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Einstellungen zur Bibel, von Jugendlichen

(erstellt: Februar 2017)

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Augustinus persönliche Erfahrung mit dem Lesen, das im Hören einer kindlichen Stimme und der darin liegenden Aufforderung gründet „Tolle, lege!“ (Augustinus, Confessiones VIII, 12.) und sich dann im intuitiven Akt des Lesens der paulinischen Briefe fortsetzt, kann wohl nicht als Modellfall des Lesens von Jugendlichen heute gelten. Dennoch weist sie auf ein Element des Lesens hin: Texte müssen gelesen werden, damit sie sich als Texte überhaupt erweisen können: Nimm und lies! Dies gilt natürlich auch für die Bibel.

Sie war und ist das wichtigste Buch der Juden und Christen. Doch Religionspädagogen konstatieren immer wieder aufs Neue eine eklatante „Bibelvergessenheit auf allen Seiten“ (Schlag, 2015, 13-22;15f.). Laut der 13. Shell-Jugendstudie (Deutsche Shell, 2000, 167) geben nur sehr wenige der befragten Jugendlichen an, sehr oft in der Heiligen Schrift zu lesen. Der Großteil der deutschen Jugendlichen liest so gut wie gar nicht mehr in der Bibel (1% sehr oft; 2% oft; 19% selten und 79% nie). Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (Institut für Demoskopie Allensbach, 2005, 1) stellt 2005 fest, dass Deutsche ab 16 nur noch selten bzw. nie in der Bibel lesen (häufig 4%; hin und wieder 9%; selten 25% und nie 62%). Wird sie demzufolge für die Mehrzahl der Jugendlichen nicht als wertvolle Hilfestellung für die Orientierung im Leben in Erwägung gezogen? Während einer Befragung zum Verstehensprozess des Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter (Theis, 2005, 199) wurde belegt, dass 86,6% aller Befragten nur selten (32%) und nie (54,6%) mit Bibeltexten in Kontakt kommen. Nur noch 2% der Jugendlichen gaben an, regelmäßig in der Bibel (ab und zu 11,3%) zu lesen. Festzustellen ist ein geringes Interesse der Jugendlichen an der Bibel. Diese Zahlen sind ernüchternd. Jedoch ist entgegen der von Religionslehrkräften immer wieder beklagten Verschlechterung der Lese- und Verstehensleistung (in der Bibel) von Schülerinnen und Schülern eine derartige Entwicklung durch Studien nicht belegt oder bestätigt worden. Die Klage über mangelnde Bibelkenntnisse ist schon seit den 1970er Jahren laut. Martin Bröking-Bortfeld untersuchte 1981 13- bis 16-Jährige (Bröking-Bortfeldt, 1984). Mit Hilfe eines 49 Items umfassenden Fragebogens erhob er die Bedeutung der Bibel im Leben von 750 Jugendlichen. Die Datenerhebung (November/Dezember 1981), die weit in der Vergangenheit liegt, zeigt in vielen ihrer Ergebnisse das geringe Bibelinteresse der Jugendlichen. Die Ergebnisse von Bröking-Bortfeld werden im Großen und Ganzen von Horst Klaus Berg in seiner partiellen Wiederholung der Studie bestätigt. Er spricht von einem deutlich sinkenden Interesse der Schülerinnen und Schüler an dem Thema Bibel. Unter anderem stellte er fest, dass „die Zustimmung zur Frage nach der persönlichen (nicht institutionell veranlaßten) Benutzung der Bibel [...] schon bei den 11 jährigen auf einem niedrigen Level [ansetzt] (48%) und [...] sehr kräftig [absinkt]“ (Berg, 1993, 11-13; 16).

1. Wenn Jugendliche der Bibel begegnen: Theoretischer Hintergrund

Das allgemeine Lamento über den schweren Stand der Bibel im Religionsunterricht und die in den Augen Jugendlicher geringe Relevanz der Bibel haben schon eine lange Tradition und ist offensichtlich kein Phänomen heutiger Jugendlicher. Hier stellt sich die Frage, ob das Leseverhalten bezüglich der Bibel je anders war, und ob es nicht tendenziell ein dem Jugendalter entsprechendes Leseverhalten bezüglich literarischer Texte ist.

1.1. PISA und Leseleistung

Das Lesen und Verstehen der Bibel gründet auf der allgemeinen Kulturtechnik Lesen. Diese Kompetenz zeichnet sich dadurch aus, dass Texte unabhängig von ihrer Form und ihrem Inhalt in gleicher Weise von Jugendlichen gelesen werden können. Dabei ist zunächst zusammenfassend festzustellen, dass die allgemeine Kenntnis von literarischen Texten bei Jugendlichen sehr ausbaufähig ist. Der PISA-Bericht 2012 stellt zwar eine deutliche Leistungssteigerung bezüglich der Leseleistung teilnehmender Schülerinnen und Schüler in Deutschland fest, doch die meisten Erfolge können auf der Kompetenzstufe I erkannt werden. Denn die Anzahl der leseschwachen Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu früheren Studien hat signifikant abgenommen. Für Bibelunterricht ist die Formulierung bemerkenswert, dass der Anteil leistungsstarker Leserinnen und Leser (Kompetenzstufe V und VI) nur minimal auf 8,9 Prozent angestiegen ist (Hohn/Schiepe-Tiska/Sälzer/Artelt, 2013, 242).

1.2. Veränderungen und Perspektiven

Die Lesefähigkeit wird in einzelne Kompetenzstufen unterteilt, die schrittweise bis zur Stufe VI anwachsen. Lesen auf dieser Kompetenzstufe verbindet die Tätigkeit der lesenden Textbegegnung mit der analytischen Textarbeit und methodischer Auseinandersetzung mit den Textinhalten. Laut der Pisa-Studie wird diese Kompetenzstufe aber erst in der Oberstufe erreicht.

