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(erstellt: Februar 2022)

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1. Anthropologische Bedeutung

Der anthropologische Ursprung für Feste wird religionswissenschaftlich (→ Religionswissenschaft) anhand unterschiedlicher Forschungsansätze diskutiert, wobei vor allem zwei dieser Hypothesen den Diskurs prägen.

1.1. Fest als Ort des kulturellen Gedächtnisses

In der ersten Hypothese wird angenommen, dass Feste das zentrale Medium des kulturellen Gedächtnisses sind. Im Fest kommt es u.a. zur Erfahrung von Zeit sowie Gemeinschaft und daraus resultierend zur Erfahrung von gemeinschaftlichem Geschichts- und Ursprungsbewusstsein (Assmann, 1991, 13). Das Fest wird damit zum genuinen Ort der Besinnung auf das Essenzielle, das Heilige einer Kultur. Diese Ortsanzeige grenzt aber sogleich vom Alltag ab. Der Alltag wird als das Notwendige, das Funktionierende einer Gemeinschaft verstanden, das keinen permanenten Reflexionsprozess verlangt. Das Fest hingegen ermöglicht als Kontrapunkt zum Alltag diese Reflexionsleistung, denn es ist im Gegensatz zum Alltäglichen nicht dominiert von Zufall, Knappheit und Routine. Diesen drei Merkmalen stehen im Bereich des Festes die Zeremonie, die Fülle und das Gefühlsbetonte gegenüber (Gebhardt, 1987, 52-65). Die Zeremonie unterstreicht aufgrund ihres Wesens die Nicht-Zufälligkeit innerhalb des Festes. Das Fest wird nicht der Beliebigkeit überlassen, denn es steht nicht der Zweck im Vordergrund, sondern die Form der Ausführung. Das Handeln der Gemeinschaft orientiert sich am Stil der Zeremonie. Die Fülle repräsentiert die unproduktive Verausgabung (Maffesoli, 1986, 28), damit soll eine utopische Fülle (Schlaraffenland, Paradies, Goldenes Zeitalter) suggeriert werden. Das dritte Merkmal eines Festes ist das Gefühlsbetonte, im Sinne der Aufwallung der Gefühle, das in der Festforschung mit dem im Jahr 1912 von Émile Durkheim eingeführten Begriff effervescence collective ausgedrückt wird (Durkheim, 2003, 553; Wunenberger, 1995). Dieses kollektive Verlieren der Selbstbeherrschung stellt in besonderer Weise die Unterscheidung von Alltag und Fest dar. Es ermöglicht der Gemeinschaft ihr alltägliches Leben bei Seite zu lassen und den Fokus auf das Gemeinsame, das Essenzielle zu richten. Der Mensch erfährt aufgrund von Festen die Möglichkeit, sich seiner Herkunft, seiner Existenz und seiner Geschichte zu vergewissern. Aus diesem Grund wird bei dieser Hypothese das Fest als notwendig sowohl für die Gemeinschaft als auch für das Individuum und als Wesensmerkmal des Menschen betrachtet, da es dem Menschen eigen ist, Feste zu feiern (Marquard, 1988, 414).

1.2. Fest als Teil des sozialen Lebens

Die zweite gängige Hypothese bezieht sich darauf, dass es in den archaischen Religionstypen zu keiner Unterscheidung zwischen Zeiten des Alltages und des Festes kommt. Das Heilige, das Transzendente wird nicht wie bei der ersten Hypothese dem Menschen gegenübergestellt, sondern in dessen Dienst genommen. Es kommt nicht zu einer Differenzierung von jenseitig-transzendenter und diesseitig-irdischer Sphäre, sondern das Jenseits wird als Ausdehnung des Diesseits verstanden. Das Religiöse und somit auch das Fest sind Bestandteil des Alltags (z.B. Prozessionen, Ekstase, Orgien usw.).

