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Plagen / Plagenerzählung

(erstellt: Dezember 2011)

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1. Bibelkundliche Orientierung

Die ausführliche Schilderung der ägyptischen Plagen bildet das Zentrum der Erzählung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten in Ex 1,1-15,21. Dabei zeigen bereits die unterschiedlichen bibelkundlichen Abgrenzungen (als Anfang der Plagenerzählung werden Ex 6,28, Ex 7,8 und Ex 7,14 gehandelt; als Ende gilt meist Ex 11,10, obwohl sich Ex 11 als Ankündigung des in Ex 12 Berichteten streng genommen nicht vom Folgekapitel trennen lässt), dass die Erzähleinheit aufs Engste mit ihrem Kontext verwoben ist. Die kunstvolle kompositionelle Einbettung der Plagen in die Exoduserzählung kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie bereits in Ex 3,10; Ex 4,1-9.17 implizit anklingen und in Ex 4,21-23 erstmals explizit in den Blick genommen werden. Auf der Ebene des vorliegenden Bibeltextes bilden die ägyptischen Plagen damit einen integralen Bestandteil in der Umsetzung des von JHWH gefassten Beschlusses, sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens zu befreien. Ausgelöst durch die Weigerung des Pharao, JHWHs Anspruch anzuerkennen und die Israeliten ziehen zu lassen (Ex 5,2), verfolgt die Plagenerzählung ein zweifaches Ziel: Als göttliche Machterweise (Ex 7,3: „Zeichen und Wunder“) verhelfen die Plagen dem Pharao und seinen Landsleuten zur rechten Gotteserkenntnis und führen am Ende dazu, dass der Auszug der Israeliten gestattet wird (Ex 12,33).

Üblicherweise werden die folgenden zehn Plagen unterschieden:

1. Die Nilpest (Ex 7,14-25): Die Verwandlung des Nils sowie aller Gewässer Ägyptens in Blut löst ein Fischsterben aus, durch das alles Wasser im Land verpestet wird.

2. Die Froschplage (Ex 7,26-8,11): Frösche kriechen aufs Land, wo sie verenden und mit ihren Kadavern auch das Land verpesten.

3. Die Mückenplage (Ex 8,12-15): Der Staub des Landes verwandelt sich in Mücken, die Mensch und Vieh peinigen.

4. Die Ungezieferplage (Ex 8,16-28): Ungeziefer dringt bis in die Häuser vor.

5. Die Viehpest (Ex 9,1-7): Das Vieh der Ägypter verendet an den Folgen einer Krankheit.

6. Die Beulenpest (Ex 9,8-12): Mensch und Vieh werden mit eitrigen Beulen geschlagen.

7. Die Hagelplage (Ex 9,13-35): Ein Hagelgewitter vernichtet die Ernte und erschlägt Mensch und Vieh auf den Feldern.

8. Die Heuschreckenplage (Ex 10,1-20): Heuschrecken vernichten, was der Hagel verschont hat.

9. Die Finsternisplage (Ex 10,21-29): Eine dreitägige Finsternis macht die Orientierung in Ägypten unmöglich.

10. Die Tötung der Erstgeburt (Ex 12,29-33): Die ägyptischen Erstgeburten, Mensch wie Vieh, fallen einem Schlag JHWHs zum Opfer.

Im Zusammenhang gelesen schildern die zehn Plagen eine drastische Beeinträchtigung des Lebens in Ägypten, die eine vollständige Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen (Wasser, Vieh, Ernte) einschließt. Dass derart dramatische Ereignisse keinerlei Spuren in den ägyptischen Quellen hinterlassen haben, ist bereits ein erstes gewichtiges Indiz dafür, dass die Plagenerzählung als historischer Tatsachenbericht fehlinterpretiert ist. Auch der Versuch, die Sequenz der Plagen als Reflex auf eine Abfolge typischer ägyptischer Naturphänomene zu erklären und sich auf diese Weise ihrem historischen Kern anzunähern (Hort), ist nicht zielführend. Einerseits ist eine derartige „naturwissenschaftliche“ Ableitung nur für Teile der Plagen nachvollziehbar (im Zuge eines starken Nilhochwassers färben Sedimente den Fluss rot und die plötzlich massenhaft auftretenden Kleinstlebewesen zehren den Sauerstoff auf, was ein Fischsterben zur Folge hat; die Frösche verlassen daraufhin das verpestete Wasser, verenden an Land und es kommt zu einer explosionsartigen Vermehrung von Mücken), während andere (besonders die Tötung der Erstgeburt) gänzlich unableitbar sind. Andererseits ist die Tatsache, dass Teile der Plagensequenz natürlichen Abläufen entsprechen, eben kein Beweis dafür, dass hier ein einmaliges historisches Ereignis verarbeitet wird. Sie belegt vielmehr ausschließlich, dass die Verfasser der Plagenerzählung Grundkenntnisse derartiger Naturvorgänge für ihre Darstellung fruchtbar machten. Trotz aller Reflexe auf natürliche Gegebenheiten bleibt die Plagenerzählung eine literarische Konstruktion, in deren Zentrum die Frage nach dem Wirken JHWHs im Spannungsfeld zwischen Israel und Ägypten steht (→ Fiktion; → erzählende Gattungen).

