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Eid / Schwur (AT)

(erstellt: Januar 2014)

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1. Allgemeine Bedeutung und Verwendung

In praktisch allen Kulturen und Religionen finden sich vielfältige Formen des Eides (Schwurs), mit dem eine Aussage (assertorischer Eid) oder ein Versprechen (promissorischer Eid) bekräftigt wird. Wer einen Eid leistet, bindet sich mit seiner gesamten Existenz an den Inhalt des Eides und an die Konsequenzen im Falle der Unwahrheit oder des Nichteinhaltens. Die Ernsthaftigkeit der Bindung wird zumeist verdeutlicht durch eine bedingte Selbstverfluchung („Möge ich tot umfallen, wenn ich nicht die Wahrheit sage“ u.ä.) und häufig durch die Anrufung von Gottheiten sowie durch begleitende Handlungen, wie Erheben der Hand oder einzelner Finger, Aufsuchung heiliger Orte, Berührung von machtvollen Gegenständen (Waffen, Figuren, Körperteile, heilige Bücher). Die Berührung heiliger Bücher beim Eid ist sowohl im Hinduismus und Sikhismus als auch im Judentum, Christentum und Islam bekannt.

Im Alten Orient dienen assertorische Eide (Aussage-Eide) häufig als Mittel der Rechtsfindung und Konfliktbearbeitung, indem in rechtlichen Verfahren für Anklagen, Beweisführung und Verteidigung Eide verlangt werden. Promissorische Eide (Versprechungs-Eide) spielen im Alten Orient eine wichtige Rolle in der innen- und außenpolitischen Herrschaftssicherung (vgl. Koch, 19-105; Weinfeld, 379-414): Könige ließen sich von Beamten, teils auch von der gesamten Bevölkerung, Treueeide leisten. Gegenüber untergebenen Herrschern erließen Großkönige schriftliche Abkommen (Vasallenverträge), welche durch einen Eid bekräftigt wurden. Der Vergleich mit altorientalischen Treueeiden und Vasallenverträgen spielt in der alttestamentlichen Forschung eine bedeutende Rolle in der Frage nach der Bundestheologie (→ Bund).

In polytheistischen Religionen schwören auch Götter einander Eide, im Alten Testament sind zahlreiche Eide JHWHs / Elohims gegenüber dem Volk Israel belegt.

Manche Religionswissenschaftler betonen, die religiöse Dimension des durch Menschen geleisteten Eides sei durch den „Glaube[n] an das wirkende Wort“ (Gensichen, 374, vgl. Hock, 1121) gegeben, selbst wenn bei der Eidformel keine Gottheit angerufen wird. Mindestens ebenso bedeutend für die religiöse Dimension des Eides ist jedoch auch die im Alten Orient verbreitete Überzeugung, dass die Lebenswirklichkeit durchdrungen ist von einer durch Gottheiten gewirkten „Segens- und Fluchsphäre“ (→ Segen; → Fluch) sowie die Vorstellung des → Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Aufgrund des religiösen Charakters des Eides wird er von der älteren Religionsphänomenologie häufig zu den „Weiheworten“ gezählt, ebenso wie Schelten und Fluchen, → Gelübde, Ordal (Gottesurteil) oder Kontrakt.

2. Altes Testament

2.1. Semantisches Feld

Der Eid (Schwur) wird im Alten Testament überwiegend mit שׁבע šb‘ im Nif. „schwören“ formuliert (80 Belege mit Menschen als Subjekt, 75 Belege mit Gott als Subjekt) sowie mit dem Nomen שְׁבוּעָה šəbû‘āh „Eid / Schwur“ (30 Belege). Formulierungen mit שׁבע šb‘ im Hif. (30 Belege) zielen einerseits auf den Schwur („jemanden veranlassen zu schwören“), können aber auch die Bedeutung „jemanden unter einen (bedingten) Fluch stellen“ oder „jemanden beschwören“ annehmen. In etymologischer Hinsicht besteht betreffend שׁבע šb‘ noch kein Konsens (vgl. Kottsieper, 975-976): Viele vermuten eine Verbindung zum Zahlwort שֶׁבַה šæbah „sieben“ (vgl. Gen 21,30-31) oder zum arabischen sab‘a „fluchen“.

