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(erstellt: Februar 2021)

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1. Begriffliche Klärungen

„Held“ ist ein Reflexionsbegriff, welcher der Selbstverständigung einer Gruppe über deren Identität, Werte und Geschichte dient. Die dramatische Inszenierung (Rettung, Wendung zum Guten) konstituiert die Gruppe als Erzählgemeinschaft (→ Erzählung): Die zentrale Rolle dabei spielt der Held – eine Person, ob real oder fiktional, die durch ihre gesamte Persönlichkeit unter Einsatz der Charismen (zu denen auch die Wahrnehmung von Situationen gehört) und unter Zurückstellung der eigenen Interessen in außerordentlichen Entscheidungssituationen eine Wendung zum Guten, zur Rettung von Menschen und Gruppen bringt. Sowohl die Heldengeschichten wie die Heldenfiguren sind doppelt codiert: Sie stehen als Geschichten und Figuren für real mögliche Situationen, zugleich stehen sie in einem größeren Deutungszusammenhang (Wertegemeinschaft, religiös-mythischer Horizont etc.). Diese Wendung zum Guten ist punktuell und erbringt keine endgültige Lösung oder Errettung. Ebenso bleiben die Personen Menschen – alltäglich, verletzlich, endlich. Dauer erhält die Wendung zum Guten dadurch, dass sie öffentlich kommuniziert und tradiert wird. Helden(-geschichten) sind Teil der gesellschaftlichen Kommunikation, durch die gesellschaftliche Werte und Hoffnung auf Erfüllung der Werte inszeniert werden. Dies wird relevant in gesellschaftlichen Transformationsprozessen, die sich in Heldengeschichten (Kampf gut gegen böse) niederschlagen und diese spiegeln. Helden durchbrechen dabei nicht selten Regeln, um höherer Ziele willen, etwa um eine Gemeinschaft überleben zu lassen, deren Zusammenhang dereguliert und deswegen das Überleben nicht (mehr) gesichert ist. Und umgekehrt besteht die Gefahr, dass Helden, indem sie um der höheren Ziele willen Regeln brechen, auch Leben gefährden und vernichten (z. B. die Kamikazeflieger im Zweiten Weltkrieg). Solche Ambivalenzen gehören zum Heldenphänomen und zwingen zur kritischen Relativierung der Ziele.

Helden unterscheiden sich a) von Vorbildern, die weniger in Entscheidungssituationen, sondern im normalen Lebenslauf Werte (→ Bildung, Werte) verkörpern und weitergeben und b) von Stars, die nicht in Entscheidungssituationen die Wendung zum Guten erkämpfen, sondern deren besondere Fähigkeiten für sich stehen.

2. Die Rückkehr der Helden – Postheroismus

In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts schwächte sich die Präsenz von Heldengeschichten im öffentlichen Diskurs ab, bis sie in den letzten 20 Jahren wieder an Bedeutung gewonnen haben (Bröckling, 2020). In verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher Kommunikation kehrt die Rede von den Helden wieder. Speziell im Kontext der Coronakrise, die 2020 weltweit einsetzte, wurde das Heldenmotiv wiederentdeckt für die helfenden Berufe. Ausgangspunkt dabei war die Geschichte von Li Wenliang, ein Augenarzt in der chinesischen Provinz Wuhan, der Ende Dezember 2019 ein unbekanntes und tödliches Virus entdeckte, vom Staatsapparat zum Schweigen gebracht wurde und selber an diesem Virus im Februar 2020 verstarb. Er wurde zum Helden – in China und weltweit (siehe z. B. Steinmetz, 2020).

Das Interesse an Alltagshelden reicht weiter zurück. „Zeit für Helden“ hieß beispielsweise eine Sendereihe, die im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt und 2014 und 2015 bei RTL II ausgestrahlt wurde, indem vor allem Jugendliche für Formen von Diskriminierung im Alltag sensibilisiert werden sollten. Die Deutsche Bahn wiederum hat einen Podcast „Bahnhelden“ (www.bahnhelden.de) entwickelt, um die Bahn aus der Perspektive der Nutzer zu entdecken und Auszubildende zu gewinnen. Eine Renaissance der Heldenrhetorik findet sich bspw. auch im Bereich der Bundeswehr (Näser-Lather, 2018). Ebenso sind im Unterhaltungsbereich Superheldengeschichten, vor allem als Blockbuster, wieder verstärkt zu sehen: Der Anschlag auf die Twintowers 9/11 hat den amerikanischen Mythos des Superhelden zwar zunächst in Frage gestellt. Das Superheldenmotiv blieb aber weiterhin eine wesentliche Matrix gesellschaftlicher Kommunikation, allerdings in veränderten Formen – das Superheldenmotiv wird variiert: kulturell und genderdifferenziert, die Helden werden in sich gebrochener dargestellt; zugleich geht das Heldenmotiv in den Pflege- oder andere Fürsorgebereiche ein (siehe Abb. 1; Fuchs, 2018).

