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Biemer, Günter (1929-2019)

(erstellt: März 2023)

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1. Zur Person

Günter Biemer war viele Jahre Religionspädagoge an der Theologischen Fakultät an der Universität Freiburg im Breisgau. Er gründete die Internationale Deutsche John Henry Newman-Gesellschaft und war deren Ehrenvorsitzender sowie Président d'honneur de l'association française des amis de J. H. Newman.

Günter Biemer ist am 30. September 1929 in Mannheim geboren und am 1. Juni 2019 in Staufen im Breisgau gestorben.

Seine Wegstationen:

1945-1949 Besuch der Albertus-Magnus-Schule in Viernheim

1950-1952 Studium Katholische Theologie in Freiburg i. B.

1952/53 Studium Katholische Theologie am Oscott College in Birmingham

1953-1954 Studium Katholische Theologie in Freiburg i. B.

1955 Priesterweihe

1955-1957 Gemeindeseelsorge und Religionslehrer

1957-1959 Weiterstudium und Promotion zum Dr. theol. in Tübingen im Fach Fundamentaltheologie

1959-1966 Dozent am Priesterseminar in St. Peter im Schwarzwald

1964 Gastprofessor in Pittsburgh/USA

1967 Habilitation in Freiburg i. B.

1966-1970 Professor für Pastoraltheologie (Nachfolge F.X. Arnold) in Tübingen

1970 bis zur Emeritierung 1994 Professor für Pädagogik und Katechetik an der Theologischen Fakultät in Freiburg i. B.

1982 Gastprofessor an der Universität Bristol (Newman Fellow)

2. Günter Biemer und John Henry Newman

Wissenschaftsbiografisch wäre aus Günter Biemer auch ein profilierter Fundamentaltheologe geworden. Religionspädagoge wurde er zunächst nicht aus innerer Motivation, sondern eher aus der Gehorsamsverpflichtung gegenüber seinem damaligen Freiburger Erzbischof heraus, die Dozentur für „Katechetik“ am Priesterseminar in St. Peter im Schwarzwald anzunehmen. Lehrstühle für Religionspädagogik im heutigen Sinne gab es zu seinen Studienzeiten an katholisch-theologischen Fakultäten noch nicht.

Geleitet wurde Günter Biemer durch die immer tiefer und komplexer werdenden theologischen Kontakte mit der Person und Theologie John Henry Newmans bereits als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes bei einem Studienaufenthalt in Oxford und Birmingham.

Dieser hat ihn lebenslang fasziniert. Er konnte Abende lang aus einem unerschöpflich anmutenden Wissen zu diesem speziellen und interessanten Theologen erzählen.

Newmans Begriffspaar „notional assent“ und „real assent“ ist bis heute für die Religionspädagogik relevant. Es geht nicht nur um das über Gott und über Religion kognitive Sprechen, sondern es geht auch um die reale Zustimmung zu personalen Entscheidungen im Blick auf Gott oder Nicht Gott.

Die von Günter Biemer begleiteten Forschungsarbeiten von Lothar Kuld (1989) und Bernd Trocholepczy (2010) zu diesem Thema müssten bis heute religionspädagogisch intensiver weiterreflektiert werden.

Seine private, hochdifferenzierte und umfassende Newman-Bibliothek wurde kurz vor seinem Tod in die Universitätsbibliothek Freiburg i.B. integriert.

3. Günter Biemers Weg zur praktischen Theologie und Religionspädagogik

Günter Biemers Weg zur praktischen Theologie und Religionspädagogik begann nach seiner Habilitation (Biemer, 1968) mit seiner kurzen, aber wichtigen Zeit an der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen als Nachfolger des Pastoraltheologen Franz Xaver Arnold – gemeinsam mit Hans Küng, Joseph Ratzinger, Max Seckler und Alfons Auer.

3.1. Erarbeitung bildungstheoretischer Grundlagen

Religionsdidaktisch entscheidend wurde nach seinem Wechsel an die Universität Freiburg i. B. die Zusammenarbeit mit Dietrich Benner – heute emeritierter Bildungswissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin, damals junger Privatdozent an der Freiburger Universität. In dieser Kooperation entstand das Projekt „Elemente zu einer curricularen Strategie für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II“ (Biemer/Benner, 1973). Dieses wurde bildungspolitisch damals hoch bedeutsam, weil es zeitgleich von Ministerien Überlegungen gab, den Religionsunterricht im Kurssystem der Sekundarstufe II aus der Leistungspunktebewertung beim Abitur auszugrenzen. Dies hätte den Religionsunterricht als ordentliches Schulfach für immer beschädigt, wenn nicht in der Sekundarstufe II sogar langfristig ruiniert.

