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Aufklärung

(erstellt: Februar 2019)

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1. Lebensweltliche Verortungen

„Stratego“ heißt das international bekannte und beliebte Brettspiel für zwei Personen, in dem die sechs Figuren der „Aufklärer“ (Verkenner/eclaireur/scout) eine besonders wichtige Rolle spielen, denn sie sollen durch kluge Züge das Geheimnis der verborgenen Fahne der Gegner aufklären. Diese Bedeutung von Aufklärung/aufklären, welche die militärische Semantik ins Spiel bringt, dürfte Kindern und vor allem Jugendlichen heute zugänglicher und bekannter sein als die geistes- und kulturgeschichtliche Rede von Aufklärung, aufgeklärtem Jahrhundert und Aufklärern aus längst vergangenen Zeiten.

Die dem Aufklärungsbegriff einst besondere Aufmerksamkeit garantierende Aufklärung in Konnotation mit Sexualität, die ihre Attraktion und Faszination damals aus unaufgeklärter Neugier gewann, nahm unter den Jugendlichen spätestens seit den berühmten Oswald Kolle Aufklärungsfilmen „Das Wunder der Liebe“ 1968 und dem „Sexualatlas“ des Bundesministeriums für Gesundheit zusehends ab und ist heute eingemündet in eine Fülle, ja Flut an Aufklärungsmaterial in Medien und digitaler Information. Dessen ungeachtet ist auch heute noch der Aufklärungsbegriff in sexueller Hinsicht die bekannteste Assoziation. Dabei trägt die heute allenthalben in den Schulen erteilte Sexualkunde zu sachlicher und vernünftig aufklärender Information bei und rückt so den Schülerinnen und Schülern auch das große Gebiet medizinischer Aufklärung ins Blickfeld.

Ein weiteres Wortfeld ist der kriminalistische und strafrechtliche Bereich. In jedem „Tatort“, in jedem, der heute so inflationär ausgestrahlten „Fernseh-Krimis“ geht es um Verbrechens-Aufklärung und die Suche nach Sachen, Ursachen und Umständen, die geklärt und aufgeklärt werden wollen. Typisch dafür ist auch die Fernsehsendung „XY ungelöst“, in der das Sach- und Fall-bezogene Aufklärungsinteresse vorbildlich inszeniert ist.

Was – weil höchst Aufklärungs-relevant – auch keinesfalls übergangen werden darf, ist all das, was der schulische Unterricht mit seinen Fächern tagtäglich an Aufklärungsarbeit leistet, denn Bildung ist zu ihrem wesentlichen Teil aufklärerisch angelegt und ausgerichtet. Das gilt nicht zuletzt für den Umgang mit Sprache, zu der als gleichsam elementare Kompetenz ein Wort-reicher und -gewandter Sprachgebrauch gehört. Von daher empfiehlt es sich immer vorgängig nachzufragen und aufzuspüren, wo im Wortschatz synonyme Begriffe und Wendungen aus dem Wortfeld Aufklärung begegnen: „Klär mich mal auf!“ im Sinne von sachlich genauer Information/„es klärt sich auf“ als Reaktion auf einen unklaren Sachverhalt oder klimatisch als Sonnen bewirktes Aufklaren und Hell-werden/„erklären“ als etwas klar und verständlich machen/„verklären“ im Sinne von irrational und illusionär überhöhter Erhellung/klären als Implikat von aufklären…! Gerade für einen Religionsunterricht, der sich ernsthaft der Aufklärungsthematik stellt, dürfte es sich allemal lohnen, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern auf „sprachspielerische“ Entdeckungsreise zu gehen und sich semantisch inspirieren, motivieren und provozieren zu lassen.