Helden 1

Diese Rückkehr des Heldenmotivs wird wahrgenommen unter dem Stichwort der „postheroischen Gesellschaft“. Gemeint ist damit, dass das Heldentum wieder Teil gesellschaftlicher Entwicklungen geworden ist. Die Spätmoderne stand nach dem Ende des Kalten Krieges im Zeichen des „Endes der Geschichte“ (Fukuyama, 1992), in der es globlal um Verwaltung des Erreichten und individuell um Orientierung in einer Multioptionsgesellschaft ging. Mit dem Ende des Kalten Krieges waren allerdings auch neue Transformationsprozesse – ökonomisch, ökologisch, gesellschaftlich – verbunden, die Optionen als Interessenkonflikte inszenieren, deregulierend wirken, krisenhaft sind und nach dem Verlust von Selbstverständlichkeiten nach neuen ethischen Maßstäben und Orientierungsmustern suchen lassen. Das ist die Stunde der „neuen Helden“.

3. Zugänge

3.1. Kulturwissenschaftliche Perspektiven

Helden sind Figuren kultureller Kommunikation (→ Kulturtransferforschung), die im Folgenden religionswissenschaftlich, gesellschaftspolitisch und medienwissenschaftlich betrachtet wird.

Religionswissenschaftlich

Zu den sogenannten „Protohelden“ gehören die Heroen. Heroen (griech. heros: Held) der griechischen Religionsgeschichte sind unterhalb des olympischen Götterhimmels lokale Gottheiten, die ihren Ursprung im Ahnenkult verdienter Herrscher haben, als Nothelfer dienen, Helden erziehen und Schutzmächte für Wachstum und Gemeinschaft verehrt werden. Öffentliche Verehrung und die Funktion der Integration und Stabilisierung von → Gesellschaft stehen in engem Wechselverhältnis.

Prozesse der Heroisierung finden sich auch in der Heiligenverehrung der frühen Kirche. Auch hier werden archetypische Szenarien von Not und Rettung, verbunden mit lokalen Traditionen und Personen, zu religiösen Heldengeschichten, zu Heiligenlegenden. Als Beispiel sei die Überwindung des Bösen (in Form eines Drachens) durch → Heilige erwähnt. Die Rettung vor der Vernichtung durch einen Drachen ist in der christlichen Hagiographie in zwei Varianten überliefert: die Tötung des Drachen (in der Figur des Heiligen Georg) und die Zähmung des Drachen (in der Figur der Heiligen Margarethe von Antiochia). Beide Figuren haben eine lokal- und zeitgeschichtliche Verankerung: Sie kommen auf in der diokletianischen Verfolgung der Christinnen und Christen im dritten Jahrhundert (→ Christenverfolgungen im frühen Christentum). Georg und Margarethe sind sogenannte Märtyrer, „Blutzeugen“ der Verfolgung, des Widerstands und der Rettung der Kirche, ihre Biografie wird heroisiert durch Mythisierung (hier: die Überwältigung des Bösen) – dafür steht das Motiv der Drachentötung, respektive der Drachenzähmung, das im Mittelalter in die Heroisierungsprozesse aufgenommen wird. In den legendenhaft-heroisierenden Zuschreibungen stellen sie die heilige Ordnung, die göttliche Hierarchie der Welt, wieder hier. Sie werden kultisch verehrt und ihre Geschichte wird durch die Jahrhunderte hindurch situationsbezogen reinszeniert, Georg etwa als Heldenfigur in den Kreuzzügen.

