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Schriften, frühjüdische und frühchristliche

(erstellt: Juli 2023)

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1. Einleitung und Definitionen

Die Schriften des Neuen Testaments bilden keine isolierte „Insel“, sondern sind über eine Vielzahl von Intertexten mit der Welt verbunden, in der sie entstanden, und den Welten, in denen sie gelesen wurden und werden. Je mehr solcher Intertexte wahrgenommen werden, desto perspektivenreicher können die neutestamentlichen Schriften wahrgenommen und gedeutet werden. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf die Bedeutung so genannter frühjüdischer und frühchristlicher Texte für das Verständnis des Neuen Testaments. Über diese hinaus sind natürlich auch andere Quellen von herausragender Bedeutung für die neutestamentliche Exegese: Weitere interessante Gruppen von Quellen wie die Hebräische Bibel, Schriften aus griechisch-römischer Literatur (z.B. philosophische, historiographische, naturkundliche oder geographische Texte), dokumentarische und semi-literarische Papyri, aber auch Rezeptionen von Texten des Neuen Testaments (z.B. in altkirchlicher, mittelalterlicher, neuzeitlicher und moderner Literatur, aber auch durch Gegner des Christentums oder in anderen Religionen wie dem Manichäismus und dem Islam) werden im Folgenden nicht besprochen, obwohl auch sie für die Interpretation der neutestamentlichen Schriften bedeutsam sind.

Unter „frühjüdischer Literatur“ werden im Folgenden jüdische Schriften verstanden, die in der Zeit etwa ab dem Tode Alexanders des Großen (323 v.Chr.) bis zur Zerstörung des zweiten Tempels (im Jahre 70 n.Chr.) und in Einzelfällen bis zum Ende der Revolte unter Bar Kohkba/Bar Kosiba (135 n.Chr.) verfasst wurden. Damit sind verschiedene Textcorpora wie z.B. die (für die Erforschung des Neuen Testaments unter bestimmten methodischen Vorgaben hoch interessante) rabbinische Literatur, die Schriften der Kairoer Genizah (Reif 2000), aber auch Targumim, d.h. aramäische Übersetzungen von Schriften der Hebräischen Bibel, im Folgenden nicht berücksichtigt. Unter „frühchristlicher Literatur“ sind Schriften verstanden, die auf Christusbekenner:innen zurückgehen und die aus den ersten beiden Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung stammen, in Einzelfällen auch darüber hinaus. Die Grenze wird etwa mit dem Wirken des Origenes (ca. 185-253/54 n.Chr.) gezogen. Da sich ein großer Teil der Autoren der Schriften der frühen christlichen Bewegung (wie z.B. Paulus oder der Autor des Jakobusbriefs) auch und vielleicht sogar in erster Linie als Juden verstand, ist die Grenzziehung zwischen frühjüdischer und frühchristlicher Literatur in vielen Fällen künstlich; sie soll aber aus pragmatischen Gründen beibehalten werden.

2. Versionen des „Alten Testaments“

Unter der Vielzahl an für die Interpretation des Neuen Testaments wichtigen Intertexten spielen besonders die Schriften Israels eine Rolle, deren Sammlung (in unterschiedlichem Unfang) von Christ:innen gemeinhin als „Altes Testament“ bezeichnet wird. Im Neuen Testament werden diese (oder wenigstens Teilsammlungen von ihnen) als „die Schrift“, „die Schriften“, „Mose“, „das Gesetz und die Propheten“ u.a. bezeichnet. Die Bedeutung alttestamentlicher Schriften als besonders privilegierter Intertexte des Neuen Testaments zeigt sich bereits im ersten Vers des Matthäusevangeliums: „Genealogie Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams“ (Mt 1,1). Schon die allerersten Worte des Neuen Testaments sind somit ohne Kenntnis wichtiger Figuren dessen, was Christ:innen heute als Altes Testament bezeichnen, nicht verstehbar. Die meisten Schriften der Hebräischen Bibel (also der hebräischen Fassung des Altes Testaments) gehören sicherlich nicht zur frühjüdischen Literatur ; eine Ausnahme allerdings ist das wohl im 2. Jh. v.Chr. entstandene Buch Daniel, das schon wegen seiner Vorstellung eines endzeitlich agierenden „Menschensohns“ hoch bedeutsam für die Christologie der neutestamentlichen Evangelien ist.

