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(erstellt: Mai 2009)

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1. Einleitung

Als hebräisches Äquivalent für das deutsche Lexem „hassen / Hass“ findet sich im Alten Testament שׂנא śn’ / שִׂנְאָה sin’āh; darüber hinaus wird für „hassen“ keine andere Wurzel verwendet. Die → Septuaginta gibt שׂנא śn’ mit dem Standardäquivalent μισέω miseō wieder; dies „stellt den ausdrücklichen Gegenbegriff zu ‚lieben’ dar“ (Lipiński, 828). Das Substantiv שִׂנְאָה sin’āh „Hass“ wird meist mit μĩσος misos übersetzt, seltener auch mit ἔχϑρα echthra „Feindschaft“.

Alttestamentlich bezeichnet „Hass / hassen“ allgemein einen „emotionalen Zustand der Aversion“ (Lipiński, 829). Dementsprechend kann „Hass“ im Hebräischen, anders als im Deutschen, in verschiedenen Härtegraden zum Ausdruck kommen: Während das Wort „hassen“ im Deutschen ein sehr massiver Ausdruck ist, wird שׂנא śn’ „hassen“ im Hebräischen auch als bloße Zurückweisung, als Gegenteil von Bevorzugung, als Widerwillen, aber auch als deutliche Feindschaft mit boshaften Absichten verwendet (vgl. Dietrich, 49).

„Hass“ ist ein Gefühl, das sich vornehmlich in der Beschreibung von Menschen findet. Das Alte Testament kennt allerdings auch die anthropomorphe Vorstellung, dass Gott hasst.

2. „Hass / hassen“ im Alten Testament

Insgesamt gibt es knapp über 160 Belege der Wurzel שׂנא śn’ „hassen“ in der Hebräischen Bibel, von denen sich die meisten (knapp 130) im Qal finden (vgl. Jenni, 2004, 835). Im Pi‘el kommt diese Wurzel nur als Partizip vor („Hasser“), und zwar fast immer als poetisches Parallelwort zu einem Begriff für „Feind“ (אוֹיֵב ’ôjev, צַר ṣar oder קָם qām; vgl. Jenni, 1968, 224). Bei → Jesus Sirach findet oft das Partizip Qal שונא śône’ „Hasser / Feind“ (16 Belege) Verwendung, meist als Gegensatz zum אוהב ’ôhev „Freund“. „Im Unterschied zum Qal, das eine aktuelle Anfeindung ausdrückt, wird das Pi‘el ein professionelles, bei jeder Gelegenheit erneutes Befeinden bedeuten“ (Jenni, 1968, 224). Nur einmal belegt ist das als Adjektiv gebrauchte Partizip Pass. Qal fem. Sg. שְׂנוּאָה śənû’āh in Dtn 21,15, das dort eher „weniger geliebt / ungeliebt“ als „verhasst“ bedeutet.

Aus syntaktischer Sicht haben Aussagen über den Hass „meist eine einfache Struktur, genannt wird, wer hasst und auf wen oder was sich der Hass richtet“ (Wagner, 70). Auf Ausschmückungen und metaphorische Redeweise wird verzichtet. Im Unterschied zur deutschen Sprache kennt das Hebräische kein „Behälterkonzept“: Während im Deutschen ein Mensch „voll von Hass“ sein, er zu platzen drohen kann, findet sich im Hebräischen „kein einziger Hinweis auf eine Behältermetapher“ (Wagner 69). Dass die hebräische Wurzel שׂנא śn’ „hassen“ darüber hinaus ein größeres Bedeutungsspektrum hat als das deutsche „Hassen“, zeigen vor allem unterschiedliche Stellen im → Pentateuch.