2. Zur synchronen Struktur der Plagenerzählung

Es ist seit jeher aufgefallen, dass die Sequenz der zehn Plagen klimaktisch aufgebaut ist: Während die ersten vier Plagen im Wesentlichen Unannehmlichkeiten zur Folge haben, sind ab der fünften Plage gravierende Folgen für die Gesundheit der Ägypter und das Leben ihres Viehs zu verzeichnen, in denen sich bereits der letzte Schlag, die Tötung der ägyptischen Erstgeburten, anzudeuten beginnt. Ferner haben bereits jüdische Gelehrte des Mittelalters beobachtet, dass sich die ersten neun Plagen auf drei Gruppen zu je drei Plagen verteilen lassen, die jeweils ähnliche Strukturelemente aufweisen. Diese erstmals bei Rabbi Samuel ben Meir dokumentierte Beobachtung wurde in der historisch-kritischen Exegese lange vernachlässigt und erst von Moshe Greenberg wieder in gebührender Weise wahrgenommen und weiter ausdifferenziert: So fällt auf, dass die beiden ersten Plagen jedes Triplets eine Warnung Moses an den Pharao enthalten, die bei der dritten Plage jeweils fehlt. Auch die Rollenverteilung der handelnden Akteure folgt einer klaren Struktur: So ist bei den ersten drei Plagen allein Aaron tätig, bei den Plagen sieben bis neun hingegen allein Mose. Das mittlere Plagentriplet bahnt diesen Rollenwechsel an, insofern Aaron bei der sechsten Plage nur noch als Assistent des Mose auftritt, der die Plage schließlich allein heraufführt (die Plagen vier und fünf fallen freilich aus diesem Muster heraus, insofern hier Gott allein ohne die Vermittlung Moses oder Aarons tätig wird).

Im Anschluss an Greenberg lässt sich zudem jedem Plagentriplet ein dominierendes Thema zuweisen: So geht es bei den ersten drei Plagen in besonderer Weise um den Machterweis Gottes in Überbietung der ägyptischen Magie, wohingegen die Plagen vier bis sechs schwerpunktmäßig Gottes Macht im Lande Ägypten illustrieren, insofern sie auf die Verschonung der dort ansässigen Israeliten abheben (Ex 8,18; Ex 9,4). Die Plagen sieben bis neun verleihen dagegen vor allem der Tatsache Ausdruck, dass Gott mit ihnen etwas in der bisherigen Geschichte Analogieloses wirkt (Ex 9,18.24; Ex 10,6.14). Unter dem Eindruck dieser analogielosen Schläge kommt es schließlich auch zu Verhandlungen zwischen Mose und dem Pharao, die die Größe der Auszugsgruppe zum Inhalt haben. Die Verhandlungen erstrecken sich über die Plagen sieben bis neun und bilden damit ein weiteres Element, welches das letzte Triplet von den beiden vorangehenden abhebt.