1.3. Kognition und mentale Verarbeitung

Jedes Verstehen von Bibeltexten ist ein komplexer Prozess. Neben den Erzähldimensionen der Semantik (=„Was“) und der Syntax (=„Wie“) stellt sich auch die Frage nach dem „Wozu“. Folglich sind in jeder Erzählung zwei Ebenen zu unterscheiden: Einerseits die Ebene der dargestellten Welt (die Geschichte) und andererseits die Ebene der Vermittlung. Der Autor eines Textes erzählt eine Geschichte in einer bestimmten Art und Weise. Dabei hat er eine bestimmte Absicht (=Handlungserwartung), die den Empfänger des Textes in den Blick nimmt. Textproduktion und Textrezeption können also nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Auch der Empfänger, der Rezipient, hat eine bestimmte Erwartung an den Text. Grundsätzlich gilt für jede Kommunikation, also auch für die Textproduktion (Sender) und Textrezeption (Empfänger), dass die „Handlungserwartung“ auf beiden Seiten die Verstehensprozesse mitsteuert. Daraus ergibt sich, dass produktionsseitige und leserseitige Bedingungen erfüllt sein müssen:

  • Der Autor (Textproduzent) muss die Hoffnung haben, dass sein Text wenigstens verstanden wird und die intendierte Beziehung auch tatsächlich zustande kommt.
  • Entsprechendes kann für die Rezeptionsseite benannt werden. Primär muss der Leser die Intention des Autors rekonstruieren wollen und können. Er muss die Inhalte akzeptieren, wenigstens probeweise akzeptieren. Akzeptiert er dies nicht, hat der Text für ihn keine Gültigkeit.

Seitens des Rezipienten steuert diesen Dialog das Zusammenspiel zwischen den weitgehend automatisierten Wahrnehmungsprozessen und den Prozessen der bewussten semantischen Analyse. Faktoren der alltäglichen Wirklichkeit, wie sozialer Ort, Alter, Geschlecht, aber auch individuell-biographische Einflüsse und Alltagsphänomene und andere mehr beeinflussen diesen Prozess mit. Je breiter die Informationsverarbeitung ist und je mehr ‚mentale Repräsentationen‘ auf verschiedenen Ebenen einbezogen werden, desto vielfältiger werden die Spuren im Gedächtnis gezogen und desto leichter sind die Informationen wieder abrufbar.

Verstehen ist also eine sinngebende Handlung, die von der Interpretation – als einer spezifischen Form der geistigen Arbeit – unterschieden werden muss. Beide Dimensionen der Textverarbeitung befruchten sich gegenseitig.

Verstehen von Bibeltexten heißt also, den Sinn realisieren zu wollen, den der Autor bzw. der Text meint. Insbesondere die konstruktivistische Zuspitzung macht darauf aufmerksam, dass der Leser sich beim Lesen und Verstehen von Texten die Textwelt selbst konstruiert und ihr Sinn bzw. Bedeutung verleiht. Der Sinn des Textes entsteht so in einem kreativen, schöpferischen und dialogischen Prozess.

1.4. Wissen

Damit wird u.a. auf eine Gedächtnisforschung zurückgegriffen, die schon vor mehr als einem halben Jahrhundert von Bartlett (1932) eingeleitet worden war. Aus seinen experimentell gewonnenen Ergebnissen zum Erinnern von Textinformationen zog er den Schluss, dass gespeichertes Wissen nicht einfach abgelegte Kopien früherer Erfahrungen sind. Sie werden mit Hilfe eines Rekonstruktionsprozesses kognitiver Schemata wiedererzeugt: Wissen besitzt also eine Struktur.

Wissen wird im Gehirn, darauf weist die Hirnforschung hin, in sogenannten Wissensnetzen abgelegt und weitgehend nach Sachgebieten geordnet. Neue Einträge werden im Gedächtnis in neuen Mustern verknüpft. So kann das Gesamtnetz fortwährend nach innen und außen wachsen, also lernen.

Das Verstehen eines Bibeltextes bedeutet somit Aufbau neuer Wissensstrukturen. Dazu müssen Leserinnen und Leser im Leseprozess den Text mit den eigenen Wissensbeständen, Erfahrungen und Emotionen verknüpfen. Von daher muss die Bibelrezeption bzw. Bibellektüre von Jugendlichen mit altersbezogenen Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Verstehensbedingungen rechnen.

2. Empirischer Befund

2.1. Allgemeines Leseinteresse und Lesehäufigkeit

2.1.1. Die Bedeutung des Lesens im Jugendalter

Das Leseinteresse der Jugendlichen richtet sich in dieser Zeit insbesondere auf – herkömmlich als trivial bezeichnete – Unterhaltungsliteratur, die bei Religions- und auch Deutschlehrerinnen und -lehrern im Allgemeinen nicht im Fokus steht und hoch angesehen ist. Vor allem Abenteuer-, Kriminal- und Spionageromane stehen auf der Beliebtheitsskala (nicht nur) 13-16-jähriger weit oben, dicht gefolgt von sogenannten „Problembüchern“ oder „Doku-Fiktion“, die Probleme aus dem Alltag möglichst realistisch aufgreifen (Dehn/Payrhuber/Schulz/Spinner, 1999, 590).

Texte der klassischen Literatur und somit auch Bibeltexte werden privat insgesamt eher seltener gelesen, der überwiegende Teil der Lektüre gehört zum – wie auch immer verstandenen – Genre der Trivialliteratur. Mit steigendem Bildungshintergrund scheint bei beiden Geschlechtern die anspruchsvolle Belletristik an Bedeutung zu gewinnen. Diese ersetzt aber in der Regel die Unterhaltungslektüre nicht, sondern wird zusätzlich gelesen (Nold/Willenberg, 2007, 1;23-41).