Dieser religionswissenschaftliche Ansatz wurde im Zuge der soziologischen Analysen der Studentenrevolten im Jahr 1968 aufgegriffen (Villadary, 1968). Dem Fest wird ein revolutionärer Charakter zugesprochen, den es in den Alltag zu transformieren gilt. Der Mensch, der in seiner Existenz dem wirtschaftlichen Produktionsdruck unterliegt, soll sich davon befreien und im Fest die Maßlosigkeit als befreiende Kraft entdecken.

Für die heutige Zeit angewandt bedeutet das, dass es folglich zu einer Eventisierung der Alltagskultur gekommen ist. Das wird vor allem anhand der Deinstitutionalisierung, Profanisierung und Ökonomisierung des Festes sichtbar. Die Feste werden nicht mehr von gemeinschaftlichen Institutionen (wie Staat, Partei oder Kirchen) ausgerichtet und haben auch keinen rituellen Verbindlichkeitscharakter hinsichtlich des Transzendenten, sondern sind aufgrund der heterogenen Gesellschaftsentwicklung (Hitzler/Honer/Pfadenhauer, 2008) offene unverbindliche Gemeinschaftserlebnisse, welche vor allem auf Ekstase ausgerichtet sind. Dabei spielt das temporäre und an sich anonyme Zusammengehörigkeitsgefühl für den Moment des Festes eine entscheidende Rolle. Diese Kombination von Anonymität und Gefühl des Kollektivs gestattet dem Individuum ein Aus-sich-Heraustreten bis ins Exzessive (Gebhardt, 2010, 331). Das wiederum ermöglicht dem Menschen eine Entlastung, oder wie es Arnold Gehlen formuliert, eine Selbststeigerungserfahrung der Entdifferenzierung und der Entspezialisierung, die eine neue Offenbarung von sich selbst zulässt (Gehlen, 1964, 241). Das Exzessive des Festes wird dadurch ermöglicht, dass in der vertrauten temporären Anonymität keine Geheimnisse nötig sind, was sowohl entlastet wie auch eine emotionale Bindung erzeugt (Plessner, 2002, 45). Das Individuum erfährt somit die archaische Kraft eines kollektiven Handelns, das sich in der Entschleierung als ultimatives Gemeinschaftserlebnis präsentiert (Gebhardt, 2010, 332). So wird das Fest in der Zeit von heterogenen Gesellschaften zum Ort der Erfahrung des Kollektivs. Das Transzendente der archaischen Religionen wird zur Erfahrung der eigenen Identität im Kollektiv der Feiergemeinschaft und die Bewältigung der Kontingenzerfahrung erfolgt in der Entlastung vom Alltag.

2. Theologische Bedeutung

Die christlichen Feste sind in sich existenzielle zeichenhafte Handlungsvollzüge des Glaubens (→ Glaube). Die Feier des Festes drückt den gemeinsamen Glauben aus und bestärkt ihn dadurch. Dabei sind Feste rückgebunden an die Heilstaten Christi. Religionswissenschaftlich wie theologisch lassen sich die Feste grob in zwei Kategorien einordnen: Feste im Laufe des Jahres (Jahreszeitenfeste wie Ostern, Erntedank etc.) und jene im Laufe eines Lebens (Initiation, Firmung/Konfirmation, Bestattung, aber auch im Bereich des Profanen: Fertigstellung eines Hauses, vor und nach der Jagd etc.).

