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Semantik, biblische

(erstellt: November 2006)

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1. Einleitung

„Im engeren Sinn ist Semantik Wortbedeutungslehre: Sie untersucht und beschreibt das Lexem, seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, seine Stellung im Sprachsystem, seine Bedeutung, deren Komponenten und etwaigen Bedeutungswandel; kurz, sie versucht das Profil des Wortes zu erfassen“ (Kedar, Biblische Semantik 26). In einem weiteren Sinn geht es bei der Semantik um die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken generell, also nicht nur von Wörtern, sondern auch von größeren syntagmatischen Verbindungen. Dabei ist grundsätzlich zwischen „wörtlichen“ und „übertragenen“ Verwendungsweisen von Ausdrücken zu unterscheiden (→ Bildworte / Bildreden).

Über das Wesen von „Bedeutung“ haben sich im Laufe der Geschichte nicht nur Sprachwissenschaftler, sondern auch Philosophen und in neuerer Zeit Kommunikationstheoretiker, Psychologen, Neurologen und Vertreter anderer Disziplinen Gedanken gemacht. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich weitgehend auf den sprachwissenschaftlichen Bereich.

2. Die Bedeutung von „Bedeutung“

Die „Bedeutung“ eines Lexems (der abstrakten Basiseinheit des Lexikons, zu unterscheiden von „Wort“ als der flektierten Form in einem konkreten Äußerungskontext, die von einem Lexem abgeleitet ist) lässt sich verstehen als das vermittelnde Konzept im Kopf eines Sprechers oder Schreibers, das die Beziehung zwischen einem signum (Lexem) und seinem significatum (Bezeichnetes) herstellt (Lyons, Semantik I/109.123.126; ähnlich Cruse, Meaning 127ff.). Diese Konzepte lassen sich näher beschreiben als „sets of features defined by contrasts … within the same domain of kinship“ (Scanlin, The Study of Semantics 127). Spezifische Aspekte von Bedeutung sind Referenz und Denotation.

Referenz ist äußerungsabhängig. Der referierende Ausdruck (bzw. der Sprecher) referiert auf den Referenten und ermöglicht es damit dem Hörer bzw. Leser, den Referenten herauszugreifen („Identifizierung“ oder „Bezugnehmen“). Dabei ist grundsätzlich zwischen korrekter und erfolgreicher Referenz zu unterscheiden (Lyons, Semantik II/217. Von „fiktiver Referenz“ ist dort zu sprechen, wo auf irreale Dinge, deren Existenz für eine bestimmte Phase des Kommunikationsprozesses angenommen wird, Bezug genommen wird).

Im Unterschied zur Referenz betrifft die Denotation primär Lexeme; sie ist nicht äußerungsabhängig. Es geht bei der Denotation um die „abstrakte lexikalsemantische Beziehung zwischen Wort und Wirklichkeit“ (von Polenz, Deutsche Satzsemantik 118). Das Verhältnis von Referenz und Denotation lässt sich folgendermaßen umschreiben: „The meaning of a word consists of a set or bundle of distinctive features that makes possible reference“ (Scanlin, The Study of Semantics 128).

Die Denotation eines Lexems umfasst sowohl seine Extension (die Menge der Dinge bzw. die Klasse, die durch das betreffende Lexem bezeichnet wird) als auch seine Intension (die Menge von essentiellen Eigenschaften, die für die mit dem Lexem bezeichnete Klasse typisch ist). Dabei gilt, dass es nicht bloß einen einzigen korrekten Weg der Spezifizierung der Denotation eines Lexems gibt – ja im Falle der sog. fuzzy concepts gar nicht geben kann (zum Phänomen der fuzzy concepts wie etwa „reich“, „schön“, „stark“ siehe O’Grady u.a., Contemporary Linguistics 217f.); als hervortretende Merkmale können sowohl physikalische Eigenschaften wie auch Funktion u.a. in Betracht gezogen werden.

Neben der denotativen Bedeutung haben Lexeme auch konnotative Bedeutung. Zu dieser zählen emotionale Assoziationen, aber auch solche nicht-emotionaler Art. Eine ähnliche Unterscheidung wird auch durch die Gegenüberstellung von deskriptiver bzw. kognitiver Bedeutung eines Lexems und seiner affektiven Bedeutung vorgenommen; als weitere Aspekte von Bedeutung sind auch die soziale und die expressive Bedeutung zu nennen. Schließlich lässt sich in Entsprechung zur poetischen Funktion von Äußerungen, bei der die Aufmerksamkeit auf die Form selber gelenkt wird, auch von einer besonderen poetischen Bedeutung eines Lexems oder einer Äußerung sprechen.