Doch sind die Schriften, die wir heute aus christlicher Perspektive „Altes Testament“ oder „Erstes Testament“ nennen mögen, in vielfältigen Formen überliefert (zur Textgeschichte des AT grundlegend Tov 2011). Einige von ihnen sind für das Verständnis des Neuen Testaments wichtiger als das, was wir heute den „masoretischen Text“ der Hebräischen Bibel nennen. So zeigen die Textfunde aus Qumran, dass in der Zeit Jesu eine Vielzahl von Formen z.T. stabiler, z.T. aber auch recht freier Überlieferung gleichberechtigt nebeneinander kursierten. Wir können also nicht davon ausgehen, dass den Autoren des Neuen Testaments jeweils der gleiche Schrifttext vorlag, den wir in unserer Ausgabe der Hebräischen Bibel finden. Für das Verständnis der Schriften des Neuen Testaments sind vor allem die griechischen Übersetzungen (meist) ursprünglich hebräischer Schriften – ebenfalls z.T. in Textformen, die nicht voll mit dem späteren Masoretischen Text übereinstimmen – entscheidend, die, wenn man von Einzelschriften und ihrer Entstehung ausgeht, am besten mit dem Attribut „Old Greek“ versehen werden. Besser bekannt sind sie als Sammlung von Texten der so genannten „Septuaginta“ (LXX), als „Bibel der Siebzig“, eine Vorstellung, die auf Legenden zur Entstehung dieser Übersetzung (zunächst nur der Tora) durch angeblich siebzig (bzw. zweiundsiebzig) Übersetzer in Alexandria zurückgeht. Wo von der Septuaginta gesprochen wird, ist meist bereits eine christliche Aneignung dieser Übersetzung vorausgesetzt. Mit dieser Übersetzung, deren Ursprünge auf die Mitte des 3. Jahrhunderts v.Chr. zurückreichen, sind wir jedoch bereits im Bereich der frühjüdischen Literatur angelangt (zur Bedeutung der LXX für das Verständnis des NT u.a. Nicklas 2011).

Damit aber zeigt sich erneut, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Textcorpora fließend sind: Die verschiedenen Textformen alttestamentlicher Schriften, die in der Bibliothek von Qumran entdeckt wurden, zeigen auch, dass der Umfang dessen, was zur Zeit Jesu und der frühesten Bewegung von Christusanhängern als „Schrift“ galt, noch recht umstritten war. Während in Qumran das Buch Esther nicht überliefert ist, scheint das in anderen Kreisen abgelehnte Buch Tobit geschätzt worden zu sein. Fragmente des (aus heutiger Sicht) nichtkanonischen ersten Henochbuches deuten darauf hin, dass auch dieses eine wichtige Rolle für die Gemeinschaft spielte. Die Sammlung der Septuaginta (in Form des Codex Alexandrinus) bietet nicht nur eine andere Anordnung der Schriften Israels, als sie in einer Hebräischen Bibel (in Form eines TaNaK) zu finden ist, sondern auch einige Texte, die dort nicht enthalten sind. Diese werden durch Christ:innen der römisch-katholischen Kirche als „deuterokanonisch“ anerkannt: Sie zählen also zum Alten Testament, aber sind von sekundärer Bedeutung. In den evangelischen Kirchen dagegen werden sie zwar geschätzt, zählen aber als (alttestamentliche) „Apokryphen“, d.h. als nicht dem Kanon zugehörig. Hinzu kommen einige wenige Schriften wie etwa das 3. und 4. Makkabäerbuch, die, in einzelnen Handschriften der LXX enthalten, auch in der römisch-katholischen Kirche nicht als kanonisch anerkannt sind, jedoch in Teilen der Orthodoxie (Übersicht bei Evans 1992, 189). Gerade die Tatsache, dass die Entstehung einiger der deuterokanonischen Bücher bzw. Apokryphen des Alten Testaments wie z.B. das Buch der Weisheit Salomos und das 4. Makkabäerbuch sehr nahe an die Produktion der neutestamentlichen Schriften heranrückt, macht auch sie zu für Exeget:innen des Neuen Testaments bedeutsamen Zeugnissen. Die Bedeutung dieser Schriften für das Verständnis des Neuen Testaments lässt sich nur an einigen Beispielen illustrieren (ausführlichere Übersicht bei Nicklas 2021): So bietet etwa das Buch Tobit Einblick in Formen jüdischer Frömmigkeit, die Parallelen z.B. in der Bergpredigt (Mt 6,2-4; vgl. Tob 12,8-9) finden; der Text bietet zudem eine Form der „Goldenen Regel“ (Mt 7,12 par. Lk 6,31; Tob 4,15a); relevant für das Verständnis der im Neuen Testament begegnenden Vorstellungen von der Auferstehung der Toten ist die in 2 Makk 7 (u.a.) zum Ausdruck kommende Idee einer Auferweckung jüdischer Märtyrer; der Text mag zudem Einfluss auf paulinisches Gedankengut (z.B. Gal 1,13-14) gehabt haben. Weish 2,17-20 wiederum könnte die matthäische Darstellung der Passion Jesu beeinflusst haben. Die Beispiele ließen sich fortsetzen – entscheidend aber ist, dass alle genannten Schriften Einblicke in das (vielfältige) Denken und die Probleme eines griechisch-sprachigen Judentums (wenigstens teilweise) der Diaspora geben – und damit in die Welt, aus der Paulus und viele seiner Begleiter wie auch seiner Adressat:innen stammten.

