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(erstellt: Februar 2022)

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1. Begriff und Bedeutung

Wenn → religiöse Bildung auf Indukation und Edukation zielt, also auf die Einführung in eine spezifische religiöse Tradition wie auch auf die Herausführung in eine reflexive Distanz zu dieser (Pongratz, 2002; Englert, 2007; Sajak, 2009; Kropač, 2021), und dadurch die Darstellung und Mitteilung von Religion als kulturelle Praxis ermöglichen soll (Dressler, 2020), dann ist liturgische Bildung ein elementarer Bestandteil dieses Bildungsgeschehens. Denn liturgische Bildungsprozesse haben die identitätsstiftenden Rituale, Gebete und Gottesdienstformen und damit den existentiellen Vollzug jeder Religionsgemeinschaft zum Gegenstand: die individuelle und kollektive Gestaltung der Gottesbeziehung. So bezeichnet Rudolf Englert die „Fähigkeit zum reflektierten Umgang mit religiösen Traditionen“ (Englert, 2002a, 57) als eine von vier grundlegenden Komponenten religiöser Bildung, in der „ein Grundverständnis der z.B. für die christliche Tradition signifikanten Geschichten und Symbole“ sowie „eine gewisse Kenntnis der aus ihr im Laufe der Zeit hervorgegangenen Praxisformen“ (Englert, 2002a, 57) entwickelt werden muss. Hans Schmid und Martina Kuhmlehn (2015) verweisen auf Bildungsprozesse, die „Mehr als Reden über Religion“ (Schmid, 2002) sein sollen, in deren Rahmen „vielmehr Kontaktzonen mit konkreten religiösen Erfahrungsräumen des Religiösen geschaffen werden, damit Kinder und Jugendliche überhaupt die Eigenart von Religion begreifen können“ (Mendl, 2008, 13). Obwohl es also einen Common Sense in der religionspädagogischen Debatte über die Notwendigkeit von liturgischer Bildung gibt, wird aller Orten diagnostiziert, dass sie vor allem im schulischen Religionsunterricht, aber auch in der Katechese und Jugendpastoral nur wenig stattfindet (schon früh Sauer, 1986, dann 2002; Grethlein, 1996; Bizer, 2001; Mendl, 2008, jüngst Seper, 2019).

Aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive lassen sich drei Gegenstandsbereiche identifizieren, in denen Lernprozesse im Kontext liturgischer Bildung gestaltet werden müssen: „Im Rahmen der sogenannten liturgischen Propädeutik sollen Lernende befähigt werden, Symbole zu deuten und zu erfassen und den Glauben in Symbolen auszudrücken“ (Seper, 2019, 110). Es braucht aber auch „kommunikative Kompetenz“, um in den gemeinschaftlichen Feiern angemessen partizipieren zu können. Dazu zählen „Schweigen, Sprechen, Singen, Konzentrationsfähigkeit und achtsames Wahrnehmen sowie menschliche Grundhaltungen wie Dankbarkeit, Schuldbewusstsein, Bitten, Hören […] und Verzeihung-Gewähren sowie Teilen-können“ (Seper, 2019, 110-111). Neben der Arbeit an diesen Kompetenzen und Haltungen steht als dritter Bereich eine „liturgische Realienkunde, die mit liturgischen Gewändern, Geräten und Orten sowie mit dem liturgischen Raum vertraut macht“ (Seper, 2019, 111). Religionspädagogisch transformiert: Liturgische Bildung setzt bestimmte Haltungen und Einstellungen sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten voraus, die in Auseinandersetzung mit spezifischen Kenntnissen aus dem Bereich der Liturgie erworben, entwickelt und vertieft werden müssen. Damit fügen sich Anliegen und Format liturgischer Bildung problemlos in das Kompetenzmodell der deutschen Bischöfe (DBK, 2004, 9-11) und lassen sich auch im Kompetenzmodell für den evangelischen Religionsunterricht rasch wiederfinden. Dort lautet eine der acht verbindlichen Kompetenzen „Individuelle und kirchliche Formen der Praxis von Religion kennen und daran teilhaben können“ (EKD, 2011, 18). Bleibt die Frage, warum der liturgischen Bildung an den klassischen → Lernorten so wenig Raum gegeben wird.