Die Beobachtungen zur synchronen Struktur der Plagenerzählung, die sich um eine Vielzahl weiterer Details vermehren ließen (vgl. Jacob), machen deutlich, dass der Texteinheit verschiedene Ordnungskriterien zu Grunde liegen, die eine fortlaufende Lektüre ihrer vorliegenden Gestalt ermöglichen und zu einem sinnvollen Unterfangen machen. Gleichzeitig ist unübersehbar, dass eine Aufteilung der ersten neun Plagen auf drei Triplets die überaus komplexe Struktur der Erzählung nur in Ansätzen zu erfassen hilft. So sind die Motive, die ein bestimmtes Triplet zu dominieren scheinen, keineswegs immer auf dieses beschränkt (vgl. etwa die Aufnahme des Verschonungsmotivs in Ex 10,23; Ex 11,7), und manche Erzählzüge (wie das zentrale Motiv des Wettstreits mit den ägyptischen Magiern) verteilen sich auf mehrere Triplets. Schließlich weist der Erzählzusammenhang eine Reihe sachlicher Spannungen und Widersprüche auf: Wie etwa kann es sein, dass das ägyptische Vieh in Ex 9,10.25; Ex 12,12 zum Opfer einer Plage wird, obwohl es in Ex 9,6 bereits vollständig von einer Seuche dahingerafft wurde? Sowohl die bestehenden Unstimmigkeiten als auch der thematische Facettenreichtum der Plagenerzählung sind sichere Indizien dafür, dass ihre vorliegende Gestalt nicht in einem Zuge konzipiert wurde, sondern über einen längeren Zeitraum gewachsen ist.

3. Zur Entstehung der Plagenerzählung

3.1. Forschungsgeschichtliche Orientierung

Trotz vielfältiger Divergenzen hat auch in der aktuellen Forschung der lang etablierte Konsens Bestand, dass sich innerhalb von Ex 7,8-9,12 ein priesterschriftliches Erzählmuster abgrenzen lässt (→ Priesterschrift), das sich konzeptionell wie terminologisch deutlich von seinem nichtpriesterschriftlichen Kontext abhebt (→ Pentateuchforschung). In den nichtpriesterschriftlichen Partien der Kapitel tritt Mose jeweils im Auftrag JHWHs vor den Pharao, um unter Androhung einer Plage den Auszug der Israeliten zu fordern. Der Pharao bleibt jedoch auch vom Eintreten der Plagen unbeeindruckt und verhärtet (כבד kbd) sein Herz (vgl. Ex 7,14; Ex 8,11.28; Ex 9,7). Dagegen dienen die Plagen in der priesterschriftlichen Darstellung nicht als göttliches Druckmittel, sondern bilden den Gegenstand eines Wunderwettstreits, in dem Aaron und Mose gegen die ägyptischen Zauberer antreten. Während die Zauberer zu Beginn des Wettstreits noch mithalten können, zeigt sich im weiteren Verlauf ihre Unterlegenheit, die in einer deutlichen Niederlage gipfelt (Ex 8,15; Ex 9,11). Obwohl damit die Überlegenheit JHWHs und seiner irdischen Repräsentanten über die Magie Ägyptens erwiesen ist, bleibt der Pharao verstockt (חזק ḥzq; vgl. Ex 7,13.22; Ex 8,15; Ex 9,12) und wird so seiner endgültigen Niederlage entgegengeführt.

Die Differenzierung der beiden skizzierten Erzählschemata hat im Rahmen der Neueren Urkundenhypothese (→ Pentateuchforschung) in der Regel zu einer Aufteilung der unterschiedlichen Textanteile von Ex 7,8-9,12 auf die Quellenschriften → Jahwist (J) und → Priesterschrift (P) geführt (vgl. → Eißfeldt). Dabei gelten grob gesprochen Ex 7,14-18.(20*.)21*.23-25 (Nilpest); Ex 7,26-29; Ex 8,4-10.11aαβ (Frösche); Ex 8,16-28 (Ungeziefer); Ex 9,1-7 (Viehpest) als Teil der älteren, jahwistischen Quelle. Für die jüngere, priesterschriftliche Darstellung veranschlagt werden dagegen das den Wunderwettstreit in Ex 7,8-13 eröffnende Stabwunder, die Mückenplage in Ex 8,12-15 und die Beulenpest in Ex 9,8-12. Hinzu kommen noch die priesterschriftlichen Anteile an Nilpest (Ex 7,19.20*.21b.22) und Froschplage (Ex 8,1-3.11aγb), wobei sich im letzten Fall kein lückenloser Erzählfaden mehr rekonstruieren lässt.

Während in Ex 7,8-9,12 die skizzierte Unterscheidung der beiden Textstränge ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, stellt sich der Textbefund in Ex 9,13-11,10 ungleich komplizierter dar. Die hier versammelten Plagen des dritten Triplets (Hagel, Heuschrecken und Finsternis) weisen eine eigentümliche Verquickung der in Ex 7,8-9,12 vorgegebenen Elemente auf, die überdies um gänzlich neue Erzählzüge erweitert wurden (so z.B. das Sündenbekenntnis des Pharao und die ausführlichen Verhandlungen über die Größe der Auszugsgruppe).