2.1. Feste im Jahreskreis

Die jahreszeitlichen Feste möchten im Laufe des Jahres die Heilsgeschichte Jesu Christi entfalten (Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium 102-106; Bieritz, 2014, 28). Dabei sind im Gesamtduktus des Jahres die konfessionellen Divergenzen nur mehr marginal (Lumma, 2016, 209). Bei der Entfaltung der Mysterien Christi bildet das Pascha-Mysterium – Leiden, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt – das Zentrum. Mit der Betonung des Pascha-Mysteriums bleibt des Weiteren der Bezug zur Heilgeschichte Israels auch im christlichen Kirchenjahr (Liturgisches Jahr) erhalten (Schilson, 2006, 1254) und die Bundeszusage Gottes sichtbar. Durch die wiederkehrende zyklische Abfolge der Feste wird jedoch eine doppelte Problematik deutlich: Einerseits entzieht sich vor allem das Pascha-Mysterium einer rein chronologischen Abfolge, da es als überzeitlich zu verstehen ist (Katechismus der Katholischen Kirche, 2005, 1085), andererseits wird die Abfolge der Heilsereignisse als Weg verstanden, der nicht zirkulär ist, sondern linear und ein Ziel verfolgt, die Erfüllung in Gott. Die Erfahrung der wiederkehrenden Jahreszeiten und damit die anthropologische Verbundenheit mit der zeitlichen Größe Jahr lassen die Vergegenwärtigung der Christusereignisse innerhalb des Jahres auf zutiefst menschliche Weise erkennen (Auf der Maur, 1983, 21-24; Bieritz, 2014, 27-28; Sorci, 2013, 58-60). Durch verschiedene Typen von Jahresfesten wird die Heilsgeschichte Christi vergegenwärtigt. An erster Stelle ist das Osterfest mit allen weiteren Festtagen und -zeiten (Österliche Bußzeit, Karwoche, Gründonnerstag, Karfreitag, Christi Himmelfahrt, Pfingsten etc.) zu nennen. Danach folgt mit dem Doppelfest Weihnachten (→ Geburtsgeschichten Jesu / Weihnachten, bibeldidaktisch) und Erscheinung des Herrn (Epiphanie/Epiphanias) und dem dazugehörigen Festkreis (Advent, Taufe des Herrn etc.) das Gedenken an die Menschwerdung und Offenbarung Christi. Darüber hinaus finden sich im Kirchenjahr noch weitere Festtage, welche durch unterschiedliche Akzentuierungen das Heilsereignis darlegen wollen: Herrenfeste, mitunter auch Christusfeste genannt (Verkündigung des Herrn, Verklärung des Herrn etc.), Marienfeste (Aufnahme Mariens in den Himmel, Mariä Empfängnis etc.), Heiligen- und Märtyrerfeste, Ideenfeste (Dreifaltigkeitsfest, Fronleichnam, Herz-Jesu-Fest, Christkönigssonntag etc. – im evangelischen Bereich wären das vor allem thematisch akzentuierte Sonntage, wie z.B. Kantate-Sonntag) und weitere Gedächtnisfeste, welche auf kirchenhistorische Ereignisse zurückzuführen sind (Kreuzerhöhung, Rosenkranzfest, Reformationsfest etc.). Darüber hinaus erfährt das Kirchenjahr eine Prägung durch die Sonntage als Herrentage. Sie verdeutlichen jede Woche die Rückbindung des gesamten kirchlichen Feierns an Ostern (Pascha-Mysterium, daher auch die Bezeichnung Wochenpascha) und gelten als Fundament des gesamten Kirchenjahres (Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium 106).