Alles, was wir hier als lebensweltliche Verortung der kirchengeschichtlichen Thematik „Aufklärung“ meinen entdeckt zu haben, scheint auf den ersten Blick recht themafern zu sein, offenbart bei genauerem Hinsehen aber einen gemeinsamen Wesens- und Bedeutungskern mit so hohem Kompetenzpotential, dass man schlechterdings nicht daran vorbeigehen kann. Es ist die kognitive Dimension, der zumindest als richtungsweisendes Spurenelement allem Aufklärerischem anhaftet und dem Denken in seinen vielfältigen Ausprägungen und Aktivitäten gegenüber dem Emotionalen und Pragmatischen eindeutige Priorität einräumt. Das heißt, dass für alle Aufklärung der Verstand das leitende Kriterium ist, das bei allem Denken, Klären, Erklären, Urteilen, Werten und Kritisieren den Kern ausmacht. Das ist damit ein anspruchsvolles „Programm“, das sowohl individuelle wie gesellschaftliche, lokale wie globale Ausmaße an sich hat. „Modern“ gesprochen muss vernünftige Aufklärung jedem „Faktencheck“ gewachsen sein und muss allen postfaktischen Verklärungen, Verdrehungen und Verfälschungen mit vernünftigem Sach-Verstand entschieden widersprechen. So verstandene Aufklärung kann auch für die historische Beschäftigung mit der Epoche der Aufklärung in kultur- und geistesgeschichtlicher Hinsicht zu einer diskussionswürdigen Auseinandersetzung mit dem Anliegen von Aufklärung in Vergangenheit und Gegenwart führen. Die aufgespürten lebensweltlichen Verortungen und Erfahrungen haben so durchaus das Zeug zum didaktischen Brückenschlag in die Welt der Aufklärung des 18. Jahrhunderts.

2. Kirchengeschichtliche Klärungen

Der leitenden Kirchengeschichts-Didaktik (→ Kirchengeschichtsdidaktik) geschuldet konzentriert sich das Folgende auf die deutsche Kultur- und Bildungsperspektive. Diese Konzentration kommt einem Wesensmoment der Aufklärungsepoche entgegen, in der nicht zuerst die historischen Ereignisse und Abläufe dominieren, sondern die vielgestaltigen Ausprägungen einer ganz bestimmten Lebensauffassung und Geisteshaltung. Insofern hat die aufklärerische Mentalitäts-, Geistes- und Frömmigkeitsgeschichte einen wichtigen Platz in der Beschäftigung mit der Aufklärung. Dem entspricht es, wenn hier die Aufklärung epochenbegrifflich als geistige Strömung bestimmt wird, die im Europa des 18. Jahrhunderts vorherrscht. In Deutschland steht sie dabei in Folge und Auseinandersetzung mit lutherischer Orthodoxie und Pietismus.

2.1. Der politische Kontext

Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts vollzieht sich unter dem mächtigen Einfluss der europäischen Aufklärung ein politischer Wandel weg vom absoluten Absolutismus hin zu einem aufgeklärten Absolutismus. Dieser gewann besonders profiliert Gestalt in den Regierungen Friedrichs II. von Preußen (1740-1786) und Josephs II. von Habsburg (1765-1790). Sie hielten zwar an der Hoheit des Staates fest, nahmen aber wesentliche Elemente aufklärerischen Gedankenguts in sich auf. Dazu gehörte die Herrschaft der Vernunft, die sich in Sanssouci zu philosophisch zelebrierter Vernunft und staatlicher Vernünftigkeit mit dem König als erstem Diener des Staates auswuchs. Dem eiferten viele Landesherren nach, die nicht nur eine vernünftige Neugestaltung der Verwaltung und Wirtschaft anstrebten, sondern auch Wissenschaft und Bildung förderten, Schulen gründeten und für ein geordnetes Schulwesen sorgten. Sie waren ernsthaft darum bemüht, dem aufgeklärten Idealbild eines Vernunft-geleiteten, bildungsfreundlichen und menschlichen Fürsten zu entsprechen. Besonders die Kleinstaaten im Thüringer Land wurden hier mit der Universität Jena, mit Dessau und seinem Philanthropin, mit Gotha und nicht zuletzt mit Weimar nachgerade zu gedeihlichen Brutstätten von Aufklärung im besten Sinne des Wortes, die es in vielerlei Hinsicht mit dem Aufklärungswesen an den Höfen in Berlin oder Wien aufnehmen konnten (Braubach, 1970, 347-355).