2. Geschichte

Ein Grund für den weitgehenden Ausfall liturgischer Bildung in beiden großen christlichen Konfessionen liegt sicher darin, dass sich in den vergangenen Dekaden der schulische Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch) zum dominanten religiösen Lernort entwickelt hat, dieser aber seit den 1970er Jahren mit Blick auf die Rahmenbedingungen in der öffentlichen Schule von Aufgabenstellungen der religiösen Performanz und Praxis entlastet worden ist – oft aus Angst, dem Fach Religionslehre könnten schulfremde Ziele und Absichten unterstellt werden. Besonders im katholischen Bereich wirkt bis heute der → Beschluss der Würzburger Synode (1971-1975) nach, in dem eine Aufteilung der Aufgaben und Ziele von Religionsunterricht und Gemeindekatechese beschlossen worden war. Im Folgenden wurden Bemühungen um die Bearbeitung von „Formen gelebten

Glaubens“ und die Erschließung von „Erfahrungen mit Glaube und Kirche“ (DBK, 2005, 23) häufig als Rekatechetisierung des Religionsunterrichts diskreditiert. Da zugleich religiöse Praxis und Glaubensvollzüge durch die Prozesse fortschreitender Säkularisierung und Individualisierung rapide abgenommen haben, blieb eine angemessene und zielführende Gestaltung im Bereich der liturgischen Bildung in den vergangenen Jahren entsprechend aus.

Ein Blick in die Geschichte der Liturgiewissenschaft zeigt, dass das Anliegen liturgischer Bildung zwar erst im Zuge der sogenannten Liturgischen Bewegung zwischen 1850 und 1950 konzeptionell aufgenommen und gestaltet wurde, jedoch eine lange, jahrtausendalte Tradition hat. So lassen sich in der Christentumsgeschichte verschiedene Epochen identifizieren, in denen das religiöse Lernen am Gegenstand der Liturgie in unterschiedlicher Weise gestaltet worden ist. Nach Patrick Prétot reicht eine erste Periode

„bis zur Herausbildung der ersten liturgischen Einrichtungen; sie endet demnach mit der Mitte des 4. Jahrhunderts. Die zweite Periode umfasst selbstverständlich die wichtigste Phase der patristischen Periode. Das Mittelalter stellt die dritte Etappe dar. […] Schließlich wird mit der Neuzeit eine neue Periode eröffnet; die Liturgische Bewegung ist einerseits deren Ergebnis und unternimmt gleichzeitig gewaltige Anstrengungen, um sich davon zu distanzieren, wie man verschiedentlich bei Prosper Guéranger gut sehen kann. Man könnte deshalb von einer fünften Periode in Form der Liturgischen Bewegung sprechen, und zwar wegen der Veränderungen bei der Teilnahme an der Liturgie, die aus ihr hervorgegangen sind“ (Prétot, 2016, 45).