Gesellschaftspolitisch

Haben religiös codierte Helden immer auch eine gesellschaftliche Funktion, so gibt es säkulare Heldeninszenierungen im gesellschaftspolitischen Bereich auch mit zivilreligiösen Resonanzräumen (Moebius, 2018). Das Nibelungenlied des 12. Jahrhunderts kann als Kristallisationspunkt einer langen Tradition von Heldenerzählungen gesehen werden, in denen eine Gemeinschaft Identität gewinnt und Werte formuliert, meist durch heldenhafte Rettungsgeschichten (Nehrlich, 2018; Coogan, 2018). Hier können auch mythische Horizonte eingespielt werden (etwa die Tötung des Drachens durch Siegfried). Wie bei den Heroen, die über den Tod hinaus wirken, sowie den Heiligen und Märtyrern, die den Tod selber erleiden, gehört das Element des Sterbens und der Verletzlichkeit des Helden auch hier zur Erzählung: Der Held steht für seine Gemeinschaft und Werte, bis hin zum eigenen Tod – und ermöglicht so den Fortbestand der Gemeinschaft, zu deren Identität auch Opfer und Verwundbarkeit gehören. Diese Doppelfunktion des Helden wird dann im politischen Konflikt aktiviert, besonders im Nationalismus in Europa seit dem 19. Jahrhundert. Der in der Schlacht Getötete wird im Kampf für die heilige Nation zum Opfer stilisiert, zum wahren Helden – ggf. auch unter Berufung auf eine höhere Macht. Umgekehrt können auch Widerstandskräfte gegen einen Staat oder eine Gesellschaft zu Opfern und damit zu Helden ikonisiert, Nationalhelden wie Che Guevara (siehe Abb. 2) zu Revolutionshelden refunktionalisiert werden. Die Pflege der Heldenerzählungen an nationalen Gedenktagen und in Denkmalen ermöglicht auch deren Reaktivierung in Krisenzeiten.

Helden 2

Neben der politischen Inszenierung der Helden gibt es auch eine ökonomische: Helden in der Werbung. Dabei ist zu unterscheiden, dass Heldenerzählungen immer Werbung darstellen, um Attraktivität für Prozesse und Produkte zu erhöhen, und für besondere Werbezwecke funktionalisiert werden. Ein besonderer „Heldenkampfplatz“ ist seit der Antike der Sport – wobei dabei die Ökonomisierung hier an der Heldengenerierung mitwirkt. Als Beispiel mag die Nike-Werbung „Du tust es nicht für Dich“ dienen, in der Sporthelden für Nike und gleichzeitig für mehr sportliches Engagement werben. Helden stehen für einen Mehr-Wert des Lebens, der ökonomisch funktionalisiert werden kann, aber auch ökonomische Funktionalisierungen sprengen kann (siehe Abb. 3).

Helden 3

Medienwissenschaftlich gesehen sind Helden immer Teil einer Narration, in der reale Geschichte mit mythischen Motiven verknüpft wird zur Rettung und Identitätsstiftung (→ Identität) einer Gemeinschaft, Gemeinschaft wird Erzählgemeinschaft. Diese Narration ist der eigentliche Lebenshorizont der Helden. In manchen Heldengeschichten gehört die Narration selbst zur Attribuierung: König David wird zugleich zum Dichter von Psalmen, in denen Rettung erzählt wird – Superman ist der Held, der im Alltagsleben Reporter ist, also für die Berichterstattung auch von den Heldengeschichten verantwortlich. Während religiöse Helden kultisch verehrt werden und Kriegshelden im staatlich-politischen Gedenken weiterleben, sind mediale Helden der Neuzeit auf Reproduktion und stete Aktualisierung angewiesen. Als Fortsetzung der medialen Selbstinszenierung des Helden kann die Figur des Sinnfluencers verstanden werden (Hurth, 2019).

