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2.5. Das Johannesevangelium (Joh)

Übersicht über das Evangelium nach Johannes

1,1-18 Prolog (Logoshymnus)
1,19-51 Der Täufer als Zeuge des Offenbarers, Jüngerberufungen
2,1-12,50 Die Offenbarung Jesu vor der Welt
13,1-17,26 Die Offenbarung Jesu vor den Seinen
18,1-20,29 Die Erhöhung und Verherrlichung des Offenbarers (Passion und Auferstehung)
20,30f. Der Zweck des Evangeliums
21,1-25 Nachtragskapitel der Redaktion

Besonderheiten

Das Joh unterscheidet sich erheblich von den synoptischen Evangelien. Das betrifft zunächst den Rahmen der Wirksamkeit Jesu. Im Joh wandert Jesus mehrfach zwischen Galiläa und Judäa bzw. Jerusalem hin und her. Er wirkt mehr als zwei Jahre, denn der Evangelist erwähnt drei Paschafeste (2,13; 6,4; 11,55). Auch das Todesdatum Jesu differiert im Joh von dem der Synoptiker. Nach diesen wird Jesus am Tag des Paschafestes gekreuzigt. Das Joh dagegen datiert seinen Tod auf den Tag vor dem Paschafest (vgl. 18,28; 19,31).

Auch literarisch bewegen wir uns im Joh im Vergleich zu den synoptischen Evangelien in einer anderen Welt. Das Joh wird von Reden Jesu geprägt, die eher thematischen Reflexionen gleichen. Die Taten Jesu dienen entweder als Anlass für seine Reden (z. B. Kap. 6) oder sind in größere Szenen mit Dialogen und Reden eingebaut (z. B. Kap. 11). Dabei erscheinen die Wunder Jesu bis zum Äußersten gesteigert (11,39: Lazarus liegt schon vier Tage im Grab; 2,6: 480-720 l Wasser werden in Wein verwandelt).

Der Verfasser

Die älteste für uns greifbare Verfassertradition überliefert Irenäus von Lyon in seiner Schrift gegen die Häretiker. Danach ist Johannes, Sohn des Zebedäus, einer der zwölf Jünger Jesu, Verfasser des Evangeliums. Vermutlich greift diese Tradition die Angaben der johanneischen Redaktion aus Kap. 21 auf. Dort wird in 21,24 „der Jünger, den Jesus liebte“ als Verfasser des Evangeliums bezeichnet. Da nur in Joh 21,2 die beiden Zebedäussöhne erwähnt werden, könnten beide Angaben miteinander kombiniert worden sein und hätten so zu der Verfasserangabe geführt, die Irenäus tradiert. Vielleicht hat man aber auch den in Kleinasien (Ephesus) bekannten Presbyter Johannes, der gelegentlich mit dem Joh in Verbindung gebracht wird, (fälschlicherweise) mit dem Zebedaïden identifiziert.

Sowohl die literarische Gestalt als auch das theologische Profil des Joh sprechen dagegen, dass ein Augenzeuge und Jünger Jesu sein Verfasser war. Die Verkündigung des „Reiches Gottes“, die nach dem Zeugnis der synoptischen Evangelien im Zentrum der Botschaft Jesu stand, fehlt im Joh fast vollkommen (nur 3,3.5). Dagegen verkündigt der joh Jesus sich selbst (vgl. vor allem die „Ich-bin-Worte“ [6,35; 8,12; 10,7.11; 11,25; 14,6; 15,1]). Das ist im Grunde genommen auch das einzige Thema der Offenbarungsreden des Joh.

Sein theologisches Profil weist den Verfasser des Joh als einen Autor aus, der die Wirksamkeit Jesu mit erheblichem Zeitabstand und auf einem hohen Reflexionsniveau betrachtet. Damit dürfte er kaum zur Generation der ersten Zeugen gehören. Da der Verfasser intensiv Traditionen nutzt, deren Ursprung im hellenistischen Judentum zu suchen ist, war er selbst möglicherweise Judenchrist. Dafür könnte auch die Geschichte der Adressaten sprechen.

Die Adressaten/Abfassungssituation

In seiner Endgestalt ist das Joh mit Sicherheit für eine heidenchristliche Gemeinde bestimmt. Jüdische Bräuche werden mehrfach für die Leser erläutert (2,6; 11,55; 18,28; 19,40). Auch das gespannte Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern kann nicht einfach als bekannt vorausgesetzt werden (4,9). Hebräische und aramäische Fremdworte werden übersetzt (1,38.41.42; 4,25 u. ö.). Die Frage der Einhaltung der Tora spielt keine Rolle mehr.