3. Frühjüdische Literatur

Bereits die Rede von „frühjüdische Literatur“ ist in hohem Maße sensibel. Mit dem in älterer Literatur begegnenden Begriff des „Spätjudentums“ bzw. „spätjüdischer Literatur“ wurde implizit die falsche Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass das Judentum der griechisch-römischen Zeit (und damit der Zeit Jesu) eine im Verfall befindliche, rein am Buchstaben des Gesetzes orientierte Religion gewesen sei (weiterführend Müller 1983). Diese könne bestenfalls als dunkle Negativfolie beschrieben werden, die durch Jesus von Nazaret „überboten“ wurde und vor deren Hintergrund das frühe Christentum umso heller strahlen konnte. Dagegen bringt der Begriff „Frühjudentum“ zwar zum Ausdruck, dass mit der durch Alexander den Großen eingeleiteten Epoche des Hellenismus tatsächlich ein Einschnitt erkennbar ist. Dieser Einschnitt aber bedeutet nicht Verfall des Judentums, sondern eine Phase, in der das, was wir heute als Judentum kennen, sich auf höchst lebendige Weise neu aus den Traditionen Israels formierte (Collins 2017). Gleichzeitig ist die Bewegung des „frühen Christentums“ oder, weniger anachronistisch formuliert, sind die verschiedenen Gruppen der frühesten Anhänger Jesu von Nazaret bis ins zweite Jahrhundert hinein (und z.T. darüber hinaus) wenigstens in Teilen als dieser Vielfalt zugehörig zu verstehen. Daneben finden sich auch heute noch andere Bezeichnungen dieser Gruppe von Texten: Problematisch ist der Terminus „zwischentestamentarische Literatur“ (z.B. Caquot – Philonenko 1987), der (ebenfalls implizit) von einem Kanon der hebräischen Bibel ausgeht, welcher zeitlich mehr oder minder in die frühe persische Zeit mit den Schriften Esra und Nehemia reicht. Danach sei für mehrere Jahrhunderte bis zu den Schriften des Neuen Testaments im Grunde keine „kanonische“ (und damit inspirierte) Literatur entstanden. Ähnlich wie bei der Bezeichnung als „Spätjudentum“, wenn auch sicherlich weniger deutlich, wird damit eine „Zwischenphase“ vorausgesetzt, in der die Literatur des Judentums nicht wertvoll genug gewesen sei, um als kanonisch anerkannt zu werden. Erst die Schriften des Neuen Testaments hätten dies wieder geändert. Je nachdem, wie spät man das Buch Daniel datieren möchte oder wie weit man die Septuaginta als eigenständige kanonische Textform (inclusive der deuterokanonischen Texte) anerkennen will, wird dieses Konzept problematisch. Möglich und sinnvoll sind stattdessen Bezeichnungen wie „Jüdische Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels“ (z.B. Grabbe 2010, Gurtner & Stuckenbruck 2020), die die Phase der Entstehung dieser Literaturen schon in der persischen Zeit beginnen und dann (mit mehr oder minder klarem Einschnitt) mit der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n.Chr. enden lässt, oder die Rede vom „Middle Judaism“ (Boccaccini 1991), die stärker als die Bezeichnung „frühes Judentum“ die Kontinuität zwischen dem Israel der persischen Zeit (und zuvor) sowie dem Judentum ab der hellenistischen Epoche (und später) hervorzuheben sucht.

Wie auch immer: innerhalb dieser Gruppe von Texten sind im Verlauf des 20. Jahrhunderts z.T. aufgrund von Funden größerer Textcorpora mehrere „Sammlungen“, die sich wiederum teilweise überlappen, in besonderer Weise hervorgetreten. Da von der „deuterokanonischen Literatur“ bzw. den „alttestamentlichen Apokryphen“ bereits kurz die Rede war, können nun andere Textgruppen in den Blick rücken. Selbst mit dem Folgenden sind noch keineswegs alle Textcorpora angesprochen, die als „frühjüdische Texte“ in einem weiteren Sinne bedeutsam für die Erforschung des Neuen Testaments werden können. Zu denken wäre etwa auch an das Zeugnis von Inschriften und Papyri, die auf verschiedenen Ebenen Einblick in jüdisches Leben (z.T. Alltagsleben) bieten, an astronomische und magische Literatur (z.B. Bohak 2011), an Fragmente jüdischer Historiker oder Dichtung u.a.