2.1.2. Lesen im Alltag Jugendlicher

Durch die sich immer wieder erweiternde Medienlandschaft stehen den Jugendlichen neben dem Medium Buch eine Reihe von weiteren Medien (Internet, Fernsehen, Smartphones, PC, etc.) zur Verfügung. Narrative und hedonistische Bedürfnisse nach Fiktion, Bildern, Helden und Utopien können heute von verschiedensten Medien befriedigt werden. Man muss sich deshalb zunächst ansehen, welche Funktion das Lesen in welchen Situationen, für wen und unter welchen Bedingungen überhaupt noch einnimmt.

2.1.3. Stimmungsorientiertes Lesen

In Bezug auf Motivation, Funktion und Erwartungen von Jugendlichen an die Buchlektüre kommt dem stimmungsorientierten Lesen große Bedeutung zu. Hierbei wurde untersucht, in welchen emotionalen Situationen zum Buch gegriffen wird: „Das Buchlesen wird besonders häufig erwähnt in Zusammenhang von Langweile (1), Sich entspannen (2), wenn man allein ist (3), wenn man einmal alles vergessen möchte (4) und bei Traurigkeit und mieser Stimmung (5). Mädchen und besser Gebildete, d.h. Jugendliche, die auch viel lesen, greifen in sozio-affektiven Situationen signifikant häufiger zum Buch“ (Bonfadelli, 1996, 63).

Diese Ergebnisse deuten an, dass die Bibel diese Bedürfnisse der Jugendlichen nicht ohne weiteres befriedigen kann.

2.1.4. Wo beschäftigen sich Jugendliche mit der Bibel

Gelegenheiten, sich mit der Bibel zu beschäftigen, bietet vor allem der institutionalisierte Rahmen von Religionsunterricht, Firmungs-/Konfirmanden-/Kommunionunterricht, und (Kinder)Gottesdienst. Zudem gaben Jugendliche an, auch in Jugendchören, Sing- und Musikkreisen Kontakte mit der Bibel gehabt zu haben (Theis, 2005, 191-199). „Unter den am besten erinnerten Geschichten fällt auf, dass die genannten Quellen ungleich verteilt sind: Die Schule ist der wichtigste Lernort für Passion und Auferstehung. Die Familie ist es für die Arche Noah“ (Kammeyer/Büttner 2011, 18).

2.2. Wer liest in der Bibel

Betrachtet man die allgemeine Lesehäufigkeit von Jugendlichen und vergleicht sie mit der der speziellen Bibel-Lesehäufigkeit, zeigte sich, dass es keine großen Unterschiede gibt: Diejenigen, die nie lesen, lesen auch nicht in der Bibel – was auch nicht verwunderlich ist – und diejenigen, die sonst auch viel lesen, schlagen öfter die Bibel auf. Ein Zusammenhang zwischen allgemeiner Lesehäufigkeit und spezieller Bibel-Lesehäufigkeit ist signifikant. Jedoch ist die Motivationslage eine andere: Normalerweise greifen Jugendliche aus Interesse zu einem Buch (91,0%), in der Bibel aber lesen sie nur (vor allem) in der Schule, wenn sie dazu verpflichten werden (Theis, 2005, 261-263; auch Ziebertz/Kalbheim/Riegel, 2003, 131).

2.2.1. Familiäre Lesesozialisation

Ein weiterer entscheidender Faktor, der die Beziehung zum Lesen stark mitbestimmt, ist die familiäre Lesesozialisation. Jugendliche, die in Familien aufwachsen, in denen ein lesefreundliches Klima herrscht, das heißt die Eltern selbst viel lesen, Besuche in Bibliotheken und Buchhandlungen stattfinden, Bücher thematisiert und empfohlen werden, haben signifikant bessere Chancen, selbst zu Lesern zu werden (Bonfadelli, 1996, 60; auch Hurrelmann, 1996, 23-27).

Die Bibel spielt in der Erziehung zwar noch eine Rolle, insofern die meisten Jugendlichen zu Hause eine Bibel (bzw. Kinderbibel) besitzen. Auch ist sie laut Selbsteinschätzung der Jugendlichen in der Familie bei 43,3% noch von Relevanz (Theis, 2005, 190). In der Studie von Kammeyer/Büttner (2011) wurde festgestellt, dass im familiären Kontext Erzählungen zu denen eine bunte Tierwelt gehört, besonders gut vermittelt werden. Besonders Geschichten, die in Bilderbüchern und Spielzeug (z.B. Arche Noah, Weihnachten) im Kinderzimmer vorhanden sind, sind bekannt. Dennoch ist zu vermuten, dass in der Familie nur noch in seltensten Fällen eine intensivere, tiefer gehende Beschäftigung mit der Bibel stattfindet. Hier stehen genauere empirische Untersuchungen noch aus.

2.2.2. Lesen und Peergruppe

Die Einstellung zum Lesen innerhalb der Peergruppe beeinflusst das Leseverhalten Jugendlicher. So konnte ermittelt werden, dass Vielleser sich in Freundeskreisen bewegen, in denen ebenfalls viel gelesen wird, wohingegen bei Weniglesern auch das soziale Umfeld entsprechend ‚leseunfreundlich‘ ist.

Vieles spricht deshalb dafür, dass einerseits die Leitmilieus und ihre Untergruppen den Orientierungsrahmen für das Bibelverstehen beeinflussen. Andererseits weisen sie darauf hin, dass Menschen aufgrund ihrer lebensweltlichen Einstellung unterschiedliche Zugangswege zur Bibel kennen. Unterschiedliche Peergruppen und ihre Lebenswelten prägen also die Alltagsexegese der Jugendlichen.

2.3. Milieuverengung und Exkulturation

Im Zuge der Individualisierung und Pluralisierung haben sich in der modernen Gesellschaft soziale Milieus herausgebildet. Soziale Milieus sind Gruppen, innerhalb derer z.B. in Bezug auf Wertorientierung sowie in Bezug auf das Selbst- und Weltverständnis Übereinstimmung besteht. Das Heidelberger Sinus-Institut unterscheidet im Blick auf Jugendliche insgesamt sechs Milieus (sogenannte Sinus-Milieus). So zeigen die Sinus-Milieustudien (2005/2012/2013/2016; Calmbach 2012, 13;16 und Wippermann, 2005), wie sehr die Rolle der Bibel in den einzelnen Milieus bedeutungsloser wird. Finden sich noch in den ersten Milieuuntersuchungen konkrete Aussagen zur Bibel, so spielen diese in den neueren Erhebungen kaum noch eine Rolle.