Die wohl wichtigste Gestalt der Liturgischen Bewegung war Romano Guardini, der mit seiner Schrift „Liturgie und liturgische Bildung“ (1966/1992) nicht nur den Begriff selbst einführte, sondern auch eine erste Konzeptionierung des Anliegens unternahm. In Österreich ist es Pius Parsch gewesen, der mit seinen Bemühungen um die liturgische Erneuerung wichtige Impulse für die Liturgische Bildung gab. Andreas Redtenbacher sieht Parsch und Guardini in diesem Anliegen verbunden, wenn er resümiert, dass Guardini „liturgische Bildung ganzheitlich als Einübung in das liturgische Aktgefüge, kurz: in das liturgische Verhalten“ (Redtenbacher, 2019, 123) versteht. So heißt es bei Guardini: „Worin liegt das Wesen liturgischen Verhaltens? Wie muss der Mensch beschaffen sein, wie die Gemeinschaft, wenn sie wesensgerecht in der Liturgie stehen sollen? Welche Kräfte gehören dazu, welche Organe? Ja welches Sein? Denn um ein ganz bestimmtes Können handelt es sich hier, um ein Werden und Wachsen, wirklich um ein Sein. Das heißt also, um ein Problem der ‚Bildung‘ im eigentlichen Sinne des Wortes“ (Guardini, 1966/1992, 25). Dabei geht es Guardini nicht allein um Kenntnisse oder Wissensbestände, sondern um Einstellungen und das daraus resultierende Verhalten: „Liturgische Bildung des einzelnen erreicht ihr Ziel, wenn der Mensch sich dem Bild Christi nähert, wenn Christus in ihm lebt (vgl. Gal 2,20)“ (Guardini, 1966/1992, 25). Dazu bedarf es aber auch schon bei Guardini Kompetenz, die hilft, das Wesen der Liturgie zu erschließen, um sich zu diesem danach entsprechend zu verhalten: „Damit zeichnet sich die erste Aufgabe der liturgischen Bildungsarbeit ab: der Mensch muss wieder symbolfähig werden“ (Guardini, 1966/1992, 36). Mit den Dimensionen von Wissen, Kompetenzen und Einstellungen entwirft Guardini eine erste Liturgiedidaktik, die dem Anliegen liturgischer Bildung dienen soll und deren Elemente sich auch in verschiedenen Neuaufbrüchen wiederfinden, die sich der Bearbeitung der oben skizzierten Problemstellungen im Bereich des heutigen Religionsunterricht widmen wollen.

3. Anknüpfungen

Mit Beginn des neuen Jahrtausends taucht das Thema der liturgischen Bildung erneut in der wissenschaftlichen Diskussion auf und zwar im Kontext der Debatte um einen → Performativen Religionsunterricht. Unter diesen Begriff hatte Rudolf Englert 2002 in einem einschlägigen Beitrag verschiedene religionsdidaktische Ansätze zusammengefasst, die Möglichkeiten eines „erfahrungsöffnenden Lernens“ (2002b, 32) ausloteten, um „den Rahmen begrifflich-verbalsprachlicher Kommunikation“ im Religionsunterricht zu erweitern (Dressler, 2015, 1). Englert konstatiert, dass sich in diesen Begriff eine Reihe von religionspädagogischen Erwartungen und Hoffnungen integrieren lassen: Nicht nur soll die im Angesicht des Traditionsabbruchs elementare Aufgabe angegangen werden, heutigen Schülerinnen und Schülern „in der tätigen Aneignung und Transformation vorgegebener religiöser Ausdrucksgestalten eigene religiöse Erfahrungen“ (Englert, 2002b, 32) eröffnen zu können, sodass dabei Religion in ihrer „ganzen Breite und Tiefe, in Theorie und Praxis, in Wort und Tat verstanden werden“ (Mendl, 2016, 11) kann. Auch die Frage, wie im Kontext eines kompetenzorientieren Bildungsverständnisses nachhaltiges Lernen angestrebt werden kann, beförderte die Entfaltung performativer Ansätze (Mendl, 2016, 11).

Wie Performativität im konkreten Unterrichtsgeschehen religionspädagogisch begründet und religionsdidaktisch umgesetzt wird, unterscheidet sich je nach konzeptioneller Ausrichtung. Die verschiedenen Ansätze einer performativen Religionsdidaktik stimmen in ihrem Grundanliegen überein: Religiöses Lernen muss mehr sein als lediglich „Reden über Religion“ (Schmid, 2002). Was dieses Mehr-als-reden nun in der konkreten Praxis bedeutet, unterscheidet sich dann durchaus auch nach Konfession (siehe auch → Performativer Religionsunterricht, katholisch).

