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Jugendfreizeit/Jugendcamp

Andere Schreibweise: Freizeiten; Camps; (Zelt-)Lager; Jugendreisen; Rüstzeiten; Ferienfahrten

(erstellt: März 2023)

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1. Freizeiten als Arbeitsform der Jugendarbeit

1.1. Geschichtliche Aspekte und Begriffsbestimmung

Jugendfreizeiten gehören zu den ältesten und intensivsten Arbeitsformen der Jugendarbeit (Haese, 1994). Die vielfältigen Wurzeln im 19. und 20. Jahrhundert schließen Impulse aus verschiedenen Strömungen ein, dazu gehören insbesondere die bündische Jugend, die sozialistische Jugend, die Jugendverbände (beispielsweise der CVJM) sowie die Pfadfinderbewegung (Ernst-Heidenreich/Homburg, 2022). Bis heute gehören die konfessionellen Dachverbände (→ BDKJ und katholische Jugendverbände, Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. [aej]) zu den bedeutendsten Trägern von Freizeitmaßnahmen für junge Menschen. Je nach Region und inhaltlicher Orientierung werden unterschiedliche Begrifflichkeiten (Freizeiten, Camps, (Zelt-)Lager, Jugendreisen, Rüstzeiten, Ferienfahrten usw.) genutzt, der Terminus Freizeiten hat sich aber insbesondere im kirchlichen Bereich weitgehend durchgesetzt. Eine gängige Definition beschreibt Jugendfreizeiten als „mit Gruppen durchgeführte, freiwillige, nicht am Heimatort stattfindende Aktivitäten, die mehr als zwei Tage dauern und deren Zielsetzung über die bloße Organisation eines gemeinsamen Urlaubs hinaus pädagogisch begründet und von Erwachsenen begleitet wird.“ (Ilg, 2021b, 1220; eine Erweiterung dieser Definition um das Charakteristikum der Nicht-Alltäglichkeit findet sich in Dimbath/Ernst-Heidenreich, 2022, 9).

1.2. Einbettung in die Jugendarbeit

Der § 11 des Achten Sozialgesetzbuchs führt die „Kinder- und Jugenderholung“ als einen Schwerpunkt der Jugendarbeit auf (§ 11, Abs. 5 SGB VIII); dementsprechend werden Freizeiten anerkannter freier Träger, also insbesondere der Kirchen, von Kommunen und Ländern finanziell gefördert. Die pädagogischen Konzepte verweisen trägerübergreifend auf Aspekte der Gemeinschaftserfahrung, da Jugendliche bei Freizeiten in besonders intensiver Form ihren „Alltag im Außeralltäglichen“ teilen (Dimbath/Ernst-Heidenreich, 2022, 7). Wie für alle Arbeitsformen der evangelischen und katholischen Jugendarbeit (→ Jugendarbeit, evangelisch; Jugendarbeit, katholisch) kommt Prinzipien wie Freiwilligkeit, Partizipation, Selbstorganisation und Ehrenamtlichkeit eine zentrale Bedeutung zu. Mit der großen Nähe zwischen Jugendlichen und Mitarbeitenden gehen auch besondere Missbrauchsgefährdungen einher, so dass Schutzkonzepte zur Prävention sexualisierter Gewalt ebenso selbstverständlich sind wie die rechtlich vorgeschriebene Vorlage erweiterter Führungszeugnisse aller Mitarbeitenden (exemplarische Arbeitshilfe aus der Erzdiözese Freiburg: Erzbischöfliches Seelsorgeamt Freiburg Abteilung Jugendpastoral, 2017).

2. Formen von Freizeiten

2.1. Vielfalt der Formen und fließende Übergänge

Nicht nur die für Freizeiten verwendeten Begrifflichkeiten, sondern auch die konkreten Formen weisen eine große Vielfalt auf. Freizeitformate können von einer Wochenend-Trekkingtour mit Zelt und Schlafsack bis zu mehrwöchigen internationalen Reisen reichen. Die fließenden Übergänge zu anderen Jugendarbeitsformaten mit Ortswechsel sowie zu Freizeiten anderer Altersgruppen zeigen, dass die Idee des gemeinschaftlichen Verreisens nicht an bestimmte Formen gebunden ist. Elemente aus der christlichen Tradition können dabei spielerisch aufgenommen und weiterentwickelt werden (→ Reisen/Pilgern als religiöser Bildungsort; → Wallfahrt). Im kirchlichen Kontext finden sich als Sonderformen von Freizeiten beispielsweise Stadtranderholungen, → Religiöse Kinderwochen, → Tage der Orientierung, Wochen gemeinsamen Lebens, Gemeindefreizeiten, Rüstzeiten, Schweige-Exerzitien, erlebnispädagogische Aktionstage und vieles mehr (vgl. für den katholischen Bereich die Darstellungen in Kaupp/Höring, 2019). Ein eigenes Format von Jugendgruppenfahrten, bei dem das interkulturelle und interreligiöse Lernen besonders zur Geltung kommt, ist die internationale Jugendarbeit bzw. der Jugendaustausch (IJAB, 2021).

