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Andere Schreibweise: Yabin

(erstellt: Februar 2008)

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1. Name

Die Bedeutung des in Israel nicht belegten Personennamens Jabin (יָבִין) ist nicht eindeutig auszumachen. Die Ableitung von der Wurzel בנה bnh „bauen / schaffen“, die im gemeinsemitischen Namensmaterial mehrfach anzutreffen ist, führt zur Bedeutung „Gott baut / schafft“ (Mulzer, 254). Steht das Verb בין bīn „verstehen / wahrnehmen“ hinter dem Namen, führt dies zur Wiedergabe mit „der Einsichtige“ (Schwennen, 230) bzw. mit „[Gott] nimmt wahr“ (Douglas, 540).

2. Jabin, der König von Hazor

Jabin wird in der Hebräischen Bibel in Jos 11,1; Ri 4,2.7.17.23f. sowie in Ps 83,10 genannt. Ob Jabin, der in Ri 4,17 als König von → Hazor bezeichnet wird, mit dem aus den → Mari-Texten des 18. Jh. v. Chr. bekannten Ibni-Adad, einem König von Hazor, in Verbindung gebracht werden kann, ist nicht restlos geklärt (Fritz, 133).

2.1. Ri 4,1-24

Jabin wird in Ri 4,2 als König von → Kanaan, der König in → Hazor war, in die Erzählung über die gewaltsame Unterdrückung und machtvolle Errettung der Söhne und Töchter Israels aus der Hand der Feinde eingeführt. Der Text beginnt mit der Schilderung, dass das Volk Israel wiederum Böses tut in den Augen JHWHs. Die Gottheit Israels verkauft es deshalb in die Hand Jabins. Dessen Heerführer → Sisera unterdrückt die Söhne und Töchter Israels mit Gewalt 20 Jahren lang. Mittels der Initiative → Deboras, → Baraks und → Jaëls sowie durch das Eingreifen JHWHs wird der Kampf gegen die Feinde gewonnen. Das militärisch hochgerüstete Heer Siseras fällt, Jaël tötet den geflohenen Heerführer Sisera und die Söhne und Töchter Israels rotten daraufhin Jabin, den König von Kanaan, aus (Ri 4,24).

Auf Seite der Feinde stehen folglich Jabin als König von Kanaan und Sisera als dessen Heerführer. Jabin wird mit seiner Funktionsbezeichnung fünf Mal in der Erzählung erwähnt (Ri 4,2; Ri 4,17; Ri 4,23; Ri 4,24: 2-mal), davon wird er vier Mal als König von Kanaan (Ri 4,2; Ri 4,23; Ri 4,24: 2-mal) und ein Mal als König von Hazor bezeichnet (Ri 4,17). Da im AT die Rede vom „König von Kanaan“ einzigartig ist, verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung offenbar der Versuch, ein politisch-theologisches Gegenüber zu Israel, das keinen König hat, zu konstruieren. Auffällig ist, dass Jabin mit der Funktionsbezeichnung „König von Kanaan“ gerade am Schluss der Erzählung noch drei Mal erwähnt wird (Ri 4,23.24: 2-mal). Dies lässt auf die große Bedeutung der Funktion des Königs schließen: Kanaan hat einen König, Israel hat keinen König. Israel gewinnt den Kampf ohne König, Kanaan verliert trotz eines Königs und eines hochgerüsteten Heeres. Jabin greift in der Folge nicht weiter in den Handlungsverlauf ein und führt keine konkreten Aktionen aus. Er wird als statischer König dargestellt, der in Hazor herrscht. Ein friedliches Verhältnis verbindet Jabin mit dem → KeniterHeber (Ri 4,17).

Während in Ri 4,1-3 das Verhältnis zwischen JHWH und den Söhnen und Töchtern Israels als dynamisch beschrieben werden kann, ist zwischen Jabin und Sisera kein „aktiver“ Bezug festzustellen. Diese Beziehung ist statisch. Das einzig verbindende Element ist das Possessivpronomen in Ri 4,2: „Und der Hauptmann seines Heeres war Sisera.“ Unter den Zeitwörtern, die mit Jabin und Sisera in Verbindung stehen, fallen die „statischen“ Verben מלך mlk „König sein“ sowie ישׁב jšb „sitzen / wohnen“ auf. Bezüglich der Einführung der Aktantinnen und Aktanten ist zu vermerken, dass sowohl Jabin als auch Sisera mit ihren Funktionsbezeichnungen als König von Kanaan bzw. als Hauptmann vorgestellt werden.