2.2. Aufklärung – philosophisch

Die Aufklärung war kein genuin deutsches Gewächs. Ihren Ausgang nahm sie vielmehr in England, wo in philosophisch-pädagogischer Hinsicht besonders John Locke (1632-1704) zu nennen ist. Auf dem Weg über Frankreich und seine beiden bekannten Aufklärer Voltaire (1694-1778) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) fasste die Aufklärung ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland Fuß. Hier war es besonders der „Starphilosoph“ der Aufklärung Christian Wolff (1679-1754), der die Leibniz’sche Philosophie so rationalistisch-utilitaristisch transformierte, dass sie auf vielen Gebieten praktisch brauchbar wurde. Er beeinflusste Politik, Verwaltung und Wirtschaft ebenso wie Philosophie und → Theologie und blieb im Unterschied zur englischen und französischen Aufklärungsradikalität eher „lehrhaft“ vermittelnd und „gemäßigt“ (Braubach, 1970, 347f.). Mit seinen Gedanken zu Moral, Vollkommenheit, Nützlichkeit und Vernünftigkeit intonierte er aufklärerische Einstellungen, die dann ganz wesentlich nicht nur → Erziehung und → Bildung, sondern auch Lebenshaltung und bedachten Alltag bestimmen sollten.

Blieb Wolffs aufklärerisches Wirken eher hintergründig effizient, so war es Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), der im wörtlichen Sinn auf offener Bühne Aufklärung inszenierte. Beispielhaft wurde sein „Dramatisches Gedicht“ „Nathan der Weise“ mit der berühmten „Ringparabel“, die zusammen mit seinen Gedanken im „Traktat“ „Erziehung des Menschengeschlechts“ Aufklärung im besten Sinne des Wortes präsentierten: Toleranz, Freiheit, Erziehung, Bildung, Vollkommenheit und bei allem und vor allem Vernunftanspruch und Wahrheitsverpflichtung – und das auch im religiösen, theologischen und biblischen Bereich! Gerade hier erwuchs aus dem aufklärerischen Impuls die moderne Bibelkritik mit ihrer historisch-kritischen Exegese, die auch heute noch gilt.

Nicht in literarischer Ummantelung, sondern im Konstrukt eines philosophischen Systems wurde Immanuel Kant (1724-1804) zum „Großmeister“ aufklärerischer Philosophie, der freilich mit seiner Kritik der reinen und praktischen Vernunft und Urteilskraft der Vernunft gerade in erkenntnistheoretischer Hinsicht deutliche Grenzen aufzeigte. Dessen ungeachtet wurde seine Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?“ zu der Definition von Aufklärung schlechthin. Danach ist Aufklärung der „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ mit der appelativen Konsequenz „Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Berliner Monatsschrift 1784, 12. Stück December).

2.3. Aufklärung – „populär“

Kants hehre Definition verdichtete die herrschende Zeitstimmung und das aufklärerische Lebensgefühl zu einem anspruchsvollen philosophischen Satz, der freilich in seiner blutleeren Abstraktheit volkstümlicher Übersetzung bedurfte und sie in vielfältigen Ausprägungen auch bekam. Hier brauchte es fähige Männer und Frauen, die „Aufklärung“ durch Schrift, Wort und Tat zu popularisieren verstanden. Großen Anteil hatten hier die sogenannten „Neologen“ oder „Neuerer“. Sie vertraten eine theologisch moderate Aufklärung, die – mehr oder weniger rationalistisch – darauf aus war, den Menschen ihrer Zeit die christliche Religion als eine vernünftige, alltagstaugliche und lebensförderliche „Angelegenheit des Menschen“ beizubringen. In diesem Sinne machte sich besonders Johann Joachim Spalding (1714-1804) einen Namen, der als Pfarrer und nachmaliger Oberkonsistorialrat in Berlin bewies, dass der aufklärerische Geist auch Eingang in die Kirchen und ihre Hierarchien gefunden hatte. Hier war es die praktisch-theologische Arbeit mit Predigt, Unterricht und Seelsorge, die das vernünftige und tatkräftige Christentum populär machte und die konfessionellen Traditionalisten – von den Aufklärern „Dunkelmänner“ genannt – mancherorts regelrecht ausstach. Neben Spalding erfreute sich in diesem Kreis besonders der Leipziger Georg Joachim Zollikofer (1730-1788) mit seinen aufklärerischen Predigten und Predigtsammlungen größter Beliebtheit.