3. Wortfeld

Gemäß der klassischen, auf J. Trier zurückgehenden Wortfeldtheorie existiert ein Wort im Bewusstsein der Sprecher und Hörer nicht isoliert, sondern stets im Zusammenhang mit begriffsverwandten Wörtern, mit denen zusammen es eine strukturierte Menge sich gegenseitig beeinflussender Elemente bildet (Bussmann, Lexikon der Sprachwissenschaft 855). Die Bedeutung eines einzelnen Wortes wird als abhängig von der Bedeutung der übrigen Wörter des gleichen Wort- bzw. Begriffsfelds verstanden.

Der Terminus „Wortfeld“ wird in der linguistischen Fachliteratur nicht einheitlich verwendet. Brauchbar ist folgende Definition: „… a semantic field (= lexical field) consists of a group of words which cover a conceptual field … , and … their relations to one another can be described in terms of sense relations“ (Groom, Linguistic Analysis 109).

Hinter dem Konzept des Wortfelds steht die Einsicht, dass das Lexikon einer Sprache nicht einfach willkürlich, sondern zu einem gewissen Grade strukturiert ist, wobei zwischen linguistischen und psycholinguistischen Strukturen zu unterscheiden ist. Linguistische Strukturen im Lexikon können phonologische, grammatische oder semantische Grundlagen haben. Bei den semantisch bedingten Strukturen ist an paradigmatische Sinnbeziehungen von unterschiedlichen Formen der Hierarchie zu denken (taxonomische und meronomische), aber auch an „chains“, „grids“ und „clusters“ usw. (Cruse, Meaning 180-195). Beispiel für eine taxonomische Hierarchie: „Besteck → Löffel → Teelöffel; Besteck → Gabel → Fischgabel“ usw.; Beispiel für eine meronomische Hierarchie: „Hand → Handballen; Hand → Finger → Fingerkuppe“ usw.

4. Paradigmatische Relationen (Selektion)

Bei der paradigmatischen Ebene geht es darum, dass die Bedeutung eines Lexems erschlossen wird „in terms of the difference that it makes to choose this word rather than some other word, in a related field, that might have been in the same place“ (Barr, Hebrew Lexicography 144). Die paradigmatischen Relationen lassen sich – in einem vergröbernden Raster – folgendermaßen aufgliedern:

a) Etymologie: Die Etymologie spielt insofern eine Rolle bei der Bedeutungsbestimmung eines Lexems, als sie eine Art von „latentem Bedeutungsfaktor“ (Kedar, Biblische Semantik 88) darstellt, der hie und da zur genaueren Bestimmung einer Bedeutungsnuance oder zur präziseren Erfassung eines Terminus helfen kann. Die Etymologie zeigt primär die Vorgeschichte eines Wortes, ist aber „kein unfehlbarer Leitfaden zur gegenwärtigen Wortbedeutung“ (Barr, Bibelexegese und moderne Semantik 111; ähnlich Nida, Analysis of Meaning 280). Nicht selten steht die für ein Wort aufgrund seiner Etymologie angenommene Bedeutung zu seiner tatsächlichen Verwendung gerade im Widerspruch. Das „Originale“ muss eben nicht das „Wesenseigene“ eines Wortes sein, das sich im späteren Gebrauch des Wortes und in allen Variationen und Nuancierungen der faktischen, syntaktischen Zusammenhänge weiter erhält (Barr, Bibelexegese und moderne Semantik 119).

b) Komparative Philologie: Hier geht es um die Beziehung von Kognaten in verwandten Sprachen zur Bedeutungsbestimmung eines Wortes der Bibel. Besonders wichtig ist dieses Verfahren bei der Bedeutungsbestimmung von Wörtern der hebräischen Bibel.

Bei der In-Bezug-Setzung von verwandten sprachlichen Erscheinungen ist allerdings von vorschnellen Rückschlüssen Abstand zu nehmen. Wenn etwa ein hebräisches Wort mit einem Wort aus einer anderen semitischen Sprache formal identisch ist oder von einem Wort aus einer anderen semitischen Sprache phonologisch abgleitet werden kann, heißt das noch nicht, dass auch eine semantische Identität vorliegen muss. In den Fällen, in denen nur die Wurzel übereinstimmt, nicht aber die Formation bzw. der Bildungstypus, muss noch keine Ableitung vorliegen. Schließlich muss auch da, wo ein positiver Bezug zwischen einem hebräischen und einem verwandten Lexem aus einer anderen semitischen Sprache aufgezeigt werden kann, die Einschränkung gemacht werden, dass bei einer Übereinstimmung mit nur einer anderen Sprache die Beweiskraft kaum als stark genug eingestuft werden kann, um dem betreffenden hebräischen Lexem eine andere Bedeutung als sonst üblich zuzuschreiben.

c) Lautgestalt: Der Klanggestalt eines Wortes haftet ein Bedeutungsaspekt an. Dieser kann aber nur in den relativ seltenen Fällen der Onomatopoesie mehr oder weniger deutlich mit Merkmalen des außersprachlichen Referenten des Lexems in Beziehung gebracht werden. Auch der Bildungstypus kann in manchen Fällen bereits Informationen über die semantischen Eigenschaften eines Lexems enthalten.