Der Ursprung der joh Gemeinde dürfte hingegen in judenchristlichem Milieu zu suchen sein. So wird dreimal (9,22; 12,42; 16,2) der Ausschluss aus der Synagogengemeinde als Folge des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus erwähnt. Das setzt voraus, dass es eine Zeit gab, in der dieses Problem für die Gemeinde aktuell und bedrängend war. Zur Zeit der Abfassung des Evangeliums ist der Bruch vollzogen. Das spiegelt die distanzierte Rede von „den Juden“ wider, die als Gegner Jesu erscheinen und schließlich als Teufelssöhne bezeichnet werden (8,37-45). Aber auch diese scharfe Polemik setzt noch eine ursprüngliche Nähe voraus.

Im Nachtragskapitel 21 betont dann eine Gruppe, dass das Zeugnis des Lieblingsjüngers „wahrhaftig“ sei (21,24; vgl. 19,35). Das ist ein Indiz für eine neue, veränderte Konfliktsituation. Vermutlich war das Bekenntnis, dessen Zeuge der Lieblingsjünger nach Kap. 21 ist, umstritten. In der Gemeinde sind anscheinend Christen aufgetreten, die die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi leugneten (Doketisten?). Aus dem Joh selbst sind hier nur vorsichtige Schlüsse möglich. Genauere Hinweise bietet erst der 1Joh.

Abfassungsort und -zeit

Als mögliche Varianten für den Entstehungsort des Joh werden in der Forschung Kleinasien (speziell Ephesus) und Syrien diskutiert. Für Kleinasien sprechen vor allem die altkirchliche Tradition, die Auseinandersetzung mit doketischen Tendenzen und die Wirkungsgeschichte des Joh. Für Syrien sprechen der Ursprung der angesprochenen Gemeinde (Kap. 1 reflektiert eine anfängliche Konkurrenz zur Täuferbewegung, Kap. 4 setzt wohl Kontakte zu den Samaritanern voraus) und die Nähe zur mandäischen Literatur, den Oden Salomos und den Briefen des Ignatius von Antiochien.

Die vorausgesetzte Diskussion um das christologische Bekenntnis, der literarische Charakter des Joh und die älteste handschriftliche Überlieferung legen eine Entstehung der Endfassung des Joh zu Beginn des 2. Jh. (ca. 100–110) nahe.

Literarische und theologische Besonderheiten

Mit dem Joh haben wir eine Schrift vor uns, die deutliche Spuren eines längeren Wachstumsprozesses trägt. Die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (7,53-8,11) fehlt in der ältesten Textüberlieferung. Sie trägt gänzlich unjohanneische Züge und ist sicher später eingefügt worden. Auch die Notiz in 4,2, dass nicht Jesus, sondern seine Jünger tauften, dürfte eine spätere Korrektur sein.

In der Forschung ist weithin unbestritten, dass es sich bei Kap. 21 um den Nachtrag einer Redaktion handelt. Darauf deuten sowohl der doppelte Evangelienschluss (20,30f./21,25) als auch die Identifizierung des Lieblingsjüngers mit dem Verfasser des Evangeliums hin, da in 21,23 dessen Tod vorausgesetzt ist. Ob die Redaktion noch weitere Spuren im Evangelium hinterlassen hat, ist umstritten. Die überraschende Weiterführung der Abschiedsrede in 15,1 (nach 14,31) und der Schluss der Brotrede (6,51c-58 mit der Bezugnahme auf das Herrenmahl) lassen das vermuten. Auch die zum vorherigen Geschehen unpassende Überleitung in 6,1 könnte auf eine Umstellung innerhalb des Textes hindeuten, die dann ebenfalls auf die Redaktion zurückzuführen wäre. Weitere Abschnitte werden unter diesem Aspekt diskutiert.

Das Evangelium wird durch den Prolog und die Bemerkung über den Zweck des Evangeliums gerahmt. Die dazwischenliegenden Teile verraten ein ausgeprägtes Interesse des Autors an perikopenübergreifenden Zusammenhängen (es finden sich immer wieder Vor- und Rückverweise). Er gestaltet dramatische Szenen (Kap. 9). Häufig arbeitet der Verfasser mit mehrdeutigen Begriffen (z. B. „weggehen“ 7,34; 8,21) und Aussagen Jesu, die erst im Kontext nachösterlicher Christologie verständlich werden (z. B. 2,19). Die Deutung bietet er in eingefügten Kommentaren für die Leser, die so auf einer Metaebene über den Sinn des Geschehens informiert werden.

Die joh Theologie bedient sich häufig dualistischer Aussagen. Licht und Finsternis, Oben und Unten, der gottferne „Kosmos“ und der Gesandte und Offenbarer Gottes und „die Seinen“ werden einander gegenübergestellt.