In diesen Einflussbereich gehörte auch die neue „Gilde“ der Pädagogen, die in ihrer Mehrzahl studierte Theologen und Pfarrer waren und in Konsens und Konsequenz ihrer neologischen Überzeugung zur → Pädagogik fanden. Als Frucht aufklärerischen Geistes hatte diese sich – von Locke und Rousseau vielfältig inspiriert – zur eigenständigen Wissenschaft entwickelt, die im aufgeklärten Deutschland ihre ganz eigene Prägung und Gestalt gewann. Dafür typisch waren die sogenannten Philanthropen, genannt nach dem berühmten Philanthropin in Dessau. Gegründet wurde es von Johann Bernhard Basedow (1724-1790), der mit einer Vielzahl werbeträchtiger Erziehungsschriften, monumentalen Unterrichtswerken und seiner von ihm sogenannten „Menschheitsbeglückungsanstalt“ Dessau zum genialen Anreger und Wegbereiter aufklärerischer Pädagogik in Deutschland wurde. Durch seine „Schule“ gingen die großen philanthropischen Aufklärungspädagogen Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811), E. Chr. Trapp (1745-1818) und vor allem Johann Heinrich Campe (1746-1818).

Nicht übergangen werden sollte aus diesem Kreis – er hospitierte immerhin am Dessauer Philanthropin – Carl Friedrich Bahrdt (1740-1792), der im Unterschied zu seinen ‚leisetreterischen‘ Kollegen eine radikale Aufklärung verkörperte und als linker Außenseiter sein anstößiges und nicht selten skandalöses theologisches und pädagogisches Wesen trieb. Theologisch praktizierte er eine ungehemmt rationalistische Bibelkritik.

2.4. Christian Gotthilf Salzmann – der aufklärerische ‚Mustermann‘

Fast ein totales Gegenbild zu Bahrdt verkörperte Christian Gotthilf Salzmann. Sein vernünftig geordneter Lebenslauf brachte ihm nicht zu Unrecht den Ruf eines „Pop-Aufklärers“ (Lachmann, 2011, 42) oder eben eines aufklärerischen Mustermanns ein, in dessen Werk und Wirken sich geradezu mustergültig die typischen Züge populärer Aufklärung abzeichneten.

Schon eines seiner ersten Bücher „Beyträge zu Aufklärung des menschlichen Verstandes“ (Leipzig 1779) markiert geradezu programmatisch Salzmanns Aufklärungsanliegen. Bereits ein Jahr später – just in dem Augenblick, als er den Schritt vom Pfarrer zum Erzieher an Basedows Philanthropin vollzog – erschienen zwei weitere Bücher, die fundamental wichtiges Gedankengut der Aufklärung weitergeben wollten: Einmal „Anweisung zu einer zwar nicht vernünftigen, aber doch modischen Erziehung der Kinder“ (Erfurt 1780, seit 1783 „Krebsbüchlein“) und zum anderen „Ueber die wirksamsten Mittel Kindern Religion beyzubringen“ (Leipzig 1780), mit dem er für einen an der Moral, Natur und → Bibel orientierten vernünftigen Religionsunterricht plädierte, der „bei starker Ethnisierung der Religion" für alle Konfessionen und Kirchen offensteht. 1784 gründete Salzmann dann seine berühmte Erziehungsanstalt (in) Schnepfenthal, in der er die Grundsätze seiner vernünftig aufgeklärten Erziehung erfolgreich praktizierte. Begleitet wird dieses aufklärerische Szenarium durch Salzmanns volksaufklärerische Schriftstellerei. Dazu gehört neben vielem anderen seit 1788 die in Schnepfenthal herausgegebene Zeitschrift „Der Bote aus Thüringen“, mit der sich Salzmann ein geeignetes Veröffentlichungsforum schuf, um jederzeit Nachrichten, Belehrung und Unterhaltung an’s Volk zu bringen. Damit lag Salzmann ganz im Trend seiner Zeit, in der das Zeitschriftenwesen boomte wie nie zuvor. Die Aufklärung hatte die Wirkkraft der Publizistik entdeckt und der „Pop-Aufklärer“ Salzmann nutzte sie kräftiglich.

