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Andere Schreibweise: denarius; denarii (engl.)

(erstellt: Mai 2017)

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1. Der Denar: Die römische Standardsilbermünze für Jahrhunderte

Beim Denar handelt es sich um eine in der Regel aus Silber geprägte Münze, die über mehrere Jahrhunderte das römische Standardnominal war (vgl. Reiser, 459: „Leitwährung“; Schwank, 226; Howgego, 129: „für 450 Jahre die maßgebliche Silbermünze“). Kupferprägungen mit einem hauchdünnen Silberüberzug lassen sich hingegen ab dem 3. Jh. n. Chr. nachweisen. Der Name Denar leitet sich von denarius, je zehn enthaltend / der Zehner, ab. Gemeint ist damit ursprünglich jenes Nominal, das zehn Assen entspricht. Auf manchen Denaren wird dieser Umstand epigraphisch durch ein X auf dem Avers als Zahlzeichen bezeugt.

1.1. Gewicht, Silberanteil und Münzverschlechterung

Mit dem Aufkommen des Denars am Ende des 3. Jh.s v. Chr. (214-211 v. Chr.: 2. Punischer Krieg) hat das Nominal zunächst ein Gewicht von ca. 4,55 g, der Feingehalt von Silber beträgt über 95% (alle Angaben nach Mlasowsky, 476f; vgl. auch Howgego, 13.129.132-139.150). Bereits im Übergang zum 2. Jh. v. Chr. wird indes das Gewicht der Münze, der Münzfuß, auf 3,8 g reduziert. Damit wird es möglich, aus der gleichen Menge Silber eine höhere Anzahl von Münzen zu gewinnen, wobei sich zugleich der Wert der Münze, als Kurantmünze entspricht der Nominalwert der Münze ihrem Materialwert, verschlechtert. Das muss im Übrigen nicht einen Verlust an Kaufkraft mit sich bringen, hängt die Inflation doch auch von den konkreten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Gleichwohl ist es bemerkenswert, dass die Münzverschlechterung im Blick auf den Denar sehr früh nach seinem ersten Aufkommen einsetzt.

Mit der Münzreform des Kaisers → Nero (vgl. Wolters / Ziegert, 46f) nimmt der Wertverfall des Denars zu (vgl. auch die Übersicht bei Howgego, 134, für die Abnahme des Münzgewichts im Blick auf in Rom geprägte Denare). Ein Denar hat nun neu ein Gewicht von ca. 3,4 g bei einem Silberfeingehalt von 93%. Auch die ebenfalls silberne griechische → Drachme wurde spätestens in dieser Zeit dem Gewicht des Denars angepasst. Von Drachme und Denar konnte insofern auch synonym gesprochen werden (vgl. Reiser, 460.476; Schwank, 226; Alkier, 314), was sich etwa auch in entsprechenden Umrechnungs- und Verhältnisangaben zeigt: So notiert z.B. der Papyrus 30 (Zeile 21) aus dem Wadi Murabbacat – ein Kaufvertrag für eine Liegenschaft samt Gebäude aus dem Jahr 135 n. Chr. (vgl. Koffmahn, 183) –, dass 88 Denare genau 22 Tetradrachmen entsprechen. Auf etwa 3 g Gewicht bei einem Silbergehalt von ca. 72% sinkt der Denar im Verlauf des 2. Jh.s n. Chr. Mit der Münzreform des Kaisers Caracalla um das Jahr 215 n. Chr. verliert der Denar, der bereits in der frühen Kaiserzeit mehr und mehr in den Schatten des Aureus gerückt ist, schließlich seine Funktion als Leitmünze an den Antoninian, eine neu eingeführte Silbermünze. Diese hatte trotz des Gewichtes von ca. 5 g nominell den Wert von zwei Denaren. Ihr Name leitet sich vom Cognomen des Caracalla, Marcus Aurelius Antoninus, ab. Die Emissionen des Denars nehmen nach 235 n. Chr. mit dem Tod des Severus Alexander deutlich ab. Er wird als kupferne Münze mit dünnem Silberüberzug bei verringertem Durchmesser (von 23 mm auf 18 mm) weiter geprägt, verschwindet dann aber aus der Welt des konkret greifbaren römischen Geldes und lebt nur noch als römische Recheneinheit fort (von freilich späteren Münzprägungen nach dem Untergang des Imperium Romanum abgesehen, die den Begriff Denar / Denier erneut verwenden [gegenwärtig z.B. der mazedonische Denar]).