Grundsätzlich gilt, dass häufig bestimmte phonologische bzw. morphologische Elemente mit bestimmten grammatikalischen Funktionen verbunden sind und darum auch unmittelbare semantische Relevanz haben (Lyons, Semantik I/89). Z.B. wäre hier an grammatisch bedingte Prä- oder Suffixe zu denken, die zur Markierung eines Zeit- und Handlungsaspekts dienen. Damit ist der Schritt von der lexikalischen in die grammatische Semantik vollzogen. Das gilt auch für die beiden folgenden Lemmata.

d) Wortart: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit eines Lexems zu einer bestimmten Wortart und der Bedeutung des Lexems.

e) Genus, Numerus: Auch diese Kategorien sind mit bestimmten semantischen Funktionen verknüpft. Bei Verben kommen noch die Kategorien Tempus und Modus hinzu.

f) Inhalt (v.a.: Synonymie / Antonymie – vertikale Relation; Supernymie / Hyponymie – horizontale Relation): Die Bedeutung eines Lexems ist wesentlich durch seine Abgrenzung zu benachbarten Lexemen im gleichen Wortfeld bestimmt. Dabei geht es insbesondere um die Beziehung zu benachbarten (Synonymie; Supernymie und Hyponymie) und zu opponierenden Lexemen derselben Wortklasse (Antonymie).

Bei der Synonymie geht es um eine semantische Beziehung, bei der die Ähnlichkeiten die Unterschiede in einem so hohen Ausmaß überwiegen, dass die Unterschiede als vernachlässigbar angesehen werden. Vollständige („absolute“) Synonymie im Sinne der vollständigen semantischen Übereinstimmung zweier Glieder kann es nie geben; denn selbst da, wo eine weitgehende inhaltliche Kongruenz vorliegt, treten doch Differenzen – z.B. in der Konnotation der betreffenden Lexeme – auf. Wenn bei der Ersetzung eines Lexems durch ein anderes nur die soziale oder expressive Bedeutung einer Äußerung verändert wird, nicht aber die deskriptive, sind die Lexeme deskriptiv synonym.

Bei der semantischen Analyse bedeutungsverwandter Lexeme mit weitreichender Überschneidung der Bedeutungsaspekte wird zwischen primären und sekundären (und tertiären) Termini unterschieden. Die primären Termini sind die prototypischsten Lexeme, die ein bestimmtes Konzept ausdrücken. Sie sind monolexemisch, morphologisch einfach konstruiert und durch eine weite Applikation (viele Kombinationsmöglichkeiten, breite Distribution) ausgezeichnet (Groom, Linguistic Analysis 121). Bei Gruppen mit einer klaren Unterscheidung zwischen Kerntermini und peripheren Synonyma zeichnen sich Erstere durch expressive Neutralität und stilistische Unmarkiertheit aus (Cruse, Meaning 193).

Von Antynomen ist dort zu sprechen, wo zwischen zwei Lexemen oder Ausdrücken mindestens jeweils ein Bedeutungsaspekt einen Kontrast bildet. So bildet etwa bei den Antonymen „Mann“ und „Frau“ nur der Bedeutungsaspekt „Geschlecht“ einen Gegensatz, wogegen die Spezieszugehörigkeit übereinstimmt.

Zur Hyponymie ist anzumerken, dass ein Hyponym in vielen Fällen die Bedeutung eines adjektivischen (bzw. adverbialen) Modifikators verkapselt und sie mit der Bedeutung des superordinierten Lexems kombiniert (Lyons, Semantik I/304). Das Hyponym ist in seiner Intension semantisch reicher als das Supernym, es schließt dessen Bedeutung in sich ein; umgekehrt schließt ein Supernym in seiner Extension die durch das Hyponym denotierte Klasse in sich als eine Unterklasse ein (Cruse, Meaning 150f.).