Wie der Alte Orient kennt auch das Alte Testament den Eid in Bezug auf Bundesschlüsse, wodurch בְּרִית bərît „Bund“ zum semantischen Feld des Eides hinzukommt (→ Bund; 14 Belege von שׁבע šb‘ Nif. zielen auf einen Bund). Da zudem der Eid im Alten Orient wie im Alten Testament als eine bedingte Selbstverfluchung verstanden wird („Gott tue mir dies und das, wenn ich [nicht] …“), gehören auch אָלָה ’ālāh „Fluch / Eid“ (→ Fluch) sowie weitere Formulierungen ohne שׁבע šb‘ „schwören“ zum semantischen Feld des Eides: Die bedingte Selbstverfluchung wird besonders deutlich, wenn der Eid mit einer Formel wie „so soll mir Gott tun, wenn …“ (כֹּה יַעֲשֶׂה־לִּי אֱלֹהִים כִּי) geleistet wird (u.a. 1Kön 2,23; 2Kön 6,31; 1Sam 14,44; 1Sam 20,13; 1Sam 25,22; 2Sam 3,9.25; 2Sam 19,14; Rut 1,17). Die Selbstverfluchungsformel wird oft auf אִם ’im „wenn …“ bzw. אִם־לֹא ’im lo’ „wenn nicht …“ gekürzt verwendet, so dass die Selbstverfluchung nicht ausgesprochen wird, aber mitgedacht werden muss: אִם ’im „wenn“ leitet einen verneinenden Schwur ein (z.B. 1Sam 3,14), אִם־לֹא ’im lo’ „wenn nicht“ einen bejahenden (z.B. Ps 89,36; Jos 14,9). Anstelle von אִם־לֹא ’im lo’ „wenn nicht“ kann ein mit כִּי „gewiss“ eingeleiteter Objektsatz einen bejahenden Schwur ausdrücken (vgl. Am 4,2; 1Kön 2,23). Explizit genannt wird eine bedingte Selbstverfluchung beim Schwur in Ri 21,18. Weitere Formeln, wie „beim Leben JHWHs“ (חַי יְהוָה ḥaj JHWH, 2Sam 4,9-10; 2Kön 3,14) oder „fern sei es von mir“ (חָלִילָה לִי ḥālîlāh lî, 1Sam 26,11; 2Sam 20,20) sind ebenfalls als Eidleistungen zu verstehen.

Die → Septuaginta verwendet für שׁבע šb‘ Nif. überwiegend ὀμνύειν omnyein / ὀμνύναι omnynai „schwören“, für שׁבע šb‘ Hif. meist Formen von ὁρκίζειν orkizein „schwören lassen“, für das Nomen שְׁבוּעָה šəbû‘āh steht gewöhnlich ὅρκος horkos „Schwur / Eid“, für אָלָה ’ālāh (im Sinne von „Eid“) ebenfalls ὅρκος horkos, ὁρκισμός horkismos oder ὁρκωμοσία horkōmosia „Schwur / Eid“ sowie ἀρά ara „Fluch“. Eine Bedeutungsverschiebung in der Septuaginta ist nicht auszumachen.

2.2. Von Menschen geleistete Eide

2.2.1. Promissorischer Eid

2.2.1. Promissorischer Eid

Die überwiegende Mehrheit der von Menschen geleisteten Eide (und alle von Gott geleisteten Eide, siehe unten 2.3.) im Alten Testament sind promissorische Eide (Versprechens-Eide). Promissorische Eide finden in verschiedenen Lebensbereichen ihre Anwendung. Besonders bedeutsam sind folgende Bereiche:

2.2.1.1. Eid und politischer Vertrag / Bund: Wie oben erwähnt, haben Staatsverträge (Vasallenverträge) im Alten Orient durchweg die Form eines Eides. Diese politische Dimension des Eides wird auch im Alten Testament deutlich: In Gen 21,22-34 schließt der Philisterkönig → Abimelech einen → Bund mit → Abraham und verlangt dafür einen Schwur „bei Gott“, den Abraham ihm leistet (Gen 21,22-24). Insofern „Abraham“ hier als Kollektivfigur für das Volk Israel steht und mittels den Erzelternerzählungen eine Deutung der Volksgeschichte geschrieben wird (Köckert 1988), wird hier ein Friedensvertrag zwischen Philistern und Israel beschrieben bzw. ein Friedensvertrag als das adäquate Verhältnis zu diesem Nachbarn gefordert. Der Ortsname → Beerscheba wird in Gen 21,31 zudem mit diesem Schwur begründet (→ Ätiologie). Ähnliches berichtet die Parallelerzählung in Gen 26,23-35 in Bezug auf → Isaak und Abimelech (vgl. bes. Gen 26,26.31). Auch der Bundesschluss zwischen → Jakob und → Laban in Gen 31,43-54 ist wohl volksgeschichtlich zu verstehen. Sehr anschaulich werden hier zudem verschiedene mit dem Eid verbundene Elemente beschrieben: wie JHWH als Garant über den Eid wachen soll (Gen 31,49.53); den Eid begleitende Symbolhandlungen bilden die Errichtung eines Steinmals bzw. Steinhügels (Gen 31,45-46.51-52; → Mazzebe), ein Tieropfer sowie ein gemeinsames Mahl (Gen 31,54).

Jos 9 macht deutlich, welches Gewicht einem mittels Eid geschlossenen Bund beigemessen werden kann: Obwohl die → Gibeoniter sich mit einer List einen Eid / Bund mit → Josua erschlichen haben (Jos 9,3-15), wird der Eid von Josua bzw. „den Vorstehern der Gemeinde“ als verbindlich erachtet (Jos 9,19-20; vgl. 2Sam 21,2).

Nicht minder gewichtet wird der mittels Eid / bedingter Selbstverfluchung geleistete Bund in Ez 17: Hier wird → Zedekia angeklagt, den Bund mit → Nebukadnezar II. gebrochen bzw. die bedingte Verfluchung (אָלָה ’ālāh im Sinne von „Eid“), unter die Zedekia gestellt wurde, missachtet zu haben (Ez 17,13.16.18; vgl. Ez 16,59). Ez 17 vertritt die Meinung, dass ein – womöglich unter Anrufung des Namens JHWHs – geleisteter Eid selbst dann gehalten werden muss, wenn er als Vasallenvertrag aufgezwungen wurde. Gemäß Ez 17,19 hat Zedekia demzufolge mit seiner Untreue gegenüber dem Vertrag mit Nebukadnezar letztlich den Bund JHWHs gebrochen bzw. die bedingten Verfluchungen JHWHs missachtet (vgl. Jüngling 1993).

2.2.1.2. Eide als Metapher für die Zugehörigkeit zu JHWH: Im Alten Orient ist die Vorstellung verbreitet, dass Gott / eine Gottheit (oder sonst eine Autoritätsperson) für die Einhaltung der Eide Verantwortung übernimmt und Nichteinhaltung mit Sanktionen bestraft. Sprachlich wird diese Vorstellung greifbar, indem „bei JHWH“ bzw. „beim Leben JHWHs“ usw. geschworen wird. Gen 31,53 macht zudem deutlich, dass die Eidleistenden in der Regel bei ihrem (persönlichen) Gott schworen. Auf dieser Linie konnte das Schwören „bei JHWH“ bzw. „beim Leben JHWHs“ zum Bekenntnis zu JHWH werden (vgl. Jes 19,18; Jes 45,23-24; Jes 48,1) und als solches eingefordert werden: So wird ein ausschließliches Schwören bei JHWH gefordert (Dtn 6,13; Dtn 10,20) und das Schwören bei andern Göttern als Abfall von JHWH gewertet (vgl. Jer 5,7; Jer 12,16Baal; Zef 1,5Milkom). Das falsche Schwören bei JHWH führt Israel gemäß Jes 48,1 ins Elend, wohingegen nach Jer 4,2 das Schwören „in Treue, Recht und Gerechtigkeit“ zum Segen führt (vgl. Flury-Schölch, 185-192). Nach Jes 65,16 ist das Sich-Segnen und das Schwören beim „Gott der Treue“ Kennzeichen der Zugehörigkeit zu JHWH und Beginn der Neuschöpfung (vgl. Jes 65,17ff.).

