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(erstellt: Februar 2009)

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In 2Kön 17,4 wird erwähnt, dass → Hosea, der letzte König von Israel, Boten gesandt hatte zu So (סוֹא sô’), dem König von Ägypten. Es handelt sich zweifellos um ein Hilfeersuchen, denn zugleich lässt Hosea seinem → assyrischen Oberherrn, → Salmanassar V., keine Abgaben mehr zukommen und wird von ihm schließlich wegen dieses Verschwörungsversuchs gefangen gesetzt.

Das Hilfeersuchen an Ägypten muss um 725 (724-726) zu datieren sein, denn Salmanassar V. (727-722) belagert dann → Samaria, das nach 3jähriger Belagerung 722 eingenommen wird.

Es gibt zahlreiche Vorschläge, wer oder was mit diesem „So“ gemeint sein könnte. Ein älterer Vorschlag, es könne ein ägyptischer Heerführer namens Sib’e gemeint sein, beruhte auf einer falschen Lesung (Borger 1960). Es handelt sich auch gewiss nicht um eine Wiedergabe des ägyptischen Wortes für Wezir, ṯ3tj (Yeivin 1954), um den Horusnamen Sj3-jb des Königs Tefnachte (Sayed 1970, 116-118), um einen der Namen des nubischen Königs → Pianchi (Shea 1992; Green 1993) oder um das ägyptische Wort für König (nswt, Krauss 1978, s. dazu Fecht 1981). All diese Vorschläge sind auf mehr oder weniger ungeteilte Ablehnung gestoßen. Nur zwei Möglichkeiten sind wiederholt debattiert worden:

1. So = Sais, eine ägyptische Stadt im westlichen Nildelta und Heimat der 24. (und später der 26.) Dynastie, zuerst von Goedicke (und Albright) 1963 vorgeschlagen (→ Sais). Man müsste dann allerdings den Text emendieren und „nach So, <zum> König von Ägypten“ lesen. Die Gleichsetzung mit Sais wäre nicht nur lautlich, sondern auch historisch die am besten passende Lösung, wie vor allem Yoyotte (1971) gezeigt hat. Zeitlich wäre man am Ende der Regierung des Tefnacht oder zu Beginn der des → Bokchoris, und der Machtbereich beider erstreckte sich wohl auch auf das östliche Delta, denn dorther stammen sehr wahrscheinlich Schenkungsstelen des Tefnachte wie des Bokchoris, der zudem auch in Tanis selbst bezeugt ist (Jansen-Winkeln 2007, 372 [1]; 375 [2]; 381 [25]), und nach Diodor (I, 45,2) unternahm Tefnachte sogar eine Expedition nach „Arabien“ (das Gebiet nordöstlich von Ägypten). Zweifellos waren diese beiden Könige der 24. Dynastie vor dem Vorstoß des Nubiers → Schabaqo nach Norden die mächtigsten Herrscher in ganz Unterägypten. Diese politische Entwicklung in unmittelbarer Nachbarschaft war sicher auch dem König von Israel bekannt. Das große Problem bei diesem Vorschlag ist allerdings, dass er eine Emendation des Textes erfordert (und auch die wäre nicht sehr befriedigend, s. Schipper 1998, 75 mit n.16).

2. So = Osorkon IV. Dieser Vorschlag von Kitchen (1972, § 333-334) hat in jüngster Zeit wohl die meisten Anhänger gefunden. Der Nachteil dabei ist, dass eine solch radikale Verkürzung des Namens Osorkon (ägyptisch Wsrkn) auf nur eine Silbe eine ad-hoc-Annahme wäre. Der Name Osorkon ist in ägyptischen Texten dieser Zeit sowohl für Könige als auch für Privatpersonen recht häufig und wird niemals abgekürzt. Und auch im Alten Testament werden sonst keine Kurzformen für die Namen ägyptischer Könige verwendet (gegen Kitchen 1996, XXXVIII). Osorkon IV. war zudem ein unbedeutender Lokalherrscher im östlichen Nildelta, dessen militärische Möglichkeiten sicher sehr begrenzt waren. Ob er gegen die Assyrer wirksam hätte helfen können, ist zweifelhaft.

3. Schließlich gibt es auch noch die Möglichkeit, dass es sich bei So um einen bislang aus ägyptischen Quellen unbekannten Herrscher handelt, und dies ist keinesfalls auszuschließen oder besonders unwahrscheinlich. Die sogenannte Dritte Zwischenzeit Ägyptens hat eine Fülle von (teilweise parallel regierenden) Königen und Fürsten hervorgebracht, und bis in jüngste Zeit sind immer wieder neue, bisher nicht bezeugte, entdeckt worden. Die Boten des Hosea müssen einige Jahre nach dem großen Feldzug des nubischen Königs Pianchi ausgesandt worden sein. Ein einigermaßen vollständiges Bild der politischen Landschaft Unterägyptens und ihrer Herrscher kennen wir aber nur aus der Siegesstele des Pianchi. Für die unmittelbar folgende Zeit gibt es nur überaus spärliche Quellen, gerade auch aus Unterägypten. Es wäre durchaus möglich, dass ein König, der zu dieser Zeit noch nicht im Amt war, nur im Alten Testament und nicht aus ägyptischen Quellen belegt ist.

Eine sichere Antwort, wer oder was So war, lässt sich vorläufig nicht geben.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992

2. Weitere Literatur

  • Borger, R., 1960, Das Ende des ägyptischen Feldherrn Sib’e = סוא, Journal of Near Eastern Studies 19, 49-53
  • Day, J., 1992, The Problem of „So, King of Egypt“ in 2 Kings XVII 4, Vetus Testamentum 42, 289-301
  • Goedicke, H., 1963, The End of „So, King of Egypt“, Bulletin of the American Schools of Oriental Research 171, 64-66
  • Fecht, G., 1981, (Beitrag), Göttinger Miszellen 42, 53
  • Görg, M., 1997, Die Beziehungen zwischen dem alten Israel und Ägypten, Darmstadt, 93-95
  • Green, A.R.W., 1993, The Identity of King So of Egypt – An Alternative Interpretation, Journal of Near Eastern Studies 52, 99-108
  • Jansen-Winkeln, K., 2007, Inschriften der Spätzeit, Teil II: Die 22.-24. Dynastie, Wiesbaden
  • Kitchen, K.A., 1972 / 1996, The Third Intermediate Period in Egypt (1100-650), Warminster, 1. Auflage 1972, 3. Auflage 1996
  • Krauss, R., 1978, Sō’, König von Ägypten – ein Deutungsvorschlag, Mitteilungen der Deutschen Orientgesellschaft 110, 49-54
  • Sayed, 1970, Tefnakht ou Horus Si3-(JB), Vetus Testamentum 20, 116-118
  • Schipper, B.-U., 1998, Wer war „Sō’, König von Ägypten“ (2Kön 17,4)?, Biblische Notizen 92, 71-84
  • Shea, W.H., 1992, „So“, Ruler of Egypt, Andrews University Seminary Studies 30, 201-215
  • Yeivin, 1954, Who was Śo’ the King of Egypt, Vetus Testamentum 2, 164-168
  • Yoyotte, J., 1971, Notes et documents pour servir à l’histoire de Tanis, Kêmi 21, 35-45

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