Von der Hyponymie als weitere Einschluss-Beziehung kann die Meronymie unterschieden werden, die Teil-Ganzes-Beziehungen von der Art „Hand – Finger“ ausdrückt, mit „Hand“ als dem Holonym und „Finger“ als dem Meronym (Cruse, Meaning 153-156; Lyons, Semantik I/324). Die beiden Arten von Beziehungen sind oftmals nicht klar auseinanderzuhalten.

5. Syntagmatische Relationen (Kombination)

Bei den syntagmatischen Relationen von Lexemen geht es um die Verbindungen, die diese Lexeme auf der Ebene des Satzes (oder anderer syntaktischer Größen) mit anderen Satzgliedern eingehen. Durch diese Verbindungen tritt eine gegenseitige Einschränkung bzw. Präzisierung der Bedeutung der verschiedenen beteiligten Wörter ein. Der große Stellenwert der syntagmatischen Relationen lässt sich daran ermessen, dass für die Klassifizierung von Bedeutungen das Auftreten in gleichen syntaktischen Zusammenhängen von größter Wichtigkeit ist; zwischen der Bedeutung von Wörtern und ihrer Distribution besteht ein enger Zusammenhang (Lyons, Semantik II/13). Im Blick auf die Wechselwirkung zwischen der Bedeutung eines Lexems und seinen syntaktischen Eigenschaften stellt sich allerdings das Problem, dass syntaktische Eigenschaften und semantische Spezifizierung normalerweise nicht systematisch miteinander verbunden sind.

Abnorme Kombinationen von Wörtern können unter den Rubriken Aufeinanderprall („clash“) und Pleonasmus katalogisiert werden. „Clashes“ resultieren aus dem Verstoß gegen Kollokations- und Selektionspräferenzen und führen zu unangemessenen, paradoxen oder unsinnigen Aussagen (Cruse, Meaning 221-224).

6. Weitere Kontextbeziehungen

Neben der Einbettung in den unmittelbaren sprachlichen Kontext der Satzverbindungen (Syntax) sind auch die Bezüge zum weiteren textuellen Kontext (kontextuelle Nah- und Fernbeziehungen; einschließlich Stil u.a.), der situative und schließlich der sozio-kulturelle Kontext als bedeutungsdeterminierende Faktoren zu beachten.

Ein Element des situativen Kontextes sei besonders herausgegriffen: die Intention des Sprechers bzw. Schreibers. Es besteht zwischen dem, was jemand mit seiner Äußerung meint, und dem, was seine Äußerung bedeutet, ein innerer Zusammenhang, der aber nicht einfach als Identität zu beschreiben ist.

Umstritten ist, inwieweit die Zuordnung einer Äußerung zu einer bestimmten Gattung als bedeutungsbestimmender Faktor angesehen werden darf. Sicher ist, dass die „Provinz“ (z.B. Gottesdienst, historischer Bericht usw.), der eine Äußerung zugeordnet werden kann, nicht ohne Einfluss auf die semantische Interpretation der Äußerung und ihrer einzelnen Elemente bleiben kann. So lässt sich sagen, „dass … verschiedene Systeme der Logik angemessen seien für verschiedene Arten des Diskurses“ (Lyons, Semantik I/180). Dennoch muss stets im Auge behalten werden, dass eine strenge Zuordnung von Bedeutung und Gattung daran ihre Grenze hat, dass in manchen Fällen keine allgemeine Übereinstimmung hinsichtlich der Definition einer Gattung und der Zuweisung eines bestimmten Textes zu einer bestimmten Gattung besteht und dass Gattungen durchaus auch in Mischformen auftreten können. Hinzu kommt, dass der ursprüngliche Sitz im Leben, der einer Gattungsbestimmung zugrunde liegt, nicht der wichtigste sein muss und nicht ohne weiteres als für den vorliegenden Kontext relevant angesehen werden kann.

7. Das Verhältnis von paradigmatischen und syntagmatischen Relationen

Es ergibt sich aus dem bisher Gesagten, dass die Bedeutung eines Lexems weder allein aus seinen paradigmatischen Beziehungen noch allein aus der Menge seiner Kollokationen erhoben werden kann.