2.2. Feste in der Biografie

An den diversen Stationen des Lebens halten Menschen inne und feiern Feste. Diese finden zumeist an Schwellenereignissen statt (rites de passage). Am Übergang von einer Lebensphase in eine andere kommt es zur Verunsicherung des Individuums. Durch Zeremonien und Feste soll hingegen Sicherheit geschaffen werden (Van Gennep, 2005, 21-24). Auch die christlich-biografischen Feste, welche zumeist mit Sakramenten und Sakramentalien verbunden sind, sollen „nahezu jedes Ereignis ihres [der Gläubigen] Lebens“ heiligen (Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium 61). Religionswissenschaftlich gesprochen soll durch Nachahmung des göttlichen Tuns bzw. der Vergegenwärtigung Gottes ein heilschaffender Zustand hergestellt werden. Dabei bezieht sich diese Nachahmung oder Vergegenwärtigung auf die Überzeugung, dass Gott in seinem ersten Heilshandeln das Chaos besiegt hat und folglich die → Schöpfung als gut zu betrachten sei (Wißmann, 2006, 1250-1251; Meßner, 1998, 658-661). Im christlichen Kontext ist in diesem Hinblick vor allem das Fest, welches mit der Feier der Initiation (im katholischen Bereich verstanden als Taufe – Firmung – Eucharistie, im evangelischen vor allem als Taufe) verbunden ist, zu nennen. Der Mensch wird in den mystischen Leib Christi und somit in die Kirche eingegliedert. Mit der Initiation erfolgt die Angleichung an die Existenz Christi, ein Christwerden. Dabei gelangt die gesamte Existenz des Menschen in den Blick. Alle weiteren biografischen Feste sind aus christlicher Perspektive eine Ausfaltung dieses Initiationsgeschehens. Diese Ausfaltung lässt sich in drei Typen von Festen kategorisieren: Konkretisierung der christlichen Existenz (Trauung, Ordensprofess, Mönchs- und Jungfrauenweihe etc.), Einweisung in Funktionen (Ordinationen, Benediktion von Abt und Äbtissin, Einsegnung in kirchliche Berufe etc.) und Segnung von Personen in bestimmten Situationen (Segnung eines Neugeborenen, Konfirmation, Reise-, Sterbesegen etc.) (Meßner, 1998, 656f.).

3. Zentrale christliche Feste

Die Mitte der christlichen Feste stellt Ostern dar. Alle weiteren Feste, sowohl jährliche wie auch biografische, beziehen sich in ihrem Kern auf dieses. Auch die Initiation bzw. Taufe hat ihren existenziellen Ursprung in der Feier von Ostern. Als zweiter Brennpunkt des Kirchenjahres kann mit Weihnachten und Epiphanie/Epiphanias die Menschwerdung Christi betrachtet werden (für die Taufe als entscheidendes biografische Fest siehe 2.2. Feste in der Biografie.)

3.1. Ostern

Das Zentrum des gesamten Osterfestkreises bilden die drei österlichen Tage, die von der Abendmahlsmesse des Gründonnerstags bis zur Vesper am Ostersonntag reichen und ihren Mittelpunkt in der Osternacht besitzen (Grundordnung des Kirchenjahres, 1988, 19). Um diese drei Tage (Triduum sacrum) gruppieren sich – beinahe wie in konzentrischen Kreisen – weitere Feste (Karwoche und Osteroktav, Palmsonntag und Weißer Sonntag, Österliche Bußzeit und Osterzeit, Aschermittwoch und Pfingsten; Christi Himmelfahrt bildete ursprünglich das Ende der Osterzeit, wurde aber durch das Pfingstfest als Abschluss verschoben). Die drei österlichen Tage, die wie eine Feier begangen werden, vergegenwärtigen das Leiden, den Tod (→ Heilstod Jesu) und die → Auferstehung Jesu Christi und damit das Werk der → Erlösung.

Vor allem in der Liturgie der Osternacht kulminiert die Spannung zwischen Leiden/Tod und Auferstehung/Leben. Dabei wird die Spannung nicht einseitig aufgelöst, sondern auf paradoxer Weise zusammengeführt: Im Tod bezwang Christus den Tod (vgl. Ostertroparion, der österliche Lobgesang der byzantinischen Liturgie). Die Erfahrung von Unheil (Schuld, Leid etc.) wird überboten durch die Erfahrung von Heil (Versöhnung, Leben etc.). Die Nacht als Ort der Finsternis und der Knechtschaft wird zum Ort des Lichtes und der Freiheit: „Dies ist die Nacht, in der die leuchtende Säule das Dunkel der Sünde vertrieben hat.“ (vgl. Exsultet-Gesang der Osternacht). Die Osternacht wird nicht nur als zeitlicher Ort des Geschehens verstanden, sondern primär als Handlungssubjekt: „O wahrhaft selige Nacht, die Himmel und Erde versöhnt, die Gott und Menschen verbindet!“ (vgl. Exsultet-Gesang der Osternacht).