3.1 Die Schriften aus Qumran

Einen sicherlich entscheidenden Anteil an der oben anhand der begrifflichen Änderung aufgezeigten Neubewertung frühjüdischer Literatur an sich aber auch im Verhältnis zu den Schriften des Neuen Testaments haben die Funde der Schriften aus der Wüste von Juda ab dem Jahr 1947 und ihre, vor allem durch Emanuel Tov initiierte, intensivierte Edition ab den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die kaum überschaubare Fülle an z.T. hoch fragmentarischen, z.T. bisher unbekannten jüdischen Texten, die v.a. in Qumran zum Vorschein kamen, hat den Blick auf die Breite frühjüdischer Literatur an sich wie auch für das Verständnis des Neuen Testaments dramatisch geweitet. Während die bisher genannten z.T. bereits in griechischer Sprache verfassten Werke der LXX vor allem Einblicke in jüdisches Leben der griechisch-sprachigen Diaspora erlauben, liegt der allergrößte Teil der Texte aus Qumran in hebräischer und aramäischer Sprache vor: Einige Schriften erlauben Einblicke in das besondere Denken wie die Organisation und Lebensweise der häufig mit den anderweitig bekannten Essenern in Verbindung gebrachten Gruppe aus Qumran; andere sind nicht in Qumran selbst entstanden, sondern stammen aus anderen Gruppen und bieten somit einen bisher nie da gewesenen Einblick in die Vielfalt frühjüdischen Lebens und Denkens. Neben Forscher:innen, die sich allein oder ganz vorrangig mit der Literatur aus Qumran (bzw. der Gemeinschaft von Qumran) auseinandersetzen, sind es weiterhin viele Exeget:innen des Neuen Testaments, die hier bewusst einen Schwerpunkt ihrer Expertise(n) setzen. Die Möglichkeiten der auch im Hinblick auf die früheste Jesusbewegung sowie die Schriften des Neuen Testaments bedeutsamen Erforschung der Schriften von Qumran sind schier unbegrenzt. Sie erschöpfen sich keineswegs in der (weiterhin plausiblen) Frage, inwiefern Johannes der Täufer, Jesus selbst (oder auch einige seiner Jünger) von der Gruppe in Qumran direkt beeinflusst oder gar Mitglied in ihr gewesen seien. Wie bereits angedeutet, bieten die Schriften von Qumran Erkenntnisse, um zu verstehen, welche Autorität den Schriften Israels zur Zeit Jesu zukam; zudem bieten sie höchst spannende, in großen Teilen bisher unbekannte Beispiele für Schrifthermeneutiken und Praktiken der Befolgung der Tora in der Zeit des Zweiten Tempels. Sie eröffnen Einblick in Praktiken der narrativen Fortschreibung biblischer Schriften (Texte der so genannten „rewritten Bible“ wie die Kriegsrolle, die Tempelrolle usw.) und erweitern unser Verständnis dessen, wie außerhalb des Neuen Testaments (aber in Teilen gleichzeitig) Motive, Figuren, Gedanken und Konzepte, die wir im Alten Testament finden, in frühjüdischer Literatur weitergedacht und entwickelt werden konnten (z.B. Endzeitvorstellungen, Messiaserwartungen, Tempelkritik, Mahl- und Reinheitspraktiken, Kalender etc.). Schließlich eröffnen sie Möglichkeiten, Formen der Selbstorganisation einer frühjüdischen Gruppierung bis hin zu ihren rituellen Selbstvollzügen besser als bisher nachzuvollziehen.

3.2 Philo von Alexandrien und Josephus

Wie groß die Bandbreite dessen ist, was wir unter frühjüdischer Literatur verstehen, zeigt sich beim Blick auf zwei der größten Autoren griechisch sprachiger frühjüdischer Literatur, deren Oeuvre uns zudem in wichtigen Teilen erhalten ist: Zu nennen ist zunächst das Werk des Philosophen und Schriftauslegers Philo von Alexandrien (15/10 v.Chr.-ca. 40 n.Chr.), von dem knapp fünfzig verschiedene Schriften (wenn auch z.T. nur in Übersetzungen) erhalten sind, ein faszinierendes Zeugnis für den Versuch, jüdische Identität in der Diaspora und höchste Form hellenistischer Bildung, wie sie in einer Metropole wie Alexandria ermöglicht werden konnte, miteinander zu verbinden (einführend Niehoff 2019). Daneben ist an den Historiker und Apologeten Josephus (37- ca. 100 n.Chr.) zu denken, dessen historische Werke wie die „Jüdischen Altertümer“ und vor allem der „Jüdische Krieg“ uns entscheidende, z.T. einzigartige Informationen über die Ereignisse, die zum Jüdischen Krieg bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels führten – genau die Epoche, die auch entscheidende Schriften des Neuen Testaments beeinflusste (zum Folgenden z.B. Mason 2000). Wie alle bisherigen Zeugnisse ist die Bedeutung des Josephus aber nicht einfach darauf zu beschränken: Er vermittelt (nicht nur in seinem apologetischen Werk Gegen Apion) Aspekte der z.T. prekären Situation jüdischer Identitätskonstruktionen im ersten Jahrhundert, zeigt, wie die Schriften Israels aus der Sicht des griechisch sprechenden Historikers verstanden (und z.T. neu geschrieben) werden konnten, und bietet selbst, wenn auch im Detail umstrittene Informationen über Jesus von Nazaret (A.J. 18,3,3) (Mason 2000, 230-269). Jüdische messianische Vorstellungen lehnt er ab, weil diese in den verheerenden Jüdischen Krieg geführt hätten; stattdessen deutet er zumindest an, dass sich im flavischen Kaiser Vespasian die Messiaserwartungen des Judentums erfüllt hätten (B.J. 6,5,4).

