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Verleumdung

(erstellt: November 2019)

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1. Verleumdung und Lüge

Verleumdung ist die Verbreitung von Unwahrheiten über eine Person, die geeignet sind, ihr Ansehen herabzusetzen bzw. sie als Straftäterin zu diffamieren. Anders als die → Lüge, die als solche im Alten Testament nicht in jedem Fall kriminalisiert wird, wird die Verleumdung ausdrücklich verboten (Lev 19,16). Üble Nachrede, die nicht auf Lügen basiert, wird in diesem Artikel nicht berücksichtigt (anders Hendel). Begründet wird die Ächtung der Verleumdung mit ihrer sozialen Sprengkraft. Zugleich wird diffamierende Rede als ein bei Machtkämpfen am Hofe häufig gewähltes Mittel dargestellt. Innerhalb der Feindbeschreibungen der → Psalmen ist die Verleumdung eine der typischen Verhaltensweisen der Gegner der Betenden. In der Weisheitsliteratur (→ Weisheit) wird der Verleumder und Lügenzeuge als Schüler der Torheit und damit als Gegenfigur zum Weisen präsentiert.

2. Terminologie

Es gibt kaum hebräische Begriffe, die allein auf die Bezeichnung der Verleumdung bezogen sind. In den meisten Fällen muss die Bedeutung „Verleumdung“ aus dem Kontext geschlossen werden.

2.1. רָכִיל rākhîlVerleumdung“: Die zugrunde liegende Wurzel רכל rkl bezeichnet das Tun des (umherziehenden) Hausierers. Insofern beschreibt das Derivat רָכִיל rākhîl den Akt der Verleumdung als ein „hausieren gehen“ mit übler Nachrede. Vgl. die Verleumder (אַנְשֵׁי רָכִיל ’anšê rākhîl Ez 22,9) und das verleumderische Tun (הלך רָכִיל hlk rākhîl „als Verleumder umhergehen“ in Lev 19,16; Jer 6,28; Jer 9,3 sowie Spr 11,13 und Spr 20,19).

2.2. רגל rgl „als Verleumder herumlaufen“: Die Wurzel רגל rgl wird in den meisten Fällen für den Spion oder Kundschafter verwendet, wo aber die Zunge rennt (Ps 15,3) oder die Pielform mit Präposition בְ verwendet wird (2Sam 19,28) läuft der Verleumder. Das Partizip der ähnlichen und möglicherweise verwandten Wurzel רגן rgn kennzeichnet im → Sprüchebuch den Verleumder (Spr 16,28; Spr 18,8; Spr 26,20.22).

2.3. לשׁן lšn „lügen / verleumden“: Wiederum mit einem an der Verleumdung beteiligten Körperteil, der Zunge (לָשׁוֹן lāšôn) nämlich, wird die auch für die Verleumdung verwendete Wurzel לשׁן lšn gebildet (vgl. Spr 30,10; Ps 101,5 sowie den „Mann der Zunge“ in Ps 140,12; Hi 5,21).

Da Verleumdung sich der Lüge bedient, können viele Begriffe, die für „Lüge“ verwendet werden, auch Verleumdung bezeichnen. So wird etwa die Wurzel כזב kzv für die verleumdende Lüge verwendet, wenn etwa die Gegner des Beters den Sturz des Beters planen und dafür auch nicht vor Lüge zurückschrecken (Ps 62,5).

Die Verleumdung als Betrug wird mit Derivaten der Wurzel רמה rmh formuliert. So steht an einigen Stellen der allgemeine Ausdruck des Betrugs מִרְמָה mirmāh für die Verleugnung (vgl. Ps 35,20-21; Ps 38,13; Ps 109,2-3).

Der umfassend Lüge und Betrug bezeichnende Begriff שׁקר šqr kann die verleumderische Lüge bezeichnen (vgl. die Lügenlippen in Ps 120,2). Im Zusammenhang von → Dekalog und weisheitlicher Rede bezeichnet das Wort den „Lügenzeugen“ vor Gericht (Ex 20,16; Spr 6,19 und öfter) – die gefährlichste Spielart des Verleumders. In der Parallele in Dtn 5,20 wird dieser Lügenzeuge mit dem Begriff שָׁוְא šāw’ bezeichnet, hier liegt ein Schwerpunkt auf der Nichtigkeit der gerügten Zeugenaussage.

Das allgemeines Unheil und Schlechtigkeit bezeichnende Wort אָוֶן ’āwæn wird teilweise auf Wortäußerungen bezogen und bezeichnet etwa in Jes 58,9, zusammen mit dem „Zeigen des Fingers“ vermutlich die Verleumdung (vgl. auch Spr 17,4).

3. Warnung vor und Verurteilung der Verleumdung

Dass innerhalb des Volkes üble Nachrede zu unterlassen ist, wird in Lev 19,16 festgelegt. Die Regel verbindet sich im nachfolgenden Vers (Lev 19,17) mit der Aufforderung, einem anderen nicht nach dem Leben zu trachten. Dtn 19,16-21 legen fest, dass falsche Zeugenschaft vor Gericht entsprechend der vorgeworfenen Schuld geahndet werden soll (Talionsrecht / „Spiegelstrafe“). Den Verleumder trifft die Strafe, die er durch Lüge dem Beklagten angedeihen lassen will.

Diese Regel „Gleiches mit Gleichem“ zu vergelten, wird jedoch fallweise angepasst. So beispielsweise in Dtn 22,13-21 hinsichtlich des Umgangs mit Verleumdungen im Bereich der Ehe. Die an dieser Stelle nicht verhängte Todesstrafe wird von Wells (Wells, 56) u.a. damit begründet, dass Rechtsgegner nicht die Braut sei, sondern der Brautvater.