Im Kontext der Jugendverbände (→ BDKJ und katholische Jugendverbände) sind vielfältige Materialien zu praktischen Aspekten der Organisation von Freizeiten verfügbar (exemplarisch: Knublauch, 2020). Für die Umsetzung inklusiver Angebote bieten Freizeiten eine besondere Chance (aej, 2020).

2.2. Sonderformate mit erheblicher Reichweite

Im evangelischen Bereich haben die Fahrten mit Konfirmandinnen und Konfirmanden eine besondere Bedeutung erlangt (Haeske/Redhead/Weusten, 2022). Sie gehören (als lokale Konfi-Freizeit oder Kooperationsangebot mehrerer Gemeinden) zum Standard eines Konfi-Jahres und gewährleisten dadurch, dass fast jedes evangelische Kirchenmitglied im Jugendalter einmal eine Freizeit erlebt. In den Studien zur Konfirmandenarbeit zeigte sich, dass die Camps von den Jugendlichen als ein besonders attraktiver Bestandteil der Konfi-Zeit angesehen werden und für Jugendliche in gewisser Hinsicht als „Mitte der Gemeinde“ fungieren können (Simojoki/Ilg/Schlag/Schweitzer, 2018, 141-154; → Konfirmandenunterricht/Konfirmandinnenarbeit).

Im katholischen Bereich gibt es kein Pendant mit entsprechender Reichweite, allerdings spielen Freizeiten auch in der Arbeit mit Ministrantinnen und Ministranten (→ Jugendarbeit, katholisch) oder der → Firmkatechese eine wichtige Rolle, jedoch nicht mit einer so flächendeckenden Ausbreitung wie in der Konfi-Arbeit.

3. Beziehungsraum und Spiritualität

Versteht man die Aufgabe der Jugendarbeit als die Bereitstellung eines Beziehungsraums (Ilg, 2021a), so bieten Jugendfreizeiten nicht nur für die zwischenmenschlichen Beziehungen einen besonderen Nährboden. Sie ermöglichen als spirituelles Angebot auch Formen der Beziehung zu Gott. Neben der Gemeinschaftserfahrung tragen dazu die Mitarbeitenden mit ihrem seelsorglichen Potenzial bei (BDKJ Ferienwelt, 2019). Im gemeinsamen Erleben und Erfahren, bei expliziten und impliziten Verkündigungsformen und auch im Blick auf ihre Bildungsdimension kann bei Freizeiten eine deutlich größere Vielfalt spiritueller Ausdrucksformen umgesetzt werden als im kirchengemeindlichen oder jugendverbandlichen Alltag (Überblick: Ilg, 2020). Häufig werden in der Praxisliteratur die „Bergerlebnisse“ bei Freizeiten mit der Verklärung der Jünger (Mk 9,2-10) als einem dem sonstigen Leben entrückten Sehnsuchtsort verglichen. Dies verdeutlicht zugleich die pädagogische Herausforderung, eine Brücke zwischen der besonderen Erfahrung einer Freizeit und dem alltäglichen Leben der Jugendlichen herzustellen. Es ist empirisch belegt, dass Freizeiten enormes Bildungspotenzial aufweisen, beispielsweise im Blick auf demokratische Partizipation. Erleben Jugendliche bei Freizeiten ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten, können sie das auch im Alltag umsetzen. Allerdings bleibt dieses Potenzial immer wieder auch ungenutzt, weil die Freizeit-Teams die Teilnehmenden nur in geringem Maße in Entscheidungsfindungen einbeziehen (Ahlrichs/Hoffmann, 2022, 155). In ekklesiologischer Perspektive bieten Freizeiten die Möglichkeit, dass junge Menschen „Kirche bei Gelegenheit“ (Nüchtern, 1991) und „Gemeinde auf Zeit“ (EKD, 2019, 15) erleben; zugleich verortet sich Kirche hierbei im wichtiger werdenden Feld des Tourismus (EKD, 2019; Wort und Antwort, 2016).