2.2.1.3. Eide im kultischen Bereich: Im kultischen Bereich spielt der Gelöbnis-Eid eine Rolle, mit welchem die Pflichten des Sakralbundes zwischen Israel und JHWH verbindlich übernommen werden (vgl. 2Chr 15,12-15; Neh 10,30; Ps 119,106). Die Einzugsliturgien in Ps 15 und Ps 24,3-6 fordern u.a. die Reinheit von Meineid (vgl. unten 2.2.3.).

2.2.1.4. Enthaltungseide: Enthaltungseide stehen dem → Gelübde sehr nahe: Num 30,3 nennt שְׁבוּעָה šəbû‘āh „Eid“ und נֵדֶר nedær „Gelübde“ parallel in Bezug auf den Enthaltungseid eines Mannes, Num 30,11.14 in Bezug auf jenen einer Frau. Beim Enthaltungseid Davids in Ps 132,1-5 werden שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ und נדר ndr Qal „geloben“ gleichbedeutend verwendet, und in 2Sam 3,35 erlegt sich → David beim Begräbnis → Abners mit einer ausdrücklichen Selbstverfluchung ein Fasten auf.

2.2.2. Assertorischer Eid

Assertorische Eide („Behauptungs-Eide“) sind im Alten Testament nur äußerst selten belegt: Den Zeugeneid vor Gericht kennt weder das Alte Testament noch die talmudische Tradition. In den Bereich der Rechtspflege ist jedoch der → Reinigungseid bekannt, welcher als dezisorischer Eid Angeschuldigte entlasten soll (Ex 22,7-10; Lev 5,21-26) bzw. als Ordal-Eid (→ Ordal) ein Gottesurteil vorbereitet (vgl. Num 5,5-31). Auch der Unschuldseid von Hi 31 kann zur Rechtspflege gezählt werden. Außerhalb der Rechtspflege sind assertorische Eide in 1Sam 20,3 und 2Sam 19,8 belegt.

2.2.3. Meineid

Der Meineid gilt als schweres Vergehen gegen die Solidargemeinschaft sowie gegen Gott und wird in eine Reihe gestellt mit Diebstahl, Mord, Betrug, Ausbeutung u.a. (vgl. Lev 19,11-13; Jer 7,9; Sach 5,3-4; Mal 3,5).

Sprachlich wird der Meineid v.a. mit שׁבע šb‘ im Nif. unter Zufügung von לַשָּׁקֶר laššāqær „… zum Lügen“ (Lev 5,24; Lev 19,12; Jer 7,9; Sach 5,4; Mal 3,5), von עַל־שָׁקֶר ‘al šāqær „… zur Lüge“ (Lev 5,22) und לְמִרְמָה ləmirmāh „…zum Betrug“ (Ps 24,4) ausgedrückt (→ Trug).

Das Vergehen gegenüber Gott wird besonders betont, wenn der Meineid in Lev 19,12 mit der Entweihung (חָלָל ḥālāl) des Gottesnamens gleichgesetzt wird und wenn im → Dekalog verboten wird, den Gottesnamen zu missbrauchen (Ex 20,7; Dtn 5,11): Die Formulierung „du sollst den Namen JHWHs nicht zu Nichtigem erheben“ hat wahrscheinlich den Schwurgestus des Handerhebens vor Augen (vgl. Gen 14,22; Dtn 32,40; Ez 20,6; Ez 20,15 u.ö.). Auf diesem Hintergrund ist die massive prophetische Kritik am falschen Schwören (im Namen Gottes) zu verstehen (vgl. Jer 5,2; Jer 7,9; Sach 5,3-4; Mal 3,5). Die religiöse Dimension des Eides wird auch deutlich, wenn die Einzugsliturgie in Ps 15 und Ps 24,3-6 zur kultischen → Reinheit auch die Reinheit vom Meineid zählt und wenn Lev 5,20-26 für den Meineid im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten nicht nur die Rückerstattung des Eigentums zuzüglich 20% fordert, sondern zudem ein Schuldopfer zur Sühne.