Im Kontext dieser Debatte siedeln sich nun Überlegungen zur liturgischen Bildung an. Wenn Religionsunterricht weiterhin konfessionell und nicht religionskundlich ausgerichtet sein soll, bedarf es „einer Wahrnehmung der körperlichen Dimension und damit auch der nötigen Kompetenzen beim Einbringen von Liturgie und Ritual im Unterrichtsgeschehen“ (Stäblein, 2003, 210). Zugleich gehört zur Fähigkeit, mit religiösen Traditionen umgehen zu können, auch eine Grundkenntnis liturgischer Formen, Symbole und Handlungsabläufe dazu (Blum, 2004, 400). „Liturgie konkretisiert Religion in körpersprachlicher Verdichtung: Man faltet die Hände, bekreuzigt sich, segnet, schlägt sich mit den Händen an die Brust, reicht einander die Hände“ (Mendl, 2008, 181).

Auch Bernhard Dressler betont, dass Religion selbst im Unterricht durch ästhetische Formen (christliche Ikonografie, Liturgie, Zeichenhandlungen, Erzählungen, Gebete …) in eine Form gebracht werden muss, die mit der Grunddynamik einer Symbolisierung und Konkretisierung des Widerfahrenen und Unsagbaren begründet werden kann (Dressler, 2002, 14). Mendl arbeitet erste Konsequenzen für die liturgische Bildung im Bereich der Performativen Didaktik heraus: „Dass gerade beim Gebet und bei der Liturgie die meisten Einwände gegen performative Elemente im Religionsunterricht formuliert werden, deutet darauf hin, dass diese Felder besonders sensibel zu behandeln sind“ (Mendl, 2008, 190). Deshalb soll auch der Eindruck vermieden werden, dass mit der liturgischen Bildung eine Rekatechetisierung des Religionsunterrichts verbunden sei. Vielmehr geht es darum, liturgische Bildung als Zielperspektive des Religionsunterrichts in einer schulpädagogisch angemessenen Form in den Blick zu nehmen (Blum, 2004, 399). Auch die Deutschen Bischöfe warnen davor, den Religionsunterricht zum religiösen Ort mit eigenen Symbolen und Ritualen werden zu lassen und zwischen pädagogischen Ritualen und authentischen liturgischen Handlungen und Gebeten zu unterscheiden (DBK, 2005, 25). Hier zeigen sich deutlich die Grenzen des performativen Ansatzes mit Blick auf das liturgische Lernen: Problematisch ist das wirkliche Verstehen liturgischer Vollzüge, die ja nicht nur äußerer Vollzug, sondern „vielmehr Ausdruck einer bestimmten Frömmigkeitsform [sind], die den Glauben, das religiöse Leben und den gesamten Lebensrhythmus derer bestimmen, die sie pflegen“ (Mendl, 2008, 182). Dennoch bleibt die Aufgabe, im Religionsunterricht jene Kompetenz grundzulegen, mit Hilfe derer das rituelle Geschehen der eigenen Religion verstanden und erklärt werden kann: „Es geht darum, den zentralen Ritus einer Religionsgemeinschaft (die ja im Kontext konfessionellen Religionsunterrichts eigentlich die eigene ist!) und die Art und Weise, wie sich dabei der Glaube verdichtet, manifestiert und ausdrückt, zu verstehen“ (Mendl, 2008, 181). Auch im Kontext religionsunterrichtlicher Weiterentwicklungen wie dem interreligiösen bwz. konfessionell-kooperativen Lernen (→ Interreligiöses Lernen; → Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht) und vor dem Hintergrund der Debatte um die stetig steigende Zahl von konfessionslosen Schülerinnen und Schülern behält das Anliegen und die Zielperspektive liturgischen Lernens seine Aktualität, wenn auch in einer komplexeren didaktischen Kontextualisierung.

