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Feinde / Feindsymbolik (private)

(erstellt: März 2011)

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1. Terminologie

Das Hebräische kennt verschiedene Ausdrücke für private Feinde: אוֹיֵב ’ôjev „Feind“, שֹׂנֵא śonē’ „Hasser“ und צַר ṣar „Bedränger“. Auch רֹדֵף rodef „Verfolger“ findet sich als Feindbezeichnung (vgl. zu den Belegen Ruppert 1973). In der → Septuaginta wird אוֹיֵב ’ôjev in der Regel mit ἐχθρός echthrós übersetzt. Damit ist die Vorstellung eines ständigen Gegeneinanders verbunden, das sich in unterschiedlichstem feindlichen Verhalten äußern kann.

2. Persönliche Feindschaft in Erzählungen

Von persönlicher Feindschaft zwischen Menschen ist im Alten Testament immer wieder die Rede. Erinnert sei z.B. an das Gegeneinander zwischen → Saul und → David (1Sam 18,29; 1Sam 19,17; vgl. 1Sam 24,5), → Eschbaal und David (2Sam 4,8) oder zwischen → Ahab und → Elia (1Kön 21,20). Die Gründe für solche Feindschaft sind unterschiedlich: → Neid und Eifersucht können, wie im Falle Sauls, eine Rolle spielen; aber auch das öffentliche Anprangern von Unrecht und religiösem Fehlverhalten kann Feindschaft zur Folge haben, wie das Gegeneinander von Ahab und Elia zeigt. In beiden Fällen erhält die Feindschaft dadurch auch eine politische Note, dass einer der beiden Gegner der König ist. Die Feindschaft wird besonders dann zur Bedrohung, wenn ein bisheriges Vertrauensverhältnis zerbrochen ist und der Freund oder gar Familienangehörige oder Geschwister zum Feind werden (vgl. Ps 41,7; Ps 55,22; Mi 7,6f.; Gen 37,4).

3. Feinde in den Klageliedern des Einzelnen

Besonders in den Klageliedern des Einzelnen (→ Psalmen, → Psalter) finden sich oft Hinweise auf Feinde des Beters, die zahlreich sind (Ps 3,2) und als Exponenten von tödlicher Gefahr und Unglück dessen Existenz ins Wanken bringen wollen (Ps 13,5) und das heißt: fundamental bedrohen. Die aggressive Potenz der Feinde, der der Beter von sich aus nichts entgegensetzen kann, wird mit der von wilden Tieren verglichen (bes. von → Löwen, → Hunden, (Wild-)Stieren [→ Rinder] und → Schlangen: vgl. Ps 3,8; Ps 7,3; Ps 10,9; Ps 17,12; Ps 22,14; Ps 35,17; Ps 22,13.17.21; Ps 58,5; Ps 59,7.15; vgl. Riede 2000, 150ff). Andere Stellen verwenden Kriegs- und Jagdmetaphorik (→ Jagd) für das Handeln der Feinde (vgl. Ps 3; Ps 7,13-17; Ps 27,1-6; Ps 62,4; Ps 57,4f.7 u.ö. und Riede 2000, 20ff.339ff), die ohne Grund gegen den Beter vorgehen (vgl. Ps 69,5). All diese Bilder zeigen ihr unerbittliches Verhalten auf, das – zudem oft verborgen und mit Hinterlist – dem Beter Schaden zufügen will. Darüber hinaus erscheinen die Feinde als Gegner im Rechtsstreit (Ps 27,12; Ps 35,11), sie gehen mit Verleumdungen und verletzenden Worten gegen den Beter vor (Ps 55,13), bringen Schmach und Schande über ihn (Ps 31,12; Ps 42,11) und versuchen ihn so aus der Gemeinschaft auszugrenzen („sozialer Tod“). Diese Noterfahrungen haben häufig Begleiterscheinungen (vgl. dazu Crüsemann 1989), z.B. Krankheit (Ps 30; Ps 41 u.ö.). Da die Feinde auch eine hochmütige Haltung an den Tag legen, die in der Behauptung, es gäbe keinen Gott (vgl. Ps 10,4), ihre höchste Steigerung findet, ist in ihren Angriffen nicht nur das Schicksal des einzelnen Beters infrage gestellt, sondern grundsätzlich auch das Gottesbild (vgl. Janowski 2. Aufl. 2006, 124).