2.5. Schlusssentenz

Salzmann steht beispielhaft für typische Merkmale der Aufklärung, die – ob nun philosophisch oder populär – im wesentlichen Kern vom Grundprinzip kritischer Rationalität geleitet ist. Dass eine Aufklärungsbegeisterung wie im 18. Jahrhundert immer auch in der Gefahr steht, die Grenzen von Vernunft und Vernünftigkeit in naivem, billigem oder absolutem Rationalismus zu missachten, das belegen die vielfältigen Aufklärungsexzesse, die es bis heute zu beklagen gilt. Dem entgegen bedürfte es einer Aufklärung mit – populär formuliert – Kopf, Herz und Hand oder – psychologisch definiert – als kognitiv, emotional und pragmatisch dimensionierte Haltung, die durchaus auch als schulisch-unterrichtliche (Urteils-) Kompetenz vorstellbar wäre. Im Sinne solcher Aufklärung darf der Religionsunterricht nicht außen vor bleiben, denn seines „Amtes“ ist es, denkenden Glauben zu vermitteln.

3. Didaktische Überlegungen

Wie lassen sich die Voraussetzungen auf Schülerseite mit den kirchengeschichtlichen Klärungen zur Aufklärungsthematik vermitteln, um didaktisch verdichtet Aufklärung unterrichtlich zu elementarisieren?

3.1. Lehrplanbefund – bayerisch

Ein Blick in die Lehrplanlandschaft für das Fach Evangelische Religionslehre kann hier ein erster Schritt sein, um sich curricular zu vergewissern, ob „Aufklärung“ Kirchengeschichts-didaktisch überhaupt religionsunterrichtliches Thema ist. Denn bekanntermaßen ist ja die Kirchengeschichte Stiefkind in der Themenpalette des Religionsunterrichts und nimmt auch die Religionsdidaktik an der Vernachlässigung der Erinnerungskultur und der Traditionsvergessenheit im Kontext schulischer und gesellschaftlicher Bildung teil. Aufs Ganze gesehen bestätigen das auch die bayerischen Lehrpläne. Allerdings gibt es sogar in puncto Aufklärung eine Ausnahme: In der 11. Klasse des 9-jährigen Gymnasiums ist unter dem Titel „Denken und Glauben“ eine 12-stündige Unterrichtsreihe vorgesehen, die dieses Thema an „Grundgedanken der Aufklärung“ bearbeiten soll. Das weist didaktische Nähe zu unseren oben angedeuteten Kompetenzüberlegungen auf. Denn da heißt es: Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Situation leiten die Schülerinnen und Schüler „aus Grundgedanken der Aufklärung Herausforderungen für den christlichen Glauben ab und beurteilen Versuche aus dem 18. Jahrhundert, diese Herausforderungen zu meistern.“

Diese Kompetenzerwartung eröffnet didaktischen Spielraum, um sich im Haltungshorizont von Mündigkeit bzw. sachverständigem Urteilsvermögen dem kirchengeschichtlichen Thema Schüler-bezogen anzunähern. Der Lehrplan offeriert folgende „Inhalte zu den Kompetenzen“:

  • „Aufklärung im 18. Jahrhundert. Vorrangstellung von Vernunft und Empirie, Fortschrittsoptimismus und positives Menschenbild“
  • „Versuche, diese Herausforderungen zu meistern z.B. historisch-kritische Exegese, Deismus, Ethisierung der Religion“…
  • „erkenntnistheoretische Überlegungen Platons und Kants, Grenzen objektiver Erkenntnis, ggf. Infragestellung von Realität und Wahrheit als Grundzüge gegenwärtiger Strömungen“…

(Lehrplan Plus Gymnasium 11. Klasse Evangelische Religionslehre)

3.2. Lehrplanbefund – kritisch

Unter kirchengeschichtsdidaktischer Sicht erfüllen diese Inhaltsangaben und Arbeitsaufträge nur bedingt die Kompetenzerwartungen (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht). Denn der echten kirchengeschichtlichen Erschließung der Aufklärung wird zu wenig eigenständiger Raum gewidmet. So deutet sich der Eindruck problem-orientierter Instrumentalisierung schon an, wo die erkenntnistheoretischen Überlegungen ins Spiel kommen. Demgegenüber müsste unseres Erachtens eine befriedigende kirchengeschichtsdidaktische Erarbeitung die Grundgedanken der Aufklärung, wie sie in den ersten Spiegelstrichen des bayerischen Lehrplans aufgeführt sind, umsetzen in einen geschichtlichen Unterricht. Dieser reduziert die Aufklärung nicht auf relevante Begriffe und Wendungen, sondern verordnet ihr, soweit möglich, ‚Geschehensfleisch‘. Das heißt, dass hier Aufklärungsgeschichte durch Erinnerung mobilisiert werden muss und vor allem, dass hier Menschen nicht nur als blasse Ideenhelden begegnen, sondern als interessante „Typen“ in einer bestimmten Zeit und Situation, die für die Schülerinnen und Schüler existentielles Vergleichen, Bewerten und Urteilen ermöglichen. Das bedeutet nicht, den geschichtlichen Abstand zu verleugnen, geschieht aber sehr wohl im Wissen um die synchrone Gemeinsamkeit menschlicher Grunderfahrungen und Grundfragen, an denen es der „Aufklärung“ nicht mangelt.

So geartete Kirchengeschichtsdidaktik wird sich ganz wesentlich an Menschen orientieren, deren Leben, Ergehen, Erleben und Erleiden aufklärerisch aussagekräftig und erzählenswert ist. Das müssen nicht immer die großen Persönlichkeiten und prägenden Geistesgrößen aus der ‚Etage‘ der philosophischen Aufklärung sein. Das können auch weniger bekannte Aufklärer sein oder auch „kleine Leute“ (Lindner, 2013, 12f.). Dazu bedarf es allerdings geeigneter Quellen, wie z.B. das hinreißende Büchlein des aufgeklärten Schulmeisterleins Gotthilf Wahrlieb gegen die „einfältigen Pfaffen“ (Schönfeld, 2008; Lachmann/Schröder, 2010, 81-85), an dem sich die Lebens- und Geistesart der Aufklärung am aufstrebenden Lehrerstand höchst interessant veranschaulichen ließe. Didaktisch würde das einen Unterricht nahelegen, in dem „biographisch akzentuiert“ gelernt wird und an Lebensläufen und -szenen Aufklärung verkörpert und leibhaftig werden kann (Lindner, 2007 III, 2 und 3). Methodisch kann das auch im Gymnasium über gekonntes Erzählen geschehen, verlangt aber vor allem historisch-kritische Quellenarbeit, die ein nicht wegzudenkendes Markenzeichen eines kirchengeschichtlich thematisierten Religionsunterrichts bleibt.