3.2. Theologische Zugänge

Der Begriff „Held“ kommt im Sprachgebrauch des Alten und Neuen Testaments kaum vor. Das Phänomen „Held“ allerdings findet sich an zentraler Stelle, etwa in den Davidsgeschichten. In den Erzählungen zu David kumulieren eine Reihe von Heldenmotiven. Grundlegend ist der Kampf Davids gegen die Philister, eine klassische Rettungsgeschichte, in der eine Person im Kampf die Wendung für das eigene Volk ermöglicht (1 Sam 17). Ein weiteres Heldenmotiv ist die Überwindung des Bösen durch Zähmung, konkret: Davids Fähigkeit, durch Musik die bösen Geister, die König Saul bedrängen, zu vertreiben (1 Sam 16,14-23). Beide Geschichten sind inklusiv: David wird Ahnherr des Volkes Israel in der Figur des Königs, der Gründung des Geschlechts Davids und der damit verbundenen Heilshoffnungen. Der Sänger wird zum Kultdichter, in den Psalmen wird die Rettungsgeschichte reformuliert. Das Volk Israel lebt von der doppelten Heldenfigur Davids. Der Unterschied zu Heldengeschichten der Umwelt wird deutlich markiert. David ist nicht Held aus eigenen Fähigkeiten, sondern einer aus dem Volk, den Gott erwählt (1 Sam 16,1-13). Mit seiner Heldengeschichte werden seine Fehler und seine Tragik miterzählt – damit bleibt er ein Mensch wie alle anderen auch und auf Gottes → Vergebung und Rettung angewiesen. Seine letzten Worte sind Gebete, sein Tod unspektakulär (Er legt sich zu seinen Vätern), keine Heldenapotheose. In dieser Inszenierung bleibt David als Held Mensch, allerdings einer, dessen Handeln und Versagen transparent sind auf Gott, auf das Rettungshandeln Gottes (Heinzer/Leonhard/Hoff, 2017).

Dasselbe Muster lässt sich in der Inszenierung der Geschichte Jesu erkennen. Mit besonderen Gaben ausgestattet tritt er auf als Mensch, der Wunder vollbringen kann und dabei Menschen rettet. Dabei bleibt er verletzlich und stirbt in seinem Auftreten als Retter. Entscheidend dabei ist, dass diese Geschichte als Rettungsgeschichte Gottes erzählt wird. Diese theologische Zentrierung relativiert das Heldentum als Erschießungsgeschichte der Heilsgeschichte. Damit wird zugleich der Rezipient der Heldengeschichten Teil der Heilsgeschichte, weil die Rettung nicht auf Taten und Ereignisse der Vergangenheit beschränkt bleibt, sondern als grundlegende Geschichte der Transformation vom alten in ein neues Leben durch den Tod hindurch gedeutet wird. Die „Heldenreise“ Jesu, vom himmlischen Gottessohn über das irdische Leben bis zum Tod, samt Höllen- und Himmelfahrt, ist als solche Matrix und Grunderzählung des neuen, geretteten Menschen in der alten, vergänglichen Wirklichkeit. Das „Heldenhafte“ der Nachfolger besteht darin, in der eigenen Lebensgeschichte die Gottesgeschichte zu erkennen und sichtbar werden zu lassen.

Die Kirche hat diese Dekonstruktion des Helden weitergeführt, etwa in der alten Kirche durch die Übernahme von Heldenmotiven und ihre Transformation in Heiligen- und Märtyrergeschichten (siehe oben). Dass diese Dekonstruktion nicht immer gelungen ist und die Eigendynamik des Heldenhaften sich durchgesetzt hat, dafür gibt es in der Geschichte der Kirche genügend Beispiele. Am deutlichsten etwa bei der Zentralfigur der → Reformation, bei → Martin Luther. Ausgangspunkte heroischer (Selbst-)Inszenierungen sind etwa sein Kampf gegen Teufel oder Papst. Auf dieser Grundlage wurde Luther zum Glaubens- und Kulturhelden gegen einen als rückständig und abergläubisch dargestellten Katholizismus und für ein aufgeklärtes, weltoffenes Christentum der Aufklärung inszeniert bzw. instrumentalisiert. Und er konnte zum Bewahrer der deutschen Kultur und der deutschen Nation werden – hochstilisiert in den Reformations- und Lutherjubiläen 1817, 1883 oder 1917, wie das folgende Gedicht zeigt (Kranich, 2014, 82):

„Du stehst am Amboß, Lutherheld, Umkeucht von Wutgebelfer

Und wir, Alldeutschland, dir gesellt, Sind deine Schmiedehelfer.

Wir schmieden, schmieden immerzu Alldeutschland, wir und Luther Du

Das deutsche Geld und Eisen.