Ri 4,23-24 berichtet in zwei Versen von der Demütigung Jabins durch die Gottheit und dem endgültigen Ende Kanaans. Es ist die kürzeste Szene der gesamten Erzählung und stellt das schrittweise Zugrundegehen des gegnerischen Königs Jabin in den Mittelpunkt. Seine Vernichtung wird durch die Söhne und Töchter Israels herbeigeführt. Die letzte Tat der Gottheit וַיַּכְנַע wajjakhna‘ weist eine Assonanz zum Objekt der Handlung, Jabin, dem König von Kanaan כְּנַעַן Kəna‘an, auf. Dieser Akt der Demütigung des Königs Jabin bezieht sich einerseits auf den Totschlag seines Heerführers Sisera durch Jaël in der vorhergehenden vierten Szene und schließt an Ri 4,22 an, wo berichtet wird, dass Sisera mit dem Pflock in seiner Schläfe tot im Zelt der Jaël liegt. Andererseits leitet כנע kn‘ „demütigen“ über zur vollständigen Vernichtung Jabins.

Das nüchterne Ende stellt den Lesenden die Umdrehung der Machtverhältnisse in Ri 4 deutlich vor Augen: Sind es am Beginn Jabin und Sisera, die in der Machtposition die Söhne und Töchter Israels bedrängen, so ist am Ende Sisera tot und die Söhne und Töchter Israels verfügen über die Macht, Jabin auszurotten. Ist Hazor (Ri 4,2) nach Jos 11,10 die Hauptstadt der Königreiche, von welchen sie umgeben wird, und gilt als Ort der Stärke, so bringt dieser Amtssitz Jabin selbst keine Vorteile. Der Konnotation der Stärke wird die Ortslage in Ri 4 nicht gerecht, da Jabin, der König von Hazor, am Ende vernichtet wird. Dasselbe Schicksal trifft auf den Wohnort Siseras zu. → Haroschet-Gojim mit der Konnotation „Völkerschmiede“ wird für das Heer Siseras zum Ort des Todes (vgl. Ri 4,16). Jabin, die politische Führungsgestalt Kanaans aus Ri 4, kommt im darauffolgenden → Deboralied von Ri 5, das die Handlung von Ri 4 wieder aufnimmt und in Variationen in poetischer Form wiedergibt, nicht vor.

2.2. Jos 11,1-15

Jos 11,1-15 beschreibt im ersten Teil des → Josuabuches die Schlacht einer militärisch hochgerüsteten Allianz von Königen gegen Israel an den Wassern von → Merom sowie die Einnahme Hazors durch Josua. Wie → Adoni-Zedek von Jerusalem in Jos 10,1-3 für den Süden, so ruft Jabin, der König von Hazor, nach Jos 11,1 zur Koalitionsbildung im Norden gegen Israel auf. In der darauffolgenden Schlacht bleibt Josuas Kompetenz darauf begrenzt, das Kriegsmaterial der Gegner unbrauchbar zu machen (Jos 11,9), während JHWH, vergleichbar der Erzählung von Ri 4, die entscheidende Initiative behält. Nachdem das gegnerische Kriegsvolk vernichtet ist, nimmt Josua die Stadt Hazor ein, erschlägt ihren König mit dem Schwert und verbrennt sie mit Feuer (Jos 11,10-15). Da Hazor als Ort der Stärke und Machtzentrum des Nordens Palästinas eine Vormachtstellung einnimmt, hat die Vernichtung dieser Metropole mitsamt ihrem König paradigmatische Bedeutung (vgl. Görg, 58).

Aus seiner Initiative heraus, alle Könige und Völker im Norden Kanaans zu einer Allianz gegen Israel zusammenzurufen, zeigt sich, dass Jabin als Anführer dieser nordpalästinischen Koalition eine wichtige Position innehat (vgl. Benjamin, 595). Der König von Hazor wird in Jos 12,19 in der Liste der geschlagenen Könige erwähnt.

