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(erstellt: Mai 2014)

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Der Euphrat ist mit über 2700 km Länge der längste Strom des Vorderen Orients. Zusammen mit dem weiter östlich gelegenen → Tigris bildet er das Zweistromland bzw. Mesopotamien (im modernen, weit gefassten Sinne; von griech. Μεσοποταμία [ergänze χώρα], das Land „zwischen den Flüssen“, im antiken Sprachgebrauch nur das Land zwischen Tur Abdīn im Norden und dem heutigen Bagdad im Süden), das das antike Babylonien im Süden und das ab altassyrischer Zeit meist unter assyrischem Einfluss stehende Gebiet im Norden umfasste (→ Assyrien; → Babylonien; Röllig 1979, 1237).

1. Name

Der Name Euphrat geht letztlich auf sumerisch buranuna ([?] „großer Fluss“) zurück, woraus das in Mesopotamien geläufige akkadische purattu entstand (zur Schreibung und zu den Belegen in der hier relevanten späteren Zeit vgl. Parpola 1970, 281f.; Zadok 1985, 396-398; Literatur zu allen Belegen: Belmonte Martín 2001, 393), das letztlich die Urform der Namen des Flusses in den übrigen antiken Sprachen darstellte: 1. Die altpersische Namensform ufrātu (Kent 1953, 176) erscheint gräzisiert als Εὐφράτης Euphratēs (lateinisch Eufrates), worauf die deutsche Namensform beruht. 2. Unmittelbar von der akkadischen Form leiten sich die Namen des Flusses in den nordwestsemitischen Sprachen her, wie z.B. hebräisch פְּרָת pərāt (19-mal im Alten Testament), in Qumran als פורת pwrt (QM 2,11), und arabisch al-Furāt.

Angesichts seiner Größe und Bedeutung kann der Euphrat auch einfach als „der große Strom“ (Gen 15,18; Dtn 1,7; Jos 1,4; immer neben נְהַר־פְּרָת „der Strom Euphrat“) oder nur als „der Strom (schlechthin)“ (z.B. Dtn 11,24; Jes 8,7; Jer 2,18) bezeichnet werden; Letzteres begegnet auch arabisch und bereits akkadisch in der Gebiets- und Provinzbezeichnung eber nāri „(Gebiet) jenseits des Stromes“ (s.u. 4.1.1.b).

2. Verlauf

Der Euphrat entspringt im armenischen Bergland in Bereich der heutigen Osttürkei in zwei Quellflüssen, dem nördlichen, in der Nähe von Erzurum entspringenden Karasu und dem südlichen, weiter im Osten entspringenden Murat. Nach deren Vereinigung zum eigentlichen Hauptfluss in der Nähe des heutigen Malatya fließt der Euphrat zunächst in südlicher Richtung, durchbricht dabei die Tauruskette und erreicht bei Til Barsip zunächst Obermesopotamien und damit das weite Flachland Mesopotamiens, das er in zahlreichen Windungen durchfließt. Noch in Obermesopotamien münden seine beiden wichtigsten (östlichen) Nebenflüsse ein, der weiter nördlich gelegene Balīḫ und der südlichere Ḫābūr, der im Alten Testament in der Form „Habor“ erscheint (חָבוֹר ḥāvôr; 2Kön 17,6; 2Kön 18,11; 1Chr 5,26). Ab dem Euphratknie beim antiken Emar (modern Meskene), und damit dem heutigen Assad-Stausee, nimmt der Euphrat seine südöstliche Hauptfließrichtung ein und erreicht bei Hīt die babylonische Tiefebene. Der Unterlauf von Euphrat und Tigris in Babylonien ist durch ein System von zahlreichen Bewässerungskanälen geprägt, im Süden durch eine ausgeprägte Sumpflandschaft. Während sich Euphrat und Tigris heute zum Šaṭṭ al-‘Arab vereinigen, bevor sie in den Persischen Golf münden, verlief in der Antike die Nordküste des Persischen Golfs deutlich weiter im Norden, so dass beide Flüsse getrennt und direkt ins Meer mündeten. Der genaue Verlauf der antiken Küstenlinie ist aber umstritten.