Und wenn die Welt in Schutt zerfällt, Wird deutsche Schwertschrift schreiben

Das Reich muß uns doch bleiben.“

4. Kristallisationspunkte – Lernfelder

4.1. Gesellschaftspolitische Bildung

„Unglücklich das Land, das keine Helden hat! Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“ (Bert Brecht, Das Leben des Galileo Galilei). Dieses Zitat zeigt das Spannungsfeld von Heldentum und Gesellschaft auf: Gesellschaft braucht idealerweise, gebunden an Recht, Gesetz und Werte, keine Helden, da aber real diese Basis immer wieder gefährdet ist durch innere und äußere Konflikte, sind Menschen nötig, die für diese Gemeinschaft und ihren Zusammenhalt eintreten. Damit agieren Helden immer in einer Ausnahmesituation und es stellt sich die Frage, welchen Zielen einer Gemeinschaft sie verpflichtet sind und mit welchen Mitteln sie diese Ziele erreichen.

Grundlegend ist, dass Helden im Kriegsfall sich für die Gemeinschaft mit militärischer Kraft einsetzen, dafür kämpfen und sterben, als Kriegs- und Nationalhelden verehrt werden. Aber auch Widerstandskämpfer können Helden sein für das Volk gegen die Unterdrückung. In beiden Fällen stehen sie ein für eine wertorientierte Gemeinschaft, für Freiheit und Solidarität. In Bildungsprozessen gilt es in Bezug auf derartig konstruierte Helden anzufragen, inwiefern die Werte in (Konflikt-)Situationen selber durchgehalten werden und über eigene Gemeinschaft hinaus gelten.

Dies lässt am Beispiel der amerikanischen Superhelden zeigen: Entstanden sind die Superhelden wie Superman oder Captain America als Identifikationsfiguren einer USA, die multiethnisch differenziert (nach innen) und im zweiten Weltkrieg (nach außen) nach Identität suchen. Helden stehen für dieses geeinte und kampfstarke Amerika, vor allem gegen damals faschistische Staaten wie Deutschland, Italien, Russland oder Japan. Dabei stehen sie prinzipiell für Ziele, die über die US-amerikanische Gesellschaft hinausweisen: Frieden, Demokratie, Menschenrechte. Gleichwohl zeigt sich, dass in der Durchführung der Geschichten zum einen Gewalt zur Durchsetzung der Ziele vorherrscht, zum anderen Faschismus zum undifferenzierten Feindbild, zur Folie wird, bei der das eigene Handeln selber rassistisch und faschistisch wird, und der Held bleibt der „weiße Mann“.

Heldenverehrung ist nicht zuletzt im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus weit verbreitet. Dabei werden neben geschichtlichen Rückgriffen auf die Heldenverehrung im sogenannten „Dritten Reich“ vor allem mythische Heldenmotive aktiviert (Schuppener, 2007). Die Inszenierung von Helden im politisch-militärischen, vor allem nationalen und rechtsextremen Kontext ist etabliert – weniger dagegen Heldengeschichten im Kontext neuer globaler Herausforderungen oder der Demokratie. So bringt die Bekämpfung der Klimakatastrophe einen eigene Heldinnen und Helden als Identifikationsfiguren wie die Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg hervor.

Lange Zeit galt, dass Demokratie, die von der Grundidee der Gleichheit aller Menschen ausgeht, keine Helden in Sonderrollen benötigt. Seit Ende des letzten Jahrhunderts aber ist das Projekt der Demokratie in die Phase kritischer Veränderungen gekommen, so dass ein besonderer Einsatz für die Demokratie als Grundlage der Gesellschaft nötig wird: „Warum Demokratien Helden brauchen“, ist ein Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus.

In bildender Hinsicht bietet dieser Fokus u. a. Potenzial, insofern in Auseinandersetzung damit Mechanismen der Heroisierung dekonstruiert respektive entmythologisiert, eigene Werthaltungen reflektiert und letztlich das persönliche Orientierungswissen angereichert werden können.

