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(erstellt: März 2018)

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1. Allgemeine Bedeutung und Verwendung

Gelübde bezeichnet im Alten Testament ein zumeist bedingtes Versprechen von Personen oder Personengruppen gegenüber der Gottheit Jhwh, das einen formelhaften Sprachgebrauch aufweist und in den Erzähltexten nach dem Prinzip do ut des („ich gebe, damit du gibst“) aufgebaut ist. So beginnen die Gelübde in narrativen Kontexten stets mit einer durch die Partikel אִם ’im „wenn“ eingeleiteten Bedingung (Protasis), der in einem Nachsatz das Versprechen folgt (Apodosis). Das Versprechen muss der Gottheit wohlgefällig sein. Es kann sowohl positiv in Form von Opfern oder Gaben als auch negativ in Form von Verzichtserklärungen (z.B. Fasten) erfolgen. Dabei ist die zugesagte Leistung in ersterem Fall erst nach Erfüllung der Bitte zu erbringen, während sie im Rahmen einer Verzichtserklärung mit Erfüllung der Bitte bereits abgegolten ist. Eine besondere Form des Gelübdes stellt das Nasiräatsgelübde dar (Num 6,1-21; → Nasiräer).

Die hebr. Wurzel für Gelübde / geloben ist alttestamentlich 91-mal belegt, davon 60-mal als Nomen (נֵדֶר nedær), 31-mal als Verb (נָדַר nādar). Zum formelhaften Sprachgebrauch vgl. נדר נֶדֶר „Gelübde geloben“: Gen 28,20; Gen 31,13; Num 21,2; Num 30,3.4; Dtn 23,22; Ri 11,30; 1Sam 1,11; 2Sam 15,8; Pred 5,3; Jes 19,21; Jon 1,16; שׁלם־נֶדֶר šlm nedær „Gelübde erfüllen“: Dtn 23,22; Hi 22,27; Ps 22,26; Ps 50,14; Ps 56,14; Ps 61,9; Ps 65,2; Ps 66,13; Ps 116,14.19; Spr 7,14; Pred 5,3.4; Jon 2,10; Nah 2,1.

Die → Septuaginta übersetzt die hebräische Wurzel in der Regel mit εὐχή euchē „Gebet / Bitte / Gelübde“ bzw. εὔχομαι euchomai „beten / bitten / geloben“. Eine Ausnahme stellen Jer 44,25 (MT = LXX 51,25: ὁμολογία homologia „Übereinkunft / Vertrag“; ὁμολογέω homologeō „übereinstimmen / versprechen“) und Lev 22,18 (ὁμολογία homologia s.o.) dar.

2. Anlass und Inhalt der Gelübde

Anlass von Gelübden ist eine individuelle oder kollektive Notsituation, aus der heraus sich die Gelobenden an Gott wenden. Die Anrufung aus einer Situation existentieller Not setzt ein Vertrauen in die reale Existenz und Wirkmacht der Gottheit voraus. Der Beter ist von der Hoffnung getragen, Gott möge seine Bitte erhören und zu seinen Gunsten eingreifen. Damit eignet dem Gelübde ein Bekenntnischarakter, insofern die angerufene Gottheit als Retter angesprochen und anerkannt ist. Vor dem Hintergrund dieses Gebets- und Bekenntnischarakters sollte das Moment eines Handels mit der Gottheit nicht einseitig überbetont werden. Vielmehr versteht sich das Gelübde ‒ einschließlich der als Anreiz für ein schnelles Eingreifen der Gottheit gedachten Bedingung („wenn“) ‒ als Verpflichtung eines Glaubenden im Rahmen des Gottesverhältnisses. Dem entspricht die breite und insgesamt positive Rezeption des Gelübdes in den Psalmen (s.u.), in denen das Geloben als selbstverständlicher Ausdruck der Gottesverehrung erscheint und mit dem Kult assoziiert wird. Im Anschluss an die auch in den Psalmen implizierte Notwendigkeit, die im Gelübde versprochene Gegenleistung unbedingt zu erfüllen, werden im Laufe der theologiegeschichtlichen Entwicklung jene Stimmen lauter, die vor allzu eilfertigem Geloben warnen (vgl. unten 2.3. und 2.4.).

2.1. Erzähltexte

Die individuellen Anlässe für ein Gelübde sind ausweislich des Befundes in den narrativen Kontexten ebenso verschieden wie die je versprochene Gegenleistung. Als mögliche Auslöser werden genannt: Kinderlosigkeit (1Sam 1,1ff; s.a. Spr 31,2), kriegerische Auseinandersetzungen (Ri 11,30-39; Num 21,1-3); Seenot (Jon 1,16; Jon 2,10); familiäre Konfliktsituationen (Gen 28,20-22) oder Fragen bezüglich → Reise und Heimkehr (Gen 28,20-22). Die versprochene Gegenleistung scheint zumindest in einigen Fällen mit der individuellen Notsituation des Beters zusammenzuhängen. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang im Falle der Geburtsgeschichte Samuels in 1Sam 1,1ff, wo → Hannah von Gott erbittet, er möge ihre Kinderlosigkeit aufheben. Als Gegenleistung verspricht sie, ihm das erbetene Kind zu überlassen (1Sam 1,11).