Diese von Günter Biemer geleitete Arbeitsgruppe hat – gemeinsam mit Dietrich Benner – jene wichtige bildungstheoretische Grundsteine gelegt, die die Vernetzung mit dem damalig konsensorientierten curricularen Vorgehen ermöglich hat. Dass dieser anspruchsvolle Ansatz nicht auch praxisorientierter weiter entwickelt wurde, hing mit der dringlichen Anfrage des „Gesprächskreises Juden und Christen“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) durch seinen damaligen Leiter Prof. Hanspeter Heinz zusammen, ein DFG Forschungsprojekt zum unerlässlichen und überfälligen Thema „Das Verhältnis von Judentum und Christentum im katholischen Religionsunterricht“ zu beantragen und Theorie-Praxis orientiert bis hin zum Religionsunterricht zu realisieren.

3.2. Judentum und Christentum im Religionsunterricht

Dieses Projekt war gesellschaftlich und kirchlich hochbrisant – eine andere Universität hatte schon abgelehnt – und musste innerhalb der theologischen Disziplinen kooperativ und kompetent abgesichert angegangen werden. Günter Biemer realisierte das Projekt gemeinsam mit Peter Fiedler als wichtigem Projektassistenten, darüber hinaus mit Karl Lehmann, Alfons Deissler, Anton Vögtle, Hans Urs von Balthasar und auf jüdischer Seite mit Ernst Ludwig Ehrlich, der viele Jahreeuropäischer Direktor der jüdischen Organisation B’nai B’rith war. Zeitweise waren am Projekt auch Emmanuel Levinas und der damalige Landesrabbiner Nathan Peter Levinson beteiligt.

Die direkten oder indirekten Antisemitismen und Antijudaismen in der Religionspädagogik zu analysieren und zu überwinden, wurde für Günter Biemer jahrelang zu seiner zentralen Lebensaufgabe.

Die von ihm mit Ernst Ludwig Ehrlich gegründete Reihe „Lernprozess Christen Juden“ mit zahlreichen Bänden hat über viele Jahre weitere Forschungsergebnisse aufgenommen. Diese führten zu einer bildungstheoretisch reflektierten Neukonstruktion bis in konkrete Unterrichtsprojekte hinein. Nachfolgende Unterrichtsmodelle, Schulbücher und Bildungspläne orientierten sich fast immer an diesen Kriterien.

Helga Kohler-Spiegel (1991) hat in ihrer Salzburger Dissertation bewusst im zeitlichen Abstand eine präzise Evaluierung der Fortschritte und Veränderungen vorgelegt.

Seine Analysen zu der Verfolgung und Ermordung der badischen Juden haben Günter Biemer seinerzeit auch persönlich tief und schmerzlich berührt.

3.3. Kirchliche Jugendarbeit und Funkkolleg „Religion“

Kirchliche Jugendarbeit (→ Jugendarbeit, evangelisch; → Jugendarbeit, katholisch) wurde zu einem nächsten wichtigen Forschungsprojekt – gemeinsam mit Werner Tzscheetzsch, seinem späteren Nachfolger auf dem Freiburger Lehrstuhl.

Das „Handbuch kirchlicher Jugendarbeit“ (1985/1986) hat Diskussionen beflügelt und Grundlagen auf diesem wenig bearbeiteten Gebiet ermöglicht.

Im Funkkolleg „Religion“ in Kooperation mit dem damaligen Süd-West Rundfunk (heute SWR) war Günter Biemer führend mitverantwortlich.

3.4. Sakramentenkatachese

Seine Idee, mehrsprachig religionspädagogisch zu kommunizieren, realisierte er in den Bänden „Anstiftungen. Ein Hoffnungsbuch für junge Menschen“ mit vielen weiteren Auflagen und mehr als 70.000 Exemplaren.

Sakramentenkatechese (→ Sakramentenkatechese/-pastoral) hat Günter Biemer nach theologischen, entwicklungspsychologischen und religionspädagogischen Überlegungen im Theorie-Praxis Zirkel in verschiedenen Auflagen bearbeitet.

3.5. Günter Biemer – Inspiration für viele

Günter Biemer war Priester – er kam aber auch in Tenniskleidung an die Universität. Immer hat er in der konkreten „Seelsorge“ im Freiburger Umfeld mitgewirkt, in Buchheim, Bingen und Eschbach, woraus sich bis in sein hohes Alter ein Bibelkreis mit ihm versammelt hat.

Unvergesslich seine Kommunikation, Studierende zu stärken, Seminare gemeinsam durch ein motivierendes Planungswochenende am Beginn des Semesters zu entwickeln. Es gab kaum Seminare, die nicht mit einem gut vorbereiteten und kommunikativ interessanten Seminarfest geendet haben.