Allerdings besteht über das Verhältnis von paradigmatischen und syntagmatischen Relationen bzw. dem allgemeinen Kontext-Bezug bei der Bedeutungsbestimmung der Lexeme in der linguistischen Diskussion insofern keine Einigkeit, als umstritten ist, inwieweit die aus den paradigmatischen Relationen sich ergebenden Bedeutungsaspekte eines Lexems als eine vor jeder syntagmatischen Beziehung feststehende Größe angesehen werden können. Plausibel erscheint ein Mittelweg zwischen holistischen und lokalistischen Positionen:

Ein Wort ist einerseits Element des Wortinventars der Sprache; andererseits ist es eingebettet in spezifische sprachliche Äußerungen und in den außersprachlichen Kontext. Das bedeutet, dass bei der Bedeutungsbestimmung zum einen der Stellenwert im Lexikon, zum andern der syntagmatische Kontext mitwirken (Kedar, Biblische Semantik 44). Man kann dem Lexem eine eigene Beschaffenheit zuschreiben, die ihm noch vor seinem Eintritt in syntaktische Zusammenhänge eignet, ein an den Grenzen nicht fest umrissener Bedeutungskern. Die lexikalische Bedeutung legt nur fest, was auf jeden Fall in den Wortbereich fällt und was jedenfalls nicht; daneben besteht ein beträchtlicher Spielraum für Grenzfälle. In den „nachfolgenden“ syntagmatischen Beziehungen erhält das Lexem dann eine inhaltliche Genau- bzw. Umbestimmung (Kedar, Biblische Semantik 70.120). So ergibt sich in der aktuellen Rede eine durch den Kontext modifizierte Wortbedeutung. Dabei ist festzustellen, dass jede Äußerung eine gewisse Verlagerung der lexikalischen Bedeutung bewirkt.

Diese Feststellung muss nun aber von der Beschränkung auf den Fortgang der Bedeutungsentwicklung gelöst und auch auf den Anfang dieses Prozesses bezogen werden: Auch in ihrer erstmaligen Anwendung stellt die lexikalische Bedeutung keine absolut feste Größe dar, die a priori vor jeder syntagmatischen Verbindung gegeben ist, sondern sie ist ihrerseits schon aus einer erstmaligen Anwendung unter bestimmten Umständen hervorgegangen (Kedar, Biblische Semantik 70). Damit lässt sich die lexikalische Bedeutung im Moment ihres Auftretens in einem Text als eine Größe verstehen, die als Mittelwert der bisherigen Verwendungen zustande gekommen ist. Aufgrund dessen kommt es dann zur Anwendung in weiteren Äußerungen.

8. Bedeutungskomponenten

Die Komponentenanalyse geht davon aus, dass das Gesamtlexikon einer Sprache mit einem begrenzten Inventar universell gültiger semantischer Merkmale beschrieben werden kann, ähnlich der Erfassung des phonetischen Inventars einer Sprache (Bussmann, Lexikon der Sprachwissenschaft 399). Ob die Bedeutung eines Lexems sowie die innere Struktur des Lexikons tatsächlich als Kombination von allgemeinen Bedeutungskomponenten (semantischen Merkmalen) aufgefasst werden kann, ist in der linguistischen Diskussion aber umstritten. Tatsächlich sind u.a. folgende Probleme zu erkennen: oberflächliche Übergeneralisierungen; mangelnde Objektivität der Auffindungskriterien für die Bedeutungskomponenten; Zirkelschlüsse, „da die Zerlegung semantischer Einheiten in kleinere Bedeutungselemente die intuitive Kenntnis der semantischen Zusammenhänge voraussetzt, die (aber) zugleich Erkenntnisziel der semantischen Analyse sind“ (Bussmann, Lexikon der Sprachwissenschaft 399).

Die Theorie der Vertreter einer rigorosen Variante der Komponentenanalyse („Universalismusthese“), nach der zum einen die Bedeutungselemente als universale atomare Begriffe aufzufassen sind und zum anderen die Bedeutung aller Lexeme ohne Rest in variable Kombinationen einer festgelegten Menge von Bedeutungskomponenten zerlegbar ist, bietet viele Angriffsflächen. Gegen diese Theorie sprechen u.a. die Beobachtungen, dass über die Möglichkeit einer weiteren Untergliederung von Komponenten selten Übereinstimmung zu erlangen ist; dass sich sehr wohl Komponenten finden lassen, die nur in kulturell begrenzten Kontexten auftreten; und dass es unmöglich scheint, die Bedeutung sämtlicher Lexeme mit einer begrenzten Anzahl von Komponenten zu erfassen, die allgemeiner sein müssen als der Bedeutungskern der jeweiligen Lexeme.

Gegen eine Unterscheidung zwischen Semen (kleinste distinktive Bedeutungsmerkmale, die innerhalb eines Wortfeldes operieren) und Klassemen (ganz allgemeine Bedeutungskomponenten, die Lexemen aus verschiedenen Wortfeldern gemeinsam angehören) und gegen einen pragmatischen Gebrauch der Komponentenanalyse ist aber nichts einzuwenden, kann sie doch einen wertvollen Beitrag zur Beschreibung der Relationen zwischen Bedeutungen innerhalb eines bestimmten semantischen Feldes und damit zur Erhellung des semantischen Profils einzelner Lexeme leisten.