Die Feindschilderungen finden daher in der Klage des Beters, von Gott verlassen zu sein, ihren Höhepunkt (vgl. Ps 22,2). Dennoch wendet sich der verfolgte Beter mit seinen Klagen über die Feinde an Gott, weil er in ihm allein seine Rettung sieht (vgl. Ps 22,22). Von Gott erhofft er sich, dass dieser der feindlichen Übermacht wehrt und deren Bedrohungspotential beseitigt, ja dass er gerade angesichts der dauerhaften Präsenz der Feinde dem Beter Leben gewährt (Ps 23,5).

Dass es sich, wie in der Forschung immer wieder vermutet, bei den Feinden um Zauberer oder → Dämonen handelt, scheint wenig schlüssig. Eher geht es bei einigen der Feindschilderungen um eine Dämonisierung des Gegners, der als Exponent des Bösen und Chaotischen erscheint und den Beter durch seine Handlungen aus der Welt des Lebens verbannen möchte. Insgesamt gilt für die Feindschilderungen der Individualpsalmen die grundsätzliche Feststellung Ringgrens: „Das Wesentliche ist nicht die genaue Beschreibung der Feinde, sondern die theologische Einordnung ihres Wirkens als widergöttlich und chaotisch“ (234). Sie werden geradezu zum Einfallstor des Bösen.

4. Der Umgang mit dem Feind in Weisheit und Recht

Die Weisheitsliteratur (→ Weisheit) sieht im hungernden und dürstenden Feind einen Menschen, dem man Fürsorge und Güte entgegenbringen soll (Spr 25,21), und betont, dass man so Kohlen auf sein Haupt sammle. Das Bildwort vom Sammeln von Feuerkohlen auf dem Haupt des Hassers, das in der ägyptischen Tradition wurzelt (vgl. Morenz), steht für „Beschämung, Reue, Buße und letztlich Umkehr“ (Meinhold, 247). Der Spruch rechnet also damit, dass durch die dem Feind geleistete Hilfe die Feindschaft überwunden wird. Dieser in Spr 25,21 formulierten ethischen Grundhaltung, die in den Umkreis des Gebotes der → Nächstenliebe gehört (vgl. Lev 19,17f.), entspricht die Aufforderung, man solle sich über den Fall des Feindes nicht freuen (Spr 24,17). Im Hintergrund dieser Umgangsformen mit dem Feind steht das Leben in der kleinen dörflichen Gemeinschaft, in der es unverzichtbar ist, sich gegenseitig Hilfe zu leisten, auch wenn man sich nicht freund ist. Diese Ethik der Solidarität zeigt sich auch in der Bestimmung Ex 23,4: Rind oder Esel des Feindes, die sich verlaufen haben, sollen diesem zurückgebracht werden, weil letztlich sein Leben von der Arbeitsleistung dieser Tiere abhängt (vgl. ähnlich Ex 23,5).

5. Gott als Feind

Gott erscheint als der persönliche Feind von Frevlern (1Sam 28,16; Ps 37,20). Besonders drastisch entwickelt das → Hiobbuch diese Vorstellung, wenn Hiob Gott als Feind ansieht, der sein Leben bedroht (Hi 13,24; Hi 33,10). Die hier gebrauchten militärischen Bilder (vgl. Hi 16,11-14; Hi 19,8-12) entfalten die stärkste Anklage Gottes, denn sie weisen auf die Unerbittlichkeit und Größe der Bedrohung hin, die für Hiob von Gott ausgeht (vgl. dazu Riede, 2000, 66ff).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

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  • Berlejung, A., Art. Feind (AT), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006, 182f
  • Brüning, Chr., „Gott möge ihnen einen Blitz ins Gesäß jagen!“ Zu den Feindaussagen in den Psalmen, EuA 82 (2006), 128-138
  • Crüsemann, F., Im Netz. Zur Frage nach der „eigentlichen Not“ in den Klagen der Einzelnen, in: R. Albertz / F.W. Golka / J. Kegler (Hgg.), Schöpfung und Befreiung (FS C. Westermann), Stuttgart 1989, 139-148
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  • Janowski, B., Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offene Fragen im Umkreis des „Tun-Ergehen-Zusammenhangs“, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 2, Neukirchen-Vluyn 1999, 167-191
  • Janowski, B., Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2006, bes. 98ff
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  • Zenger, E., Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg 1994

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