4. Verleumdung als Machtinstrument

Besonders schwer wiegt die Verleumdung in Form des Falschzeugnisses, wie sie unter anderem im Dekalog angesprochen wird (Ex 20,16 und Dtn 5,20). Die Gefahr der Verleumdung besteht jedoch nicht allein im Gericht. Auch bei Machtkämpfen anderer Art wird die Verleumdung als Waffe eingesetzt.

Die machtvolle Wirksamkeit von Verleumdung lässt sich auch literarisch beobachten, etwa in 2Sam 19,28. Die Berichte lassen offen, ob es sich bei der Aussage des Knechts Ziba, → Merib-Baal sei → David abtrünnig geworden (2Sam 16,1-4) um Wahrheit oder Verleumdung handelt. Im Rahmen der sogenannten → Thronfolgegeschichte (2Sam 9-20; 1Kön 1-2*) erfüllen jedoch allein der Vorwurf der Abtrünnigkeit und der Gegenvorwurf der Verleumdung den Zweck, beide Kontrahenten in schlechtes Licht zu setzen (Fleming).

Verleumdung ist ein gern gewähltes Mittel in Machtkämpfen gleich welcher Art und sie droht vor allem demjenigen, der nicht über die Mittel verfügt, sich zu verteidigen (Ps 73,8). Entsprechend mag das Schicksal ungerechtfertigter Verleumdung tatsächlich zur besonderen Erfahrung des unter Fremdherrschaft stehenden Volkes zu gehören (vgl. Dan 3,6; Dan 6,25 und Dan 14,12, Est 4,8; Est 7,4 und Est 8,1 sowie 2Makk 4,1; 2Makk 14,27).

Auch in theologischen Kontroversen werden Verleumdungen eingesetzt, um die Gegenseite zu kompromittieren, vgl. etwa die Klage → Jeremias über die üble Nachrede, der er ausgesetzt ist (Jer 20,10; → Konfessionen Jeremias). Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Häufung von Verleumdungsklagen im Bereich der sogenannten Armenpsalmen. So rahmt die Beschreibung und Verwünschung der Gegner des Betenden mit dem Vorwurf der üblen Nachrede Ps 109 (Ps 109,2.20). Vorwürfe übler Nachrede finden sich außerdem in folgenden Psalmen, die als Armenpsalmen klassifiziert werden: in Ps 12,3-5, Ps 35,11f.15f.20f.; Ps 37,32f; Ps 40,5.15f.; Ps 62,5; Ps 69,5; Ps 73,8f.; Ps 102,9; Ps 140,2-6. Offenbar ist der schlechte Leumund des betenden Ich, den seine Gegner bewusst provozieren, wesentlich in der Auseinandersetzung der Parteien.

5. Verleumdung und Torheit

Verleumdung führt zum Verderben der Gemeinschaft (Spr 16,27-28), weil sie für Streit sorgt (Spr 26,20, vgl. Spr 16,28). Die gemeinschaftsschädigende Wirkung der Verleumdung wird im Buch der Sprüche immer wieder hervorgehoben. Entsprechend ist die Frage nach dem umsichtigen Umgang mit Wort und Rede wesentlich für die Weisheitsliteratur. Zu viele Worte führen geradezu zwangsläufig zur Sünde (Spr 10,19) und so zeigt sich der notorische Gegenspieler des Weisen, der → Tor (כְּסִיל esîl), als einer, der sich viel redend in übler Nachrede übt (Spr 10,18).

Das unkontrollierte, gemeinschaftsschädigende Sprechen kann als Gegenmodell zum rechten Verhalten des weisen Zöglings angesehen werden. In diese Richtung deuten auch Spr 26,20-28. In diesen Versen wird die Warnung vor Verleumdung verbunden mit der Warnung, auf den Verleumder hereinzufallen. Die glatt eingehende Rede des Lügners (Spr 26,22) verbindet sich motivisch mit der Beschreibung von Frau Torheit bzw. der Beschreibung der fremden Frau in Spr 1-9 (vgl. Spr 5,3). Tatsächlich ergibt die Prüfung des → Herzens (Spr 17,3), dass es zum Bösen nicht nur des Verleumders bedarf, sondern auch der Menschen, die die üble Nachrede freudig aufnehmen (Spr 17,4). Auch Letzteres muss deshalb, gerade wegen der Eingängigkeit böser Worte, als töricht gelten.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Fleming, Erin, Casting Aspersions, Writing a Kingdom: Sexual Slander and Political Rhetoric in
  • 2 Sam 3:6-11, 2 Sam 6:16-23, and 1 Kgs 2,13-25, VT 67 (2017), 414-431
  • Hendel, Russel Jay, Numbers: The Lawbook on Speech Morality, JBQ 39/2 (2011), 74-81
  • Klopfenstein, Martin A., Die Lüge nach dem Alten Testament. Ihr Begriff, ihre Bedeutung und ihre Beurteilung, Zürich / Frankfurt a.M. 1964
  • Ro, Johannes Un Sok, Die sogenannte „Armenfrömmigkeit“ im nachexilischen Israel (BZAW 322), Berlin u.a. 2002
  • Wells, Bruce, Sex, Lies, and Virginal Rape: The Slandered Bride and False Accusation in Deuteronomy, JBL 124 (2005), 41-72
  • Scherer, Andreas, Das weise Wort und seine Wirkung. Eine Untersuchung zur Komposition und Redaktion von Proverbia 10,1-22,16 (WMANT 83), Neukirchen-Vluyn 1999

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