Nacktheit (AT)
(erstellt: April 2011)
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→ Haut
1. Nacktheit als Umschreibung der Grundbefindlichkeit des Menschen
Die hebräischen Lexeme ערום ‘ārôm und עירם ‘êrom „nackt“ bzw. עירם ‘êrom und עריה ‘ærjāh „Nacktheit“ haben erstaunlicherweise keine sexuelle Konnotation (→ Sexualität
1.1. Die Paradieserzählung
Eben dies ändert sich mit der Intervention der → Schlange
1.2. Das Buch Hiob
Die Nacktheit als Grundbefindlichkeit des geschaffenen Menschen thematisiert neben der Urgeschichte auch die → Weisheit Israels
„Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter und nackt kehre ich dorthin zurück. Jahwe hat gegeben und Jahwe hat genommen. Der Name Jahwes sei gesegnet! Bei all dem sündigte Hiob nicht und legte Gott nichts Anstößiges zur Last“ (Hi 1,21-22
Wenn Hiob mit der Inbezugsetzung von Mutterschoß und Erdenschoß (mythische Vorstellung der Mutter Erde) den Eingang und Ausgang des Menschenlebens unter dem Gesichtspunkt der Nacktheit in den Blick nimmt, dann entspricht seine Aussage dem biblischen Menschenbild, wie es Gen 3
1.3. Das Buch Prediger
Von der Nacktheit des Menschen am Lebensbeginn und Lebensende spricht auch Pred 5,12-14
„Unheil gibt es, einer Krankheit gleich, ich sah es unter der Sonne: Reichtum, der aufbewahrt wird für seinen Besitzer zu seinem eigenen Unheil. Geht nämlich dieser Reichtum verloren durch ein unheilvolles Geschäft, dann mag er noch einen Sohn gezeugt haben, in seiner Hand bleibt jedoch nichts mehr. Wie er hervorkam aus dem Leib seiner Mutter, nackt, wird er wieder dahingehen, woher er kam, und nichts trägt er fort von seinem Mühen um Besitz, (nichts), das in seine (verfügende) Hand überginge. Eben darin besteht das Unheil, das einer Krankheit gleicht: Genauso wie einer kam, geht er wieder dahin. Was also ist der Gewinn für ihn, dass er sich abmüht um Wind?“
Hierbei geht es dem Verfasser nicht um die allgemeine Erkenntnis, dass Reichtum an sich noch keine Garantie für Glück ist oder angesichts der Gefährdungen im Leben und in Anbetracht des Todes etwas Vergängliches darstellt. Nicht der Reichtum als solcher steht zur Debatte, sondern der Mensch, der sich auf diesen Reichtum verlässt und der seine Existenz und ihre Sicherung als ein Produkt des Geldes versteht. Sein vermeintlicher Erfolg wird nicht darüber hinwegtäuschen können, dass ein Ende seiner Welt bereits verfügt ist (Pred 5,12
Auf diesem Hintergrund wird verständlich, dass die geschöpfliche Nacktheit des Menschen durch Gottes Heilshandeln einerseits überwunden und durch Gottes Gericht andererseits zur Beschämung des Sünders offen gelegt wird.
2. Nacktheit des Menschen und Gottes Handeln in Heil und Gericht
In der Urgeschichte ist die Aussage verankert, dass der Schöpfergott dem erbsündlich geschädigten Menschen „Röcke für die Blöße“ macht (Gen 3,21
Analog dazu vollzieht sich Jahwes Handeln an Israel, das aus geringsten Anfängen erwählt wurde (Dtn 7,7
In vergleichbarer Weise wird Jahwe nach Hos 2,5
Angesichts der Schöpfer- und Richtermacht Gottes erzittern aber nicht nur die Wesen der himmlischen und irdischen Welt, sondern auch die Bewohner der Unterwelt, wobei Letztere vor Jahwe nackt und somit, aller Geltungsansprüche vor Gott beraubt, ohnmächtig und hinfällig sich präsentiert (Hi 26,6
3. Nacktheit des Menschen und das Verhalten Israels
Dass sich am Verhalten dem Armen gegenüber Gerechtigkeit und Gottlosigkeit des Menschen erweisen, schärft das prophetisch vermittelte Gotteswort zur Lage der Exulanten in Ez 18
Auf diese Beschreibung des Gerechten nimmt auch die prophetische Umkehrpredigt Jes 58
Dass der Frevler keine Solidarität mit dem Bedürftigen praktiziert und daher den Nackten auch nicht bekleidet, thematisiert das Buch Hiob an zwei Stellen. In seiner dritten Rede bringt → Elifas
4. Nacktheit und Ekstase
Nacktheit als Phänomen der → Ekstase
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Adam und Eva (Michelangelo, Sixtinische Kapelle; 1511).
- Adam und Eva erkennen ihre Nacktheit (Hans Thoma, 1897).
- Hiob (Léon Bonnat; 1833-1922).
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