Man hat versucht, dem Textbefund durch die Annahme Rechnung zu tragen, dass in Ex 9,13-11,10 neben einer jahwistischen Grunderzählung auch Teile der elohistischen Quellenschrift (→ Elohist) erhalten seien (Eißfeldt). Da sich diese vermeintlich elohistischen Partien indes recht auffällig mit Konzeptionen der Priesterschrift berühren, gelangte → Martin Noth zu der Ansicht, dass hier in Wahrheit Bruchstücke der priesterschriftlichen Quelle greifbar würden (Ex 9,22.23aα*.35; Ex 10,12.13aα*.20; Ex 10,21f.27). Erhard Blum modifizierte diese These dahingehend, dass es sich bei den betreffenden Partien nicht um Quellenfragmente, sondern um Bestandteile der von ihm postulierten priesterschriftlichen Kompositionsschicht handele, die von vornherein als literarisch unselbstständige Bearbeitung einer älteren Plagenerzählung konzipiert worden seien. Noch einmal anders positionierten sich Fujiko Kohata und Werner H. Schmidt, die die priesterschriftliche Prägung der betreffenden Partien zwar nicht in Abrede stellen, diese aber auf eine endredaktionelle Bearbeitung der Hagel-, Heuschrecken- und Fisternisplage im Geist der Priesterschrift zurückführen. Dieses Modell wurde von Jan Christian Gertz noch einmal deutlich radikalisiert: Er versucht die kompositionellen Eigenarten des dritten Plagentriplets damit zu erklären, dass er dieses in Gänze auf die Endredaktion des Pentateuch zurückführt.

Da der priesterschriftliche Wunderwettstreit mit der vollständigen Niederlage der ägyptischen Zauberer in Ex 9,12 einen deutlichen Abschluss erfährt, spricht nur wenig dafür, die priesterschriftlich anmutenden Partien in Ex 9,13-11,10 als ursprüngliche Fortsetzung desselben Erzählfadens zu interpretieren. Man wird vielmehr von einem nachpriesterschriftlichen Entwicklungsstadium der Plagenerzählung ausgehen müssen. Eine entsprechende literarhistorische Verortung ist freilich nicht nur für die wenigen eindeutig priesterschriftlich geprägten Bestandteile, sondern, wie bereits Christoph Levin gezeigt hat, für das dritte Plagentriplet insgesamt wahrscheinlich zu machen. Die in Ex 9,13-11,10 durchweg zu verzeichnende Verquickung priesterschriftlicher und nichtpriesterschriftlicher Stilelemente resultiert nicht aus der redaktionellen Überformung eines älteren Textbestandes, sondern ist den drei Plagen von Anfang an zu eigen. Sie sind damit als nachpriesterschriftlich erwiesen, bilden aber, anders als Jan Christian Gertz postuliert, keineswegs das Werk einer homogenen Endredaktion. Innerhalb des nachpriesterschriftlichen Textes (und damit innerhalb des Textes der Hagel-, Heuschrecken- und Fisternisplage) ist nochmals eine Vielzahl unterschiedlicher literarischer Schichten zu differenzieren, die den Textbestand der Plagenerzählung erst sukzessive zu seiner vorliegenden Gestalt anwachsen ließen.

In Anbetracht der umfangreichen nachpriesterlichen Fortschreibungen der Plagenerzählung stellt sich mit neuer Dringlichkeit die Frage, ob nicht auch für die älteren Phasen der Textentstehung mit einem analogen Modell zu operieren ist; ob also die Annahme von ehemals selbstständigen Quellen durchgängig durch ein Fortschreibungsmodell zu ersetzen ist. Für einen entsprechenden Abschied von der Urkunden- zugunsten einer reinen Ergänzungshypothese hat sich Christoph Berner ausgesprochen. Die Quellen werden in diesem Modell durch verschiedene Entwicklungsphasen des Textes ersetzt: eine vorpriesterschriftliche Phase (in Teilen deckungsgleich mit der Quelle J), eine priesterschriftliche Bearbeitung (P) sowie eine komplexe nachpriesterschriftliche Entwicklungsphase. Die Konsequenzen, die sich aus diesem Modell für die Entstehung der Plagenerzählung ergeben, seien im Folgenden kurz skizziert.

