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(erstellt: Juli 2014)

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Salem ist ein Ort, der in der Hebräischen Bibel nur in Gen 14,18 und Ps 76,3 erwähnt wird. Traditionell wird er mit Jerusalem identifiziert.

1. Salem in der Hebräischen Bibel

1.1. Gen 14,18 Salem (שָׁלֵם šālem) erscheint hier als die Stadt des Königs → Melchisedek. Im Kontext begegnet Abram (→ Abraham) zunächst im „Tal Schawe“ dem König von → Sodom, dann wird er von Meldchisedek mit Brot und Wein empfangen sowie gesegnet, ehe er Melchisedek den Zehnten seiner Kriegsausbeute gibt (Gen 14,17-20).

Dafür, dass Salem in vor-israelitischer Zeit ein Name → Jerusalems war, gibt es keinen außer-biblischen Beleg. In den ägyptischen → Ächtungstexten des 19.-18. Jh.s v.d.Z. ist (U)ruŠalimum der Name der Stadt und / oder des Landes; in den → AmarnabriefenAbdi Chepas, des Königs von Jerusalem, an Pharao → Amenophis IV. (14. Jh. v.d.Z.) erscheint sie als Urusalim (J.A. Knudtzon, EA 185-290; zur Diskussion dieser Namen s. Mazar 1975, 11-12).

Vermutlich war Salem der Name einer Gottheit, die aus ugaritischen (→ Ugarit) und mesopotamischen Texten bekannt ist und auch von den Einwohnern Jerusalems, den → Jebusitern, verehrt wurde.

Der Autor von Gen 14 (oder ein Redaktor) identifiziert „das Tal Schawe“ mit dem bei Jerusalem gelegenen „Königs-Tal“ – der Name setzt die israelitische Königszeit voraus (2Sam 18,18) – und setzt dadurch Salem mit Jerusalem gleich, scheint also Salem für eine Kurzform des Städtenamens zu halten.

Der Abschnitt Gen 14,18-20 unterbricht die Beschreibung des Treffens zwischen Abram und dem König von Sodom (Gen 14,17.21-24). Er möchte eine Verbindung zwischen dem israelitischen Erzvater Abraham und der Stadt Jerusalem herstellen, die bis zu ihrer Eroberung durch König → David eine fremde Stadt war. Die Intention ist offensichtlich: Die Heiligkeit Jerusalems soll durch die Verbindung mit Abraham gesteigert werden.

1.2. Ps 76,3 Der Autor von Ps 76,3 geht noch einen Schritt weiter und identifiziert Salem mit dem → Zion: „So erstand in Salem sein Zelt und seine Wohnung in Zion“ (וַיְהִי בְשָׁלֵם סֻכּוֹ וּמְעוֹנָתוֹ בְצִיּוֹן). Zion ist in der Hebräischen Bibel ein Synonym von Jerusalem (z.B. Jes 2,3; Jes 4,3; Jes 62,1; Jes 64,9; Jer 26,18; Ps 147,12), und der Berg Zion wird mit dem Tempelberg gleichgesetzt (z.B. Jes 10,32; Jes 18,7; Jes 24,23; Jo 4,17; Ps 2,6; Ps 74,2).

2. Nachgeschichte

2.1. Gensis-Apokryphon

Eine explizite Identifizierung „Salems“ mit „Jerusalem“ findet sich im aramäischen → Genesis-Apokryphon (1QapGen = 1Q20) aus → Qumran (Höhle 1), das paläographisch und sprachlich in das 1. Jh. vor oder nach der Zeitenwende datiert wird (vgl. Avigad / Yadin 1956, 38; White 1992, 932-93, bes. 932). Hier steht, dass Abram nach „Salem, das ist Jerusalem“, kam (1QapGen, Kolumne XXII, Vers 13) und dort von Melchisedek, dem König von Salem, willkommen geheißen wurde:

„Und er kam nach Salem, das ist Jerusalem. Und Melchisedek, der König von Salem, brachte Essen und Trinken für Abram und alle Männer, die mit ihm waren; er war ein Priester des Höchstens Gottes und er segnete Abram und sprach: ‚Gesegnet sei Abram vom Höchsten Gott, dem Herrn des Himmels und der Erde. Gesegnet sei der Höchste Gott, der deine Feinde in deine Hand ausliefert‘.“ (col. XXII, vs. 13-17).