2.1. Der menschliche Hass

Im Alten Testament finden sich sowohl Geschichten, in denen eine Person von einem explizit genannten Gegenpart gehasst wird (→ Absalom hasst → Amnon 2Sam 13,22; die Ältesten → Gileads hassen → Jeftah Ri 11,7), als auch allgemeine Aussagen, beispielsweise in den → Psalmen, wenn der Beter dort von seinen „Hassern“ spricht (Ps 25,19; Ps 35,19 u.ö.), die nicht näher benannt werden. Widersprüchlich scheinen sich manche Textstellen des Pentateuch zu einigen Psalmstellen hinsichtlich des Ethos zu verhalten: Einerseits wird geboten, seinem „Hasser“ zu helfen bzw. ihn sogar zu lieben (Ex 23,5; Lev 19,17f.), andererseits stellt man gerade durch das „Hassen“ des Gottlosen die eigene Gottesfurcht unter Beweis (so vor allem in den Psalmen). In der Auslegung ist die Kontextfrage entscheidend, ob es sich um konkrete Lebensregeln innerhalb der israelitischen Gemeinschaft handelt oder ob der Glaube des Einzelnen an Gott im Fokus ist.

2.1.1. „Hass“ im Kontext von Recht und Gesetz

Ist im Pentateuch vom „Hass“ die Rede, so geht es in erster Linie darum, diesen zu vermeiden, um Regelungen für ein friedliches Zusammenleben zu treffen, sei es durch juristische oder ethische Forderungen.

Im rein juristischen Kontext wird die Wurzel שׂנא śn’ „hassen“ in Num 35,20, Dtn 19,4; Dtn 19,6 und Dtn 19,11 verwendet, um → Mord von fahrlässiger Tötung zu unterscheiden. Das Substantiv שִׂנְאָה sin’āh „Hass“ impliziert den Vorsatz, mit dem jemand getötet wird (also Mord). Hat ein Mensch, der jemanden umbringt, keinen Hass dabei verspürt, so fällt dies juristisch unter „fahrlässige Tötung“. Die Unterscheidung zwischen Mord und fahrlässiger Tötung ist vor allem hinsichtlich der Einführung der Asylstädte (→ Asyl) wichtig, da sie Zuflucht nicht bei Mord, sondern nur bei fahrlässiger Tötung bieten.

Ein weiterer juristischer Fall wird im deuteronomischen Gesetz verhandelt, allerdings in einem ehelichen Kontext. In Dtn 22,13-29 wird der Fall geschildert, dass ein Mann eine Frau zu sich genommen hat und sie nun „hasst“ – im Deutschen drückt das Wort eine Stärke aus, die im Hebräischen nicht impliziert ist. So ist שׂנא śn’ eher mit „nicht mehr mögen“ oder „überdrüssig werden“ zu übersetzen.

Im → Bundesbuch (Ex 20,22-23,13[.19]) wird in Ex 23,5 ein שׂנאך śona’ăkhā – wörtlich „einer, der dich hasst“ – genannt; diesem soll man helfen, wenn er in Not ist, auch wenn er eben ein „dich Hassender“ (שׂנאך śona’ăchā) bzw. „dein Rechtsgegner“ (vgl. Noth, 153) ist. Obwohl dieses Gebot mitten im Bundesbuch steht, in dem in erster Linie Rechtsfälle verhandelt und keine ethischen Prinzipien aufgestellt werden, ist dies „kein justitiabler Rechtssatz, sondern ethische Forderung, die nicht eingeklagt werden kann, sondern die Gesinnung des Angesprochenen in einer Entscheidungssituation fordert“ (Otto, 100f.). Begründet wird dieses ethische Gebot durch das Privilegrecht („Eigentumsrecht“) Jahwes, da es den äußeren Rahmen dieser Rechtssammlung bildet. Sie ist wie folgt aufgebaut:

Neben der Nennung des „Hassers“ im Bundesbuch ist vom „Hassen“ auch im → Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26), genauer in Lev 19, die Rede. Unter den vielen Geboten und Verboten in diesem Kapitel findet sich auch das Gebot, den Bruder nicht zu hassen in seinem Herzen, sondern seinen Gefährten zurechtzuweisen. Im Anschluss daran steht der prominente Satz: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Der „Nächste“ ist hier (lediglich) im innerisraelitischen Kreis zu suchen.