3.2. Die Entstehung in einem kontinuierlichen Fortschreibungsprozess

3.2.1. Die vorpriesterschriftliche Entwicklungsphase

Im vorpriesterschriftlichen Grundbestand der Exoduserzählung spielten die Plagen noch keinerlei Rolle, sondern der Text berichtete im Anschluss an Moses Rückkehr aus Midian (Ex 4,20aβ) direkt vom Aufbruch der Israeliten (Ex 12,37a). Alles, was heute zwischen den beiden Versen steht, ist dem Text erst im Laufe der Zeit zugewachsen. Das gilt auch für die Plagenerzählung, deren literarische Keimzelle die Erzählung von der Tötung der Erstgeburt bildet. Der knappe Grundbestand dieser Erzählung (Ex 12,29a.30aβ.b.33*) hatte ursprünglich nichts mit dem Passa zu tun, sondern schilderte im unmittelbaren Anschluss an Moses ersten Auftritt am ägyptischen Hof (Ex 5,1f*), wie JHWH auf den Hochmut des Pharao reagiert: Hatte dieser in Ex 5,2 erklärt, JHWH nicht zu kennen, so wird er in Ex 12,29a Zeuge einer drastischen Machtdemonstration: Die Tötung aller menschlichen Erstgeburt der Ägypter – die Ausweitung auf das Vieh in Ex 12,29b ist sekundär – stellt dabei keine beliebige Strafaktion dar, sondern reagiert gezielt auf den Befehl des Pharao, alle männlichen Neugeborenen der Israeliten in den Nil zu werfen (Ex 1,22). Die Entwicklung des Plagenzyklus ist damit von Anfang maßgeblich durch die exegetische Entfaltung der im älteren Bestand der Exoduserzählung vorgegebenen Themen und Motive bestimmt.

Die zweite, ebenfalls noch vorpriesterschriftlich anzusetzende Entwicklungsstufe der Plagenerzählung, wird mit der Ergänzung einer Plagentrias in Ex 7f.* greifbar, die als Vorspann der Tötung der Erstgeburt zwischen Ex 5,2 und Ex 12,29a eingeschrieben wurde. Es handelt sich um den Grundbestand der Nilpest (Ex 7,14.15a.16f.*18.20*.21aα.23; noch ohne das Motiv der Verwandlung der Wasser in Blut), der Froschplage (Ex 7,26-28a; Ex 8,2b.9b.10.11aαβ) und der Ungezieferplage (Ex 8,16aαb.17*.20*.28). Die drei Plagen schildern, wie JHWH durch die Verpestung des Nils (Fischkadaver) und des Landes (Froschkadaver) den Rückzugsraum des Pharao und der Ägypter zunächst auf die Häuser beschränkt; das Vordringen des Ungeziefers in die Häuser macht auch diese Zufluchtsorte unbrauchbar und antizipiert zugleich, dass in Ex 12,29a.30aβb kein Haus von der Tötung der Erstgeburt verschont bleibt. Die älteste Plagentrias ist freilich mehr als ein geschickt komponierter Vorspann zu den in Ex 12,29-33* beschriebenen Ereignissen. Sie setzt auch theologisch neue Akzente, insofern in Ex 7,16*.26; Ex 8,16* erstmals spezifiziert wird, dass der Auszug der Israeliten mit dem Ziel erfolgt, dass diese JHWH dienen (עבד ‘bd). Dabei scheint zunächst ganz konkret an den Dienst am Gottesberg (Ex 24,4-8; vgl. Ex 3,12aβb) gedacht zu sein. Zu einem Vorwand, um den Pharao über die wahren Beweggründe der Israeliten zu täuschen, sollte sich das Motiv erst später entwickeln.

