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(erstellt: März 2009)

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1. Der Zehnte als staatliche und kultische Abgabe

1.1. Königszeit

Von einem Zehnten als staatliche Abgabe ist im Alten Testament nur in 1Sam 8,15.17 die Rede. In dem so genannten „Recht des Königs“ (1Sam 8,11) wird für den Fall der Errichtung einer Monarchie neben anderen Beschwernissen angedroht, dass der König Korn und Weinberge (1Sam 8,15) sowie das Kleinvieh (1Sam 8,17) mit dem Zehnten belegen werde (→ Königtum). Die Datierung des Textes ist strittig. Auch wenn er im Kontext in die Zeit vor der Entstehung des Königtums platziert ist, setzt er wohl bereits Erfahrung mit dem Königtum in Israel voraus. Ob diese nun noch relativ neu ist – der Text also aus der frühen Königszeit stammt –, oder ob der Text bereits eine lange historische Epoche – vielleicht sogar erst nach deren Ende – überblickt: Die antikönigliche Polemik gegen den staatlichen Zehnten ergibt für ihre (impliziten) Adressaten nur Sinn, wenn sie einen solchen staatlichen Zehnten aus eigener Erfahrung kennen. Dagegen muss offen bleiben, ob ein in Jerusalem gefundenes Ostrakon mit Zahlangaben und dem Vermerk „zu verzehnten“, das vom Ende des 8. Jh.s stammt (HAE 195f, Jer [8]:10), in staatlichen oder kultischen Kontext gehört, da es „in nicht klar stratifiziertem Kontext gefunden“ wurde (HAE 194).

Neben dem staatlichen belegt Am 4,4 für die Königszeit einen kultischen Zehnten, der nach → Bethel und → Gilgal geht. Auf den Betheler Zehnten verweist wohl auch das → GelübdeJakobs in Gen 28,22, sofern dabei nicht an eine einmalige Votivgabe gedacht ist. Zu bedenken ist allerdings, dass es sich bei dem Betheler Heiligtum um ein „Königsheiligtum“ (Am 7,13) handelt, sodass möglicherweise zwischen dem staatlichen und dem kultischen Zehnten gar keine strenge Unterscheidung möglich ist. Was für den König bestimmt ist, wird am Tempel eingesammelt, bzw. der vom Tempel erhobene Zehnte kommt auch dem König zugute. Dieses Ineinander bestätigt auch Gen 14,20, wonach → Abraham den Zehnten an → Melchisedek abliefert. Denn Melchisedek ist zugleich „der König von Salem“ bzw. Jerusalem und „Priester des El Eljon“ (Gen 14,18).

Einen für Jerusalem bestimmten Zehnten, der zugleich kultischen wie politischen Zwecken dient, kennt schließlich auch das → Deuteronomium. Zunächst verfügt es, dass im Rahmen der Kultzentralisation der Zehnte an das Zentralheiligtum zu bringen ist (Dtn 12,6.11). Allerdings verliert er dabei seine Bedeutung als Abgabe, soll er doch am Heiligtum von der darbringenden Familie zusammen mit allen von ihr Abhängigen selbst verzehrt werden (Dtn 12,17f; Dtn 14,22-27). Nur alle drei Jahre verbleibt der Zehnte am Ort und dient da der Versorgung der Bedürftigen (Dtn 14,28f; Dtn 26,12-15). Da nur in diesem Fall vom Zehnten als einer echten Abgabe zu sprechen ist, nennt Dtn 26,12 auch nur das dritte Jahr „Zehntjahr“. Die umständliche Konstruktion des Deuteronomiums, einen Zehnten festzulegen, der teilweise seine Bedeutung als Abgabe ganz verliert und da, wo er noch eine Abgabe ist, nicht dem König oder dem Tempel, sondern den Armen zugute kommt, wird nur verständlich, wenn die Adressaten des Textes einen Zehnten kennen. So verweist auch das Deuteronomium indirekt auf die Existenz eines Zehnten während der Königszeit, und zwar ebenfalls in der engen Verquickung von kultischer und politischer Funktion.