3.3 Alttestamentliche Pseudepigraphen

Nur schwer beschreibbar ist schließlich das Corpus der so genannten „alttestamentlichen Pseudepigraphen“ (oder auch „parabiblischen Schriften“ des frühen Judentums), jüdische oder jüdisch wirkende Texte, die ihre Wurzeln wenigstens zu großen Teilen in der oben beschriebenen Epoche finden, welche aber – neben der Überlieferung einiger von ihnen in den Schriften aus Qumran – sich vor allem (zum Teil in verschiedenste antike Sprachen übersetzt) vor allem über die Vermittlung in christlichen Bibliotheken erhalten haben (weiterführend z.B. Gurtner & Stuckenbruck 2020). Hier ist an eine Sammlung zu denken, deren Grenzen sich durch weiterhin nicht abreißende Neufunde und Neueditionen, wie auch durch das in manchen Fällen schwer zu bestimmende Zueinander zu christlicher Literatur nicht klar bestimmen lassen – es finden sich in ihr Apokalypsen und Testamentliteratur, Fortschreibungen biblischer Erzählungen, Gebete und Hymnen, und vieles mehr. Die Bedeutung der meisten „alttestamentlichen Pseudepigraphen“ für die Forschung am Neuen Testament liegt natürlich zunächst einmal auf ganz ähnlichen Ebenen, wie dies in den bisherigen Beispielen der Fall war: Wir erfahren über die Entwicklung von Figuren, Bildern und Motiven, Denkkonzepten und Diskursen zu wichtigen Themen, die sich auch im Neuen Testament finden. Einige Punkte verdienen jedoch, in besonderen Maße hervorgehoben zu werden:

(1) Während das Alte wie auch das Neue Testament jeweils nur eine Apokalypse bieten, nämlich das Buch Daniel und die Offenbarung des Johannes, große Teile des Neuen Testaments aber doch von einer „apokalyptischen Grundstimmung“ getragen sind, zeigt der Blick in die „alttestamentlichen Pseudepigraphen“ sehr deutlich, wie weit verbreitet Apokalypsen und verwandte Literatur (wie z.B. die Sibyllinischen Orakel) in der Zeit des Zweiten Tempels und danach gewesen sein müssen: Einige von ihnen, wie z.B. das Vierte Buch Esra oder das 2. Buch Baruch (zu diesen Texten Siegert 2016, 350-377), sind etwa zur gleichen Zeit entstanden wie die neutestamentliche Offenbarung des Johannes, andere wie das heute in seiner Gesamtheit nur in äthiopischer Sprache erhaltene 1. Buch Henoch, dessen Aufnahme in den alttestamentlichen Kanon diskutiert wurde (und welches im Judasbrief als Schrift zitiert wird), sind in ihrem Einfluss kaum zu überschätzen (z.B. Collins 2017, 62-79): Nur ein Aspekt dessen besteht darin, dass auch 1 Hen die Figur eines endzeitlichen Menschensohnes kennt, der im Neuen Testament wichtig für das Verständnis der Bedeutung Jesu wird.

(2) Weitere Literaturformen wie z.B. die so genannten Testamente, also Abschiedsreden einer bedeutenden Figur, die Entscheidendes für die Identitätskonstruktion der adressierten Gruppe bieten, die für das Neue Testament (z.B. in den johanneischen Abschiedsreden Jesu, womöglich auch für 2 Tim) wichtig werden, sind gerade in den alttestamentlichen Pseudepigraphen in besonderer Fülle und Vielfalt vertreten: Zu denken ist an die Testamente der Zwölf Patriarchen, das Testament des Hiob u.a. Insgesamt bezeugen auch die „alttestamentlichen Pseudepigraphen“ die Vielfalt dessen, was frühjüdisches Schrifttum zwischen Gebeten und Hymnen, historiographischer Literatur, Apokalyptik, Magie, Astrologie u.v.a. bedeutet.

(3) Die Tatsache, dass die meisten der genannten Texte (mit Ausnahme der in Qumran gefundenen Literaturen) alleine in christlichen Bibliotheken tradiert wurden, führt jedoch auch zu einer Schwierigkeit im Umgang mit ihnen. In vielen Fällen stellt sich die Frage, ob die üblicherweise als „jüdisch“ eingeordneten Schriften tatsächlich einem Text aus der Zeit des frühen Judentums entsprechen oder ob uns spätere, christlich bearbeitete Textformen vorliegen (z.B. Davila 2005). Wie ernst dieser Gedanke zu nehmen ist, zeigt sich daran, dass noch bis weit in die Spätantike und wohl auch das Mittelalter christlichen Gruppen bekannt sind, die Schriften um alttestamentliche Figuren produzierten, deren christlicher Ursprung nicht auf den ersten Blick klar und eindeutig ist. Zu denken ist z.B. an ganze Kränze armenischer Literatur um alttestamentliche Figuren wie Abraham, Noah oder Mose (z.B. Stone 2012 & 2015). Wirklich umstritten aber sind v.a. frühere Texte: Kontrovers diskutiert wird z.B., ob die bereits erwähnten Testamente der Zwölf Patriarchen als jüdischer Text, in dem sich Zeichen christlicher Redaktion finden (und eventuell sogar „sortenrein“ ablösen lassen), zu verstehen sind oder nicht. Vorgeschlagen wurde auch, dass es sich um einen genuin christlichen Text handelt, in dem jedoch viele Aspekte dessen, was wir sonst von christlichen Schriften erwarten, nicht vorliegen: So spielt z.B. Jesus von Nazaret in diesen Texten keine Rolle. Vielleicht beruht diese Alternative ja auf einem Anachronismus – womöglich existierte sie für die Produzenten des Textes zumindest nicht in der Form, wie wir sie heute wahrnehmen (Nicklas 2014). All diese Schwierigkeiten, mit denen sich zeigt, wie schwer die Grenzen zwischen frühjüdischer und frühchristlicher Literatur zu ziehen sind, haben aber auch eine positive Seite: Sie zeigen, wie sehr die heute oft allzu schnell vorausgesetzte Differenzierung zwischen Juden und Christen in der Antike einen Anachronismus darstellt. Offenbar waren in vielen Fällen andere Kategorien wichtiger als die, die wir heute auf manche Texte anwenden wollen.