2.3.1. Konservativ-Bürgerliche

Die eher kirchennahen ‚Konservativ-Bürgerlichen‘ sehen in der Bibel eine Autorität und eine moralische Instanz, die ganz ihrer hierarchischen Perspektive entspricht. Für sie steht die Bibel über ihnen, ist eine stabile Stütze und Autorität. Die Bibel gilt als „das Buch der Bücher“ und als „Grundlage unseres gesamten Glaubens“ (Wippermann/De Magalhaes, 2005, 170). Bei den kirchenfernen Konservativ-Bürgerlichen spielt sie dagegen im Alltag keine entscheidende Rolle mehr. Für diese Gruppe ist sie einerseits ein kulturhistorisches Bildungsdokument und andererseits für Kinder eine Sammlung moralisch erbaulicher Geschichten und Märchen. Ziel der Bibellektüre ist es, sich an den vertrauten Erzählungen zu erwärmen.

2.3.2. Prekäre

Die ‚Prekären‘ beachten die Bibel, wenn sie ihnen begegnet, z.B. beim Medienkonsum. Jedoch haben sie in der Regel keine großen Erwartungen an sie.

2.3.3. Materialistische Hedonisten

Sich selbst bezeichnen die ‚materialistischen Hedonisten‘ zwar als gläubig, lehnen aber die kirchliche Kontrolle und deren Autoritätswerte, also auch die Bibel, grundsätzlich ab.

2.3.4. Experimentalistische Hedonisten

Sie stehen der Bibel skeptisch bis abweisend gegenüber. Für sie ist die kirchliche Leseart zu wenig komplex und zu einschränkend.

2.3.5. Adaptiv-Pragmatische

Die ‚Adaptiv-Pragmatischen haben den Wunsch nach religiöser Sinnstiftung. Sie sehen in der Bibel ein wichtiges Kulturgut und Träger der westlichen Zivilisation. Obwohl man sich nicht persönlich berührt fühlt, liest man gelegentlich darin. Die Bibel konkurriert mit guter Literatur, aber ebenso mit Ratgeberliteratur zu Gesundheit und zu Pädagogik.

2.3.6. Sozialökologische

‚Sozialökologische‘ empfinden sich selbst als Suchende und haben eine grundlegende Offenheit für religiöse und spirituelle Sinnstiftungsangebote. Eine starke Kritik zur Amtskirche prägt ihr Verhältnis zum institutionalisierten Glauben. Sozial-ökologische Jugendliche fordern eine „religiöse Toleranz und Vielfalt“ (Calmbach, 2012, 318) und argumentieren über Religion und Bibel auf der Grundlage vergleichsweise guten Wissens.

2.3.7. Expeditive

Bei den ‚Expeditiven‘ besteht kaum Bereitschaft, sich auf die Bibel einzulassen. Die Bibel hat wenige Chancen an die Lebenswelt dieser Jugendlichen heranzutreten. Sie werden als „erfolgs‐ und lifestyle‐orientierte Networker auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen“ beschrieben (Calmbach/Thomas/Borchard/Flaig, 2012, 325).

2.4. Welche Erwartung haben Jugendliche an die Bibel?

Im Blick auf die Erwartungen gegenüber der Bibel stellt sich die Frage, welche Interpretationsansätze Jugendliche bevorzugen. Erwarten sie Antworten auf lebensweltliche Herausforderungen oder deuten sie die Bibel zunächst als kulturelle literarische Textwelt? Empirische Daten weisen darauf hin, dass nicht die christliche, sondern vor allem die literarische Deutung den Leseprozess leitet.

Die Bibel hat hier ihre hervorgehobene Stellung als Glaubenstext verloren. Sie ist nicht mehr identitätsstiftende, fest vorgegebene Größe, sondern wird als eine literarische Sammlung unter anderen literarischen Werken wahrgenommen. Diese Beobachtung ist kein Einzelphänomen, sondern steht mit der strukturellen Pluralisierung unserer Gesellschaft im Zusammenhang. Damit ist die fortschreitende Ausdifferenzierung aller Lebensbereiche (Religion, Wirtschaft, Politik, Recht, Bildung, Freizeit, Mobilität, Medien usw.) gemeint, die mit der Moderne eingesetzt hat. Identitätsstiftende und fest vorgegebene Zugehörigkeiten sind nicht mehr ohne weiteres gegeben. Religiöse Festlegungen werden kaum mehr vorgenommen (z.B. konfessionsverbindende Ehen, Erziehung der Kinder). So fällt auch die Bibel als vorrangiger Ort der Grundlegung des Glaubens zunehmend aus.

2.5. Einstellung zur Bibel

2.5.1. Bibel und Postmoderne

Angesichts der gesellschaftlichen Wandlungsdynamik, in der das Individuum immer weniger mit vorgegebenen, auf Traditionen beruhenden Lebensmustern und -richtlinien versorgt wird, muss die Identitätsarbeit immer mehr in ‚eigener Regie‘ geleistet werden. Aus Lebensstilen und kulturellen Mustern konstruiert sich das Individuum seine ganz persönliche Patchwork-Identität.

Religionsvielfalt ist keine Errungenschaft der modernen Gesellschaft. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion war jedoch in der Vergangenheit in der Regel von Geburt an festgelegt und oblag nicht der eigenen Wahl – so auch ihre Heiligen Bücher wie die Bibel für die Christen und der Koran im Islam. Im Buddhismus gibt es den Pali Kanon. Auch Hindus haben sehr viele heilige Schriften. Besonders wichtig sind ihnen die Veden mit den Botschaften der Götter und zwei lange Heldengedichte über die Götter. Die Bahai beziehen sich auf die Aufzeichnungen des Bab und von Baha'ullah. Zu den heiligen Schriften der Aleviten gehören die Buyruk, das Makalat, die Vilayetname und verschiedene Gedichtsammlungen.