Der Euphrat ist geprägt von seiner variierenden Wasserführung; bedingt u.a. durch Anschwemmungen seiner östlichen Nebenflüsse änderte er immer wieder seinen Verlauf, so dass Städte wie → Nippur, Babylon (→ Babel), → Ur und → Uruk sowie → Dura Europos in der Antike noch am Euphrat lagen (ausführlich zum antiken Verlauf Weissbach 1907; Kessler 1998).

3. Wirtschaftliche Bedeutung

Euphrat 3
Wirtschaftliche Bedeutung erlangte der Euphrat zum einen für die Landwirtschaft. Da im weitgehend regenlosen → Babylonien jede Form von Landwirtschaft von künstlicher Bewässerung abhängig ist, spielte der Euphrat zusammen mit dem Tigris samt einem umfangreichen, regelmäßig gepflegten Kanalsystem, das das ganze Land durchzog, die herausragende Rolle für das Überleben in der Region (→ Sumer 3.2.; → Babylonien 3.3.).

Auch viele weitere Wirtschaftszweige waren von der Wasserversorgung abhängig, so die Keramikproduktion, Textilherstellung oder der gesamte Gebäudebau, da auch für die Herstellung luftgetrockneter Lehmziegel Wasser benötigt wurde.

Der Euphrat spielte auch als Transportweg für Personen und Handelswaren eine zentrale Rolle. Er stellt die Hauptroute von Babylonien nach Westen dar, nach Syrien bis zum Mittelmeer (über Mari oder Emar), letztlich auch nach Ägypten, dann nach Kleinasien. Da er bereits ab seinem Eintritt ins Flachland schiffbar wird, erfolgte der Transport einerseits zu Schiff. Andererseits führte der Hauptverkehrsweg für → Karawanen und → Heere an seinem Ufer entlang, so dass die Wasserversorgung gesichert war. So lagen denn auch wirtschaftlich und politisch bedeutende Städte an den Ufern des Flusses, wie die Knotenpunkte → Karkemisch (Koordinaten: N 36° 49' 46'', E 38° 00' 54''), → Emar am Euphrat-Knie (Koordinaten: N 35° 59' 14'', E 38° 06' 35''), → Mari (Koordinaten: N 34° 32' 58'', E 40° 53' 24'') oder → Dura Europos (zu den antiken Flussübergängen und Handelsrouten vgl. besonders Kessler 1998, 270f.).