4. Forschung und Perspektiven

In der → Gemeindepädagogik wie auch in der Jugendarbeitsforschung insgesamt finden sich nur wenige wissenschaftliche Thematisierungen des Phänomens Freizeiten. Empirische Zugänge bietet der Forschungsverbund Freizeitenevaluation (www.freizeitenevaluation.de). Die Fragebogen-Rückmeldungen aus diesem Forschungskontext belegen die hohe Attraktivität von Freizeiten bei Jugendlichen. Die starken Effekte im Bereich von Persönlichkeitsbildung und sozialem Lernen gründen im personalen Angebot der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und können als ein Effekt des intensiven Betreuungsschlüssels in Jugendverbänden gelten (exemplarische Ergebnisse: aej NRW, 2020). Ein Beispiel für qualitative Forschungszugänge zum Feld der Freizeiten stammt aus der Nordkirche (Herrmann/Bösefeldt/Meuche, 2018). Der aktuelle Forschungsstand sowie wissenschaftliche Desiderate sind in einem Überblicksband zum Stand der Jugendreiseforschung (Drücker/Fuß/Schmitz, 2014) sowie in der im Jahr 2022 eröffneten Buchreihe „Fahren, Reisen, Begegnen“ (Dimbath/Ernst-Heidenreich, 2022) zusammengestellt.

Im Zuge der Corona-Pandemie seit 2020 waren Freizeiten besonders stark von den Verordnungen zum social distancing betroffen, die Einnahmeausfälle stellten zudem die zahlreichen katholischen und evangelischen Bildungsstätten und Freizeithäuser vor finanzielle Herausforderungen (Brinkmann/Ilg, 2021; Reisner/Ilg, 2023).

Im Blick auf zukünftige Entwicklungen dürfte die Konkurrenz durch kommerzielle Anbieter eine wachsende Herausforderung für verbandlich organisierte Freizeiten darstellen. Zudem ergeben sich (insbesondere bei Flugreisen oder Fahrten in Kleinbussen) im Kontext der Klimakrise Debatten über die Sinnhaftigkeit einer CO2-intensiven Gruppenreisetätigkeit, vielerorts werden klimaneutrale Reiseformen im regionalen Umfeld neu entdeckt. Wie die weit über 100-jährige Geschichte der Jugendgruppenfahrten zeigt, lässt sich der Kern des gemeinschaftlichen Reisens in vielfältiger Weise ausgestalten, so dass Freizeiten auch in neuen Formaten eine intensive Begegnung junger Menschen mit Angeboten der Kirche und ihrer Jugendarbeit darstellen können.