4.2. Biografische Bildung

Als Orientierungspunkte für die persönliche Entwicklung, vor allem in Kindheit und Jugend, sind Heldenfiguren hilfreich. Sie schaffen in Transformationsphasen einen emotionalen und kognitiven, wertorientierten Resonanzraum. Während Vorbilder eher die Orientierung im Alltag dienen, stehen Helden für die eher außerordentlichen Krisensituationen. Helden wie Vorbilder haben in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen: Nachmodern waren zunächst Lebensstile der Wahlfreiheit einer Multioptionsgesellschaft bestimmend. Diese zwingt zunehmend, auch im Blick auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen (global und individuell), zur Auswahl von Lebensperspektiven. In diesem Prozess sind Personen Orientierungshilfe (→ Biografisches Lernen; Lindner, 2009; Mendl, 2015; Stamm, 2008). Zu unterscheiden sind hier „nahe“ (gerade für den Familienbereich als primärer Orientierungsrahmen und Local heroes), und „ferne“ Personen. Bei den „fernen“ Bezugspersonen ist zwischen real und fiktiv zu unterscheiden, wobei zu beachten ist, dass diese Personen generell medial vermittelt und für bestimmte Gruppen relevant sind. Die Nötigung zur Auswahl zeigt sich dabei auch in der Orientierung an Leitpersonen: Es wird stärker aus- und ggf. abgewählt. Statt unauflöslicher Bindung findet sich eher die Haltung des „I like it!“. Dies führt zu einer Flexibilisierung in der Bindung vor allem an Helden. Heldengeschichten eröffnen zunächst einen emotionalen Bezugsraum, in dem dann Lebenseinstellungen und Werte sichtbar werden. Dies bedeutet nicht, dass das Heldenverhalten direkt umgesetzt wird, sondern an ihnen lernt man Orientierung – welche Inhalte dabei umgesetzt werden, liegt in der Freiheit des Lernenden. Damit dies gelingt, ist es nötig, Lernräume mit einer Vielzahl von nahen und fernen Helden zu schaffen, die vertrauensbildend sind und Handlungsoptionen verkörpern, indem sie selber Entscheidungssituationen durchleben und dabei die Fragilität der eigenen Existenz nicht ausblenden. Gerade die medialen Helden im Unterhaltungsbereich sind zunehmend ausdifferenziert und beziehen Gender- und Gruppenbezüge (ethnisch, kulturell, religiös etc.) mit ein. Hier ist auch ein neuer medialer Heldentyp zu benennen: Sinn-Influencer. Außerdem zeigt sich eine Tendenz, den gebrochenen Helden (Anti-Helden) in das Zentrum zu stellen. Dies macht das Lernen von Helden sowie Distanznahme und Verabschiedung zur Gewinnung eigener Perspektiven möglich. Heldenpädagogik umfasst drei Elemente: 1. Wahrnehmen der Situation (Wo ist die Not? Wo bin ich gefordert?), 2. Erkennen von Spiel- und Handlungsräumen und 3. Überprüfen der eigenen Ressourcen.

Wenig erforscht ist die Bedeutung des Helden für das Alltagserleben Erwachsener. Nach Sigmund Freud lassen sich Heldengeschichten als Ausdruck von dichterischer Phantasie, als Tagträume verstehen (Freud, 1907). Sie erlauben, ohne Scham vom unverletzlichen Leben zu träumen – und zugleich sich davon zu verabschieden und erwachsen zu werden. Heldengeschichten stellen damit das Andere zum Alltag als unterhaltsame Durchbrechung des Alltags dar. Sie unterhalten die Welt und erhalten sie so. „Helden des Alltags“ hatten beispielsweise im Sozialismus die Aufgabe, das Kollektiv zu stabilisieren – aber Menschen konnten in ihnen auch einen Raum finden, Zusammenhalt der Gemeinschaft über die Parteivorgaben hinaus zu erleben und (globale) Werte zu entdecken, die über die Parteilogik hinaus motivierten (utopisches Potential der Alltagshelden). Heldengeschichten können grundsätzlich dialektisch erlebt werden: Das Außergewöhnliche im Alltäglichen kann helfen, das Gewöhnliche des Alltags als außergewöhnliche Leistung zu gestalten. So ist der Held Sisyphos, der immer wieder den Felsbrocken den Berg hochdrückt, nie den Gipfel erreicht und wieder von unten beginnen muss, als Ausgelieferter zugleich ein Agierender: Er muss nicht nur den Stein tragen, sondern er kann es auch.

In bildungsbezogener Hinsicht wird durch die Thematisierung entsprechender „Helden-Kontexte“ das Alltägliche in seiner bildenden Relevanz zugänglich, indem durch derartige Orientierungsperspektiven das Alltägliche sich als Raum der Möglichkeiten erweist.