2.3. Von JHWH / Gott geleistete Eide

Entsprechend altorientalischen und griechischen Gottheiten schwört auch JHWH Eide. Gott ist bei 75 Belegen Subjekt von שׁבע šb‘ Nif. „schwören“. 13 Mal wird angegeben, bei wem Gott schwört, wobei die unterschiedlichen Formulierungen immer zum Ausdruck bringen, dass Gott bei sich selbst schwört: wortwörtlich bei „sich selbst“ (Gen 22,16; Ex 32,13; Jes 45,23; Jer 22,5; Jer 49,13); bei seiner נֶפֶשׁ næfæš „Leben / Seele“ (Jer 51,14; Am 6,8); bei seiner „Heiligkeit“ (Am 4,2; Ps 89,36); bei „seiner Rechten“ / „seinem starken Arm“ (Jer 44,26); beim „Stolz Jakobs“ (Am 8,7); „bei deiner Verlässlichkeit“ (Ps 89,50). Ohne שׁבע šb‘ finden sich Eide Gottes mit Formulierungen wie „so wahr ich lebe“ (Ez 18,3; Ez 33,11 u.ö.) oder mittels Fluchformeln mit אָלָה ’ālāh (Ez 16,59; Ez 17,13 u.ö.).

Ein mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ formulierter Schwur Gottes soll die Unwiderruflichkeit und vollkommene Zuverlässigkeit des mit dem Schwur Versprochenen / Verheißenen zum Ausdruck bringen (vgl. Ps 132,11: Gottesschwur als „Wahrheit, von der er nicht abrückt“). Gerade in Zeiten, in denen Verheißungen (v.a. „Land“ / Landbesitz, Fortbestand des Volkes) in Frage gestellt waren, bezeugen die Formulierungen mit einem Gottesschwur das Vertrauen Israels in die Zuverlässigkeit Gottes – oder wollen es erneut wecken.

2.3.1. Landverheißung als Gotteseid

2.3.1.1. Im deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG): Eide JHWHs sind am weitaus häufigsten im sog. → deuteronomistischen Geschichtswerk (Dtn–2Kön) belegt: Von den 75 Belegen mit Gott als Subjekt von שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ im Alten Testament gehören 40 Belege ins DtrG. Bei den Schwüren Gottes im DtrG wird nie angegeben, bei wem Gott schwört. Die Schwüre ergehen zuallermeist an „die Väter“ (gut 31 Belege) – womit mit T. Römer 1990 nicht die Erzväter, sondern die Exodusgeneration gemeint ist – und beziehen sich inhaltlich überwiegend auf die Landverheißung:

Bei 25 Belegen des Schwurs Gottes an „die Väter“ (→ Väterverheißung) handelt es sich um eine Landverheißung – formuliert mit einem Relativsatz bezogen auf אֶרֶץ ’æræš „Land“ oder אֲדָמָה ’ǎdāmāh „Ackerboden“ (Dtn 1,8.35; Dtn 6,10.18.23; Dtn 7,13; Dtn 8,1; Dtn 10,11; Dtn 11,9.21; Dtn 26,3.15; Dtn 28,11; Dtn 30,20; Dtn 31,7.20.21; Dtn 34,4; Jos 1,6; Jos 5,6; Jos 21,43; Ri 2,1). Daneben gibt es leicht variierende Formulierungen (Dtn 9,5; Dtn 19,8; Jos 21,44).

Weitere Gottesschwüre an „die Väter“ beziehen sich auf den → Bund (Dtn 4,31; Dtn 7,12; Dtn 8,18; Dtn 29,12), den Exodus aus Ägypten (Dtn 7,8) sowie die Mehrungsverheißung (Dtn 13,18).

An das Volk ergeht die Verheißung der Volkswerdung (Dtn 28,9) sowie eine Landverheißung (Dtn 31,23).