Die ersten Zeugnisse (Osterfeststreit) für die Feier des Osterfestes finden sich ab dem 2. Jahrhundert und belegen, dass die wöchentliche Feier des Sonntages älter ist als die jährliche Feier von Ostern. Bis ins 4. Jahrhundert bleibt Ostern das einzige Jahresfest der Christinnen und Christen (mit Ausnahme gewisser Märtyrerfeste). Die ursprüngliche Feierform war geprägt durch Fasten, Schriftlesung und Fastenbrechen (Buchinger, 2015, 1050f.). Eine rituelle Parallele zum jüdischen Pessach kann hingegen nicht nachgewiesen werden (Leonhard, 2006, 433). Nach der Konstantinischen Wende (→ Konstantinische Wende) entfaltet sich das Osterfest sukzessiv zu einem Festkreis. Das Fasten vor dem Fest wurde auf eine vierzigtägige Fastenzeit (Quadragesima; heute: kath.: Österliche Bußzeit, evang.: Passionszeit, orth.: heilige und große Fastenzeit) ausgeweitet; die Ereignisse vor der Passion Jesu wurden entsprechend der Chronologie der Evangelien inszeniert und gefeiert (Karwoche, Heilige Woche oder Große Woche); die in der Osternacht Getauften wurden eine Woche lang in die Mysterien der Liturgie eingeführt, daraus etabliert sich die Osteroktav, die vom Ostersonntag bis zum darauffolgenden Sonntag reicht. Nicht einwandfrei lässt sich klären, wie es zur fünfzigtägigen Freudenzeit (Pentekoste) nach Ostern (bis Pfingsten) gekommen ist. Dennoch kann festgehalten werden, dass sich bis zum Ende der Spätantike ein differenzierter Osterfestkreis etabliert hat (Buchinger, 2015, 1055). Im Laufe der Geschichte sind Elemente mit unterschiedlichen Ausprägungen aus den diversen Kulturräumen zur Feier von Ostern hinzugetreten: z.B. aus dem germanischen Bereich die Feuer- und Speisenweihen, aus dem Pilgerwesen nach Jerusalem der Brauch des Heiligen Grabes, aus dem Mittelmeerraum spezielle Bußprozessionen in der Karwoche. Am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils unternahm die Katholische Kirche eine intensive Reform der Karwoche (mit 1956) und der Osternacht (ab 1951), damit die Gläubigen leichter an den Feiern teilnehmen konnten und die zeitliche Dimension der einzelnen liturgischen Feiern deutlicher zum Vorschein kommen konnte. Parallel hierzu wurde auch in den Evangelischen Kirchen der Prozess der Wiedereinführung der Osternacht vorangetrieben. Beinahe zeitgleich zur Katholischen Kirche erschien in den Evangelischen Kirchen eine neue Ordnung für die Osternacht (1954), aus welcher sich im Laufe der Jahrzehnte unterschiedliche Modelle der Feier entwickelten. Der Fokus lag bei der Erneuerung vor allem auf den leiblich-sinnlichen Elemente wie auch auf dem ökumenischen Aspekt (Mohn, 2018, 46-51).