4. Konzeptionierungen

Was aber sind grundlegende Elemente in den vorliegenden Konzeptionierungen liturgischer Bildung? Auf katholischer Seite entwirft Hans Mendl in seinem Arbeitsbuch „Religion erleben“ (2008) u.a. ein Praxisfeld „Liturgische Bildung – Gottes Gegenwart feiern“: „Um tatsächlich liturgiefähig zu werden, bedarf es unterschiedlicher, miteinander verbundener Lernwege“ (Mendl, 2008, 184). Dabei bezieht sich Hans Mendl unter anderem auf die von Klaus König aufgestellten liturgiedidaktischen Grundregeln, nach denen es um die Kompetenzen geht, 1. säkulare Liturgien sichten, analysieren und deuten zu können, 2. die Bedeutung liturgisch gestalteter Religionsausübung erkennen zu können und 3. Gottesdienste als kommunikatives Geschehen gestalten zu können (König, 1996, 112-129). Durch Integration dieses Drei-Schritt-Modells entwirft Mendl vier Gegenstandsbereiche liturgischen Handelns, die es zu berücksichtigen gilt: 1. die Beziehung zwischen den Inhalten des Religionsunterrichts und dem Wesen von Liturgie; 2. Ritualisierte Elemente als Gestaltungskennzeichen des Religionsunterrichts; 3. Liturgie als Thema und Handlungsform im Religionsunterricht; 4. Schulpastorale Anknüpfungspunkte (Mendl, 2008, 185-190). Zudem benennt er weitere Möglichkeiten, Liturgie oder rituelle Elemente in den schulischen Unterricht zu integrieren, wie zum Beispiel das Kirchenjahr als integrale Dimension des Curriculums (Mendl, 2008, 197-200).

Rudi Lentner definiert als Ziele liturgischen Lernens, die Liturgiefähigkeit von Schülerinnen und Schülern im Sinne einer liturgischen Propädeutik anzubahnen und Schülerinnen und Schüler zu befähigen, im kreativen Umgang mit festen und freien Formen selbst Liturgie zu gestalten (Lentner, 2014, 249). Zudem zeigt er Schritte liturgischen Lernens im Unterricht auf: 1. Erfahrungsintensität durch Liturgie schaffen – mit Leib und Seele feiern; 2. Ein Gefühl für die richtige Balance von festen und freien Formen entwickeln; 3. Die Verbindung von Bibel und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler aufzeigen; 4. Eine Vielfalt von liturgischen und Gottesdienstformen erleben lassen (Lentner, 2014, 249-252).

In der evangelischen Religionspädagogik haben sich vor allem Bärbel Husmann und Thomas Klie mit dem Konzept eines liturgischen Lernens in Schule und Gemeinde befasst. Als liturgisches Lernen definieren Husmann/Klie ein Lernen, „das sich auf das Ganze kirchlichen Ausdruckshandeln in Geschichte und Gegenwart bezieht“ (Husmann/Klie, 2005, 28) und somit die Dimensionen Geschichte, Bibel und Kultur umfasst. Die Liturgiedidaktik selbst wird dadurch zu einem komplexen Vorhaben, das zu elementarisieren (→ Elementarisierung) ist. Die von Husmann/Klie aufgestellte Auswahl von zwölf Konkretionen liturgischen Lernens haben dabei den Anspruch, das Gesamte der biblisch-christlichen Deutungstradition auszuweisen und zugleich die enorme kulturelle Prägekraft der christlichen Liturgie zu berücksichtigen (Husmann/Klie, 2005, 28-32). Insgesamt unterscheiden Husmann/Klie zwischen Liturgischen Stücken (Elemente: Liturgischer Gruß, Kirchenlieder, Gebete, Kyrie, Predigt, Bekenntnisse, Segen), Sakramenten (Elemente: Taufe, Beichte, Abendmahl) und Kasualien (Elemente: Trauung und Beerdigung) (Husmann/Klie, 2005, 33-200).