Zwar hält L. Schrader (45) fest, dass es im Alten Testament keinen „eindeutigen Beleg für Feindesliebe als reine Liebeszuwendung, die auf das Wohl des Feindes und die vollständige Zerstörung der Feindschaft zielt“, gibt, doch liefert 1Sam 24,18 in erzählerischer Form ein Beispiel für die Überwindung des Hasses zwischen zwei Feinden. Nachdem → DavidSaul verschont und nicht getötet hatte, lässt auch Saul von seinem Plan ab, David das Leben zu nehmen und sagt zu ihm: „Ein Mann hat seinen Feind gefunden und hat ihn weggeschickt auf einem guten Weg. JHWH soll dir Gutes vergelten für das, was du heute an mir getan hast“ (1Sam 24,20).

Die beiden Verse des Liebesgebots, den Bruder nicht zu hassen und den Nächsten zu lieben, werden durch die „Ich-bin-Jahwe-Formel“ begründet. Diese „leistet eine Autorisierung der Gebote und durch die genannte Autorität ein Höchstmaß an Verbindlichkeit. […] Die Gebote werden in direkte Beziehung zu Jahwe gesetzt, das Befolgen bzw. Nichtbefolgen der Gebote wird damit in den Horizont des Gottesverhältnisses gestellt.“ (Diesel, 260f.).

Mit einer anderen Fokussierung, als dies im Bundesbuch und im Heiligkeitsgesetz der Fall ist, findet sich das Lexem „hassen“ im ersten Gebot des → Dekalogs, denn hier geht es um Menschen, die JHWH hassen, nicht um zwischenmenschliches Verhalten. Das erste Gebot schließt mit der Aussage, dass JHWH diejenigen heimsucht, die ihn hassen (Ex 20,5; Dtn 5,9), aber dass er Barmherzigkeit an vielen Tausenden erweist, die ihn lieben und seine Gebote halten (Ex 20,6; Dtn 5,10). M. Köckert hält dazu fest, dass der Dekalog gerade mit dem Gegensatzpaar „hassen“ und „lieben“ noch einmal die Sprache der hethitischen und neuassyrischen Vasallenverträge aufnimmt; denn die Babylonier verpflichten sich in einem Vertrag mit Assurbanipal, dass sie den König von Assyrien lieben und seine Feinde hassen (Köckert, 52).

2.1.2. „Hass“ im Kontext der Gottesfurcht des Einzelnen

Anders als im Liebesgebot gefordert kann ein Psalmbeter durchaus von seinem „Hass“ auf andere sprechen, ohne dass dies ein schlechtes ethisches Verhalten impliziert. Wenn sich ein Beter als Gottesfürchtiger hervorheben möchte und seinen Glauben an Gott vor ihm beteuert, dann spricht er davon, dass er die Lügen-Wege (z.B. Ps 119,104.128), Götzendiener (Ps 31,7), die Versammlung der Boshaften (Ps 26,5) und / oder die Übertreter (Ps 101,3) hasst. Zusammengefasst heißt dies: „Wer JHWH fürchtet, hasst zugleich das Böse“ (so Spr 8,13) oder als rhetorische Frage formuliert: „Sollte ich deine Hasser, JHWH, nicht hassen, nicht verabscheuen, die sich gegen dich erheben?“ (Ps 139,21). Der „Hass“ ist an diesen Stellen keine negative Charaktereigenschaft, sondern Ausdruck des Glaubens und Nachfolgens. Sowohl der Hass als auch die Liebe „sind daher die Konsequenz dessen, woran man sein Herz hängt“ (Schoberth, 1468). Diese Ansicht impliziert nur ein „entweder – oder“: Entweder ich entscheide mich für JHWH, dann hasse ich alle Gottlosen, oder ich entscheide mich gegen JHWH, dann hasse ich ihn und ziehe seinen Hass auf mich. „Für mittlere Haltungen und ethische Übergänge ist da kein Raum“ (Hempel, 92). Diese „Schwarzweißtechnik“ findet sich vornehmlich in den Psalmen und in der Weisheitsliteratur (vgl. Hempel, 92). Dementsprechend begegnet „Hass“ in der Weisheitsliteratur häufig im Gegensatzpaar Hass – Liebe (zwei Beispiele gibt es darüber hinaus auch in Am 5,15 und Mi 3,2), auch ohne eine bestimmte Situation oder Person zu beschreiben (so z.B. in Pred 3,8: „Lieben hat seine Zeit, Hassen hat seine Zeit“).