In der heutigen Gesellschaft ist es also kein Problem mehr, dass der Einzelne selbst aus dem vielfältigen Angebot (verschiedener Religionen und Weltanschauungen) auswählt. Der Einzelne begibt sich im vielfältigen kulturellen und religiösen Angebot auf die Sinnsuche. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen außerhalb wie innerhalb der Kirchen nicht an einem Mangel an lebensbegleitenden Texten, sondern durch ein Überangebot verunsichert sind.

2.5.2. Bibel und Erfahrung

Schon 1981 sahen nur noch 37% der Jugendlichen in der Bibel eine „Sammlung wichtiger Erfahrungen von einzelnen Menschen oder von Gruppen“. Auffällig ist, dass das Verständnis der Bibel als Überlieferung von Erfahrungen mit dem Alter und dem Bildungsniveau steigt. Während es sich bei lediglich 31% der Siebtklässler (alle Schularten) feststellen lässt, verfügen mehr als doppelt so viele Elftklässler (63%) darüber (Bröking-Bortfeldt, 1984, 131). Das entspricht auch dem allgemeinen Umgang der Jugendlichen mit Literatur (siehe 2.1.1).

Harnisch/Bucher (2002, 7) machten darauf aufmerksam, dass der Erinnerungswert eines Bibeltextes steigt, wenn Kinder sich fragend und interpretierend zu der Geschichte verhalten können. In diesem Umgang mit dem Text wird die Relevanz der Geschichte für die eigene Person bedeutsam. Jugendliche haben eher Interesse an biblischen Texten, wenn sie lebensbezogen und erfahrungsorientiert gelesen und vermittelt werden. Schon 1989 stellte Berg fest, dass offensichtlich ein solcher Zugang zur Bibel bisher noch kaum gefunden wurde. „Wir müssen also im Blick auf die Einstellungen zur Bibel ein starkes Erfahrungs- und Relevanzdefizit feststellen, das offenbar durch den bisherigen Bibelunterricht nicht aufgefangen wurde“ (Berg, 1989, 96). Der Dialog mit biblischen Texte kann nur dann beginnen, wenn Alltagserfahrungen mit den Erfahrungen der biblischen Textwelt korrelieren. Leider wird dieser Prozess noch zu wenig beachtet. Dies belegen die Ergebnisse der Untersuchung von Kammeyer/Büttner. Viele der befragten Lehrkräfte waren der Auffassung, die Frage nach dem Lebensweltbezug sei zu schwierig für Kinder, so dass „sie im Religionsunterricht diese persönliche Deutungsebene gar nicht (immer) eröffnen“ (Kammeyer Büttner, 2011, 20).

Diese Befunde verschärfen und aktualisieren sich durch die Beobachtung, dass die Bibel nicht mehr als eigenständige Größe wahrgenommen wird, sondern im Gemenge mit anderen religiösen und kirchlichen Texten ihre Eigenständigkeit verliert. Die Abgrenzung biblischer Texte und Persönlichkeiten gegenüber Heiligen der Kirche und berühmten religiösen Legenden und Erzählungen ist verwischt: So rettet der heilige Martin als Samariter den Überfallenen (Lk 10,25-37) und das Gedicht „Spuren im Sand“ (Originalfassung Footprints von Margaret Fishback 1964) wird als Text in der Bibel vermutet. Hinzu kommen teilweise abenteuerlich anmutende Konstruktionen, wie z. B. das Philistergleichnis oder ähnliche.

Die postmoderne Herausforderung, sich die eigene Biographie selbst zu bauen, ist für den Einzelnen eng mit den Fragen nach dem Lebenssinn und den zugehörigen eigenen Erfahrungen verbunden. Inwieweit die biblischen Texte zur Sinngebung dienen, möchten/müssen die Einzelnen aufgrund ihrer Alltagserfahrungen nun aber selbst bestimmen. Die diesem Trend innewohnende hohe Bereitschaft zu Eigenverantwortung kann für die Bibelrezeption von großem Nutzen sein.

2.5.3. Bibel als Werte- und Moralkatalog

Dieser Individualisierungsprozess drückt sich kulturell im so genannten Wertewandel aus. Die Bibel gilt nicht mehr unhinterfragt. Sie bestimmt nicht mehr ohne weiteres Werte und Normen der Jugendlichen. Gegenwärtig rangiert die Bibel im Ansehen der Jugendlichen eher hinter anderen (auch religiösen) Büchern. Aus der Sicht der Jugendlichen ist sie eingrenzend. Dabei verstellen die Metatexte der Kirche die selbstbestimmte Bibelrezeption, sodass das Gefühl der Entmündigung entsteht. Dies äußert sich in der tendenziell negativen Einstellung gegenüber der Bibel und anderer religiöser Lektüre.

Die moralischen Werte von Gut und Böse werden immer mehr durch ästhetische Werte (Schön – Hässlich) überlagert. Was zählt, ist der Erlebniswert – Stichwort „Erlebnisgesellschaft“/„Spaßgesellschaft“. Hier ist ein wichtiger Kristallisationspunkt für den Umgang mit der Bibel zu erkennen. Menschen finden sich zusammen aufgrund desselben Geschmacks.