4. Der Euphrat in der mesopotamischen und alttestamentlichen Literatur

4.1. Mesopotamien

4.1.1. a) In der historischen Literatur begegnen die beiden Flüsse Euphrat und Tigris in der Bezeichnung für Mesopotamien, meist pauschal als māt birīt nārim bzw. māt birītim „Land zwischen den Flüssen“, selten auch mit ausdrücklicher Nennung der Flussnamen „Land zwischen Tigris und Euphrat“ (altassyrisch; Inschrift Šamši-Adads I. [KAH I, Nr. 2 Vs. I 7f.; TUAT II 487]). Oft steht der Euphrat allein dagegen für die Westgrenze Mesopotamiens und damit den Übergang zum benachbarten Syrien. Mit Beginn der Westexpansion des assyrischen Reiches erscheinen Wendungen wie „ich überschritt den Euphrat“ zur Bezeichnung des Auftaktes einer Militärexpedition in den Westen (manchmal gesteigert durch den Zusatz „bei Hochwasser“), bereits in mittelassyrischer Zeit unter Tiglat-Pileser I. (1116-1077 v. Chr.; TUAT I, 357) und in früherer neuassyrischer Zeit unter Assurnaṣirpal II. (884-859 v. Chr.; TUAT I, 358) und seinem Sohn Salmanasser III. (859-824 v. Chr.; TUAT I, 362-366 [vgl. 361]; HTAT 255.259-263.265). Ab dem 8. Jh. v. Chr. mehren sich mit der Westexpansion des neuassyrischen Reiches solche Angaben, unter Adad-Nērāri III. (810-783 v. Chr.; TUAT I, [367.] 369; HTAT 276), Sargon II. (722-705 v. Chr.; TUAT I, 381; HTAT 308) und Asarhaddon (681-669 v. Chr.; TUAT I, 398). Später berichtet die neubabylonische Chronik Vergleichbares von Nabopolassar (D 4, 21-26; HTAT 414f.; TUAT I 402) und Nebukadnezar (D 4, Rs 2-3; HTAT 415; TUAT I 403). Selbstverständlich wird Ähnliches vom Westen aus von hethitischen Königen berichtet (Annalen Hattusilis I.: akkad. Rs 18; hethit. Rs III 29; TUAT I 459.463). Erst ab dem → Neuen Reich dringen auch Ägypter bis an den Euphrat vor (→ Karkemisch; TUAT I 540.542). Entsprechend erscheint der Euphrat in älteren ägyptischen Texten (18. Dynastie) als Ostgrenze des ägyptischen Einflussgebiets in seiner maximalen Ausdehnung (Helck 1977, 47).

b) Dass der Euphrat von Mesopotamien oder Persien aus betrachtet als Westgrenze zu Syrien-Palästina wahrgenommen wurde, zeigt besonders die Bezeichnung Syrien-Palästinas als „Transpotamien“, „Gebiet jenseits des Stromes“ – zunächst in mesopotamischen Quellen, nachweisbar seit Asarhaddon, dann auch in Syrien und Süd-Arabien (zusammenfassend Beyer 1984, 651; 2004, 450): Akkadisch erscheint die Wendung als eber nāri (AHw 181b: CAD E 8; zu den Belegen vgl. Parpola 1970, 116; Zadok 1985, 129), aramäisch inschriftlich als ‘br nhr’ (DNWSI 823), biblisch-aramäisch עֲבַר נַהֲרָא ‘ǎvar nahǎrā’ u.ä., biblisch-hebräisch עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār u.ä. (je nach Ausgangsposition auch für das osteuphratische Gebiet), auch altsüdarabisch (minäisch) ‘br nhrn (RÉS 3022; TUAT 1, 664; 4. Jh. v. Chr.), griechisch als πέραν τοῦ ποταμοῦ / Εὐφράτου. In Qumran begegnet auch עבר פורת ’br pwrt (QM 2,11). Eber nāri „Transeuphratene“ und sein aramäisches Pendant wird schließlich zur Provinzbezeichnung im persischen Großreich (Klinkott 2005, 74f. 117. 456-458 u.ö. [Lit.]) und taucht bis in hellenistisch-römische Zeit und später als Bezeichnung Syriens auf – so auch biblisch in den → Büchern Esra und Nehemia oder nachbiblisch in Qumran (s.u. 4.2.4.).

4.1.2. a) Auch in der mesopotamischen Mythologie und Religion nimmt der Euphrat eine zentrale Stellung ein. Mehrere Schöpfungsberichte nennen die ausdrückliche Erschaffung der Flüsse Euphrat und Tigris als der Menschenschöpfung vorausgehendes und den Lebensraum bestimmendes Ereignis, so im sumerisch-akkadischen Schöpfungsbericht KAR 4 (TUAT III 606 Vs. 6), im Bericht von der Weltschöpfung durch Marduk innerhalb der Beschwörungsserie „Mundwaschung“ CT 13 (TUAT III 609 Vs. 23) und im Atramḫasīs-Mythos (TUAT III 619 Tf. I, 25). Das Weltschöpfungsepos → Enuma Elisch (V, 55) berichtet schließlich, dass Euphrat und Tigris den Augen der getöteten → Tiamat, aus der der Kosmos gebildet wurde, entspringen (TUAT III, 589).