4. Frühchristliche Literaturen außerhalb des Neuen Testaments

4.1 „Apostolische Väter“, Apologeten, Märtyrerliteratur

Neben und in den meisten Fällen etwas nach den Schriften des Neuen Testaments entstand weitere christliche Literatur, deren Untersuchung zwar meist zunächst im Bereich der alten Kirchengeschichte verortet wird, deren Bedeutung für die Exegese des Neuen Testaments jedoch nicht von der Hand zu weisen ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal die Sammlung der so genannten „Apostolischen Väter“ zu erwähnen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit zwischen dem Ende des ersten und dem Ende des zweiten Jh.s entstanden sein dürften: Zu dieser Gruppe werden normalerweise gerechnet der Erste und der Zweite Clemensbrief (auf verschiedene Autoren zurückgehend!), sieben dem Ignatius von Antiochien zugeschriebene Briefe, der Brief und das Martyrium des Polycarp von Smyrna, Fragmente der Schriften des Papias von Hierapolis, die Didache, eine alte Kirchenordnung mit großen Parallelen zum Matthäusevangelium, der Barnabasbrief, die Schrift An Diognet, der Hirt des Hermas, eine umfangreiche, wohl aus Rom stammende Apokalypse, und (wenigstens in einigen Sammlungen) das so genannte Quadratusfragment (Texte u.a. bei Lindemann & Paulsen 1992; Einführung Pratscher 2009). Die Tatsache, dass kaum einer dieser Texte – mit Ausnahme vielleicht der Didache – breit und eindeutig Schriften des Neuen Testaments rezipiert, zeigt bereits auf, dass diesen zumindest im zweiten Jahrhundert meist noch nicht der gleiche Status zukam wie den Schriften Israels.

Erneut sind die „Apostolischen Väter“ mit den Schriften des Neuen Testaments durch eine Vielzahl von gemeinsamen Themen verbunden; in manchen Aspekten – wie z.B. der Entwicklung von „Ämtern“ in den frühen Gruppen von Christusanhängern, Fragen von Abgrenzung gegenüber anderen „christlichen“ wie nichtchristlichen Gruppen oder Entwicklungen frühchristlicher Theologie – bieten sie entscheidende zusätzliche Informationen neben und nach dem Neuen Testament. Ein Text wie die (schwer datierbare) Didache führt uns mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Probleme und Praktiken frühchristlicher Gruppen ein, die denjenigen nahe standen, welche hinter dem Matthäusevangelium und vielleicht auch dem Jakobusbrief stehen. Die Sammlung der Briefe des Ignatius von Antiochien wiederum mag sich an Prozesse der Sammlung paulinischer Briefe anlehnen, sie bietet auch entscheidendes Material für eine Form der Weiterentwicklung christlicher Ämter nach dem, was wir im Neuen Testament finden. Mit dem Martyrium des Polycarp öffnet sich der Blick auf die Beschreibung von Martyrien, die den Tod des Glaubenszeugen wenigstens in einigen Fällen in Anlehnung an die Passion Jesu von Nazaret beschreiben. Der Hirt des Hermas bietet nicht nur Einblicke in die Entwicklung christlicher Bußpraktiken, sondern zeigt auch, dass Apokalypsen sehr anders aussehen können als die Offenbarung des Johannes. Die häufig fälschlich als „Diognetbrief“ bezeichnete, schwer datierbare Schrift an Diognet wiederum lässt sich als Logos Protrepticos, also als eine Art von Werbeschrift für das Christentum, einordnen. Nur angedeutet werden kann hier, dass auch in anderen christlichen Texten der Zeit (z.B. apologetischer Literatur oder Märtyrertexten) Ähnliches möglich ist: Viele dieser Texte sind zwar bereits als Teil der Rezeptionsgeschichte neutestamentlicher Schriften von Bedeutung, gehören aber noch an die (zeitlichen) Ränder der Welt, in denen wenigstens die spätesten Schriften des Neuen Testaments entstanden.