Der Prolog

Der Verfasser eröffnet sein Evangelium mit einem Hymnus auf den präexistenten Logos (λόγος/logos = Wort). Dabei greift er auf die frühjüdische Weisheitstheologie zurück. In den Hymnus sind zwei Abschnitte eingefügt worden (1,6-8.15), die von der Wirksamkeit Johannes des Täufers berichten. In diesen Abschnitten wird der Täufer bewusst gegenüber dem Logos abgewertet.

In der letzten Strophe des Hymnus (1,14-18) wird der Logos mit dem Sohn Gottes identifiziert. In ihm ist der Logos Fleisch geworden und hat auf der Erde gewirkt (1,14 – paradoxe Verknüpfung von „Fleisch“ als Synonym für die irdische Schwäche des Menschen und „Herrlichkeit“). Nur der Logos hat direkten Zugang zu Gott. Die Menschen sind auf seine Offenbarung und Auslegung Gottes angewiesen (1,18).

Der Täufer, die ersten Jünger

Nach dem eröffnenden Hymnus berichtet auch das Joh von der Wirksamkeit Johannes des Täufers. Das Hauptinteresse liegt dabei auf der Verhältnisbestimmung Jesus-Täufer. Der Täufer betont ausdrücklich, dass er nicht der Messias ist (1,20), sondern der untergeordnete Vorläufer des Kommenden. Jesus ist das „Lamm Gottes“ (1,29.36) und als Geistträger der Geisttäufer (1,32-34). Die ersten beiden Jünger Jesu stammen aus dem Umkreis des Täufers. Drei weitere Jüngerberufungen folgen.

Die Offenbarung Jesu vor „der Welt“

2,1-12 Hochzeit zu Kana
2,13-25 Tempelreinigung 
3,1-21 Jesus und Nikodemus
3,22-36 Das Zeugnis des Täufers über Jesus
4,1-42 Jesus auf dem Weg durch Samaria
4,43-54 Heilung des Sohnes des königlichen Beamten
5,1-47 Heilung des Gelähmten am Teich Betesda, Offenbarungsrede über die Vollmacht Jesu
6,1-71 Speisung der 5000, Seewandel Jesu, Brotrede, Spaltung unter den Jüngern und Bekenntnis des Petrus
7,1-8,59 Jesus beim Laubhüttenfest in Jerusalem, Offenbarungsrede vom Licht der Welt und der Sendung Jesu, Streit mit den Juden
9,1-10,21 Heilung des Blindgeborenenund nachfolgende Auseinandersetzungen (10,1-18 Hirtenrede)
10,22-42 Streitgespräch mit den Judenbeim Tempelweihfest
11,1-57 Auferweckung des Lazarus, Todesbeschluß des Hohen Rates
12,1-11 Salbung in Betanien, Todesbeschluss gegen Lazarus
12,12-50 Einzug in Jerusalem, letzte Offenbarungsreden

In der ersten Hälfte seines Evangeliums berichtet Joh von der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. Dabei wird der Abschnitt 2,1-3,36 durch das abschließende letzte Zeugnis des Täufers noch einmal besonders hervorgehoben.

Die öffentliche Wirksamkeit Jesu beginnt mit dem Weinwunder bei der Hochzeit in Kana (2,1-12). In 2,4 erfolgt der erste Verweis auf „die Stunde Jesu“. Am Ende wird das Wunder als „Zeichen“ (σηµεῖον/semeion) bezeichnet. Dieser Begriff spielt für das Verständnis der Taten Jesu im Joh eine ganz erhebliche Rolle.

Die Tempelreinigung (2,13-25), die die synoptischen Evangelien im Zusammenhang des Auftretens Jesu in Jerusalem vor der Passion berichten, steht bei Joh am Anfang der Wirksamkeit Jesu. In ihr wird zeichenhaft sein Geschick sichtbar (2,21f.).

In der Offenbarungsrede Jesu, die aus dem Gespräch mit Nikodemus (3,1-21) erwächst, werden wesentliche Linien joh Theologie entfaltet. In der Sendung des Sohnes wendet sich Gottes Liebe der Welt zu. Die Haltung der Menschen zum Sohn (Glaube/Unglaube) entscheidet hier und jetzt über ihr Schicksal (präsentische Eschatologie).

Das abschließende Zeugnis des Täufers (3,22-26) betont noch einmal seine Vorläuferrolle und wiederholt leicht modifiziert die Aussagen der Offenbarungsrede.

Auf dem Weg durch Samaria (4,1-42) trifft Jesus die Frau am Jakobsbrunnen. Gott muss „im Geist und in der Wahrheit“ angebetet werden (4,24). Damit werden alle partikularistischen Kulte hinfällig. Als zweites Zeichen folgt die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten (4,43-54).