b) Auch sonst spielen Euphrat und Tigris als Hauptschlagadern Mesopotamiens in religiösen Texten eine hervorragende Rolle, wenn in Ritualtexten und Gebeten Wasser von Euphrat und Tigris vorkommen (TUAT II 217. 219. 720) oder eine Beschwörung die Beruhigung von beiden Flüssen zum Ziel hat (TUAT II 267). Auch die bereits ab sumerischer Zeit geläufigen Götterreisen können zu Schiff auf dem Euphrat stattfinden (z.B. Nanna; TUAT II 176ff.).

4.2. Altes Testament

4.2.1. a) In historisch neutralem Sinne dient der Euphrat einfach zur Lokalisierung von Ortslagen, von Rehobot( Nahar) (Gen 36,37 | 1Chr 1,48) oder Petor (Num 22,5) sowie der syrisch-arabischen Wüste östlich von → Gilead (1Chr 5,9). Ebenso stellt der Euphrat den Ort der Auseinandersetzung zwischen dem ägyptischen Pharao Necho und dem medischen und babylonischen Heer (→ Nebukadnezzar) dar (609 v. Chr.; 2Kön 23,29 | 2Chr 35,20 [Karkemisch]; vgl. 2Kön 24,7), die als Begleiterscheinung den Tod König Josias von Juda zur Folge hatte. Darauf bezieht sich dann der Fremdvölkerspruch gegen Ägypten Jer 46,2ff. (s.u.).

b) Eine wesentliche Rolle spielt der Euphrat in der historischen Literatur als Grenze Mesopotamiens zu Syrien. Zur Zeit Davids wollte der König des aramäischen Königreichs von Zoba namens Hadad-Ezer seine Macht bis zum Euphrat ausdehnen (2Sam 8,3 // 1Chr 18,3). Hier begegnet dann auch die Bezeichnung עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār „(Gebiet) jenseits des Stromes“, vom Westen aus betrachtet zur Benennung Obermesopotamiens (2Sam 10,16 | 1Chr 19,16). In beiden Fällen ist auch hinterfragt worden, ob ursprünglich tatsächlich der Euphrat gemeint sei (zur Diskussion vgl. Stoebe 1994, 243.247f.276f.), die verkürzte Ausdrucksweise „der Strom“ muss allerdings eindeutig bleiben und kann nicht jeden beliebigen Fluss gemeint haben.

Obermesopotamien spielt dann auch die entscheidende Rolle als Herkunftsort der Erzväter und damit letztlich Israels, so dass die Ortsbezeichnung jetzt auch theologisch qualifiziert erscheint. → Jakob überschreitet auf seiner Flucht vor → Laban den Euphrat (הַנָּהָר hannāhār „den Strom“) von Osten herkommend in Richtung Palästina, speziell das Ostjordanland (Gen 31,21). Der große deuteronomistische Geschichtsrückblick in Jos 24 benennt den Herkunftsort Teraḥs (V. 2) und Abrahams (V. 3) als עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār „(Gebiet) jenseits des Stromes“. Zusammen mit Ägypten gilt Obermesopotamien in diesem Kontext als Ort früherer Fremdgötterverehrung (Jos 24,14f.). Damit wird nicht nur biblisch-geschichtlich der Herkunftsort Israels sowie der Ort seiner Versklavung genannt, sondern es werden auch polar die beiden Großreiche angesprochen, die das ideale Großisrael nach dem deuteronomistischen Verständnis, das vom „Bach Ägyptens“ bis zum „großen Strom (dem Euphrat) reicht, umgrenzen (s.u. 4.2.3.). Im Gegenzug zur Herkunft aus Obermesopotamien soll Israel nach Aussage der Gerichtsprophetie Ahias gegen das Haus Jerobeam wieder in das Land „jenseits des Stromes“, also sein Ausgangsland, zerstreut werden (1Kön 14,15).