In der weisheitlichen Spruchliteratur gehört zur Gottesfurcht nicht nur das Hassen des Bösen (wie in den oben genannten Psalmen), sondern darüber hinaus auch das Lieben von Weisheit, Erkenntnis und Zucht (so beispielsweise Spr 1,7: Die Gottesfurcht ist der Anfang der Erkenntnis; Weisheit und Zucht verachten die Toren). Dementsprechend ist in den → Sprüchen Salomos (Proverbien) wiederholt davon die Rede, dass der Tor sich dadurch auszeichnet, Erkenntnis und / oder Zucht zu hassen (Spr 1,22; Spr 1,29; Spr 5,12; Spr 12,1; Spr 13,24; Spr 15,10), während der Weise dies liebt (Spr 12,1; Spr 13,1; Spr 13,24).

2.2. Der göttliche Hass

Der göttliche Hass kann sich direkt gegen Menschen bzw. Völker richten, meist hat er jedoch das menschliche Verhalten im Blick, sei es im kultischen, mehrheitlich aber im ethischen Sinn. Spr 6,16ff. fasst in einem gestaffelten Zahlenspruch die Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften zusammen, die göttlichen Hass auf sich ziehen können: stolze Augen, eine Lügenzunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen, ein Herz, das Gedanken des Unrechts vorbereitet, Füße, die schnell zum Bösen rennen, ein Lügenzeuge, der Lügen aussagt, und wer Zwistigkeiten zwischen Brüdern ersinnt. Eine Art Zusammenfassung dieser zu hassenden oder gehassten Eigenschaften findet sich auch in Sach 8,17: JHWH hasst denjenigen, der in seinem Herzen Böses ersinnt gegen seinen Nächsten und Lügeneide liebt. Als kultisches Vergehen, das JHWH hasst, wird in deuteronomistischer Theologie (→ Deuteronomismus) das Aufrichten von Steinmalen genannt (Dtn 16,22; → Mazzebe). In prophetischer Literatur findet sich darüber hinaus die Aussage, dass sich JHWHs Hass gegen ein ganzes Volk richten kann. So ist in Mal 1,2f. die Rede davon, dass JHWH → Jakob liebt und → Esau hasst. Jakob und Esau repräsentieren in diesem Kontext die Völker Israel und → Edom (vgl. Meinhold, 43). Nach W. Schoberth ist das Hassen Esaus hier lediglich als unbedingte Alternative zu sehen, „als die Rückseite der Erwählung Jakobs: Die unbedingte Zuwendung zu diesem erscheint als H[ass] jenem gegenüber“ (Schoberth, 1468). Nur an dieser Stelle ist ein fremdes Volk Objekt des Hasses JHWHs, während an vier weiteren Stellen vom Hass / Hassen JHWHs gegen Israel die Rede ist (Dtn 1,27; Dtn 9,28; Jer 12,8; Hos 9,15). „Zielt Hos 9,15 mit dem beginnenden Haß JHWHs auf das israelitische Königtum, so beziehen sich Dtn 1,27; 9,28 im fiktiven Israel- bzw. Ägypterzitat auf einen womöglich unglücklich verlaufenden Exodus: JHWH könnte im Haß die Israeliten aus Ägypten herausgeführt haben, um sie zu vernichten“ (Meinhold, 44). In Am 6,8 richtet sich der göttliche Hass auch gegen Israel, konkret gegen die Paläste Jakobs.

