll eine auf Israel bezogene Geistausgießung (Jo 3,2) jedem ermöglichen, die Zeichen der Zeit (s. Jo 3,3-4) zu deuten und entsprechend zu reagieren. Bemerkenswert ist, dass ein Zusatz (Jo 3,5bβ) die Möglichkeit der Rettung Einzelner, von JHWH berufener Heiden in Aussicht stellt.

4. Der bereits erwähnte Text Sach 14 differenziert bei seinem vielschichtigen eschatologischen Szenario sowohl innerhalb des Gottesvolkes als auch innerhalb der Völker. Vom Gottesvolk bleibt im universalen Völkersturm nur ein Rest übrig. Bei seinem Kampf gegen die Völker belässt aber JHWH auch unter diesen nur einen Rest, indem wiederum zwischen JHWH-Verehrern und Abtrünnigen geschieden wird.

5. Der späteste „Tag JHWHs“-Text (Ende des 3. Jh.s v. Chr.) liegt mit Mal 3,22-24 vor. Hier ist die Vorstellung vom „Tag JHWHs“ als bedrohlichem Universalereignis vorausgesetzt. Um dem göttlichen Bann zu entgehen, wird erstens der Gehorsam gegenüber der → Tora als maßgeblicher Richtschnur angemahnt. Die Tora fungiert somit als Entscheidungskriterium zwischen Frevlern und Gerechten. Dieser gesetzlichen Stimme folgt aber zweitens noch die Zusage der Bewahrung. Der einst entrückte (s. 2Kön 2,11) Prophet → Elia – im Kontext von Jo 3,1-2 (allgemeine Geistausgießung) und Sach 13,2-6 (Ende der Prophetie): nur noch Elia! – wird wiederkehren und im endzeitlichen Chaos die Generationen miteinander aussöhnen. Auf diese Weise schließt Mal 3,22-24 mit Verweis auf die Tora und dem Hinweis auf prophetische Bewahrung unter der „Tag JHWHs“-Perspektive das Zwölfprophetenbuch und darüber hinaus den Prophetenkanon ab.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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