3.2. Weihnachten und Epiphanie/Epiphanias

Die Menschwerdung und Offenbarung Gottes in Jesus Christus wird liturgisch durch das Doppelfest Weihnachten und Epiphanie (evang.: Epiphanias) begangen. Dabei beschränken sich die Festinhalte nicht auf die Geburt Jesu, sondern betrachten das Erscheinen (Epiphanie) Gottes aus der Sicht des Pascha-Mysteriums (Rahner, 1945, 186f.). Diese Offenbarung Gottes umfasst aber das gesamte Leben Jesu (Sobrino, 2008, 49). Historisch betrachtet entwickelten sich die beiden Feste am Beginn des 4. Jahrhunderts unabhängig voneinander. Weder die genaue Ursprungszeit noch die ersten Festinhalte der beiden Feste lassen sich genau eruieren (Wegscheider, 2021, 23-35). Die erste Nennung, dass Weihnachten gefeiert wurde, kann zwischen den Jahren 336 und 354 für Rom nachgewiesen werden (Divjak/Wischmeyer, 2014, 62). Der älteste Beleg für die Feier von Epiphanie lässt sich hingegen für das Jahr 361 in Vienne ausmachen (Ammianus Marcellinus, Res gestae 21,2,5). Bereits um das Jahr 400 wurden in gewissen Bereichen des Römischen Reiches (z.B. auf der Iberischen Halbinsel und im gallischen Raum der Pyrenäen) beide Feste im Abstand von rund zwei Wochen nebeneinander gefeiert (Wegscheider, 2021, 87-94). Auch wenn sich ähnlich wie zum Osterfest ein Festkreis um Weihnachten und Epiphanie herausbildete, so war die kirchliche Geltung des Doppeltfestes zu keiner Zeit auf derselben Stufe wie jene von Ostern. Die heutige gesellschaftliche Bedeutung erfuhr Weihnachten erst am Ende des 18. Jahrhunderts mit der Aufwertung der Kindheit und der → Familie als Keimzelle der Sozietät. Die biblische Kindheitserzählung Jesu erfuhr im häuslichen Bereich eine Pädagogisierung, zu welcher sich auch später Elemente wie der Adventkalender, der reich geschmückte Christbaum und das ausladende Beschenken hinzugesellten (Morgenroth, 2002, 31-38; Wahle, 2015, 278).

Sowohl der Adventkalender wie auch der Christbaum in seiner heutigen Form haben ihre Bedeutung aus dem protestantischen Raum erhalten. Das Beschenken durch das Christkind war bereits vor Martin Luther etabliert, wurde aber nach ihm vor allem in der lutherischen Tradition verstärkt, nachdem das Beschenken durch die Figur des heiligen Nikolaus vehement abgelehnt wurde. Weihnachten als Beschenkfest für Kinder etabliert sich erst mit dem Rückzug auf das Familienleben in der Biedermeierzeit (Weber-Kellermannn, 1987, 95), zuvor war der soziale Aspekt deutlich im Vordergrund.

Vor allem das Weihnachtsfest besitzt seine Entsprechung im Osterfest, wenn beide bewusst in der Nacht begangen werden. Hat Ostern noch eine biblische Zeitangabe, fehlt diese für Weihnachten und muss symbolisch verstanden werden. Die zeitliche Parallelisierung erfolgt aufgrund des religiösen Verständnisses, dass die Nacht der Ort der Offenbarung sei (Wohlmuth, 1992, 186). So ist auch in der Genese des Weihnachtsfestes die biblische Prophezeiung, dass Christus „die Sonne der Gerechtigkeit“ sei (Mal 3,20), als die zentrale theologische Aussage auszumachen, welcher bewusst die Nacht gegenübergestellt wurde. Aus diesem Grund wurde auch das Weihnachtsfest an jenem Tag gelegt, an dem die Wintersonnenwende stattfand und die Nacht die längste des Jahres war. Damit sollte verdeutlicht werden, dass Christus die neue Sonne sei, die nun von Neuem aufgehen werde.

4. Feste als Lernorte

Feste sind – wie es die Religionswissenschaft und die Soziologie aufzeigen konnten – anthropologische Notwendigkeiten, welche in den unterschiedlichen Alltags- oder Lebensphasen für eine soziale Existenz unabkömmlich bzw. vorgesehen sind. Damit besitzen Feste als Lernorte ein existenzielles Fundament, welches im christlichen Glauben eine theologische Spezifizierung erfährt.