Es bleibt eine Vielzahl noch offener Fragen: Wenn performative Didaktik auf den umfassenden Traditionsabbruch zu reagieren versucht und liturgische Bildung im Sinne eines Nicht-nur-Reden-über-Liturgie „Kontaktzonen mit konkreten religiösen Erfahrungsräumen des Religiösen“ (Mendl, 2008, 13) schaffen will, dann stellen sich doch Fragen nach den tatsächlichen Möglichkeiten und potentiellen Grenzen liturgischer Bildung im schulischen Religionsunterricht. Bärbel Husmann merkt an: Muss „die Reflexion der ‚Erfahrung‘ vorangehen […], um Überwältigung und eine Trivialisierung religiöser Praxis zu vermeiden oder [ist] die ‚Erfahrung‘ Voraussetzung von Reflexion […], um den Traditionsabbruch aufzufangen“ (Husmann, 2006, 110)? Kann aus einer Thematisierung von Liturgie im Unterricht „eine ganz konkrete existentielle Begegnung [werden], die das Innerste berührt“ (Müller, 2019, 104) oder bleiben Schülerinnen und Schüler Betrachtende, die von außen auf die Religion blicken, aber durch ein Nachvollziehen und Nachfühlen von Ritualen der Religion zumindest ein Handlungsrepertoire erlangen? Auch zeigt sich immer wieder eine konfessionelle Signatur in den Konzeptionierungen.

Ebenfalls noch nicht wirklich geklärt ist die Frage nach dem Zusammenhang der unterschiedlichen religiösen → Lernorte, an denen liturgische Bildung stattfindet. So müsste beispielsweise nach dem Einfluss der Ministrantinnen- und Ministrantenarbeit, des Kommunion- und Firmunterrichts sowie des Konfirmandenunterrichts auf den schulischen Religionsunterricht gefragt und zugleich der Blick auf unterschiedliche Elemente und unterschiedlichen Stellenwert des Unterrichtsinhalts Liturgie gerichtet werden (Husmann, 2006, 110-111; Mendl, 2008, 182).

Zudem gilt es, die Wirkungen von Säkularisierung und Traditionsabbruch bei den jüngeren Religionslehrkräften im Blick zu behalten: „Jüngere Lehrer haben oft ein entspannteres Verhältnis zur Kirche […]. Gleichzeitig sind die jüngeren in höherem Maße verhaltensunsicher, was die Gestaltung von Gebet und Liturgie angeht“ (Mendl, 2008, 195). Bärbel Husmann betont, dass auch bei Theologie-Studierenden von einem Traditionsabbruch die Rede ist und im Allgemeinen keine habitualisierte Gottesdienstpraxis vorausgesetzt werden kann (Husmann, 2006, 108). Hieraus entstehen neue Schwierigkeiten, die von Lehrkräften durch zwei Grundkompetenzen bewältigt werden könnten: „eine reflektierte eigene Einstellung zu Glaube und Liturgie und das, was man mit ‚liturgischer Präsenz‘ bezeichnet“ (Mendl, 2008, 195-197).

Liturgische Bildung ist auch in Pastoral und Seelsorge ein großes Desiderat (Müller, 2019, 108). Entsprechend sollte ein ausdifferenziertes Konzept liturgischer Bildung die unterschiedlichen Lernorte Familie, Schule und Gemeinde berücksichtigen. Auch ist konsequenterweise die Zusammenarbeit von Religionspädagogik und Liturgiewissenschaft vonnöten, die Einseitigkeiten überwinden hilft (Seper, 2019, 113). „Wenn Liturgie wirklich zu den Lebensvollzügen der Kirche zählt und vom Zweiten Vatikanischen Konzil als Höhepunkt und Kraftquelle kirchlichen Handelns ausgewiesen wird, muss sie auch zentraler Bestandteil religiöser Lernprozesse sein“ (Seper, 2019, 114).

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