4.3. Religiöse Bildung

Helden haben im Kontext der Glaubensbildung zunächst keine Bedeutung, vielmehr werden außergewöhnliche Menschen zu Heiligen und Märtyrern transformiert und in Relation zu Gott als dem eigentlichen Retter der Welt gesetzt. Menschen mit heldenhaften Zügen werden in religiöser Hinsicht zu Heiligen, insofern sie diese Welt öffnen für das Rettungshandeln Gottes, indem sie Weltgeschichte als Heilsgeschichte erkennbar und erlebbar machen. Heilig- und Seligsprechungen und zunehmende Bedeutung der „Vorbilder im Glauben“ tragen der Sehnsucht nach „Glaubenshelden“ Rechnung. Dies gilt nicht nur für die christlichen Konfessionen – auch im Islam und anderen Religionen bis hinein in den Neopaganismus werden religiöse Helden wichtiger. Sie machen das Glaubensleben anschaulich, erlebbar und unterhaltsamer: In dem Maße, wie Heldengeschichten erzählt werden, bilden sie eine Reflexionsfläche für eigene → Erfahrungen und ermöglichen differenzierten Umgang mit dogmatischen und ethisch-religiösen Vorgaben. Damit sind religiöse Heldengeschichten auch geeignet für → interreligiöses Lernen und interkulturelles Lernen (→ Interkulturalität), z. B. die „Heldennarration“ zu Dietrich Bonhoeffer, die über Konfessions- und Religionsgrenzen hinaus wertebildende Optionen bereithält (Pink, 2017; Schramm, 2013). Gegen die Gefahr eines globalen „religiösen Heldenkampfes“, dass religiöse Heldengeschichten exklusiv sind und gegen Heldengeschichten anderer Religionen in Stellung gebracht werden, ist es deswegen nötig, den inklusiven Charakter zu stärken: Religiöse Heldengeschichten eröffnen den größeren Horizont der Rettung durch Gott über die Grenzen des Menschlichen und der Religionen hinaus. Ein Ansatzpunkt dafür sind die religiösen Helden, die durch die Heiligen Schriften den drei Religionen gemeinsam sind, z. B. Abraham oder David. Ein weiterer Punkt ist, dass im Zuge der Globalisierung religiöse Helden der je eigenen Religion verstärkt medial inszeniert werden und so zum Gesprächsstoff werden. Dies eröffnet bildende Chancen, z. B. Helden in der eigenen Religionstradition zu verorten und als Momente erbauender Unterhaltung zu rezipieren sowie zu inszenieren.

5. Perspektiven

Globale Transformationsprozesse lassen alte, tradierte und regulierende Deutungsmuster erodieren und nach neuen Orientierungspunkten suchen. Diese, durchaus krisenhaften Transformationen machen die Wiederkehr des Heldentums plausibel. Ein zukünftiges (Forschungs-)Erfordernis liegt darin, die Transformationsprozesse alter Heldenvorstellungen in neue Heldennarrationen respektive ein postheroisches Heldennarrativ methodisch exakter, trans- und interdisziplinär beschreiben zu können. Gerade Phänomene der Subkultur sind hier einzubeziehen. Zu überprüfen ist, ob in den verschiedenen Bereichen der postmodernen Heroisierung – Gesellschaft, Biografie, Medien, Religion – ähnliche oder unterschiedliche, sich gegenseitig kritisch bedingende Prozesse sich finden, speziell ob etwa religiöse Heroisierungen Entwicklungen verstärken oder gegenläufig sind. Der ökonomische Aspekt, der gesellschaftlich-wirtschaftliche Mehrwert des Helden, bedarf einer gesonderten Überprüfung.

Für die damit verbundenen (religiösen) Bildungsprozesse ist zu fragen, inwiefern nachmoderne Heldennarrationen so gestaltet sind oder zu gestalten sind, dass sie eine kritische Distanz von Heldenvorstellungen eröffnen. Konkret ist zu prüfen, ob die Flut an postheroischen Heldengeschichten nicht Elemente enthält, um Heldennarrative zu dekonstruieren, und inwiefern die Digitalisierung des Heroischen einen neuen Umgang mit Heldenhaftem eröffnet.

Literaturverzeichnis

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  • Thomä, Dieter, Warum Demokratien Helden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus, Bonn 2020.

Abbildungsverzeichnis

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