2.6. Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen

Mit der Frage nach den Nutzungs- und Funktionsbedingungen des Lesens zeigen sich in Bezug auf Geschlecht und Bildung die größten Unterschiede. „Bei den Gymnasiasten gibt es mit 47% fast doppelt so viele Vielleser als bei den Hauptschülern mit 24%; umgekehrt sind 44% der Hauptschüler Wenigleser, aber nur 22% der Gymnasiasten lesen wenig. 42% der Mädchen sind Vielleserinnen, aber nur ein Viertel der Knaben“ (Bonfadelli, 1996, 60). Der Vorteil der Mädchen gegenüber den Jungen in der Lesekompetenz ist von der ersten PISA-Erhebung (2000-2009) an ein stabiler Befund. Schon in der 13. Shellstudie von 2000 wurde festgestellt, dass etwas mehr Mädchen sich mit der Bibel beschäftigen als männliche Jugendliche. Sylvia Arzt macht in ihren Untersuchungen zum gendersensiblen Umgang mit der Bibel darauf aufmerksam, dass drei Dimensionen von Geschlecht bedeutsam sind: „Das Geschlecht der Leser_innen wirkt mit bei der Auswahl der Gestalt des Textes, deren Perspektive sie übernehmen. Deutlich wird die Wirkmacht androzentrischer Geschlechterkonstruktionen in der Wirkungsgeschichte der biblischen Texte. Die biblische Welt nehmen die Jugendlichen als patriarchale Welt wahr – dass auch Frauen ‚Heldinnen‘ sein können, ist für sie sehr überraschend“ (Arzt, 2015, 61-68;64). Dennoch ist auffällig, dass es keine besonderen Auffälligkeiten gibt, was die tatsächliche Bibellek­türe angeht. Möglicherweise hat inzwischen so etwas wie eine Angleichung stattgefunden. Das heißt, es werden keine wesentlichen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in ihrer Einstellung gegenüber der Bibel und hinsichtlich der konkreten Rezeption von Bibeltexten festgestellt (Theis, 2005, 263, Kammeyer/Büttner, 18).

2.7. Interesse

Betrachtet man in diesem Zusammenhang das affektive Merkmal Interesse, kann man einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Probanden erkennen. Von denjenigen, die an der Bibel Interesse haben, sind 61,6% Mädchen.

2.8. Emotionen und ihre Bedeutung für die Bibellektüre

Für das Lesen und damit auch für den Umgang mit der Bibel ist die emotionale Offenheit für ein Thema wichtig. Emotionen tragen häufig mehr zum Verstehen von Themen und Menschen bei als eine bloße sprachgenaue Analyse. Während des Leseprozesses reagieren die Rezipienten emotional. Bei biblischen Texten besonders auf deren Figuren. Emotionen führen im Allgemeinen zu einer intensiveren bzw. persönlicheren Auseinandersetzung mit den Inhalten und sind somit wichtig für die Lesemotivation und die wiederum für das Leseverstehen. Dasselbe gilt bei Sachtexten. Dies entspricht auch den Ergebnissen PISA-ergänzender DESI-Analysen, die Unterschiede in der Lesekompetenz auch mit pädagogisch beeinflussbaren Faktoren, wie den Leseinteressen, erklären. Die eigene Hinwendung zu einem Text ist eine wichtige Voraussetzung für den Umgang mit ihm.

Bezogen auf das Bibelverstehen bedeutet dies, dass zu klären ist, welche Einstellungen, Haltungen, Erfahrungen und entwicklungsbezogene Aspekte die Einstellung von Jugendlichen gegenüber der Bibel kennzeichnen. Tendenziell haben Jugendliche eine eher ablehnende Einstellung gegenüber der Bibellektüre. Das hat auch mit einer negativen Gefühlslage der Heranwachsenden gegenüber der Bibel zu tun, weil sie eher negative Emotionen – aus ganz unterschiedlichen Gründen – mit der Bibel verbinden. Betrachtet man jedoch einzelne Geschichten und Personen, spielen positive Affekte oft eine wichtige Rolle.

2.9. Wissen

2.9.1. Mit welchem ‚Vorverständnis‘ lesen Jugendliche die Bibel?

Die unterschiedlichen Untersuchungen zur Rezeption von Bibeltexten belegen, dass das Wissen über biblische Inhalte zum Allgemeinwissen unserer Gesellschaft bzw. zum Kulturschatz der Menschen gehört. Dabei gerät die Bibel in einer pluralistischen Gesellschaft in ein neues Konkurrenzverhältnis zu anderen Texten der Lebensdeutung. Das kann zu synkretistischen Umgangsformen führen. Robert N. Bellah befragte eine junge Frau namens Sheila nach ihrer Religion. Diese sagte einfach, sie hänge dem „Sheilaismus“ an (Bellah, 1987, 256-257). Für den Sheilaismus ist ein Umgang mit der Bibel charakteristisch, der sich aus den unmittelbaren Bedürfnissen aus der Alltagswelt speist. Eine solche Sichtweise findet sich auch in weiten Teilen der Gläubigen und bei regelmäßigen Gottesdienstbesuchern. Prokopf berichtet von Claudia (katholisch) dass sie sich auf längere Sicht vorgenommen habe, in der Bibel zu lesen. „Dabei wird ihr ihre eigene persönliche Interpretation sehr wichtig sein“ (Prokopf, 2008, 98). Eine solche Einstellung wird auch beim Einbau fernöstlicher Vorstellungen in das religiöse Denken des Einzelnen deutlich. Eine neue Spannung zwischen den individuellen und kirchlichen Deutungsformen der Bibel, aber auch zu ihrer kulturellen Präsenz scheint weiter zu wachsen – vor allem in den modernen bzw. postmodernen Milieus.