3.2.2. Die priesterschriftliche Bearbeitung

Die priesterschriftliche Bearbeitung hat die Plagenerzählung in zweierlei Hinsicht weiterentwickelt. Dies geschah einmal durch die Vorschaltung der Passa-Ordnung in Ex 12,1-13*.28 vor die Erzählung von der Tötung der Erstgeburt (Ex 12,29-33*), durch die sich der Ereigniszusammenhang zu einer → Ätiologie des Passafestes (→ Passa) entwickelte. Der zweite wesentliche Beitrag besteht in der Umgestaltung der in Ex 7,14-8,28* vorgefundenen Plagentrias zu einem Wunderwettstreit zwischen den Repräsentanten JHWHs und den ägyptischen Zauberern. Durch die Erweiterung der Nilpest und Froschplage (zur Bestimmung der priesterschriftlichen Anteile s.o., 3.1.) und die Ergänzung des Stabwunders (Ex 7,8-13), der Mücken-„Plage“ (Ex 8,12-15) und der Beulenpest (Ex 9,8-12) entstand eine Sequenz von insgesamt fünf Schauwundern, deren letztes bereits deutliche Züge einer Plage aufweist: Die ägyptischen Zauberer sind nach Ex 9,11 selbst so stark von Geschwüren befallen, dass sie nicht mehr anzutreten vermögen. Dass der Pharao selbst in Anbetracht dieser dramatischen Niederlage nicht bereit ist, einzulenken und den Auszug zu gestatten, wird in Ex 9,12 damit erklärt, dass JHWH selbst sein Herz verstockt hält. Dasselbe Motiv begegnet auch in der priesterschriftlichen Fassung des Meerwunderberichts (Ex 14,4.8.17) und verdeutlicht einen zentralen Grundzug der priesterschriftlichen Darstellung der Exodusereignisse: Diese sind souveräne Inszenierung JHWHs, die bei Israeliten wie Ägyptern die wahre Gotteserkenntnis hervorrufen soll (Ex 6,7; Ex 7,5; Ex 14,4.18).

3.2.3. Grundzüge der nachpriesterschriftlichen Entwicklungsphase

Mehr als die Hälfte des heute vorliegenden Textes der Plagenerzählung verdankt sich nachpriesterschriftlichen Ergänzungen. Hierzu zählen (neben manchen Erweiterungen der priesterschriftlich überformten Plagensequenz in Ex 7,8-8,28*) sowohl die Viehpest (Ex 9,1-7) als auch das gesamte dritte Plagentriplet aus Hagel-, Heuschrecken- und Finsternisplage (Ex 9,13-11,10). Den ältesten nachpriesterschriftlichen Beitrag zur Plagenerzählung bildet die Hagelplage. In ihrem Grundbestand (Ex 9,13.17-19.22-25a*.35a) ist sie ein jüngeres Seitenstück zur Nilpest, das die dort angelegte Wassermetaphorik aufnimmt und in die Form eines einmaligen, sintflutartigen Hagelschlages überführt, von dem Mensch und Vieh unter freiem Himmel betroffen sind. Erst ein späterer Bearbeiter gestaltete die Plage zu einem andauernden Hagelgewitter um, unter dessen Eindruck der Pharao Mose darum ersucht, er möge Fürbitte bei JHWH leisten und damit ein Ende der Plage bewirken (Ex 9,23*.27-29*.33*). Beide Aspekte, das Andauern der Plage und die sich hieraus ergebende Notwendigkeit der Fürbitte, sind erstmals in dieser Bearbeitung der Hagelplage belegt und sollten erst durch spätere Bearbeiter Eingang in den vorangehenden, älteren Teil der Plagenerzählung finden (Ex 8,4-9a.21-27).

Die Hagelplage in ihrer um das Fürbittenmotiv erweiterten Gestalt bildete die Vorlage für den Verfasser der Heuschreckenplage (Ex 10,1-6*.12-20*), die im invasionsartigen Einfall der Heuschrecken zudem einige motivische Einflüsse der Froschplage erkennen lässt. Wie bei der Hagelplage ersucht der Pharao auch unter dem Eindruck der Heuschreckenplage Mose um Fürbitte, wobei nun als wesentliche Neuerung hinzutritt, dass er zuvor seine Sünde bekennt (Ex 10,16). Ein entsprechendes Sündenbekenntnis wurde vom selben Bearbeiter auch in die Hagelplage integriert (Ex 9,27*.34*), womit sich die Sequenz der beiden Plagen zu einer Bekenntnisgeschichte des Pharao entwickelte.