4.2.2. Sodann erscheint der Euphrat aus westlicher Perspektive als das Charakteristikum Mesopotamiens und kann in der prophetischen Literatur metaphorisch oder in Anspielungen für dieses selbst stehen.

a) Wenn zwei → ZeichenhandlungenJeremias am Euphrat stattfinden bzw. diesen mit einbeziehen (Jer 13,1-11 [Gürtel]; Jer 51,63 [Buchrolle]), so stellt dies vordergründig eine einfache Form der Lokalisierung dar, zumal die Szene Jer 51,59f. in Babylon spielt. Wenn aber nach Jer 51,59f. ausgerechnet die Buchrolle mit den Worten, die gegen Babylon gerichtet sind, im Euphrat versenkt werden soll, als Bild für die kommende Vernichtung eben dieses Babylon, dann ist der Euphrat als charakteristischer Fluss Babylons (und Mesopotamiens) kaum beliebig gewählt worden.

Ähnliches dürfte für Jer 13,1-11 (4-7) gelten. Dort berichtet der Prophet, Jahwe habe ihn zwei Mal nach פְּרָת pərāt geschickt, zunächst um dort einen Gürtel in einem Felsspalt zu vergraben, dann um festzustellen, dass der Gürtel vernichtet ist – als Vorabbildung der bevorstehenden Vernichtung Israels. Mit פְּרָת pərāt ist nach dem hebräischen Text der Euphrat gemeint. Da dieser für die doppelte Reise von Jerusalem aus jedoch zu weit weg entfernt liegt, wurde vermutet – vorausgesetzt die Erzählung gibt ein realistisches Geschehen wieder –, dass das wenige Kilometer nördlich von Jerusalem gelegene → Para das Ziel der Reise gewesen sei. Auch dann wurde der Ort wohl gewählt, um in seinem Namen anklingen zu lassen, dass das von Jeremia angekündigte Unheil vom Euphrat bzw. von Mesopotamien ausgeht (zur Diskussion Rudolph 1968, 91-94; McKane 1986, 285-292; Lundbom 1999, 668f.; Schmidt 2008, 250f.).

b) Deutlicher werden an zwei weiteren Stellen des Jeremiabuches der → Nil als Charakteristikum Ägyptens und der Euphrat als Charakteristikum Babyloniens einander polar gegenübergestellt.

Im Fremdvölkerspruch (→ Prophetische Redeformen) gegen Ägypten Jer 46,2ff., besonders Jer 46,2.6.10, wird auf die historische Niederlage des ägyptischen Pharao Necho bei → Karkemisch am Euphrat (s.o. 4.2.1.a; 2Kön 23,19 und Parallelen) angespielt. Wenn aber dem Strom Euphrat (נְהַר־פְּרָת [V. 2; 6; 10]) der über seine Ufer tretende Nil, der die Erde bedeckt („wie Ströme“ כַּנְּהָרוֹת) und Städte samt Bewohnern vernichtet (V. [7-]8), als Bild für Ägypten gegenübersteht, so steht auch hier der Euphrat für die Großmacht Mesopotamien / Babylonien, an dem die Großmacht Ägypten, repräsentiert durch den Strom Nil, scheitert.

Im Scheltwort Jer 2,18 wird entsprechend Israel vorgeworfen, den beiden entgegengesetzt gelegenen Großmächten Ägypten (im Südwesten) und Assur (im Osten) hinterherzulaufen – vertreten durch den jeweiligen Hauptstrom und dessen Wasser, das Israel „trinkt“, Schichor (שִׁיחוֹר für den Nil) und Euphrat (der „Strom“; נָהָר).