3. „Hass / hassen“ in den Schriften von Qumran

In den Schriften von Qumran findet sich ein ähnliches Spektrum des Lexems „hassen“ wie im Alten Testament, das heißt, es ist sowohl die Rede davon, dass Menschen andere Menschen hassen (z.B. in der sog. Sektenregel 1QS 1,3-10), dass Gott hasst (vor allem die Frevler), dass Menschen (bzw. konkret die Frevler / Söhne der Finsternis) Gott hassen und dass Beter von ihren „Hassern“ umringt sind (z.B. in 4Q381 Fragm. 24,8; Fragm. 31,5). Auch liegt der Hass in unterschiedlich starken Konnotationen vor, denn auch hier gibt es den Hass im Kontext der Ehe (insofern, als die Tempelrolle [11Q19 65,7ff.] Dtn 22,13-21 wiedergibt). Darüber hinaus lässt sich jedoch beobachten, dass in den Qumrantexten im Rahmen des Gegensatzes Gut und Böse häufig vom „Hass“ die Rede ist (vgl. Jenni, 1984, 837) und noch deutlicher expliziert wird, was und wen Gott hasst. Der Hass Gottes, „der sich gegen Menschen wendet, die dazu bestimmt sind, auf Abwege zu geraten, spielt in den Texten von Qumran eine relativ wichtige Rolle“ (Lipiński, 838). Die Personen, die auf Abwege geraten sind, werden in den Schriften von Qumran nun im Gegensatz zu den Bibeltexten konkret mit den Söhnen der Finsternis / den Frevlern identifiziert (vgl. exemplarisch 1QS 1,3ff. und 1QS 1,9ff.). So wie hier werden Bruderliebe und Feindeshass in den Schriften von Qumran oft gegenübergestellt, doch „zeigt ein genauer Blick auf die Texte, daß ein ausgesprochen gewaltloser Feindeshaß gepredigt wird. 1QS 10,17f verbietet Vergeltung gegenüber allen Menschen, auch den Frevlern, und fordert sogar, auf Böses immer mit Gutem zu reagieren – weil, Gericht zu halten, die absolute Prärogative Gottes ist. […] Der Haß gegenüber den Frevlern soll sich vielmehr ausschließlich in radikaler Absonderung von ihnen äußern (1QS 9,20 u.ö.)“ (Söding, 616). Daher lässt sich sagen, dass der Feindeshass in den Schriften von Qumran ebenso wie die Nächstenliebe „ein Ausdruck intensiver – freilich auch rigoroser – Frömmigkeit“ ist (Söding, 618).

Zudem finden sich in Qumran auch Auslegungen der in Lev 19,17-18a ausgesprochenen Verbote des Hasses, der Rache und des Nachtragens (z.B. in CD 9,2-8); diese zeigen schon „Ansätze zu deren späterer Verfeinerung und Verinnerlichung in der rabbinischen Exegese“ (Nissen, 304).

4. „Hass / hassen“ in den Schriften der hellenistisch-römischen Zeit

Drei Schriften treten in hellenistischer Zeit besonders hervor, wenn von „hassen“ (griechisch: μισέω miseō und μĩσος misos) die Rede ist: Es handelt sich um → Jesus Sirach, die → Testamente der Zwölf Patriarchen und um den Roman Joseph und Aseneth. Während bei Jesus Sirach vor allem das Gegensatzpaar „Freund“ – „Hasser / Feind“ thematisiert wird, ist bei den Testamenten der Zwölf Patriarchen das Liebesgebot und das ethisch richtige Verhalten zwischen den Söhnen Jakobs im Fokus; bei Joseph und Aseneth geht es um die Auseinandersetzung mit dem ersten Gebot des Dekalogs und die Frage, ob JHWH die Ägypterin Aseneth hasst, weil sie fremden Göttern anhing.