3.3. Unterrichtsvorschläge – exemplarisch

Folgt man den kirchengeschichtsdidaktischen Vorstellungen und erinnert sich an die Sachanalyse mit ihren Schwerpunktsetzungen, dann könnten die Unterrichtsvorschläge folgendermaßen ausfallen:

  • sie versuchen als grundlegenden Zugang zum Thema von den Schülerinnen und Schülern zu erfahren, was sie mit dem Begriff der „Aufklärung“ verbinden. Das mittels Brainstorming oder Gruppenarbeit Gesammelte wird im Gespräch diskutiert und dann investigativ, korrelativ oder konfrontativ mit dem kirchengeschichtlichen Thema Aufklärung in Verbindung gebracht;
  • sie informieren in Lehrervortrag und Schülerreferaten knapp und verständlich über die philosophische Aufklärung, was gewissermaßen zur ,Allgemeinen Bildung‘ über die Aufklärung gehört;
  • sie stellen die populäre Aufklärung ins Zentrum und dokumentieren ihre Einflüsse im Alltagsleben des 18. Jahrhunderts durch „aufklärende“ Zeugnisse und Quellenschriften;
  • sie fokussieren sich – weil für erfolgreiches biographisches Lernen höchst geeignet – beispielhaft auf die Philanthropen und statuieren an einem von ihnen ein typisch aufklärerisches „Exempel“. Ausreichend spannenden Stoff dafür gäbe sicher Bernhard Basedow mit seinem „phantastischen“ bisweilen chaotischen Aufklärer-Leben ab. Noch spannender dürfte der geniale Carl Friedrich Bahrdt mit seiner linksradikalen Aufklärung und einer Professoren-„Karriere“ sein, die als Gastwirt endete und ihm nicht zu Unrecht den Beinamen „enfant terrible der Aufklärung“ einbrachte. Er dürfte mit Sicherheit für jeden Erzähler ein dankbarer Held sein, mit dem sich jede Klasse begeistern ließe. Leider aber ist er ein Aufklärer in radikalem Kontrast und Widerspruch, der immer wieder auf das Maß zuträglicher Aufklärung zurückgestutzt werden müsste;
  • sie machen Christian Gotthilf Salzmann als den „Pop-Aufklärer“ zum Mittelpunkt und arbeiten an ihm, seinem Leben, Wirken und Werk typische Züge der Aufklärung heraus.

Dabei könnte man etwa denken an:

  • seine Lebensgeschichte, zum Teil als Dialoge im „Boten aus Thüringen“ (Friedrich, 2007,500-577) oder
  • einen ausgewählten Brief aus dem Briefroman „Carl von Carlsberg“ (1783ff./Häntzschel, 1977) oder
  • ein Kapitel aus seinem höchst populären „Buch für´s Volk“ „Konrad Kiefer oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Kinder“ (1796/Friedrich, 2007,171-311) oder
  • das eine oder andere Gespräch des „Boten aus Thüringen“ oder
  • sie greifen zum Abschluss die systematischen Fragen auf, welche die kirchengeschichtliche Beschäftigung mit der Aufklärung weckte. Das dürfte sich im Themenspektrum des bayerischen Lehrplans bewegen, sollte dabei aber bei allem an der Wendung „aufgeklärtes Christentum“ oder besser „mein aufgeklärtes Christentum?“ den Stellenwert von Vernunft und Vernünftigkeit für Leben und Glauben diskutieren. Daraus könnten Kriterien entwickelt werden für eine lebensförderliche Aufklärungshaltung, die der Liebe als Grundwert christlichen Glaubens und Handelns genügt. In diesem Sinne kann agapekritische Aufklärung zum religiös-konstitutiven Element vernünftiger Urteilskompetenz werden und der Religionsunterricht auf seinem kirchengeschichtlichen Weg über die „Aufklärung“ einen eigenen Beitrag zur Urteilsfähigkeit als Kompetenz schulischer und menschlicher Bildung leisten.