9. Kernbedeutung und Bedeutungswandel

Im Blick auf die Frage, wie sich die verschiedenen Bedeutungsfärbungen eines Lexems zueinander verhalten, stehen sich zwei Positionen gegenüber: Auf der einen Seite wird angenommen, dass es eine Grundbedeutung gibt, die sich in allen Einzelverwendungen eines Lexems wiederfindet und diese miteinander verbindet. Auf der anderen Seite wird – besonders in der neueren Linguistik – behauptet, dass nicht von einer Grundbedeutung ausgegangen werden kann, zu der sich die weiteren Bedeutungen eines Lexems als bloße Variationen jener „central idea“ verstehen ließen („direct / basic sense“ versus „indirect / derivative meaning“).

Man wird zugeben müssen, dass nicht alle Bedeutungen eines Lexems von einer Zentralbedeutung ableitbar sind; meistens aber lassen sich doch eine zentrale Bedeutung und davon irgendwie abgeleitete periphere (oftmals spezialisierte) Bedeutungen ausmachen (Nida, Analysis of Meaning 281). Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die z.B. von H.P. Scanlin vorgeschlagene Einführung des Terminus „general / unmarked meaning“ anstelle von „Zentral-“ oder „Grundbedeutung“. H.P. Scanlin versteht darunter diejenige Bedeutung, „that would generally be applied by a receptor in a minimum context, that is, where there is little or no help to determine the meaning“; dabei gilt: „unmarked meaning is a matter of frequency, not ‘root’ or ‘basic’ meaning“ (The Study of Semantics 132). Als vorrangig kann der eine Gebrauch eines Wortes gegenüber einem anderen dann angesehen werden, wenn der Hörer / Leser automatisch von diesem zu jenem zurückverwiesen wird, aber nicht umgekehrt; es geht dabei v.a. um eine logische und psychologische Priorität, wogegen eine chronologische Priorität zwar wahrscheinlich, aber nicht zwingend ist.

Bei Bedeutungsveränderungen lassen sich grundsätzlich zwei Tendenzen unterscheiden: Zum einen kommt es vor, dass aus einer spezifischen und konkreten Wortverwendung durch Generalisierung und Abstraktion allgemeinere Anwendungen des Wortes vorkommen (Beispiel: nhd. „Frau“ aus mhd. frouwe, „Dame von Adel“); zum anderen gibt es aber auch den umgekehrten Prozess der Spezialisierung (Beispiel: nhd. „Hochzeit“ aus mhd. hôchgezîte).

Als Ergebnis des Bedeutungswandels können nicht nur Erweiterung oder Verengung der Wortbedeutung, sondern auch ästhetische oder ethische Veränderungen in der Wertung eines Lexems (Bedeutungsverbesserung oder -verschlechterung) auftreten.

In den meisten Fällen bedeutet Bedeutungsveränderung, dass nebeneinander verschiedene Bedeutungsfärbungen eines Lexems bestehen, da der Produktion neuer Bedeutungsfärbungen nur selten ein entsprechender Abbau von alten entspricht. Möglich ist auch, dass die an einer bestimmten Stelle feststellbare Verschiebung der Bedeutung nur individueller oder okkasioneller Natur ist.

10. Ambiguität, Polysemie, Homonymie

Von Ambiguität ist generell dort zu sprechen, wo ein Signal mehr als eine Botschaft enkodiert hat. Ambiguität äußert sich – auf der Ebene der Wortsemantik – v.a. als Homonymie und Polysemie.

Homonymie liegt nur dort vor, wo Lexeme sich aus etwas entwickelt haben, was als formal distinkte Lexeme greifbar ist. Polysemie dagegen lässt sich weitgehend als Produkt metaphorischer Kreativität beschreiben (Lyons, Semantik II/184).

Polyseme Bedeutungsverwandtschaft kann durch Komponentenanalyse bestimmt werden; allerdings bleibt offen, wie viele der Komponenten gemeinsam sein müssen, damit von Polysemie gesprochen werden kann. Im Gegensatz zu den Fällen metonymischer oder metaphorischer Katachrese (z.B. „Fuß“ in der Verbindung „Fuß des Berges“) ist bei (anderen Arten) der Polysemie die Verbindung zwischen den Bedeutungen für den normalen Sprachbenutzer häufig nicht offensichtlich (Cruse, Meaning 106f.; ob metonymische und metaphorische Katachrese als Fälle von Polysemie zu klassifizieren sind oder nicht, ist umstritten). In manchen Fällen sind Polysemie und Homonymie darum nicht klar voneinander abzugrenzen, dies umso mehr, also oft keine sichere Kenntnis über die Herkunft der Wörter vorhanden ist.

