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Heuschrecken

(erstellt: August 2009)

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1. Biologie und Terminologie

Das Hebräische kennt zehn verschiedene Bezeichnungen für die Heuschrecke bzw. für ähnlich schädliche Insekten. Der am häufigsten vorkommende Begriff ’arbæh meint die Wanderheuschrecke im ausgewachsenen, geflügelten Stadium. Sie wird bis zu 6 cm lang. Ein Schwarm (hebräisch gôv / govaj; pl. gevîm: Am 7,1-3; Nah 3,17; Jes 33,4) solcher Insekten kann aus Millionen von Tieren bestehen. Auch die Bezeichnungen chargol / sål‘ām (beide nur Lev 11,22) und chāgāv (nur Lev 11,22; Num 13,33; Jes 40,22; 2Chr 7,13; Pred 12,5) bezeichnen Heuschreckenarten, ṣəlāṣal Dtn 28,42 dagegen vermutlich einen anderen Pflanzenschädling. In Palästina kommen mehr als 40 Heuschreckenarten vor, wobei vor allem von den Wanderheuschrecken große Gefahr ausgeht.

Wenn Schwärme von Wanderheuschrecken (Jes 33,4) in ein Land einfallen, können sie mehrere hundert Quadratkilometer Fläche bedecken, innerhalb kurzer Zeit alles Grün auffressen (Am 4,9; Am 7,1f; Ps 105,34f; vgl. 1Kön 8,37 und Riede 2008, 37) und sogar Hungersnöte verursachen. Eine einzige Heuschrecke braucht nämlich täglich etwa soviel Nahrung, wie sie selbst wiegt. Auf die Auswirkungen dieser Gefahr bezieht sich auch ein mittelassyrischer Brief, in dem es heißt: „Ihre Ernte haben Heuschrecken gefressen … in der Stadt ist niemand mehr“ (Cancik-Kirschbaum 1996, 95).

Bis Heuschrecken flugfähig sind, machen sie mehrere Häutungen durch. Doch schon ihre Larven sind gefährlich. Denn die Ernährungsweise der Heuschrecken ist in allen ihren Entwicklungsstadien gleich: Schon die Larven fressen Gras, Saatgut und Baumfrüchte und schälen sogar Zweige ab. Besonders eindrucksvoll zeichnet Jo 1,4 (vgl. Jo 2,25) die zerstörerische Wirkung der Heuschrecken nach: Die hier verwendeten vier Bezeichnungen stehen vermutlich für verschiedene Entwicklungsstadien der Heuschreckenlarven (oder für andere Pflanzenfresser?): So bezeichnet hebr. jælæq „Lecker“ (?) möglicherweise das erste Larvenstadium (die dem Ei entschlüpfte Heuschrecke), chāsîl „Fresser“ (1Kön 8,37 u.a. → Raupe) das zweite und gāzām „Abschneider“ das vorletzte, während ’arbæh die ausgewachsene Heuschrecke meint (vgl. Köhler 1926). Doch ist letzte Sicherheit in der Deutung dieser Bezeichnungen nicht zu erreichen.

2. Bildsprache

Heuschrecke 2

Aufgrund ihrer großen, unzählbaren Menge (Ps 105,34; Jer 46,23; vgl. Jer 51,14), die den Himmel verdunkelt und mit herabfallendem Schnee verglichen werden kann (Sir 43,18 [Lutherbibel: Sir 43,19]), können Heuschrecken als Bild für eindringende Feinde oder Heere stehen (Ri 6,5; Ri 7,12; Jer 51,27; Jdt 2,19 [Lutherbibel: Jdt 2,11]). Sie erscheinen daher auch als Gerichtswerkzeug Gottes (Dtn 28,38; Am 7,1ff), z.B. innerhalb der ägyptischen → Plagen (Ex 10,12ff; Ps 78,46; Ps 105,34f; Weish 16,9). Die Plagenerzählungen halten die wichtige Beobachtung fest, dass die Heuschrecken von Südost- bzw. Ostwinden am Morgen aus der Wüste herbeigeführt werden (Ex 10,13). Die Weisheit rühmt ihren an ein Heer erinnernden Auszug in Formation, ohne dass sie dazu einen König bräuchten (Spr 30,27; Riede 2002, 9-12). Der Vergleich in Nah 3,15 bezieht sich zum einen auf die Gefräßigkeit der Heuschrecken, zum andern auf ihre Menge. Dagegen wird durch das Bild der davonfliegenden Heuschrecke Nah 3,16f das jähe Verschwinden der assyrischen Beamten und Besatzer verdeutlicht, die nach dem Untergang Ninives die besetzten Länder verlassen. Im Hintergrund steht die Erfahrung, dass Heuschrecken in der Morgenkühle vor Sonnenaufgang starr auf Mauern sitzen, aber schon nach den ersten Sonnenstrahlen lebendig werden und plötzlich mit unbestimmbarer Richtung losfliegen.