c) Auch Jes 8,6-8 spielt mit dem Bild des ein Land und dessen Macht charakterisierenden Flusses: Den ruhig dahin fließenden Wassern des Siloah als Metapher für Juda / Jerusalem werden die gewaltigen und großen Wasser des Euphrat („des Stromes“) stellvertretend für Assyrien und die Macht des assyrischen Weltreichs gegenübergestellt, der über seine Ufer tretend Juda überschwemmen wird – im Text selbst ausdrücklich erklärt als „König von Assur“ (V. 7).

d) In der nachexilischen Verheißung Mi 7,12 wird die Rückkehr der Diaspora aus den Zentren Ägypten (מָצוֹר māṣôr; abweichend Kessler 1999, 304) und Assyrien, schließlich aus aller Welt („von Meer zu Meer und Gebirge zu Gebirge“) angekündigt. Dabei erscheint das mesopotamische Reich unter dem Namen Assur und parallel dazu – stellvertretend für das Ganze – als „der Strom (= Euphrat)“. Die ebenfalls späte Verheißung Jes 11,11-16 erhofft analog die Rückkehr besonders aus „Assur“. Dabei wird parallel zum Austrocknen des ägyptischen Meeres dem „Strom“ / Euphrat vorhergesagt, dass er durch das Eingreifen Jahwes in sieben Bäche zerschlagen und damit (für die Heimkehrer) leicht zu durchqueren sein wird (V. 15; vgl. Wildberger 1972, 465.473f.).

e) In Ps 137,1 könnte in der Formulierung „Flüsse Babylons“ (נַהֲרוֹת בָּבֶל) der Euphrat mitgemeint sein – es geht in jedem Fall um Wasserarme und Kanäle, die auch vom Euphrat ausgehen.

4.2.3. Wenn in der prophetischen Kritik des Jeremiabuches Nil und Euphrat respektive Ägypten und Mesopotamien als die beiden polar entgegengesetzten Großreiche erscheinen, denen Israel nachläuft und die umgekehrt Israel vernichten können, so begegnet in der deuteronomistischen Geschichtskonstruktion das dazwischen liegende Gebiet als Territorium eines idealen Großreichs Israel, dessen Grenzen durch den Euphrat auf der einen und das (Mittel-)Meer oder den Bach Ägyptens (נַחַל מִצְרַיִם = Wādī l-‘Arīš) auf der anderen Seite gegeben sind.

Dieses Gebiet vom Bach Ägyptens bis zum Strom Euphrat wird nach der späten Stelle 2Kön 24,7 (Würthwein 1984, 468) noch unter Jojakim dem König von Ägypten durch den König von Babel dauerhaft entrissen. Dasselbe Gebiet wird als Königreich Salomos im ebenso späten 1Kön 5,1.4 (Noth 1968, 75f.; Würthwein 1977, 47 z.St.; Cogan 2001, 213 s.u.) aus mesopotamischer Perspektive ausdrücklich als עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār „(Land) jenseits des Stromes“ bezeichnet und entspricht damit der ab Assarhaddon nachweisbaren assyrischen Gebiets- und später Provinzbezeichnung eber nāri (s.u.; in hellenistischer Zeit als Bezeichnung des westlichen seleukidischen Reichsteils: 1Makk 3,32) – eine Perspektive, die zur Zeit Salomos selbst noch gar nicht im Blickfeld war.

Dem entspricht eine ganze Serie deuteronomistischer und davon abhängiger Stellen, die im Sinne der deuteronomistischen Konzeption eines alle historischen Grenzen übersteigenden idealtypischen Großisrael (→ Deuteronomismus) den Euphrat, den „Strom (נהר)“, als die Ostgrenze dieses Israel benennen. Als Westgrenze erscheinen das Meer, nämlich das Mittelmeer, (Dtn 1,7; Dtn 11,24; Jos 1,4) oder die Grenzen Ägyptens (1Kön 5,1-4 | 2Chr 9,26; erweitert Gen 15,18 [Nil als „Strom Ägypten“, falls nicht mit BHS נחל zu lesen ist]; Ex 23,31 [Schilfmeer / Mittelmeer]).