Die Heuschreckenplage erfuhr eine letzte substantielle Erweiterung durch die Ergänzung der Auszugsverhandlungen in Ex 10,7-12. Die ursprüngliche Begründung des Auszugs, man wolle JHWH dienen (עבד ‘bd), wird nun im Licht der Festordnungen in Ex 12f. dahingehend spezifiziert, dass es konkret um ein Wallfahrtsfest (חג ḥag) geht (→ Fest [AT]). Folglich verhandelt Mose mit dem Pharao über die Größe der israelitischen Festgemeinde, die sich zu diesem Fest aufmachen darf. Die Verhandlungen verteilen sich insgesamt auf drei Szenen: Sie beginnen vor der Heuschreckenplage (Ex 10,7-12), setzen sich während der Finsternisplage fort (Ex 10,21a.22.24-29) und kommen schließlich nach der Tötung der Erstgeburt zum Durchbruch (Ex 12,31f.), wo der Pharao Moses Maximalforderung nachkommt und den Aufbruch des gesamten Volkes gestattet. Alle genannten Passagen sind Teil derselben nachpriesterschriftlichen Bearbeitung, der auch die Finsternisplage ihre Existenz verdankt: Sie ist von Anfang an nichts anderes als der szenische Rahmen für die Fortsetzung der in Ex 10,7-12 begonnenen Auszugsverhandlungen.

Die Auszugsverhandlungen am Ende der Plagenerzählung sollten nachträglich ein Gegenstück in deren Anfangsteil erhalten. Die erstmals in Ex 3,18 belegte (und in Ex 5,3f*; Ex 8,4b; Ex 8,21b-24a.25b von derselben Hand aufgegriffene) Forderung, man wolle drei Tagesreisen weit in die Wüste ziehen, um JHWH zu opfern (זבח), nimmt das Festmotiv aus Ex 10,9 auf, löst es von seinem Zielpunkt in Ex 24 ab und gestaltet es zu einem reinen Vorwand um, der den Pharao täuschen soll. Der Vorwand des dreitägigen Zuges in die Wüste ist vor dem Hintergrund der ersten Wegetappe der Israeliten nach dem → Meerwunder konstruiert, dem dreitägigen Marsch in die Wüste Schur (Ex 15,22b). Das Motiv des Opferfestes, das oft als überlieferungsgeschichtliches Relikt gehandelt wird (vgl. etwa W.H. Schmidt), ist damit keineswegs besonders alt, sondern das Ergebnis einer späten, schriftgelehrten Bildung.

Zu den jüngsten nachpriesterschriftlichen Entwicklungen innerhalb der Plagenerzählung zählt auch der Gedanke, dass JHWH die Israeliten vor den Folgen der Plagen verschont. Was in den älteren Textschichten einfach als gegeben vorausgesetzt war, wird in Ex 8,18; Ex 9,26 erstmals expliziert: JHWH verschont das Siedlungsgebiet der Israeliten und liefert so einen weiteren Beleg für seine Macht „inmitten des Landes“ (vgl. Ex 3,20). Aus dem Verschonungsmotiv entwickelt sich daraufhin in Ex 8,19a; Ex 10,23b; Ex 11,7 der Gedanke, dass JHWH unabhängig vom Siedlungsgebiet einen Unterschied zwischen Ägyptern und Israeliten macht (פלה plh Hif.). Eben dieses Unterscheidungsmotiv wurde in einem letzten Schritt in Gestalt der Viehpest (Ex 9,1-7) erzählerisch ausgeführt. Es handelt sich um die jüngste Plage überhaupt (was auch erklärt, warum in den älteren Passagen Ex 9,10.25; Ex 12,12 erneut Vieh zu Schaden kommen kann), die von vornherein als Beispieltext konzipiert wurde, der zeigen soll, dass JHWH sogar mit Blick auf das Vieh einen Unterschied zwischen Israeliten und Ägyptern macht. Die Viehpest bietet damit ein weiteres Beispiel für den dynamischen Prozess schriftgelehrter Fortschreibung, der die Genese der Plagenerzählung in allen Phasen bestimmte.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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2. Kommentare

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  • Jacob., B., 1997, Das Buch Exodus, Stuttgart
  • Noth, M., 1958, Das zweite Buch Mose (ATD 5), Göttingen
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3. Weitere Literatur

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  • Greenberg, M., 1969, Understanding Exodus, New York
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  • Kohata, F., 1986, Jahwist und Priesterschrift in Exodus 3-14 (BZAW 166), Berlin / New York
  • Lemmelijn, B., 2009, A Plague of Texts? (OTS 56), Leiden
  • Levin, C., 1993, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen
  • Schmidt, L., 1990, Beobachtungen zu der Plagenerzählung in Exodus VII 14-XI 10 (StB 4), Leiden
  • Steingrimsson, S.Ö., 1979, Vom Zeichen zur Geschichte (CB.OT 14), Lund

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