2.3. Das Verhältnis von Jos 11 und Ri 4

Im biblischen Erzählverlauf und somit in der erzählten Zeit um etliche Jahre später begegnet Jabin in Ri 4 als Gegner Israels bei der Schlacht am Bach → Kischon wieder. In Ri 4,17 wird er als König von Hazor bezeichnet. Aufgrund dieser Unklarheit, wie von Jabin, dem König von Hazor, in Ri 4 erzählt werden kann, nachdem in Jos 11,1-15 bereits sein Ende beschrieben worden ist, wurden in der exegetischen Forschung unterschiedliche Theorien über das Verhältnis der beiden biblischen Erzählungen und die historische Ereignisabfolge, die dahinter liegen könnte, entwickelt (vgl. Aharoni / Sperling, 7; ebenso: Benjamin, 595f). Den Thesen von Volkmar Fritz folgend kann aus literarkritischer Sicht und im Vergleich mit dem Deboralied in Ri 5, in dem Jabin nicht genannt wird, die Erwähnung Jabins in Ri 4 als redaktioneller Eintrag gewertet werden. Nun bleibt zu klären, ob die Erzählung aus dem Josuabuch als Vorlage für Ri 4 gedient haben könnte. Da Jos 11,1-15 die vollständige Vernichtung Hazors und den Tod Josuas voraussetzt, kann dieser Text nicht als Vorlage angenommen werden, zumal Jos 11 den in Ri 4 getätigten Aussagen über Jabin, den König von Kanaan und König von Hazor, einem Ort der Stärke, widerspricht. Hazor wird in den Mari-Texten aus dem 18. Jh. v. Chr. sowie in den Amarna-Briefen aus dem 14. Jh. v. Chr. erwähnt (vgl. Benjamin, 596) und ist in der Spätbronzezeit (1550-1200 v. Chr.) als größte Stadt Palästinas ausgewiesen (Boling, 304). Die Größe der Stadt und die mächtige Umwallung können auch in zerstörtem Zustand die Vorstellung von einem besonders mächtigen König bewirkt haben. Demzufolge wird eine mündliche Traditionsbildung, in der die Macht dieses Königs Jabin zum Ausdruck kommt, zunächst für die Eintragung Jabins in Ri 4 angenommen, wo dieser als der bleibende Gegner Israels im Norden eine regionale Stellung erhalten hat. Derselben Funktion entspricht die Rolle Jabins als dem Leiter einer Koalition in Jos 11,1 ebenso wie der Bemerkung von Hazor als Haupt aller Königreiche in Jos 11,10.

Synchron betrachtet liegt die größte Parallele zwischen den beiden Erzähltexten darin, dass Jabin trotz eines Großaufgebots, sei es in Ri 4 durch seinen Heerführer Sisera mit 900 Eisenwagen und dem ganzen Heer oder in Jos 11 mit einer mächtigen Allianz von Königen, gegen den in Relation dazu schwachen Gegner Israel verliert. Kriegskritisch gelesen zeigen beide Texte den Kontrast zwischen der Stärke der Feinde und dem Sieg, der dennoch möglich ist, wenn JHWH – und nicht hochgerüstete menschliche Militärmaschinerie – die Hauptinitiative im Kampf zukommt und die Führungsgestalten JHWH und dessen Worten folgen.

2.4. Ps 83

Ps 83 steht im dritten Teil des Psalmenbuches und bildet sowohl den Abschluss der Gruppe der Asaph-Psalmen als auch des so genannten elohistischen → Psalters. Der aus 19 Versen bestehende Psalm kann in zwei große Teile (Zenger 2000, 494f) bzw. vier Strophen (Weber, 65) gegliedert werden. Feinde haben sich gegen Israel als Gottesvolk und gegen seinen Gott zusammengerottet. Der Psalm bringt einerseits Protest und → Klage gegenüber Gott, der dies unberührt und tatenlos hinzunehmen scheint, zur Sprache (Ps 83,1-9), andererseits die Bitte, Gott möge die Feinde zerstreuen. Ferner sollen sie JHWH als den wahren Gott erkennen (Ps 83,10-19).