4.1. Der „Hasser / Feind“ bei Jesus Sirach

Bei → Jesus Sirach wird das Lexem „hassen“ vorwiegend als Teil des Gegensatzpaares „Freund“ – „Hasser“ verwendet, wobei שונא śône’ in den Übersetzungen meist mit „Feind“ und nicht mit „Hasser“ wiedergegeben wird. Der „Hasser“ kann ebenso weniger hart als der „Berufskonkurrent“ gesehen werden (so Schrader, 56, in Bezug auf Sir 12,10-12; Lutherbibel: Sir 12,9-12). Zwar spielen die Feinde „keine solche Rolle, wie dies in anderen biblischen Büchern der Fall ist, denn sie bedrohen das Leben weniger, als daß sie es äußerst negativ beeinträchtigen“ (Reiterer, 164), das Feindverständnis ist allerdings auffallend negativ. „Daß man den Konkurrenten als Freund und Verbündeten gewinnen könnte, ist für Jesus Sirach anscheinend außerhalb jeder Sichtweite“ (Schrader, 56). „Ein Freund kann zu einem Feind werden ([Sir] 22,23; [Sir] 37,2), aber nie ein Feind zu einem Freund“ (Schrader, 46). Des Weiteren weist Jesus Sirach aber ebenso eine Verwendung des Lexems „hassen“ im Kontext der Gottesfurcht des Einzelnen auf, wie sich diese auch in den Sprüchen und in den Psalmen findet (z.B. Sir 21,6; Lutherbibel: Sir 21,7). Jesus Sirach kann darüber hinaus auch vom göttlichen Hass sprechen (z.B. Sir 12,6-7).

4.2. „Hass“ in den Testamenten der Zwölf Patriarchen

Das zentrale Thema der → Testamente der Zwölf Patriarchen (TestXIIPatr) ist das Liebesgebot, mit dem sich nahezu alle Testamente der Jakobssöhne auseinander setzen (vgl. Becker, 27). Der Kontrast von Liebe und Hass wird anhand der Person → Josefs und seiner hassenden Brüder dargestellt. Am deutlichsten tritt der Hass der Brüder auf Josef im TestGad hervor: Gad erzählt, dass der Geist des Hasses in ihm war (TestGad 1,9) und dass er Josef häufig töten wollte (TestGad 2,1). Am Ende seines Lebens steht jedoch die Einsicht Gads, die er ermahnend seinen um ihn versammelten Kindern zuruft, den Hass aus den Herzen auszurotten und sich gegenseitig in Tat und Wort und Gesinnung der Seele zu lieben (TestGad 6,1). Hier wie an den anderen Stellen in den Testamenten der Zwölf Patriarchen „wird klar, daß das Liebesgebot einen Totalitätsanspruch ausüben soll auf das ganze Leben gerade aber auch dann, wenn der zu Liebende feindlich haßt“ (Becker, 27).

4.3. „Hass“ bei Joseph und Aseneth

Bei Joseph und Aseneth bildet nicht das Verhältnis „Joseph und seine Brüder“ den Kontext des Themas „Hass“, sondern es geht im ersten Teil dieser Schrift um den Übertritt zum Judentum (vgl. Burchard, 601). Hierbei wird im Zuge der Auseinandersetzung mit dem ersten Gebot vom Hass gesprochen, insofern, als Gott alle hasst, die fremde Götter anbeten. Die zentralen Stücke, in denen der Hass thematisiert wird, sind die Kapitel JosAs 11 und 12 (Text Pseudepigraphen).

5. Zusammenfassung

Mit Blick auf die alttestamentlichen Stellen lässt sich festhalten, dass, auch wenn „Hass“ vor allem im zwischenmenschlichen Bereich eine Rolle spielt, dennoch meist Gott der Bezugspunkt ist. Dass man seinen Mitmenschen nicht hassen, sondern lieben oder zumindest einen ethisch guten Umgang mit ihm pflegen soll (nicht lügen, keine falschen Eide sprechen, weder Unrecht noch Böses ersinnen), wird theologisch begründet. So zeigt sich beispielsweise Gottesgehorsam im Erfüllen des Privilegrechts, in der Wahrung des Rechts im Prozess und in der Solidarität mit dem „Hasser“ (Ex 23,5); darüber hinaus hasst Gott Arroganz, falsche Eide und Menschen, die Unrechtes planen (Spr 6,16ff). Diese Beispiele zeigen: Die Ethik des Alten Testaments „ist eine konsequent theonome Ethik. […] Die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch bildet den Ausgangspunkt und den Orientierungspunkt atl. Ethik“ (Witte, 142f).