Von einer einfachen Dichotomie zwischen Monosemie und Polysemie ist nicht zu sprechen, da es viele Grade von Unterscheidung gibt, die weder als eigenständige Bedeutung noch als bloß kontextuelle Modulation anzusprechen sind. Entsprechende Phänomene sind unter den Kategorien Facette, Perspektive, Untersinn und Sinnspektrum aufzulisten (Cruse, Meaning 114-120). Als Beispiel für „Facette“ wäre etwa an „Buch“ zu denken, das sowohl ein konkretes physisches Objekt mit einer bestimmten Anzahl Seiten usw. bezeichnen kann wie auch einen bestimmten Inhalt, der mit Adjektiven wie „interessant“, „langweilig“ usw. zu beschreiben ist.

In allen Fällen von Mehrdeutigkeit (wort-, satz- und textsemantische Ebene u.a.) ist die Kenntnis des Kontext-Inhalts ein wichtiger disambiguierender Faktor. Sowohl auf der Wort- wie auch auf der Satz- und Textebene können Ambiguitäten absichtlich eingesetzt werden, v.a. in poetischer Sprache.

11. Satz- und Textsemantik; Pragmatik

Neben der Ebene der Wortsemantik gibt es auch die als distinktive Größe zu behandelnden Ebenen der Satz- und Textsemantik (siehe dazu v.a. die Darstellung in von Polenz, Deutsche Satzsemantik).

Grundlegend für die Bestimmung der Bedeutung eines Satzes ist zunächst die semantische Analyse seiner Konstituenten. Dabei ergibt sich das folgende Wechselverhältnis: „Einerseits tritt die Wortbedeutung nur in einem syntaktischen Zusammenhang wirklich in Erscheinung und wird von diesem festgelegt, andererseits ergibt sich der Sinn des Satzganzen aus der Bedeutung seiner Konstituenten“ (Kedar, Biblische Semantik 32). Neben den lexikalischen Konstituenten ist für die Bedeutung eines Satzes auch die Zusammenfügung der Satzglieder in der syntaktischen Struktur entscheidend. Daneben spielt auch der unmittelbare textliche Kontext eine wichtige Rolle bei der semantischen Analyse eines Satzes.

Den Gliedern eines Satzes können verschiedene semantische (bzw. thematische) Rollen zugeschrieben werden, die äußerungsübergreifend relativ konstant bleiben: Agens, Patiens, Thema, Ursprung, Ziel, Mittel, Ort. Die semantischen Rollen werden durch die Position der Glieder in der Tiefenstruktur des Satzes bestimmt (H. Bussmann, Lexikon der Sprachwissenschaft 786f.; O’Grady u.a., Contemporary Linguistics 226ff.).

Wie bei der Wortbedeutung ist auch auf der Satzebene zwischen deskriptiven und affektiver Bedeutung zu unterscheiden. Auf der Ebene des Satzganzen kommt zudem generell der schon bei der Wortsemantik am Rande erwähnte pragmatische Gehalt von Äußerungen, der zum deskriptiven Aussagegehalt hinzutritt, zu seiner eigentlichen Wirkung.

Weiter ist zu unterscheiden zwischen der Satzbedeutung und der Äußerungsbedeutung (bzw. allgemeiner zwischen Bedeutetem und Gemeintem); denn der Äußerungskontext kann nicht-sprachliche Informationen enthalten, die der im Äußerungssignal sprachlich enkodierten Information widersprechen (z.B. im Falle der Ironie). Ebenso ist zu unterscheiden zwischen der grammatischen Struktur eines Satzes und seiner Bedeutung, weiter zwischen der grammatischen Struktur von Sätzen und der logischen und semantischen Struktur der Sprechakte, die mittels dieser Sätze vollzogen werden. So kann etwa dem grammatikalisch als Aussage zu bestimmenden Satz „Dies ist ein Gift“ in einer bestimmten Situation die funktionale Bedeutung eines Imperativs („Geh sofort zum Doktor!“) zukommen.