Gegenüber dem biblischen Text nimmt der Autor eine Änderung vor: Er ersetzt die spezifischen Begriffe „Brot und Wein“ durch die allgemeineren „Essen und Trinken“. Es stellt sich die Frage, ob er dies vielleicht macht, weil „Brot und Wein“ an heidnische Speisen denken ließ, die für Juden nach der Halacha bereits verboten waren (vgl. z.B. Mischna, Aboda Zara 2:6; Tosefta, Aboda Zara 4:11 [M.S. Zuckermandel, Hg., 1963, 467]; Jerusalemer Talmud, Traktat Aboda Zara 2,3 (41b); Babylonischer Talmud, Traktat Aboda Zara 35b).

Die Identifizierung Salems mit Jerusalem dürfte im Genesis-Apokryphon auf Gen 14,17 und Ps 76,3 basieren. Sie ist auch in anderen jüdischen Quellen aus der Zeit nach der Zerstörung des Zweiten Tempels (70 n.d.Z.) üblich, so z.B. bei Flavius Josephus (Antiquitates Judaicae 1.180; 7.67), in den Targumim (z.B. Onkelos, Neofiti und Pseudo-Jonathan zu Gen 14,18), in denen Melchisedek, ohne Salem zu erwähnen, explizit als „König Jerusalems“ bezeichnet wird (s. Sperber 1959, 20; Clark 1984, 15) und im Midrasch (z.B. Genesis Rabba 43, 6, 56, 14; s. Theodor 1965, 420.607-608; Freedman / Simon 1977, 356.500; Kalimi 2002, 33-58; ders. 2013, 208-210).

Nach Paul Winter (1957/58, 151-152), Matthew Black (Black 1956/57, 305-313, bes. 312; ders. 1961, 196) u.a. steckt hinter der Identifizierung Salems mit Jerusalem im Genesis-Apokryphon eine antisamaritanische Tendenz. Winter erklärt dies wie folgt: „At the time when the Genesis Apocryphon was written the region around Shechem was inhabited by the Samaritans. To concede that Melkizedek, priest of the Most High God, had worshipped God in a place in Samaritan territory, would have been tantamount to admitting doubts on the exclusive claim of Jerusalem” (Winter 1957/58, 151). Joseph A. Fitzmyer akzeptiert diese Schlussfolgerung allerdings nicht, es sei denn „it could be shown that the Salem – Jerusalem identification does not antedate the Samaritan schism“ (Fitzmyer 1971, 173).

Der Autor des Genesis-Apokryphons schrieb nicht für Griechen oder andere Fremde, sondern ausschließlich für Juden. Wenn unter ihnen die Identifizierung Salems mit Jerusalem allgemein akzeptiert war, wie Gen 14,17 und Ps 76,3 sowie spätere Quellen zeigen, stellt sich die Frage, warum er sich die Mühe macht, Salem mit Jerusalem zu identifizieren. Am ehesten wohl, um gegen die Samaritaner zu polemisieren. Des Weiteren ist interessant, dass die Erzählung in Gen 14,18 sowie ihre Rezeption im Genesis-Apokryphon dem widerspricht, was Pseudo-Eupolemos verfasst hat (Kalimi 2002, 33-58, bes. 36-38).