2.9.2. Welches Wissen von der Bibel haben Jugendliche?

Die Vermittlung biblischer Inhalte findet, wie gesehen, nicht mehr allein im Hoheitsgebiet kirchlicher Macht- und Vermittlungsinstanzen statt, sondern hat sich andere Wege und Bahnen gesucht. Der Verlust des kirchlichen Einflusses auf die Rezeption von Bibeltexten ist evident. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die individuellen Einstellungen des Einzelnen gegenüber der Bibel, der sich nicht mehr auf institutionell gestützte Vollzüge beziehen muss. Dennoch erinnern sich Jugendliche spontan an wichtige, zentrale Bibelstellen in folgender Reihenfolge: 1. Die Erschaffung der Welt; 2. Geburt Jesu; 3. Moses-Geschichten; 4. Passion/Auferstehung Jesu; 5. Das Gleichnis vom Samariter; 6. Der verlorene Sohn (Theis, 2005, 248; auch Berg, 1989, 95). „Es fällt auf, dass die Erzählungen, die als Urmythen Archetypen wie den Beginn und die Rettung des Lebens transportieren, stark sind“ (Kammeyer/Büttner, 2011, 18). Ebenso zeigt sich, es sind die ‚großen Geschichten‘, wichtige (auch literarisch bedeutsame) Erzählungen der Bibel, die zum Wissensbestand der Jugendlichen gehören.

2.9.3. Die Wissensbestände des kulturellen bzw. kollektiven Gedächtnisses.

In der modernen Gesellschaft trifft auf der kulturellen Ebene eine Vielzahl von Wirklichkeitsmodellen aufeinander. Dabei ist offensichtlich, dass kulturelle und religiöse Deutungssysteme korrespondieren. Was geschieht aber dabei mit der Bibel, die zum kulturellen Gedächtnis gehört? Gibt es eine Unterbrechung oder sogar einen Abbruch der Tradition oder hat der ‚Fluss‘ der Erinnerungen sich ein anderes ‚Bett‘ gesucht? Gehören biblische Texte weiterhin zum Kern der kulturellen Erinnerung und zum Alltagswissen der Menschen? In welchen Feldern der Gesellschaft und Kultur deutet sich ein Rückgriff auf biblische Bilder und Motive an? Für Karl Gabriel sind es „die Bereiche, in denen gegenwärtige Religion verstärkt aus der Privatsphäre heraustritt und öffentlich sichtbar wird“ (Gabriel, 2008, 17). Die Friedensbewegung, die Dritte-Welt-Begegnungen, die Frauen- und Umweltbewegungen stellen unverkennbare Bezüge zu biblischen Motiven her.

Eine neue Sichtbarkeit von biblischen Motiven ist aber auch mit der medialen Öffentlichkeit und der kommerziellen Werbung verbunden. Die Neuen Medien sind allgegenwärtig: YouTube, WhatsApp, Instagram, Twitter und Facebook sind Teil des Alltags von Jugendlichen. 98% der Mädchen und Jungen besitzen ein Handy, bei 92 Prozent handelt es sich um ein Smartphone. „Mittlerweile verfügt mit 29 Prozent knapp ein Drittel der Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren über einen eigenen Tablet-PC. […] Die heute Zwölf- bis 19-Jährigen sind bereits mit einem enorm breiten Medienrepertoire aufgewachsen und kennen kein Leben ohne Internet oder Handys“ (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2015, 7). Im Detail betrachtet bedeutet dies, dass neun von zehn Jugendlichen regelmäßig/täglich ihr Smartphone oder ein Handy (91%) nutzen; Im Internet sind vier Fünftel täglich unterwegs und gut die Hälfte sehen täglich fern und hören Radio. Die (digitalen) Medien gehören selbstverständlich zum Alltag Jugendlicher. Digital Natives, Millenials, Generation Y, Generation Z oder wie man die heutige aufwachsende Jugend noch bezeichnen möchte, wächst digitaler und vernetzter auf als alle Generationen davor. Dass sich das auch auf das Verhalten gegenüber der Rezeption von Texten im Allgemeinen und Bibeltexten im Besonderen massiv auswirkt, liegt auf der Hand.

Die Werbung macht sich zunutze, dass das Vorwissen der Betrachter eine entscheidende Rolle für Werbezwecke spielt. Die Anzeige gibt nur das Stichwort, das der Rezipient nun mit seinem (‚biblischen‘) Wissen zur Werbebotschaft verbindet. Indem er sich auf das angebotene ‚Spiel‘ einlässt und dieses löst, erarbeitet er aktiv aufgrund seines Hintergrundwissens die Inhalte der Werbebotschaft. Diese prägen sich besser ins Gedächtnis ein als plumpe Kaufaufforderungen.

Biblische Motive sind im Kino, im Fernsehen und der Werbung weit verbreitet. Der Fundus der alt- und neutestamentarischen Motive und Namenswelt wird seit langem in der Werbebranche aufgegriffen: die Schöpfungsgeschichte, das letzte Abendmahl, Noah oder Moses und Engel in allen Variationen etc. Dies zeigt, wie sehr biblische Begriffe und Texte nach wie vor präsent im kollektiven Gedächtnis verankert sind.

Zwar sind allgemeines religiöses und kirchliches Wissen heute kaum noch zum aktiven Alltags- und Handlungswissen zu zählen, jedoch finden sich eben auch ein hintergründiges biblisches Wissen, das zum kulturellen Bestand unserer Gesellschaft gehört.

2.10. Kirche und ihre Bedeutung für die Bibellektüre

Religion ist nicht mehr im Alleinbesitz der Kirche, sondern verteilt sich in der modernen Gesellschaft auf ganz verschiedene Orte (Kunst, Populärkultur, Sexualität, Freizeit, Gesundheit, Rockkonzert, …). Hier erfahren Jugendliche „Erlösung“ aus dem Alltag.

2.10.1. Die Rolle der Kirche

Kirche entwickelt sich immer mehr zum rituellen und sozialen Dienstleistungsbetrieb. So bilden die Feiern an den Lebenswenden (Taufe, Erstkommunion und Firmung, Trauung, Beerdigung) inzwischen den Hauptgrund für eine Kirchenmitgliedschaft (Ebertz, 2014, 29-47;39f.). Gemeindliche Gemeinschaftsorientierung und Glaube als Grund von Kirchenmitgliedschaft sind nur noch für eine Minderheit wichtig.