In Bezug auf den damit angesprochenen pragmatischen Gehalt von Äußerungen sind folgende Komponenten zu unterscheiden:

■ illokutionäre Rolle bzw. Intention

● assertiv: Treffen einer Feststellung usw.;

● direktiv: Erlassen eines Befehls, Äußerung einer Bitte, Erteilen eines Rates usw.;

● kommissiv: Abgeben eines Versprechens, Äußerung einer Drohung usw.;

● expressiv: Äußerung eines Glückwunsches, einer Entschuldigung, eines Danks usw.;

● deklarativ: Definieren, Taufen, Krieg Erklären usw.;

■ perlokutionäre Wirkung (Einschüchtern, Überreden usw.);

■ „Sprechereinstellung“ (Für-wahr-Halten, Verneinen, Bewerten, „Wollen und Verwandtes“) und

■ „Kontakt und Beziehung“ (Status, Rolle; Kontaktaufnahme, Distanzierung, Aufmerksamkeitssteuerung usw.).

Zu den „hintergründigen Satzinhalten“ (von Polenz, Deutsche Satzsemantik 298-327), die sowohl den propositionalen als auch den pragmatischen Gehalt von Sätzen betreffen, gehören neben dem Mitbedeuteten und Mitgemeinten auch das aus dem Sprachwissen Mitzuverstehende (semantische Präsuppositionen und Implikationen) und das aus dem Handlungskontext Mitzuverstehende (pragmatische Präsuppositionen und stille Folgerungen). So zieht etwa ein Hörer / Leser aus der Verletzung grundlegender Kommunikationsprinzipien (Qualitätsprinzip, Quantitätsprinzip, Relevanzprinzip, Ausdrucksprinzip u.a.) Folgerungen in Bezug auf das Mitzuverstehende (zu den Kommunikations- bzw. Konversationsprinzipien, die in ihrer gängigen Prägung von H.P. Grice formuliert wurden, siehe Cruse, Meaning 355-361; O’Grady u.a., Contemporary Linguistics 238-240). Ein wichtiges Kommunikationsprinzip ist das sog. Höflichkeitsprinzip, das u.U. die anderen Kooperationsprinzipien relativiert (und seinerseits durch diese relativiert wird).

12. Lexikon und Kultur

Jede Sprache lexikalisiert die zugrundeliegenden konzeptionellen Systeme in unterschiedlicher Weise, selbst wenn diese Konzepte nicht (wesentlich) voneinander abweichen. Grundsätzlich gilt, dass „Sprachen dazu neigen, jene Bedeutungsunterschiede zu lexikalisieren, die wichtig sind, und die am häufigsten in den Kulturen, in denen die jeweiligen Sprachen gesprochen werden, gemacht werden“ (Lyons, Semantik I/254). So kann etwa die Reichhaltigkeit des auf einen bestimmten Bereich bezogenen Vokabulars auf die Wichtigkeit dieses Bereichs für die betreffende Gesellschaft hinweisen. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder grammatischen und lexikalischen Unterscheidung irgendeine wichtige Unterscheidung in den Denkmustern der Gesellschaft … entsprechen muss. Es ist nicht gerechtfertigt, Schlüsse über Unterschiede in der Weltanschauung allein aufgrund von Unterschieden in der linguistischen Struktur zu ziehen“ (Lyons, Semantik I/261).

Auf der einen Seite ist es also durchaus berechtigt, einen Zusammenhang zwischen Denkschema und Sprachstruktur anzunehmen. Auf der anderen Seite lässt sich aber beobachten, dass die gegenseitige Einwirkung nicht gleichmäßig erfolgt, sondern regellos und nur stellenweise, so dass die sprachliche Ausdrucksform nie genau das Denken eines Volkes widerspiegelt. Das Fehlen oder Vorkommen von bestimmten Begriffen lässt darum noch keine zwingenden und eindeutigen Schlüsse über das Denken des betreffenden Volkes zu.

Literaturverzeichnis

  • Barr, James, Bibelexegese und moderne Semantik, München 1965
  • Barr, James, Hebrew Lexicography, in: W.R. Bodine, Linguistics and Biblical Hebrew, Winona Lake 1992, 137-151
  • Bussmann, Hadumod, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 2. Aufl. 1990
  • Cruse, Alan, Meaning in Language, Oxford 2000
  • Groom, Sue, Linguistic Analysis of Biblical Hebrew, Carlisle 2003
  • Kedar, Benjamin, Biblische Semantik, Stuttgart u.a. 1981
  • Lyons, John, Semantik I+II, München 1980 / 1983
  • Nida, Eugene A., Analysis of Meaning and Dictionary Making, International Journal of American Linguistics 24, 1958, 279-292
  • O’Grady, William / Dobrovolsky, Michael / Aronoff, Mark, Contemporary Linguistics, New York 2. Aufl. 1993
  • Polenz, P. von, Deutsche Satzsemantik, Berlin / New York 1985
  • Scanlin, H.P., The Study of Semantics in General Linguistics, in: R.W. Bodine, Linguistics and Biblical Hebrew, Winona Lake 1992, 125-136

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