Ungeduldig wurde er, wenn das Niveau der Diskussion nicht anspruchsvoll genug war. Er hatte eine Tendenz zu Perfektion, allerdings so, dass er diesen Anspruch zunächst einmal an sich selbst richtete und erst dann an sein Mitarbeiterteam.

Er hat seinen jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr viel zugetraut, so etwa ihnen die Leitung des Hauptseminars übertragen, obwohl sie noch gar nicht promoviert waren - für damalige Freiburger Verhältnisse unvorstellbar. Diese Art von spirituellem und fachlichem Zutrauen hat dazu geführt, selbst Schritt für Schritt mutig und entschieden auch an die eigenen Grenzen zu gehen und die Religionspädagogik zur entschiedenen Lebensaufgabe zu machen.

Günter Biemer war zwischen dem Ist-Stand kirchlicher Strukturen und befreiender Botschaft des Anspruches Jesu oft unter Spannung. Aber genau dies hat sein Lebenswerk ermöglicht. Unter den katholischen Religionspädagogen seiner Generation ist er ein Unikat geworden, bewusst wenig im Rampenlicht. Seine manchmal (über)vorsichtige Haltung, Forschungsprobleme anzugehen, hat fast immer dahingehend Frucht getragen, noch einmal tiefer zu bohren, noch einmal einen Schritt zurückzugehen und sich zu vergewissern und nicht einfach „loszulegen“.

Sein Umgang mit Kolleginnen und Kollegen war vornehm, er konnte sich selbst zurücknehmen, war angesehen, nicht zuletzt auch wegen seiner Empathie und Verständigungskompetenz.

Ein großer Schüler- und Schülerinnenkreis auf verschiedenen Verantwortungsebenen verdankt seiner einfühlsamen, fürsorglichen und fordernden Kommunikation ein mutiges, entschiedenes und kritisches Auftreten für eine Kirche mit großen Verheißungen.

Literaturverzeichnis

  • Biemer, Günter, Edilbert Menne (1750-1828) und sein Beitrag zur Pastoraltheologie – Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung insbesondere zur Dorfkatechese der Aufklärungszeit (Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge, Band XXV), Freiburg 1968.
  • Biemer, Günter (Hg.), Freiburger Leitlinien zum Lernprozess Christen Juden. Theologische und didaktische Grundlegung, Düsseldorf 1981.
  • Biemer, Günter, Anstiftungen. Ein Hoffnungsbuch für junge Menschen, Freiburg 1982.
  • Biemer, Günter, Symbole des Glaubens leben, Symbole des Lebens glauben. Sakramentenkatechese als Lernprozess. Taufe, Firmung, Eucharistie, Ostfildern 1999.
  • Biemer, Günter/Benner, Dietrich, Elemente zu einer curricularen Strategie für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II, in: Pädagogische Rundschau 27 (1973), 798-822.
  • Biemer, Günter/Biesinger, Albert/Fiedler, Peter, Was Juden und Judentum für Christen bedeuten: eine neue Verhältnisbesinnung zwischen Christen und Juden. Lehr-Lerneinheiten für die Sekundarstufen, in: Lernprozess Christen Juden 3, Freiburg 1984.
  • Biemer, Günter/Tzscheetzsch, Werner/Schmid, Franz, Handbuch kirchlicher Jugendarbeit. Teile 1 bis 3. (I: Der Dienst der Kirche an der Jugend. Grundlegung und Praxisorientierung/II: Lernarbeit Jugendarbeit: Ausbildung jugendlicher Gruppenleiter/III: Grundlagentexte zur katholischen Jugendarbeit), Freiburg 1985/1986.
  • Fiedler, Peter, Das Judentum im katholischen Religionsunterricht. Analysen, Bewertungen, Perspektiven, in: Lernprozess Christen Juden 1, Düsseldorf 1980.
  • Kohler-Spiegel, Helga, Juden und Christen – Geschwister im Glauben. Ein Beitrag zur Lehrplantheorie am Beispiel Verhältnis Christenturn Judentum, in: Lernprozess Christen Juden 6, Freiburg 1991.
  • Kuld, Lothar, Lerntheorie des Glaubens. Religiöses Lehren und Lernen nach J.H. Newmans Phänomenologie des Glaubensakts, (Internationale Cardinal-Newman-Studien 13), Sigmaringendorf 1989.
  • Trocholepczy, Bernd, Realisation – Verwirklichung und Wirkungsgeschichte. Studien zur Grundlegung der Praktischen Theologie nach John Henry Newman (Internationale Cardinal-Newman-Studien 20), Frankfurt am Main 2010.

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