1.2. Perserzeit

Erst in nachexilischer Zeit ändern sich die Verhältnisse grundlegend. Infolge des Verlustes der Eigenstaatlichkeit muss die staatliche Steuer jetzt an den fremden Oberherrn, den persischen Großkönig, abgeführt werden. Der daneben fortbestehende Zehnte dient jetzt nur noch der Versorgung des Kultpersonals am Jerusalemer Tempel. Während Lev 27,30-32 allgemein festlegt, dass der Zehnte von Getreide und Baumfrüchten sowie von Rindern und Kleinvieh „JHWH heilig“ ist, also an den Tempel abgeführt werden soll, spezifiziert Num 18,21-32 die Empfänger. Der Zehnte soll an die → Leviten gehen, die die nicht-priesterlichen Dienste am Tempel ausführen müssen und in Israel keinen eigenen Landbesitz haben (Num 18,21-24). Die Leviten ihrerseits sollen den Zehnten vom Zehnten an „den Priester Aaron“ weiterreichen (→ Aaron), also an den Hohenpriester zur Versorgung der Priester, die das Privileg des Opferdienstes haben (Num 18,25-32).

Eine Reihe nachexilischer Texte zeigt, wie diese Regelung in der Praxis ausgesehen hat. Nach Neh 10,38f wird der Zehnte von den Leviten im Land unter priesterlicher Aufsicht eingesammelt und der Zehnte vom Zehnten anschließend in den Tempel verbracht. Dort gibt es Vorratskammern mit dafür bestimmten Aufsehern, in denen der Zehnte gelagert wird (Neh 12,44; Neh 13,5.12). 2Chr 31 datiert die Einrichtung dieses Versorgungssystems zurück in die Zeit → Hiskias, also ins 8. Jh., was gewiss ein Anachronismus ist.

2. Zwischen Gabe und Abgabe – theologische Aspekte

Sowohl der vom König geforderte (1Sam 8,15.17) als auch der zur Versorgung von Leviten und Priestern dienende Zehnte (Num 18,25-32) haben den Charakter von Abgaben, die für bestimmte staatliche bzw. kultische Aufgaben bzw. das sie ausführende Personal erhoben werden. Die Gegenleistung – die im Einzelnen natürlich nicht verrechenbar ist – besteht eben in den Diensten, die die Staatsorgane bzw. das Kultpersonal für die Gemeinschaft ausführen.

Einige Stellen zeigen aber, dass es besonders beim kultischen Zehnten um mehr geht als um eine bloße Versorgungsabgabe. Nach Gen 14,19-21 geht dem Zehnten, den Abraham an Melchisedek abliefert, die → Segnung Abrahams durch Melchisedek vorauf. Jakob gelobt den Zehnten für den Fall, dass Gott ihn auf dem Weg behütet, ihm Nahrung und Kleidung gibt und ihn wohlbehalten in sein Vaterhaus zurückkehren lässt (Gen 28,20-22). In beiden Fällen wird also eine positive Beziehung zwischen Segnung und Zehntem hergestellt. Dasselbe Denkmuster liegt Mal 3,6-12 zugrunde, nur dass es hier um den unvollständig abgelieferten Zehnten geht. Wird er vollständig gebracht, so verspricht der Prophet, dann schüttet Gott seinen Segen „mehr als genug“ aus (Mal 3,10). Der Zehnte wird hier zu einer Gabe. Indem Gott diese annimmt, verpflichtet er sich zugleich zur Gegengabe – seinem Segen –, woraus wiederum die Gabe genommen wird, die Gott als Zehnter dargebracht wird. Es entsteht ein Kreislauf von Gabe und Gegengabe, von Segen und Zehntem, der nur unterbrochen wird, wenn der Zehnte ausbleibt.

Man kann diese Theologie von Segen und Gabe auch für das Deuteronomium unterstellen. Umso markanter wird dann die Tatsache, dass auch das im Heiligtum von der Familie selbst Verzehrte sowie die Abgabe für die Armen als Zehnter bezeichnet werden. Auch sie sind eine Gabe für Gott, obwohl sie gar nicht an den Tempel und sein Personal abgeführt werden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 (Steuern; Abgaben, religiöse)

2. Weitere Literatur

  • Airoldi, N., 1974, La cosidetta „decima“ israelitica antica, Bib. 55, 179-210
  • Baumgarten, J.M., 1984, On the Non-Literal Use of ma‘ăśēr / dekatē, JBL 103, 245-251
  • Cazelles, H., 1951, La dîme israélite et les textes de Ras Shamra, VT 1, 131-134
  • Crüsemann, F., 1985, Der Zehnte in der israelitischen Königszeit, WuD NF 18, 21-47
  • Eissfeldt, O., 1917, Erstlinge und Zehnten im Alten Testament. Ein Beitrag zur Geschichte des israelitisch-jüdischen Kultus (BWAT 22), Leipzig
  • Herman, M., 1991, Tithe as Gift. The Institution in the Pentateuch and in Light of Mauss’s Prestation Theory, San Francisco
  • Jagersma, H., 1981, The Tithes in the Old Testament, OTS 21, 116-128

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