4.2 Christliche Apokryphen

Weitestgehend, aber nicht vollständig in den Bereich der Rezeptionen neutestamentlicher Schriften fallen die so genannten „Christlichen Apokryphen“, eine prinzipiell unabgeschlossene Gruppe von Texten, die v.a. in älterer Literatur auch als „Neutestamentliche Apokryphen“ (in Abgrenzung von den Apokryphen des Alten Testaments) bezeichnet werden. Genau zu beschreiben, welche Texte zu dieser Gruppe von Schriften gehören, ist im Grunde unmöglich (→ Apokryphen): Allen Definitionen des Begriffs gemeinsam ist, dass diese Texte (a) nicht Teil des neutestamentlichen Kanons (geworden) sind und dass sie (b) aber in einem besonders dichten intertextuellen Verhältnis zu den Schriften des Neuen Testaments stehen. Für den Einstieg in die Materie mag es genügen, zu wissen, dass viele christlichen Apokryphen sich ähnlichen Genres wie die Schriften des Neuen Testaments zuordnen lassen und, wo dies nicht der Fall ist, in ihnen Figuren und Grundthemen biblischer Schriften eine entscheidende Rolle spielen oder auch biblische Erzählungen aufgenommen und fortgeschrieben werden. Anders gesagt: Christliche Apokryphen partizipieren an der erzählten und imaginierten Welt der Bibel, ihrer Theologien und Denkweisen.

Erneut kann die Bedeutung christlicher Apokryphen für die Exegese des Neuen Testaments nur exemplarisch vorgestellt werden:

(1) Wie die alttestamentlichen Pseudepigraphen helfen christliche Apokryphen, die Entwicklung von in der Bibel zu findenden Gattungen besser zu verstehen (anders Burridge 1992 [2018]): So zeigt sich, dass der Begriff „Evangelium“ als Bezeichnung einer Schrift deutlich diverser ist als das, was wir im Neuen Testament finden. Wer also das Genre „Evangelien“ verstehen will, muss auch apokryphe Texte mit einbeziehen. Man denke etwa an Sammlungen von Jesusworten (wie etwa das Thomasevangelium), Dialogevangelien (wie etwa das Judasevangelium), vor allem auf die Vorgeschichte der Geburt Jesu konzentrierte Evangelien (wie das Protevangelium des Jakobus), Geburt- und Kindheitsevangelien (wie das arabische Kindheitsevangelium) oder Evangelienmeditationen (wie das Evangelium der Wahrheit aus den Textfunden von Nag Hammadi [NHC I,3]) (Übersicht bei Markschies & Schröter 2012). In jedem Falle wird deutlich, dass die Evangelien des Neuen Testaments bei der Entwicklung von Literaturen, die sich als Evangelien bezeichnen, nicht allein formgebend und leitend gewesen sein mögen. Ähnliche Probleme ergeben sich beim Blick in die anderen oben genannten Großformen, besonders bei Apokalypsen. Zwar hat die neutestamentliche Johannesapokalypse der gesamten Gattung im 19. Jahrhundert (!) den Namen gegeben, dennoch ist sie keineswegs Vorbild für jede Form apokalyptischer Literatur: So bietet die antik-christliche Literatur, aber auch spätere Texte eine Vielzahl so genannter Jenseitsreisen bzw. auf Visionen des Jenseits konzentrierter Schriften. Viele von ihnen, wie die Offenbarung des Petrus oder die Visio Pauli (in einer Vielzahl von Versionen überliefert), spielten eine entscheidende Rolle für christliche Vorstellungen des Jenseits. Formal deutlich von der Johannesapokalypse unterschieden sind aber auch die Sibyllinischen Orakel, z.T. jüdische, z.T. christliche poetische Schriften in griechischer Sprache, welche Prophezeiungen über die (meist als düster verstandene) Zukunft der Welt in den Mund einer heidnischen Prophetin, der Sibylle, legen. Damit aber wird klar: Die Entwicklung der im Neuen Testament erkennbaren Gattungen ist nicht nachvollziehbar, wo man sich alleine auf kanonische Schriften konzentriert.

(2) Besonders intensiv diskutiert wurde dagegen für lange Zeit, ob und inwiefern manche Apokryphen älter sein könnten als zumindest manche Schriften, die sich im Neuen Testament finden. Dies spielt vor allem da eine Rolle, wo man Apokryphen als Zeugnisse alternativer Perspektiven auf das frühe Christentum oder gar den historischen Jesus liest. Tatsächlich sind wohl wenigstens einzelne christliche Apokryphen älter oder ähnlich alt wie manche Schriften des Neuen Testaments: So bewahrt das Thomasevangelium womöglich sehr alte Jesustraditionen unabhängig von den kanonischen Evangelien und könnte die apokryphe Offenbarung des Petrus eine der Quellen des kanonischen Zweiten Petrusbriefes sein (Grünstäudl 2019). Vorgeschlagen wurde auch, dass das heute nur ansatzweise rekonstruierbare Evangelium des Marcion der heute vorliegenden Fassung des Lukasevangeliums vorausliegen könnte (z.B. Smith 2019 und Klinghardt 2020). Die Zahl der hierfür in Frage kommenden Texte ist aber sehr limitiert – und keiner der erwähnten Fälle ist unumstritten. So ist es wohl sehr unwahrscheinlich, dass christliche Apokryphen allzu wertvolles Material für die direkte Rückfrage nach dem historischen Jesus bieten (Nicklas 2011/2). Eher zeigen sie sich relevant für das Verständnis der Entwicklung von Jesustraditionen.