Das Ende der Jesajaapokalypse Jes 27,12 greift die Vorstellung vom Gebiet des Idealisrael in den Grenzen vom (Euphrat)Strom bis zum Bach Ägyptens auf, innerhalb dessen die Israeliten aus ihrer Umgebung ausgelesen werden (vgl. Wildberger 1978, 1023; Kaiser 1976, 185).

In anderer Terminologie beschreibt die Jerusalemer Königsideologie die ideale Weltherrschaft des Königs im Königspsalm Ps 72,8 (vgl. Sir 44,21 [Lutherbibel: Sir 44,23]), möglicherweise einer späteren Ergänzung (Zenger 2000, 314f.322), als Herrschaft „von Meer zu Meer“ (die Erdscheibe gilt als von Meeren umgeben) und vom „Strom“ bis „zu den Enden der Erde“. Unklar bleibt nur, ob der Strom / Euphrat dabei das Zentrum (mit den ringsumher gelegenen „Enden der Erde“) oder die Grenze (mit Äthiopien / Kusch als damals bekanntes Ende der Erde im Südwesten) meint (zur Diskussion Hamp 1973, 390f.; Snijders 1986, 284f.; Kraus 1978, 659f.; Rudolph 1976, 182; Seybold 1996, 278). Daran anknüpfend und damit identisch beschreibt Sach 9,10 den Herrschaftsbereich des Messias.

Der Euphrat wird schließlich nach Ausweis des Neuen Testaments seine Funktion als schützende Grenze im Kontext des Endgerichts nicht mehr wahrnehmen können, wenn er in Apk 16,12 (vgl. Apk 9,14) die Feinde aus dem Osten nicht mehr aufhalten kann.

4.2.4. In persischer Zeit erscheint auch im Alten Testament die Bezeichnung „(Gebiet) jenseits des Stromes“, biblisch-aramäisch עֲבַר נַהֲרָא ‘ǎvar nahǎrā’ u.ä., biblisch-hebräisch עֵבֶר הַנָּהָר ‘evær hannāhār, als Bezeichnung der persischen Provinz Transpotamien / eber-nāri in den → Büchern Esra und Nehemia (Neh 2,7.9; Neh 3,7; Esr 4,10.11.16.17 u.ö.; s.o. 4.1.1.b). Juda gehörte ja zu eben dieser Provinz. Als Gebietsbezeichnung für Syrien bzw. den syrischen Teil des seleukidischen Reiches lebt dieser Name auch alttestamentlich etwa in 1Makk 7,8; 1Makk 11,60 (vgl. 1Makk 3,32) weiter.

4.2.5. Im Bereich der Urgeschichte schließlich kennt die → Paradieserzählung in Gen 2,10-14 vier Paradiesströme: → Pischon, Gihon, Chiddekel (Tigris) und Euphrat. Sie gehen vom Land Hawila aus und bewässern den Garten Eden und damit die Welt. Tigris und Euphrat galten bereits in mesopotamischen Schöpfungserzählungen als erste Schöpfungswerke (s.o. 4.1.2.a).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Zur Namensform:
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Abbildungsverzeichnis

  • Der Euphrat bei Dura Europos. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 1996)
  • Mesopotamien, das Gebiet des heutigen Iraks, liegt zwischen den großen Flüssen Euphrat und Tigris. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Die sog. Babylonische Weltkarte und eine Rekonstruktion (Tontafel, Sippar, 6./5. Jh. v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum, BM 92687; Rekonstruktion nach E. Unger, Babylon. Die heilige Stadt nach der Beschreibung der Babylonier, photomech. Nachdr. der Ausg. v. 1931, erweitert um eine Vorbemerkung von R. Borger, Berlin 1970, Tf. 3
  • Karte: Israel als Land „vom Fluss Ägyptens bis zum Euphrat“. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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