4. Religionspädagogischer Aus-Blick

Unser religionsunterrichtlicher Umgang mit dem kirchengeschichtlichen Thema „Aufklärung“ ist letztendlich gelandet bei der Kompetenz aufklärerischer Urteilsfähigkeit oder – mit der christlichen Brille weitergedacht – bei agapekritischem Urteilsvermögen. Das zeigt, dass auch in einem kompetenzorientierten Religionsunterricht kirchengeschichtliche Themen ihren Platz haben können (Obst, 2015, 7.7). Freilich verlangt der historische Gegenstand vor allem Auslegungs- und Deutungskompetenz, ist doch nach dem alten Diktum von Gerhard Ebeling Kirchengeschichte in ihrem Wesenskern biblische Auslegungsgeschichte. Insofern ist die Kirchengeschichte als Ganze wie im Einzelnen angewiesen auf historisch-kritische Wahrnehmung, Auslegung und – als hermeneutische Brücke in die Gegenwart – Deutung. Damit tritt das kirchengeschichtliche Thema „Aufklärung“ in einen Dialog mit den Schülerinnen und Schülern und lässt den Religionsunterricht zu einer kirchengeschichtlich verorteten Kommunikations- und Diskussionsgemeinschaft werden. Dazu braucht es keinen konfessionellen Religionsunterricht, sondern einen für alle Schülerinnen und Schüler offenen christlich ökumenischen Unterricht, der kirchengeschichtliches Verstehen und Verständnis erwartet, nicht aber Einverständnis mit der christlichen Sicht, die ihm der Religionsunterricht als seine Weise, dem Leben und der Welt zu begegnen, anbietet. Ob er sich diese Brille auf Dauer aufsetzt, bleibt seinem aufklärerisch geschulten Urteilsvermögen überlassen (Lindner, 2013,15; Lachmann, 2002, 172f.; 185f.).

Literaturverzeichnis

  • Braubach, Max, Vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution, Gebhardt Handbuch der Deutschen Geschichte Bd. 2, Stuttgart 9. Aufl. 1970.
  • Friedrich, Leonhard (Hg.), Pädagogische Welt – Salzmanns Schnepfenthal, Jena 2007.
  • Häntzschel, Günther (Hg.), Christian Gotthilf Salzmann, Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend, Bde.1-6, Bern 1977.
  • ISB (Hg.), Lehrplan PLUS Gymnasium, München 2018. Online unter: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/gymnasium/evangelische-religionslehre/11, abgerufen am 08.08.2018.
  • Lachmann, Rainer, Der Pop-Aufklärer. Vor 200 Jahren starb der Religionspädagoge Christian Gotthilf Salzmann, in: Zeitzeichen 10 (2011), 42-44.
  • Lachmann, Rainer, Das Leben aus der „Brille“ des Gottesglaubens ansehen!?, in: Lachmann, Rainer, Religionspädagogische Spuren, Jena 2. Aufl. 2002,172-192.
  • Lachmann, Rainer, Die Religionspädagogik Christian Gotthilf Salzmanns, Arbeiten zur Historischen Religionspädagogik 2, Jena 2005.
  • Lachmann, Rainer/Herbert Gutschera/Jörg Thierfelder, Kirchengeschichtliche Grundthemen. Historisch – systematisch – didaktisch, Theologie für Lehrerinnen und Lehrer 3, Göttingen 3. Aufl. 2010, bes. 219-237.
  • Lachmann, Rainer/Schröder, Bernd (Hg.), Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland, Bd. 1, 78-127; Bd. 2 Quellen, 57-85, Neukirchen-Vluyn 2007 und 2010.
  • Lindner, Konstantin, In Kirchengeschichte verstrickt. Zur Bedeutung biographischer Zugänge für die Thematisierung kirchengeschichtlicher Inhalte im Religionsunterricht, Arbeiten zur Religionspädagogik 31, Göttingen 2007.
  • Lindner, Konstantin/Riegel, Ulrich/Hoffmann, Andreas (Hg.), Alltagsgeschichte im Religionsunterricht, Stuttgart 2013.
  • Obst, Gabriele, Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2015.
  • Schmidt, Heinrich R., Vom Fundamentalismus zum Vernunftglauben. Absolutismus und Aufklärung, in: Felsmann, Matthias/Birnstein, Uwe (Hg.), Chronik des Christentums, Gütersloh 1997, 272-321.
  • Schönfeld, Heidi/Lachmann, Rainer, Allerlei für einfältige Schulmeister/Pfaffen, Arbeiten zur Historischen Religionspädagogik 6, Jena 2008.

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