Gleichzeitig zeigen die verschiedenen alternativen Jesusbilder und Jesuserzählungen in den Apokryphen, wie wenig selbstverständlich viele der Entwicklungen sind, die vom Neuen Testament ausgingen. Der Blick in die Apokryphen offenbart in vielen Fällen verloren gegangene Möglichkeiten, z.B. Christologie oder auch Soteriologie zu denken; es kann nicht nur historisch, sondern auch theologisch interessant sein zu verstehen, welche zum Teil durchaus verständlichen Anliegen hinter Entwürfen stecken, die im Laufe der Kirchengeschichte als mangelhaft oder falsch verworfen wurden (z.B. Nicklas 2020). In Apokryphen finden sich Texte, die in unterschiedlicher Weise von der Vielgestaltigkeit Christi sprechen, welche Christus als eine Art von Engel beschreiben, Jesu absolute Tora-Beachtung thematisieren oder darüber nachdenken, inwieweit das Leiden und Sterben Christi mit seiner Göttlichkeit in Verbindung gebracht werden kann. Wahrscheinlich aus Sorge um adoptianistische Formen der Christologie ist das Interesse an der Bedeutung der Taufe Jesu, das sich noch in einigen apokryphen Evangelien (wie auch im Neuen Testament, insbesondere im Markusevangelium) beobachten lässt, weitgehend aus dem Fokus der heutigen systematischen Theologien gerückt. Spannende Möglichkeiten könnten sich dagegen durchaus aus einer Theologie des „wahren Antlitzes Jesu“ ergeben, die auf Formen und Fortsetzungen der Abgar-Legende, aber auch der Veronika-Figur zurückgeht und in der orthodoxen Ikonographie weiterhin sehr präsent ist.

Damit sind nur wenige Aspekte dessen angesprochen, wie christliche Apokryphen für die Exegese des Neuen Testaments bedeutsam werden können: Sie bieten eine gegenüber dem Neuen Testament deutlich erhöhte Bandbreite an (auch kritischen) Reaktionen gegenüber Paulus (z.B. in den so genannten Pseudoklementinen) (z.B. Wehnert 2013), eröffnen eine Vielfalt von Perspektiven auf die (angeblichen) Ursprünge des Christentums, entwickeln Fragen und Themen, die wir auch im Neuen Testament finden, weiter – und bezeugen somit ein Bild der Vielfalt dessen, was wir als (nicht nur) frühes Christentum bezeichnen und wovon die Schriften des Neuen Testaments nur einen ausschnitthaften Einblick geben.

5. Fazit

Die 27 Einzelschriften, die im Kanon des Neuen Testaments enthalten sind, wie auch der Kanon des Neuen Testaments (und damit das Neue Testament als Ganzes) bilden wenigstens im Kern das Materialobjekt des Faches „Neues Testament“, bzw. der neutestamentlichen Wissenschaft. Nur ausschnittweise konnte der Durchgang durch die genannten Quellencorpora zeigen: Die Möglichkeiten, einerseits diesen Kern auf unterschiedliche Weise zu betrachten wie auch andererseits ihn als Zentrum eines bis heute wachsenden, in innerem Zusammenhang stehenden, unüberschaubaren und hochkomplexen Universums von „Texten“, damit aber verbunden auch anderen Medien, zu deuten, welche ohne Kenntnis des Neuen Testaments nicht angemessen interpretiert werden können, sind im Grunde grenzenlos und bieten dem Fach „Neues Testament“ die verschiedensten Möglichkeiten, auch in Zukunft hinein in die verschiedensten Diskurse auch heutiger Gesellschaften wirksam zu werden. Die im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht angesprochenen verschiedenen Formen des Zugangs zu den entsprechenden Quellen – von hermeneutischen Grundüberlegungen bis zur Vielfalt konkreter Methoden – multiplizieren diese Möglichkeiten noch einmal. Heutige Möglichkeiten interdisziplinärer Arbeit auch über die Grenzen der eigenen Institution hinaus machen dies sicherlich leichter, als es noch vor wenigen Generationen der Fall gewesen sein mag.

Siehe auch

Literaturverzeichnis

Weiterführende Literatur und Textsammlungen:

  • Caquot, A., Philonenko, M. (Hg.), La Bible. Écrits intertestamentaires, Paris 1987.
  • Commentaries on Early Jewish Literature (Buchreihe im Verlag de Gruyter).
  • Denis, A.-P. (Hg.), Introduction à la littérature judéo-hellenistique 1-2, Turnhout 2000.
  • Grabbe, L.L., An Introduction to Second Temple Judaism, London, New York 2010.
  • Gurtner, D., Stuckenbruck L. (Hg.), Introducing the Pseudepigrapha of Second Temple Judaism: Message, Context and Significance, Grand Rapids 2020.
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