Nur selten wird auf die Kleinheit und Bedrohtheit dieser Insekten verwiesen, die einzeln keine Gefahr bilden. So wird in Ps 109,23 ein Verfolgter mit einer Heuschrecke verglichen, die abgeschüttelt zu werden droht (vgl. Riede 2000, 313ff). In Num 13,33 kommen sich die Kundschafter gegenüber den → Anakitern klein wie Heuschrecken vor und in Jes 40,22 die Bewohner der Erde gegenüber dem im Himmel thronenden Gott. Heuschrecken können mit ihren langen, kräftigen Hinterbeinen große Sprünge machen. Das erklärt, warum das Springen eines Kriegsrosses mit dem von Heuschrecken verglichen werden kann (Hi 39,20).

Apk 9,3.5.7 schildert angeregt durch Jo 1-2 sowie durch die achte ägyptische Plage Schwärme von Heuschrecken (griech. akris) mit skorpionartigen, stachligen Schwänzen, deren Opfer nicht die Vegetation ist, sondern Menschen, die nicht zur Heilsgemeinde Gottes gehören. Apk 9,7-10 kennzeichnet diese Heuschrecken als dämonische Mischwesen mit teils tierischer, teils menschlicher Gestalt.

3. Delikatesse

Heuschrecken sind die einzigen reinen und daher auch essbaren Insekten (Lev 11,21f). Sie können gedörrt, auf Kohlen geröstet, in Salzwasser gekocht oder in Butter gebacken gegessen werden (vgl. das assyrische Flachrelief Abb. 2 aus dem 7.Jh. v. Chr., das zeigt, wie Diener Sanheribs neben Granatäpfeln auch gedörrte Heuschrecken bringen, die als Delikatesse galten). Mt 3,4; Mk 1,6 erinnern an die asketische Lebensweise Johannes des Täufers, der sich von Heuschrecken ernährte (vgl. Kelhofer 2005).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Realencyclopädie, Stuttgart, 1893-1978
  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979)
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Bauer, L., Die Heuschreckenplage in Palästina, ZDPV 49 (1926), 168-171
  • Bodenheimer, F.S., Note on Invasions of Palestine by Rare Locusts, IEJ 1 (1950 / 1951), 146-148
  • Boessneck, J., Die Tierwelt des Alten Ägypten, München 1988, 148f
  • Brentjes, B., Die Haustierwerdung im Orient. Ein archäologischer Beitrag zur Zoologie, Wittenberg 1965, 107
  • Cansdale, G., Animals in Bible Lands, Exeter 1970, 238-244
  • Cancik-Kirschbaum, E. Chr., Die mittelassyrischen Briefe aus Tell Šeẖ Chamad (BATSH 4/1), Berlin 1996
  • Daube, D., A quartet of besties in the book of Proverbs, JThS 36 (1985), 380-386
  • Feliks, J. The Animal World of the Bible, Tel Aviv 1962, 115-119
  • Ferguson, W.F., Living Animals in the Bible, New York 1972, 74f
  • Keel, O. / Küchler, M. / Uehlinger, C., Orte und Landschaften der Bibel I, Göttingen 1984, 168f
  • Kelhofer, J.A., The Diet of John the Baptist (WUNT 176), Tübingen 2005
  • Köhler, L., Die Bezeichnungen der Heuschrecke im Alten Testament, ZDPV 49 (1926), 328-333
  • Larner, B.D., Timid grasshoppers and fierce locusts. A ironic pair of biblical metaphors, VT 49 (1999), 545-548
  • Møller-Christensen, V. / Jordt Jørgensen, K.E., Biblisches Tierlexikon (Bibel – Kirche – Gemeinde 4), Konstanz 1969, 156-162
  • Pinney, R., The Animals in the Bible, Philadelphia / New York 1964, 190f.218-220
  • Riede, P., Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen (WMANT 85), Neukirchen-Vluyn 2000, 313ff
  • Riede, P., Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2002, Register s.v. Heuschrecke
  • Riede, P., Vom Erbarmen zum Gericht. Die Visionen des Amosbuches und ihr literatur- und traditionsgeschichtlicher Zusammenhang (WMANT 120), Neukirchen-Vluyn 2008, 36ff
  • Schouten van der Velden, A., Tierwelt der Bibel, Stuttgart 1992, 134f
  • Seidl, Th., Heuschreckenschwarm und Prophetenintervention. Textkritische und syntaktische Erwägungen zu Am 7,2, BN 37 (1987), 129-138
  • Thompson, J.A., Joel’s locusts in the light of Near Eastern Parallels, JNES 14 (1955), 52-55

Abbildungsverzeichnis

  • Heuschrecken. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Siegel des „Asarjahu, (Sohn des) Gebah“; Gebah bedeutet „Heuschreckenschwarm“ und könnte die Darstellung einer Heuschrecke erklären (Juda; um 700 v. Chr.). Aus: O. Keel / M. Küchler / C. Uehlinger, Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studienreiseführer zum Heiligen Land, Bd. 1, Zürich u.a. 1984, 169 Abb. 93; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Diener Sanheribs bringen gedörrte Heuschrecken und Granatäpfel (Relief aus dem Palast Sanheribs in Ninive, um 700 v. Chr.). Aus: A.H. Layard, Nineve und Babylon nebst Beschreibung seiner Reisen in Armenien, Kurdistan und der Wüste, Leipzig 1856, Taf XIV N

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