Der poetische Text fällt durch seine Fülle von Namensnennungen auf. An die Aufzählung der zehn Feindnationen in Ps 83,7-9 schließt sich ein Vergeltungswunsch mit sieben Feind-Namen in Ps 83,10-12 an. Nach Ps 83,10 wird Jabin im Wunsch des Betenden erwähnt: Gott möge den Feinden dasselbe antun, was Sisera und Jabin am Bach Kischon erfahren mussten, wo die Schlacht zwischen dem Heer Siseras und Baraks nach Ri 4,13-16 begann. Diese Vernichtungsbitte mit dem Geschichtsvergleich aus der so genannten Richterzeit (→ Eisenzeit I) verweist auf eine fundamentale Bedrohung des Volkes Israel im Land selbst. Diese kommt von Norden, für den Jabin als König von Kanaan, der nach Ri 4,2 in Hazor herrscht, steht. Diese Bedrohung löst – wie die in Ps 83,10 ebenso erwähnte durch die → Midianiter, die auf Ri 6-8 zurückverweist und das Einfallen der Feinde aus dem Süden von Osten her beschreibt – in Israel panische Angst aus und wird spektakulär beendet, indem letztlich JHWH durch Einzelgestalten den Sieg und die Rettung aus gewaltsamer Fremdherrschaft bewirkt. An dieser einstigen Vernichtung der Feinde und der damit einhergehenden eindrucksvollen Rettung Israels aus gewaltsamer Fremdherrschaft, die JHWH in Ri 4-5 und Ri 6-8 bewirkt hat, soll sich Gott laut Ps 83 bezüglich der gegenwärtigen Feinde orientieren. Der Psalm kann als „Gerechtigkeitspsalm“ mit jenen und für jene gelesen werden, denen in ihrer Verzweiflung und Not aufgrund der Masse der anstürmenden Gottesfeinde einzig und allein dieser Schrei nach Gottes Gerechtigkeit geblieben ist (vgl. Zenger 2000, 507).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Das große Bibellexikon 2, 2. Aufl., Wuppertal / Zürich 1990

2. Weitere Literatur

  • Boling, R.G., 1982, Josua (AncB 6), New York
  • Burney, C.F., 1970, The Book of Judges (LBS), New York
  • Eder, S., 2006, Machtverhältnisse. Eine feministisch-narratologische Analyse von Ri 4, Diss. Graz
  • Fritz, V., 1973, Das Ende der spätbronzezeitlichen Stadt Hazor Stratum XIII und die biblische Überlieferung in Josua 11 und Richter 4, UF 5, 123-139
  • Görg, M., 1991, Josua (NEB 26), Würzburg
  • Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., 2000, Psalmen 51-100 (HThK.AT), Freiburg u.a.
  • Neef, H.-D., 2002, Deboraerzählung und Deboralied. Studien zu Jdc 4,1-5,31 (BThSt 49), Neukirchen-Vluyn
  • Neef, H.-D.,1989, Der Sieg Deboras und Baraks über Sisera. Exegetische Beobachtungen zum Aufbau und Werden von Jdc 4,1-24, ZAW 101, 28-49
  • Scherer, A., 2005, Überlieferungen von Religion und Krieg. Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3-8 und verwandten Texten (WMANT 105), Neukirchen-Vluyn
  • Schwennen, J., 1995, Biblische Eigennamen. Gottes-, Personen- und Ortsnamen im Alten Testament, Neuhausen u.a.
  • Webb, B.G., 1987, The Book of the Judges. An Integrated Reading (JSOT.S 46), Sheffield
  • Weber, B., 2000, Psalm 83 als Einzelpsalm und als Abschluss der Asaph-Psalmen, BN 103, 64-84
  • Zenger, E., 2004, Das Buch Josua, in: ders. (Hg.). Stuttgarter Altes Testament. Einheitsübersetzung mit Kommentar und Lexikon, Stuttgart, 370-411
  • Zenger, E., 2004, Das Buch der Psalmen, in: ders. u.a. (Hgg.), Einleitung in das Alte Testament (Studienbücher Theologie 1,1), 5.Aufl., Stuttgart, 348-370

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