Irgendwann – nach der Kindheitsphase – gab es im Leben der meisten Jugendlichen einen Wandel von der Kirche weg. Dieser Bruch kann in der Zeit um das 12. Lebensjahr herum geschehen sein und ist bei vielen auch noch nicht abgeschlossen. Das lässt sich z.B. daran ablesen, dass zahlreiche Schülerinnen und Schüler vor Erreichen des 12. Lebensjahres noch regelmäßig beteten oder doch zumindest manchmal/oft zum Gottesdienst gingen; heute ist der Kirchenbesuch gering. Ähnliches gilt für das Lesen in der Bibel und das Sprechen über biblische Texte. Auch scheint bei den Eltern, sobald ihr Kind das Jugendalter erreicht hat, ein solcher Wandel eingetreten zu sein: Das Gebet vor und nach dem Essen wurde nahezu eingestellt, wie auch das gemeinsame Morgen- oder Nachtgebet. 78,9% der Schülerinnen und Schüler haben keine Betpraxis mehr. Diesem Ergebnis entsprechen in noch verschärfter Form die Einzelauswertungen, die das Lesen von biblischen bzw. religiösen Texten in den Blick nahmen. 95,8% praktizieren keine in diesem Sinn gerichtete Religiosität und lesen selten oder nie in Bibeltexten. Analog dazu sind die Ergebnisse im Blick auf das Sprechen über biblische bzw. über religiöse Texte.

2.10.2. Kirchliche Präsenz der Bibel

Zunächst lassen sich für die katholische Kirche drei Beobachtungen festhalten: Erstens spielt die Bibel in den Gemeinden inzwischen eine große Rolle und zweitens profitiert die Bibel von der „alltäglich gewordenen Ökumene“ (Gabriel, 2008, 16-19;18) sowie drittens den inzwischen exegetisch besser ausgebildeten Theologinnen und Theologen.

Dabei ist festzuhalten, dass die Jugendlichen der Kirche gegenüber distanziert sind. So hat sich in Untersuchungen zum Rezeptionsverhalten von biblischen Texten gezeigt, dass die persönliche Einstellung zur Kirche mitbestimmt, ob und wie ein Text behalten wird. „Damit wird die Gefahr erkennbar, dass die stärkere kirchliche Präsenz der Bibel einhergeht mit ihrer wachsenden gesellschaftlichen Marginalisierung“ (Gabriel, 2008, 16-19;18).

Dies trifft im besonderem Maße auf Jugendliche zu, denen orientierende Instanzen (autoritär erscheinende Institutionen als auch ‚moralisierende‘ und autoritative Bibeltexte) als ambivalente Größe erscheinen. Die Metatexte der Kirche verstärken die Distanzierung und Abwehrhaltung gegenüber Bibeltexten. Jugendliche befürchten durch kirchliche interpretative Vorgaben, ihre selbstbestimmte Bibelrezeption zu verlieren.

Bei Jugendlichen zeigt sich zudem, dass es nicht die explizit kirchlichen Bildungseinrichtungen sind, sondern es sind Freizeitgruppen wie Singkreise oder Musikgruppen, die den Umgang mit der Bibel fördern. „Eine wichtige Frage wird sein, wie sich das Verhältnis der kirchlichen zur kulturellen Präsenz der Bibel zukünftig entwickelt. Gibt es eine gewisse Durchlässigkeit und eine bestärkende wie kritische wechselseitige Befruchtung der kulturellen und kirchlichen Präsenz der Bibel?“ (Gabriel, 2008, 16-19;18).

2.10.3. Wahrheit und Glaubwürdigkeit

Auch die Sinusstudien von 2005, 2012 und 2013 haben festgestellt, dass dort, wo die Distanz zu Religion und Kirche groß ist, die Bibel kaum Bedeutung für die eigene Orientierung gewinnt (Wippermann/De Magalhaes, 2005, 109f.). Damit stellt sich gerade heute auch die Frage nach dem Glaubwürdigkeitskriterium der Kirche. Für distanzierte Jugendliche steht die Bibel noch stärker in einer Glaubwürdigkeitskrise. „Ich kann nicht alles glauben, was in der Bibel steht!“ Mit dieser Aussage wird das Plausibilitätsproblem der Jugendlichen im Blick auf die Bibel auf den Punkt gebracht (Theis, 2001, 151-160). Es finden sich deutliche Belege dafür, dass Heranwachsende Probleme mit der ‚Wahrheit‘ biblischer Texte haben. „Die Bibel als Glaubenszeugnis ist bei den Jugendlichen umstritten: Viele messen ihr keine Relevanz für die gegenwärtige Situation bei, andere sind jedoch durch die Thematisierung biblischer Themen in den Medien dazu bereit, evtl. in der Bibel zu lesen“ (Prokopf, 2008, 222).

2.10.4. Konfession

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession spielt heute für den Umgang mit der Bibel kaum noch eine Rolle. Konfession verliert immer mehr an Bedeutung. (Theis, 2001, 143; Berg, 1989, 96). Belege für diese Beobachtung finden sich auch in der Sinus Jugendstudie 2012 (Calmbach/Thomas/Borchard/Flaig, 2012, 4) und dem Projekt „Sinus-Studie ‚Evangelisch in Baden-Württemberg‘“ (2012, 143). Es zeigen sich keine Anhaltspunkte mehr für die Aussage, protestantische Frömmigkeit sei traditionsgemäß Bibelfrömmigkeit. Konfessionelle Grenzen separieren weniger als unterschiedliche soziale Lebenswelten.

Dies weist darauf hin, dass Protestanten und Katholiken keineswegs allein dastehen, wenn es um die Kommunikation der Frohen Botschaft geht. „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14a), dieser Satz ist allen Glaubenden zugesagt. Wegen der Notwendigkeit von Pluralität sollte dies nicht die Aufhebung der unterschiedlichen Ausprägungen von Kirche, sondern ein umfassendes vertrauendes Miteinander der verschiedenen Kirchen zur Folge haben. Die Zusammenarbeit der Christen aller Konfessionen im Umgang mit der Bibel ist heute mehr denn je herausgefordert.

Literaturverzeichnis

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