2.2. Psalmen

Ungeachtet der individuellen thematischen Ausrichtung steht der Charakter des Gelübdes als Bitte um Erretung aus einer Notsituation auch in den → Psalmen im Vordergrund (Ps 22,26; Ps 50,14; Ps 56,13; Ps 61,6.9; Ps 65,2; Ps 66,13; Ps 76,12; Ps 116,14.18; Ps 132,2). In einigen Psalmen schimmert der Zusammenhang der Gelübde mit Opferdarbringungen und damit die Assoziation des Gelübdes mit dem Kult durch (Ps 22,26f; Ps 50,13f; Ps 56,13; Ps 66,13; Ps 116,17f; vgl. auch Jon 2,10), wie er auch durch Ausführungen in Gesetzespassagen belegt ist (vgl. u.a. Lev 7,16-21; Lev 22,17-25; vgl. auch die spätnachexilische Diskussion um Ersatzleistungen in Lev 27).

2.3. Gesetzestexte

Die Gesetzestexte konzentrieren sich ‒ ihrer Natur entsprechend ‒ weniger auf die Notsituation der Menschen als vielmehr auf eine Definition von Art und Darbringung der versprochenen Gegenleistung. Dtn 12,6.11.17.26 diskutieren das Gelübde vor dem Hintergrund der Kultzentralisation (→ Josia). Der eine Ort, den Gott für sich erwählen wird, soll auch der Ort der Gelübdeerfüllung sein. Lev 22,18-23 verbieten eine versprochene Gegenleistung in Form unreiner Opfertiere (vgl. Mal 3,14), während Dtn 23,19 Hurenlohn (אֶתְנַן זוֹנָה ’ætnan zônāh) und Hundegeld (מְחִיר כֶּלֶב məḥîr kælæv) als unangemessene Gelübdeversprechen benennt.

Spezielle Verordnungen zu Gelübden, die von Frauen ausgesprochen werden, finden sich in Num 30,2-16. Die Verse bedenken das Gelübde hinsichtlich der rechtlichen Stellung der Frau. Die Gültigkeit ihrer Gelübde hängt ‒ je nach Familienstand ‒ an der Zustimmung des Vaters bzw. des Ehemannes. Die vielfach aus Num 30,2-16 abgeleitete These, dass Frauen eher zu Gelübden neigen als Männer, ist der gedanklichen Ausrichtung des Textes nicht gemäß.

Eine besondere Position innerhalb der Gesetzestexte nimmt Dtn 23 ein. Dtn 23,22-24 warnen vor dem vorschnellen Ablegen von Gelübden. Die Ausführungen unterstreichen den verbindlichen Charakter der Gelübde, durch die der Gelobende sich freiwillig an Jhwh gebunden hat und nun zur Erfüllung der Gegenleistung unbedingt verpflichtet ist. Eine narrative Entfaltung findet diese Warnung in der Erzählung über den großen Richter Jiftach in Ri 11,30-40. Jiftach ruft Gott vor seinem Feldzug gegen die Ammoniter an und bittet darum, er möge den Feind in seine Hände geben. Als Gegenleistung verspricht er ihm ein Brandopfer, das in dem Gelübde selbst unbestimmt bleibt (הַיּוֹצֵא אֲשֶׁר יֵצֵא מִדַּלְתֵי בֵיתִי לִקְרָאתִי „was / wer auch immer zu meiner Haustür heraus mir entgegengeht”) und sich erst über den weiteren Erzählkontext als Jiftachs einzige Tochter herausstellt.

2.4. Weisheit

Eine kritische Reflexion über den verbindlichen Charakter von Gelübden prägt auch die Belege der Weisheitsliteratur. Spr 20,25 bezeichnet voreilig geäußerte Gelübde als Fallstricke, Pred 5,3f betonen neuerlich die Verbindlichkeit von Gelübden und ermahnen, besser nicht zu geloben als Gelobtes nicht zu halten. Ähnlich warnt Sir 18,23: „Bevor du ein Gelübde machst, bereite dich dazu, und sei nicht wie ein Mensch, der Gott versucht.“ Die Auseinandersetzung mit der Gefahr vorschnellen Gelobens wird in Talmud und Midrasch weiter vertieft.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
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2. Weitere Literatur

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  • Wendel, Adolf, Das israelitisch-jüdische Gelübde, Berlin 1931

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