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2.2. Das Matthäusevangelium (Mt)

Übersicht über das Evangelium nach Matthäus

1,1-4,22 Vorgeschichte
4,23-9,35 Jesus als der Messias des Wortes und der Tat
9,36-11,1 Aussendung der Jünger
11,2-16,20 Das Entstehen der Gemeinde in der Auseinandersetzung um das Wesen Jesu
16,21-20,34 Jüngerbelehrung
21,1-25,46 Wirksamkeit Jesu in Jerusalem
26,1-27,66 Passionsgeschichte
28 Ostergeschichten (28,18-20 Missionsbefehl)

Der Autor

Die älteste uns erreichbare Verfassertradition, die auf Papias von Hierapolis (ca. 125) zurückgeht, nennt den Jünger Matthäus als den Autor des ersten Evangeliums. Er soll es in hebräischer Sprache abgefasst haben. Der Text des Evangeliums bietet allerdings keine Hinweise darauf, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Es ist auch kaum wahrscheinlich, dass ein Augenzeuge (Matthäus) auf ein anderes Evangelium (Mk) als Quelle zurückgegriffen hätte. Die Verfassertradition dürfte auf 9,9 zurückgehen, denn dort wird der Name des in Mk 2,14 Levi genannten Zöllners mit Matthäus angegeben. Diese Namensänderung wurde offenbar als biographischer Hinweis des Verfassers verstanden, entspricht aber einer auch sonst im Mt zu beobachtenden Tendenz, unbekannte Personen mit bekannten zu identifizieren (vgl. 27,56 mit Mk 15,40). Wir müssen also davon ausgehen, dass der Verfasser des Evangeliums ein uns namentlich nicht bekannter Christ war, der erst später mit dem Jünger Matthäus identifiziert worden ist.

Der Evangelist war sehr wahrscheinlich ein christlicher Schriftgelehrter (vgl. 13,52). Darauf deuten sowohl sein Umgang mit dem Alten Testament als auch der kunstvolle Aufbau des Evangeliums hin. Der Autor nutzt Symbolzahlen (z. B. die Sieben, vgl. die sieben Weherufe in Kap. 23) als Gliederungsprinzip, schafft bewusst Dubletten, die bestimmte Abschnitte hervorheben (z. B. 4,23; 9,35), baut Vorverweise ein, die spätere Themen und Ereignisse gleichsam präludieren (vgl. 3,15 als Vorverweis auf das Thema der Bergpredigt), und setzt gezielt theologische Schlüsselbegriffe ein, um das Grundthema für größere Abschnitte zu bezeichnen (z. B. „erfüllen“, „Königsherrschaft der Himmel“ und „Gerechtigkeit“ in 5,17-27).

Die Entstehungssituation

In der Forschung ist die Frage umstritten, ob das Mt in einem juden- oder heidenchristlichen Milieu entstanden ist. Für beide Einordnungen lassen sich gewichtige Argumente beibringen. Wahrscheinlich beschreibt die Frage aber eine falsche Alternative. Das Mt ist über weite Strecken von judenchristlicher Tradition geprägt. Der Evangelist greift in den „Reflexionszitaten“ auf das Alte Testament zurück und bezeichnet das Auftreten Jesu als die Erfüllung der dort überlieferten Verheißungen (vgl. 1,22f.; 2,5f..15.17f.; 3,3 u. ö.). Die Tora wird grundsätzlich als verbindlich anerkannt (5,17-19) und die Mission Jesu ist auf die „verlorenen Schafe Israels“ begrenzt (10,5f.; 15,24). Schließlich ersetzt der Evangelist „Königsherrschaft Gottes“ aus dem Mk (fast) konsequent durch „Königsherrschaft der Himmel“, vermeidet also nach jüdischer Sitte jede Assoziation des Gottesnamens. Das spricht dafür, dass er selbst Judenchrist war.

Der Evangelist schreibt allem Anschein nach für eine juden-christliche Gemeinde, die den Schritt zur Heidenmission vollzogen hat. Dieser scheint aber nicht unumstritten gewesen zu sein, da sich das Evangelium als ein Plädoyer für die Verbreitung des Evangeliums unter den Völkern lesen lässt. Zugleich ist das Mt auch ein Dokument des frühchristlichen Ablöseprozesses von der Synagogengemeinde. Das Heil gilt selbstverständlich allen Völkern (28,18-20; vgl. 22,1-14). Der Evangelist übernimmt aus Mk die programmatische Diskussion der Unterscheidung von „rein“ und „unrein“ im kultischen Sinne (15,1–20) und deutet die entsprechenden Worte Jesu dezidiert ethisch (Mk 7,19b fehlt!). Die rituellen Vorschriften für den Sabbat haben ihre Bedeutung verloren (vgl. 12,1-8 mit Hos 6,6 als Zielpunkt). Die Kirche wird als das wahre Israel angesehen (8,11f.; 21,33-46; vgl. 22,7–10), während das alte Heilsvolk verworfen ist, weil es den Willen Gottes nicht tut (vgl. 21,43; 5,20; 23). Die deutliche Distanz der Adressaten zur jüdischen Synagogengemeinschaft wird auch durch die Sprache des mt Jesus manifestiert, der von „ihren Schriftgelehrten“ (7,29) und „euren Synagogen“ (23,34) spricht. Die Art der Polemik in Mt 23 u. ö. zeigt aber zugleich, dass diese Distanz begründet werden muss, da die inhaltliche Nähe insbesondere zum pharisäischen Judentum spürbar ist.