2.2. Gen 33,18 und seine alten und neuen Übersetzungen

Das Wort שָׁלֵם šālem findet sich auch in Gen 33,18: „Danach kam Jakob wohlbehalten (šālem) zu der Stadt Sichem, die im Lande Kanaan liegt“. Die → Septuaginta versteht šālem hier dagegen als Ortsnamen: „und Jakob kam nach šālem, einer Stadt der Sichemiten“. Diesem Verständnis folgen die Vulgata, Peschitta und später auch englische und deutsche Bibelübersetzungen (z.B. King James Version und Zürcher Bibel, 2007). Dementsprechend schlägt Landersdorfer vor, dass Salem ein früherer Name → Sichems war, der sich in dem ca. 5 km östlich von Tell Balāṭa, dem alten Sichem, gelegenen Sālīm erhalten hat. Wahrscheinlicher ist šālem in diesem Vers allerdings im Sinne von „vollständig / wohlbehalten / friedlich“ zu verstehen. So deuten den Text auch die aramäischen Übersetzungen sowie der Samaritanische Pentateuch (ויבא יעקב שלום עיר שכם אשר בארץ כנען) und die Lutherbibel übersetzt: „Danach kam Jakob wohlbehalten zu der Stadt Sichem, die in Kanaan liegt“; ebenso die Revised Standard Version: „Jacob came safely to the city of Shechem in Canaan“ sowie mit der New English Bibel und zahlreiche andere moderne Übersetzungen. Zu Recht wird diese Bedeutung des Wortes von den meisten Auslegern akzeptiert.

2.3. Hebräerbrief

In Hebr 7,1-3 wird Salem aus Gen 14,17 aufgenommen (Σαλήμ) und als שלום šālôm „Friede“ gedeutet. „Melchisedek, der König von Salem“, soll damit als „König des Friedens“ erscheinen und „Friede“ wird als repräsentativer Name Jerusalems gedeutet.

Literaturverzeichnis

  • Avigad, N. / Yadin, Y., A Genesis Apocryphon: A Scroll from the Wilderness of Judaea, Jerusalem 1956.
  • Black, M., The Recovery of the Language of Jesus, NTS 3 (1956/1957), 305-313.
  • Black, M., The Scrolls and Christian Origins, Toronto / New York 1961.
  • Clark, E.G. u.a., Targum Pseudo-Jonathan of the Pentateuch: Text and Concordance, Haboken, NJ 1984.
  • Fitzmyer, J.A., The Genesis Apocryphon of Qumran Cave I - A Commentary, (Biblica et Orientalia 18), 2. Auflage, Rom 1971.
  • Freedman, H. / Simon, M. (Übersetzer), The Midrash Rabbah – Volume One: Genesis, London / Jerusalem / New York 1977.
  • Kalimi, I., Auseinandersetzung zwischen Jerusalem und Samaria, in: W. Zwickel / R. Egger-Wenzel / M. Erent (Hgg.), Herders Neuer Bibelatlas, Freiburg im Breisgau 2013, 208-210.
  • Kalimi, I., Zion or Gerizim? The Association of Abraham and the Aqeda with Zion / Gerizim in Jewish and Samaritan Sources, in: ders., Early Jewish Exegesis and Theological Controversy: Studies in Scriptures in the Shadow of Internal and External Controversies (Jewish and Christian Heritage 2), Assen 2002, 33-58.
  • Knudzon, J.A., Die El-Amarna-Tafeln mit Einleitung und Erläuterungen, Teile I-II, Leipzig 1915.
  • Landersdorfer, S., Das Priesterkönigtum von Salem, JSOR 9 (1925), 203-216.
  • Mazar, B., Jerusalem in Biblical Period, Cities and Districts in Eretz-Israel, Jerusalem 1975, 11-44.
  • Sperber, A. (Hg.), The Bible in Aramaic, Vol. I: The Pentateuch According to Targum Onkelos, Leiden 1959.
  • Theodor, J. (Hg.), Bereschit Rabba mit kritischem Apparat und Kommentar (Veröffentlichungen der Akademie für die Wissenschaft des Judentums) Berlin 1903, 2. Auflage mit zusätzlichen Korrekturen von Ch. Albeck, Jerusalem 1965.
  • White, R.T., Art. Genesis Apocryphon, in: The Anchor Bible Dictionary, New York u.a. 1992, Bd. 2, 932f.
  • Winter, P., Note on Salem – Jerusalem, NovT 2 (1957-1958), 151-152.
  • Zuckermandel, M.S. (Hg.), Tosephta Based on Erfurt and Viena Codices, Trier 1881 (Nachdruck: Jerusalem 1963).

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