Auch wenn man die andere Seite der Aussagen zum Thema Hass betrachtet, die vor allem in den Psalmen präsent ist, bleibt der Bezugspunkt stets Gott: Das „Hassen“ des Gottlosen ist Ausdruck besonderen Gottesgehorsams. Der „Hass“ findet sich auch hier im Spannungsfeld Gott – Mensch – Mitmensch.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005

2. Weitere Literatur

  • Becker, J., 1974, Unterweisung in lehrhafter Form. Die Testamente der zwölf Patriarchen (JSHRZ III/1), Gütersloh
  • Burchard, C., 1983, Unterweisung in erzählender Form. Joseph und Aseneth (JSHRZ II/4), Gütersloh
  • Diesel, A., 2006, „Ich bin Jahwe“. Der Aufstieg der Ich-bin-Jahwe-Aussage zum Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus (WMANT 110), Neukirchen-Vluyn
  • Dietrich, F., 1995, Art. Haß, NBL II, Zürich u.a., 49f
  • Hempel, J., 1964, Das Ethos des Alten Testaments (BZAW 67), 2. erg. Aufl., Berlin
  • Jenni, E., 1968, Das hebräische Pi‘el. Syntaktisch-semasiologische Untersuchung einer Verbalform im Alten Testament, Zürich
  • Jenni, E., 2004, Art. שׂנא śn’ hassen, THAT II, 6. Aufl., Darmstadt, 835-837 (Nachdr. von 1975)
  • Köckert, 2007, M., Die Zehn Gebote (C.H. Beck Wissen), München
  • Lipiński, E., 1993, Art. שָׂנֵא śāne’, ThWAT VII, Stuttgart u.a., 828-839
  • Meinhold, A., 2006, Maleachi (BK XIV/8), Neukirchen-Vluyn
  • Michel, O., 1990, Art. μισέω, ThWNT IV, Stuttgart u.a., 687-698 [Nachdr. von 1933-1979]
  • Nissen, A., 1974, Gott und der Nächste im antiken Judentum. Untersuchungen zum Doppelgebot der Liebe (WUNT 15), Tübingen
  • Noth, M., 1984, Das zweite Buch Mose. Exodus (ATD 5), 7. unver. Aufl. (v. 1959), Göttingen
  • Otto, E., 1994, Theologische Ethik des Alten Testaments (Theologische Wissenschaft 3,2), Stuttgart u.a.
  • Reiterer, F.V., 1996, Gelungene Freundschaft als tragende Säule einer Gesellschaft. Exegetische Untersuchung von Sir 25,1-11, in: F.V. Reiterer (Hg.), Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira Salzburg 1995 (BZAW 244), Berlin / New York, 133-169
  • Schoberth, W., Art. Haß I. Biblisch und dogmatisch, RGG 4. Aufl. III, Tübingen, 1467f.
  • Schrader, L., 1996, Unzuverlässige Freundschaft und verläßliche Feindschaft. Überlegungen zu Sir 12,8-12, in: F.V. Reiterer (Hg.), Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira Salzburg 1995 (BZAW 244), Berlin / New York, 19-59
  • Söding, T., 1995, Feindeshaß und Bruderliebe. Beobachtungen zur essenischen Ethik, RdQ 16, 601-619
  • Wagner, A., 2006, Gefühle, in Sprache geronnen. Die historische Relativität von Gefühlen am Beispiel von „Hass“, in: A. Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien (KUSATU 7), Waltrop, 49-73
  • Witte, M., 2001, Vom Wesen der alttestamentlichen Ethik, in: M. Witte (Hg.), Religionskultur – zur Beziehung von Religion und Kultur in der Gesellschaft (Beiträge des Fachbereichs Evangelische Theologie an der Universität Frankfurt am Main), Würzburg, 139-161

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