Explizit an die Exodusgeneration ergehen Gottesschwüre in Dtn 1,34f.; Dtn 2,14; Dtn 4,21; Jos 5,6, wobei der Inhalt des Schwurs immer besagt, dass die Exodusgeneration das Land nicht betreten darf.

Drei weitere Gottesschwüre im DtrG ergehen an das Volk (Ri 2,15), das Haus Eli (1Sam 3,14) und an David (2Sam 3,9).

2.3.1.2. Außerhalb DtrG: Auch außerhalb des DtrG sind mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ 11 Landverheißungen Gottes als Eid an „die Väter“ belegt (Gen 24,7; Gen 26,3; Gen 50,24; Ex 13,5; Ex 13,11; Ex 33,1; Num 11,12; Num 14,23; Num 32,11; Jer 11,5; Jer 32,22) sowie in Num 14,16 ein Landverheißungsschwur an das Volk. Auch in diesen Verheißungen wird nicht gesagt, bei wem Gott schwört. Aufgrund der stark geprägten Form wird in diachroner Hinsicht meist angenommen, dass es sich bei den Landverheißungen Gottes als Eid an „die Väter“ auch außerhalb des DtrG um eine deuteronomistische Formulierung / Redaktion handelt (→ Deuteronomismus).

2.3.2. Weitere Gotteseide

Neben der Landverheißung als Eid sind u.a. folgende Schwüre Gottes bedeutsam:

2.3.2.1. Gottesschwur und Bund: Der → Bund JHWHs mit Israel findet sich mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ formuliert in Dtn 4,31; Dtn 7,12; Dtn 8,18; vgl. Dtn 29,12. Der Bund Gottes mit seinem Volk wird im Alten Testament in Analogie zu einem Vertrag bzw. Staatsvertrag aufgefasst. Entsprechend diesen Verträgen wird daher Israel als Bundespartner für den Fall eines Bundesbruches unter Fluchsanktionen gestellt, die zumeist mit אָלָה ’ālāh formuliert sind (Dtn 29,18; Dtn 29,20; Dtn 30,7; Jes 24,6; Jer 23,10; Ez 16,59; Ez 17,13-19; Dan 9,11; 2Chr 34,24). Dabei bemerken Dtn 29,18, Dan 9,11 und 2Chr 34,24, dass diese bedingten Flüche in der Bundesurkunde schriftlich festgehalten sind. Gemäß Neh 10,30 spricht hingegen das Volk selbst einen bedingten Fluch: „das Volk tritt in Fluch und Eid ein“. Da solche bedingten Selbstverfluchungen fester Bestandteil von Bundesschlüssen sind, ist אָלָה ’ālāh teilweise fast synonym zu בְּרִית bərît verwendet oder kann mit diesem als Hendiadyoin gebraucht werden: „sich in Bund und Fluch begeben“ (Dtn 29,11); „Bund und Fluch schließen“ (Dtn 29,13, vgl. Scharbert 282f). Mit dem durch Gott dem Volk zugeschworenen Bund korrespondiert der Bundesschwur des Volkes: Gemäß 2Chr 15 bewirkt die mittels Schwur (2Chr 15,14-15) durch das Volk bezeugte Bundestreue → Frieden (2Chr 15,19), Apostasie hingegen → Chaos und → Krieg (2Chr 15,2-6).

2.3.2.2. Strafschwur: Wohl aufgrund der Überzeugung, dass ein Gottesschwur in der Formulierung mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ unabänderlich ist, findet sich ein Strafschwur Gottes nie gegen das ganze Volk Israel, sondern nur gegen bestimmte Gruppen: In Am 4,2; Am 8,7 gegen die ausbeuterische Oberschicht, in Am 6,8 gegen das hochmütige Samaria, in Jer 22,5 gegen den Jerusalemer Königspalast und in Jer 44,26 gegen abtrünnige, nach Ägypten zurückgekehrte Judäer.