Literaturverzeichnis

  • Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) (Hg.), Geht doch! Wertvolle Tipps für eine inklusive Freizeitenarbeit, Hannover 2020. Online unter: https://www.aej.de/fileadmin/user_upload/Die_aej/Publikationen/PDF/aej_Geht_doch_Inklusive_Freizeitenarbeit.pdf, abgerufen am 18.08.2022.
  • Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend in NRW (aej NRW) (Hg.), Weil es nicht einfach vom Himmel fällt… Zur Qualität der Freizeitenarbeit in NRW. Evaluation der Kinder- und Jugendfreizeiten im Bereich der Evangelischen Jugend in NRW im Sommer 2017, Düsseldorf 2020. Online unter: https://www.juenger-freizeitenservice.de/materialien-downloads/i-eval-freizeiten/ergebnisse-freizeitenevaluation-2017/, abgerufen am 18.08.2022.
  • Ahlrichs, Rolf/Hoffmann, Stefan, Demokratische Partizipation in der Jugendverbandsarbeit, Baden-Baden 2022.
  • BDKJ Ferienwelt, Seelsorge auf Freizeiten und Zeltlagern – ein Handbuch der BDKJ Ferienwelt, Wernau 2019.
  • Brinkmann, Hannah/Ilg, Wolfgang, Wie geht es der Jugendverbandsarbeit nach dem Corona-Lockdown? Empirische Erkenntnisse aus einem evangelischen Jugendverband, in: deutsche jugend 69 (2021) 4, 170-179.
  • Dimbath, Oliver/Ernst-Heidenreich, Michael, Jugendreisen. Perspektiven auf Historie, Theorie und Empirie, Fahren. Reisen. Begegnen, Camp and Mobility Studies 1, Weinheim 2022.
  • Drücker, Ansgar/Fuß, Manfred/Schmitz, Oliver, Wegweiser Kinder- und Jugendreisepädagogik: Potenziale – Forschungsergebnisse – Praxiserfahrungen, Schwalbach/Ts. 2014.
  • Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) (Hg.), Beteiligung auf Zeit: Individuelle Zugehörigkeit am Beispiel der Tourismuskirchenarbeit. EKD-Texte 132, Hannover 2019. Online unter: https://www.ekd.de/ekd_texte-132-beteiligung-auf-zeit-47800.htm, abgerufen am 18.08.2022.
  • Ernst-Heidenreich, Michael/Homburg, Lena, Geschichte und Forschungsstand des Jugendreisens. in: Dimbath, Oliver/Ernst-Heidenreich, Michael (Hg.), Jugendreisen. Perspektiven auf Historie, Theorie und Empirie, Fahren. Reisen. Begegnen, Camp and Mobility Studies 1, Weinheim 2022, 20-53.
  • Erzbischöfliches Seelsorgeamt Freiburg Abteilung Jugendpastoral (Hg.), Schutzengel. Rechtliche Grundlagen und Versicherungsschutz für die kirchliche Jugendarbeit, Freiburg i. Br. 2017. Online unter: https://www.kja-freiburg.de/service/schutzengel-rechtliche-grundlagen/, abgerufen am 19.10.2022.
  • Haese, Bernd-Michael, Erleben und erfahren. Freizeiten als Methode kirchlicher Jugendarbeit, Marburg 1994.
  • Haeske, Carsten/Redhead, Irmela/Weusten, Steffen (Hg.), Das Evangelium ins Zelt setzen. Werkbuch KonfiCamps, Gütersloh 2022.
  • Herrmann, Cora/Bösefeldt, Ina/Meuche, Katrin, Frei. Freiräume. Freizeiten. Einsichten und Erkenntnisse aus der Studie „Ferienfreizeiten unter der empirischen Lupe“, in: deutsche jugend 66 (2018) 11, 465-472.
  • IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. Forschung und Praxis im Dialog – Internationale Jugendarbeit (Hg.), Internationaler Jugendaustausch wirkt. Forschungsergebnisse und Analysen im Überblick, Bonn/Köln 3. veränderte Aufl. 2021.
  • Ilg, Wolfgang, Jugendarbeit gestalten, Praktische Theologie konkret 4, Göttingen 2021a.
  • Ilg, Wolfgang, Ferienfreizeiten und Reisen, in: Deinet, Ulrich u.a. (Hg.), Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit, Wiesbaden 5. Aufl. 2021b, 1219-1225.
  • Ilg, Wolfgang, Spiritualität bei Freizeiten, in: Zimmerling, Peter (Hg.), Handbuch Evangelische Spiritualität, Band 3: Praxis, Göttingen 2020, 708-724.
  • Kaupp, Angela/Höring, Patrik C. (Hg.), Handbuch kirchliche Jugendarbeit. Für Studium und Praxis, Freiburg i. Br. 2019.
  • Knublauch, Björn u.a. (Hg.), Der Freizeitplaner. Freizeiten einfach gut planen, durchführen, nacharbeiten, Stuttgart 2020.
  • Nüchtern, Michael, Kirche bei Gelegenheit. Kasualien – Akademiearbeit – Erwachsenenbildung, Stuttgart 1991.
  • Reisner, Lars/Ilg, Wolfgang, Auswirkungen der Corona-Pandemie auf jugendverbandliche Freizeitmaßnahmen. Ergebnisse und Konsequenzen aus einer bundesweiten Erhebung des Deutschen Bundesjugendrings, in: deutsche jugend 71 (2023) 1, (im Druck).
  • Simojoki, Henrik/Ilg, Wolfgang/Schlag, Thomas/Schweitzer, Friedrich, Zukunftsfähige Konfirmandenarbeit. Empirische Erträge – theologische Orientierungen – Perspektiven für die Praxis, Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten 12, Gütersloh 2018.
  • Wort und Antwort, Dominikanische Zeitschrift für Glauben und Gesellschaft, Themenheft 3/2016: Heilige Tage: Freizeit und Tourismus, Ostfildern 2016.

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