4.1. Feste als Lernorte mit anthropologisch-theologischer Dimension

Muss sich der Mensch seiner Herkunft, seiner Gemeinschaft, seiner Geschichte vergewissern, so muss der Christ, die Christin gleich hinsichtlich seiner oder ihrer Gottesbeziehung handeln. Damit Feste im rituellen Vollzug die vorgesehene Sicherheit bieten können, ist es vonnöten, dass ein Mindestmaß an theoretischer Kompetenz vorhanden ist (z.B. wann und wie beginnt ein Fest, welche Rollen sind einzunehmen etc.). Dieses Wissen können sich die Partizipierenden aneignen bzw. kann ihnen vermittelt werden (Seper, 2021, 200). Dasselbe gilt auch für christliche Feste und ihre Liturgie. Dabei ist aber darauf zu achten, dass nicht das Fest zum bloßen Ort der theoretischen Bildung wird (Seper, 2019, 112), denn dann würde das Fest seiner notwendigen Zwecklosigkeit verlustig gehen. Das Fest soll von sich aus zum Ort der Erfahrung werden. Das bringt wiederum mit sich, dass Feste (wie auch Liturgie oder allgemein gesprochen Rituale) primär vollzogen und mitunter durch den Vollzug eingeübt werden müssen, um ihre anthropologisch-existenzielle Dimension entfalten zu können (Fagerberg, 2013, 3-9). Der Christ, die Christin pflegt und intensiviert auf diese Weise seine oder ihre Gottesbeziehung. Feste können aber nicht beliebig erzeugt werden, sondern benötigen – wie Durkheim (2003, 327) aufzeigen konnte – eine wie auch immer geformte biografische Rückbindung. Das hat aber zur Folge, dass Feste als Lernorte biografische Einschnitte ernstnehmen müssen.

4.2. Feste als theologische Orte

Naheliegend erscheint es, dass sich aus christlicher Sicht im Schulalter vor allem die Feste von Taufe (die Zahl der Taufen von Schulkindern nimmt zu), Erstkommunion und Firmung/Konfirmation als Lernorte hervortun. Aber auch Begräbnisse, Hochzeiten etc. von Angehörigen sowie Feste im profanen Bereich (Schuleinstieg, Schulabschluss, Umzug etc.) müssen hier hinzugezählt werden. Die biografischen Feste bergen aufgrund ihres existenziellen Charakters die größte Chance, zu Erfahrungen zu werden. Aber auch das Kirchenjahr darf aufgrund seiner zyklischen Verfasstheit in der lebensrhythmusgebenden Dimension nicht übersehen werden, prägt es doch das menschliche Zeitbewusstsein erheblich (Fechtner, 2020, 369). Wenn der Glaube aus der konkreten geschichtlichen Ausformung der Erfahrung von und mit Gott resultiert (Klein, 2007, 16-31), dann hat dies im Speziellen für das Fest als Feier der Gottesbeziehung zu gelten. Im Fest wird dieser Erfahrung gedacht und ihre Aktualisierung erhofft. Dieser Schnittpunkt von durch Erfahrung erinnerter Gottesbeziehung und erhoffter Erfahrung der Zuwendung Gottes wird zum Ort des biografischen Lernens, über das Ich, über die Geschichte, über Gott. Die Offenbarung Gottes, die Erfahrung mit ihm, ist folglich sowohl ein geschichtliches wie auch ein personal-dialogisches Ereignis (Voderholzer, 2013, 70). Feste sind demnach wahre loci theologici (theologische Orte) und im Prozess des Lernens als diese ernst zu nehmen. Für begleitendes Lehrpersonal würde das bedeuten, dass das nötige theoretische Wissen im Vorfeld vermittelt werden sollte, aber vor allem im Nachhinein ein Reflexionsprozess über das Erfahrene stattzufinden hat.

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