2.3.2.3. Erwählungseid in Bezug auf David: Gleich drei Mal formuliert Ps 89 einen Gottesschwur zur ewigen Dynastiesicherung → Davids (Ps 89,4.36.50). Im Gegensatz dazu beklagen die Verse Ps 89,39-42 die zerstörte Daviddynastie, ja werfen die Zerstörung Gott selbst vor. Die Frage: „Wie lange, JHWH! Willst du dich immerzu verbergen?“ (Ps 89,47) lässt die Hoffnung, Gottes Schwur und Bund seien dennoch ewig (Ps 89,5.29), nur ansatzweise wieder aufkeimen. Im Königspsalm 110, der die übliche altorientalische Herrschaftsideologie für das davidische Königtum übernimmt, zielt der Schwur Gottes auf die priesterliche Funktion des Königs (Ps 110,4), wobei auf das vorisraelitische Jerusalemer Stadtpriestertum „in der Weise → Melchisedeks“ Bezug genommen wird. In Ps 132 korrespondiert der Schwur Davids (Ps 132,2), für JHWH eine Stätte / einen Tempel zu finden, mit dem Schwur JHWHs, einen Spross Davids auf den Thron zu hieven (Ps 132,11).

2.3.2.4. Schwur der heilvollen Zuwendung: Die überwiegende Mehrzahl der Belege, in denen JHWH dem Volk Israel einen Schwur leistet, bringen Gottes heilvolle Zuwendung zum Ausdruck. Dazu gehören besonders die bereits aufgeführten Landverheißungen (vgl. 2.3.1.), die Mehrungsverheißungen (Gen 22,16f.; Dtn 13,18) sowie die Bundestreue JHWHs (s. oben Punkt 1). Im Sinne der heilvollen Zuwendungen nehmen auch Prophetenbücher den Gottesschwur auf: So fasst etwa Ez 33,11 die Überzeugung in einen Gottesschwur, dass JHWH keinen Gefallen am Tod eines Ungerechten habe, sondern vielmehr an dessen Umkehr, auf dass er am Leben bleibe (vgl. Ez 18,23.32). Das → Michabuch endet – nach massiver Kritik an der schuldigen Oberschicht – mit der Erinnerung an Gottes Treue gegenüber „Jakob“ und Güte gegenüber „Abraham“, die Gott „unseren Vorfahren geschworen“ hat (Mi 7,20; vgl. Dtn 29,12). Jes 45,23 formuliert die → Vision als Gottesschwur, dass „alle Enden der Erde“ (Jes 45,22) sich JHWH zuwenden, der allein gerecht ist und rettet (Jes 45,21).

2.4. Kritik und Skepsis hinsichtlich der Eidpraxis

Nebst der zumeist fraglos vorausgesetzten Praxis des Eidleistens, kennt das Alte Testament besonders in seinen späten Schriften auch Kritik an der Eidespraxis bzw. Skepsis ihr gegenüber: Die weisheitlichen Schriften nennen den Schwur / Eid praktisch überhaupt nicht oder kritisieren die unbedachte Praxis (vgl. Sir 23,9-11; zum Gelübde Pred 5,1ff.). Dieses Vermeiden des Eides in den weisheitlichen Texten wird wohl als implizite Kritik an der allgegenwärtigen und oft magisch aufgefassten Eidespraxis in der hellenistisch-griechischen und polytheistischen Umwelt zu verstehen sein (vgl. Schneider, 458f; Fitzgerald).

Eine kritische Sicht zur Eidespraxis kennen auch die → Qumrantexte (vgl. CD [= Damaskusschrift] 9,8-10,11f; 15,1-4), wobei andererseits beim Eintritt in die Qumrangemeinde ein Aufnahmeeid zwingend gefordert wird (1QS [= Gemeinderegel] 5,7ff; CD 15,5ff). Auch im Neuen Testament sind einerseits Eide verbreitet (→ Eid, NT) und wird andererseits das Eidleisten überhaupt abgelehnt (vgl. Mt 5,33-37).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart u.a. 1933-1979
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Handbuch der Religionsgeschichte, Göttingen 1971-1975
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994
  • New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
  • The New Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville 2006-2009
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg i.Br. u.a. 2008

2. Weitere Literatur

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  • Gensichen, H.-W., 1982, Art. Eid. I. Religionsgeschichtlich, in: TRE, Berlin / New York, Bd. 4, 373-376
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