Ein grundlegendes Problem der mt Gemeinde besteht aus der Sicht des Evangelisten darin, dass „die Liebe der Vielen erkaltet“ (24,12). Als Ursache nennt er das Auftreten von „Gesetzlosigkeit“. An anderer Stelle wird deutlich, dass er mit diesem Vorwurf auf Leute in der Gemeinde zielt, die zwar das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Herrn sprechen, aber „den Willen des Vaters im Himmel“ nicht tun (7,21). Der Evangelist bemüht sich also, verbindliche christliche Verhaltensnormen zu etablieren.

Abfassungsort und -zeit

Versucht man die Gemeinde, für die das Mt geschrieben worden ist, genauer zu lokalisieren, weisen die Indizien nach Syrien (Antiochia?), das in 4,24 ausdrücklich genannt wird. Der Evangelist nennt den See Gennesaret im Anschluss an Mk unbefangen ein „Meer“ (kennt also wohl kein größeres Gewässer) und wenn er von Gebieten „jenseits des Jordan“ spricht, meint er die Gegend westlich des Jordan (19,1; vgl. das Zitat 4,15f. in seinem Kontext). Das Mt setzt die Zerstörung Jerusalems im Jüdischen Krieg bereits voraus (vgl. 21,41; 22,7; 23,38). Auf Verfolgungen der Christen von Seiten der Juden blickt der Evangelist als vergangenes Problem zurück. Dagegen rechnet er mit weltweiten Verfolgungen der Christen und sieht die eigentliche Gefährdung in innergemeindlichen Problemen (24,9-14). Die Entstehung des Evangeliums wird aus diesen Gründen meist in die Zeit zwischen 80 und 90 n. Chr. datiert.

Die Reden im Matthäusevangelium

Matthäus ordnet sein Material noch stärker als seine Vorlage Mk thematisch. So stellt er das Spruchgut zu fünf großen Reden zusammen, die sein Evangelium prägen: Bergpredigt (5-7), Aussendungsrede (10), Gleichnisrede (13), Gemeinderegel (18), Doppelrede gegen die Pharisäer und von den letzten Dingen (23-25). Diese Reden sind noch besonders dadurch hervorgehoben, dass der Evangelist nach jeder Rede mit einer fast gleichlautenden Wendung fortfährt (7,28; 11,1; 13,53; 19,1; 26,1). Durch die ausgedehnten Reden stellt Matthäus Jesus in seinem Evangelium vor allem als Lehrer dar (vgl. 23,8; 28,19).

Die Vorgeschichte

1,1-25 Herkunft Jesu („Urkunde des Ursprungs“)
2,1-23 Geburtsgeschichten
3,1-17 Auftreten des Täufers und Taufe Jesu
4,1-11 Versuchungsgeschichte
4,12-22 Beginn der Wirksamkeit Jesu

Das Mt wird mit einer ausführlichen Darstellung des „Ursprungs Jesu Christi“ eröffnet (1,1-25). Der Stammbaum Jesu beginnt mit Abraham, dem Stammvater der Juden, und führt über 3mal 14 Geschlechter bis zu Jesus. Durch diese Einteilung wird die Davidssohnschaft Jesu hervorgehoben. Die Schilderung des Traumgesichts des Josef betont die Jungfrauengeburt (1,18.20 – „schwanger durch den Heiligen Geist“; 1,23 mit dem Zitat aus Jes 7,14 LXX) und deutet den Namen Jesu.

Es folgen vier Geburtsgeschichten (2,1-23), die in ihrer Topik vor allem aus der jüdischen Moselegende schöpfen. Der Evangelist nutzt sie, um zentrale Themen seines Werkes anklingen zu lassen. So erscheinen die Magier als Repräsentanten der Fremdvölker, die dem Messias huldigen.

Der Evangelist fasst die Botschaft des Täufers mit denselben Worten zusammen wie die Botschaft Jesu (3,2/4,17). Damit charakterisiert er ihn als Vorläufer Jesu, dessen Auftreten er ankündigt. In der Taufe wird Jesus als der geistbegabte Gottessohn offenbar, der gekommen ist, um „alle Gerechtigkeit zu erfüllen“ (3,15; 3,1-17). Die Versuchungsgeschichte (4,1-11) stellt sicher nicht zufällig die Versuchung der Weltherrschaft an das Ende. Sie bildet damit das negative Gegenstück zu 28,18-20.

Jesus als der Messias des Wortes und der Tat

4,23-25 Summarium
5,1-7,29 Bergpredigt
8,1-9,34 Die Taten Jesu als Ausweis seiner Vollmacht
9,35 Summarium

Der 1. Hauptteil des Mt wird durch zwei fast gleichlautende Summarien (4,23/9,35) gerahmt. Sie verbinden programmatisch die Verkündigung Jesu mit seinen Krankenheilungen.

Die Bergpredigt (5,1-7,29) repräsentiert im Sinne des Evangelisten die Lehre Jesu schlechthin (5,2; vgl. die Reaktion der Hörer in 7,28). Sie wird mit einer Reihe von 9 Seligpreisungen eröffnet, die in die beiden Bildworte vom Salz und vom Licht münden. Die Verheißung des Himmelreichs und das Tun der Gerechtigkeit bestimmen das Wesen christlicher Existenz, sind Licht vor den Menschen (5,16). 5,17-20 bilden den Eingangsrahmen der Rede. Jesus ist gekommen, um die Tora zu „erfüllen“ (5,17). Daraus erwächst die Forderung der „besseren Gerechtigkeit“ (5,20), die in den sogenannten Antithesen exemplarisch Gestalt gewinnt. Die Tora wird im eigentlichen Sinne des Wortes radikalisiert (Radix [lat.]– Wurzel), so dass am Ende die Forderung steht, „vollkommen“ zu sein wie der himmlische Vater (5,48), der über Böse und Gute die Sonne scheinen lässt.<