1.2. Das Verhältnis des Denars zu anderen Nominalen

Hatte der Denar ursprünglich einen Wert von zehn Assen, so dürfte er ab der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. einen Gegenwert von 16 Assen gehabt haben, was in der massenhaften Prägung kupferner Asse begründet liegt. Nicht der Denar an sich ist also wertvoller geworden, sondern das Ass hat an Wert verloren. Ein Denar entspricht dann 4 Sesterzen oder 8 Dupondien bzw. 16 Assen oder 32 Semissen oder 64 Quadrantes. Umgekehrt hatte ein Aureus den Gegenwert von 25 Denaren.

1.3. Von der Dea Roma zum Kaiserportrait: Wandlungen in der Ikonographie

Die Denare der römischen Republik zeichnen sich dadurch aus, dass sie ikonographisch nur eine relativ begrenzte Bildsprache verwenden. Zumeist wird auf dem Avers die Göttin Roma mit geflügeltem Helm abgebildet (später wohl auch die Göttinnen und Götter Diana, Mars und Bellona). Auf dem Revers finden sich oft die Dioskuren Castor und Pollux.

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Mit dem Übergang zum Prinzipat verändert sich in der späten Republik auch die Ikonographie auf den Denaren. Abbildungen von lebenden Personen wie Caesar, Marc Anton und Octavian werden möglich. Ab der Kaiserzeit zieren das Avers der Denare regelmäßig die zwar geschönten und z.T. nicht alternden, aber letztlich doch realistischen Portraits der römischen Kaiser bzw. von Angehörigen ihrer Familien. Die Epigraphik der Münzen nennt dabei Namen und Titel. Die Bildsprache des Revers wird in der Kaiserzeit zur primären Kommunikationsfläche politischer Botschaften, die durch die Kombination von Text (Epigraphik) und Bild (Ikonographie) verdichtet sind. Das sind in der Regel symbolisch dichte Darstellungen des kaiserlichen Wirkens in all seinen Facetten. Dazu gehören z.B. Darstellungen, die ein für den jeweiligen Kaiser zentrales, aber letztlich gleichwohl immer lokal wie temporal kontingentes Ereignis aus dem Leben des Kaisers gleichsam in die Breite kommunizieren und damit dauerhaft präsent halten.

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Ebenso können die vielfältigen Formen der Leistungen des Kaisers und seiner Familie zugunsten des Staates und seiner Bevölkerung präsentiert werden. Zu diesen über Münzen kommunizierten „Leistungsnachweisen“ gehören z.B. Miniaturdarstellungen von Gebäuden, die sich der kaiserlichen Baupolitik verdanken, Darstellungen von militärischen Eroberungen und Siegen, die der römische Kaiser zum Nutzen des Reiches errungen hat, und vom Kaiser als Triumphator und Friedensbringer, der durch erfolgreich geführte Kriege die pax Romana wiedererrichtet und das Imperium ausgedehnt hat. Zudem finden sich auch Darstellungen der Personifikationen kaiserlicher Herrschertugenden wie der clementia, der virtus oder der pietas, aber auch symbolische Darstellungen jenes eher alltäglichen Nutzens, den die kaiserliche Herrschaft unmittelbar für die Untertanen hat, etwa die wirtschaftliche Prosperität, dargestellt durch Füllhörner, oder die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Getreide, dargestellt durch Ährengebinde. Auch Kombinationen solcher Motive lassen sich finden. Numismatische Datenbanken (etwa die Sammlungen des British Museums, das Münzkabinett der Staatlichen Museen Berlin, die numismatische Bilddatenbank Eichstätt, die Sammlungen des Bibel+Orient Museums [Freiburg / Schweiz], das Netzwerk universitärer Münzsammlungen in Deutschland [NUMID] oder auch die Website coinarchives.com) bieten dafür zahlreiche Beispiele.

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Denare sind insofern – auch aufgrund ihrer reichsweiten Verbreitung – eines der primären Massenkommunikationsmittel zwischen dem Prägeherren der Münzen, letztlich also dem römischen Kaiser, und den Bewohnern des Imperium Romanum. Für die Rekonstruktion der politischen, kultur-, sozial- und religionsgeschichtlichen Situation im Umfeld der biblischen Texte und damit für die interpretierende Einbettung dieser Texte in den Horizont ihrer Entstehungszeit sind Denare daher eine ausgesprochen relevante „Textgattung“.

2. Denare in der Septuaginta

Im Gegensatz zum Nominal der → Drachme, die selbst und ihre Vielfachen in der → Septuaginta mehrfach belegt sind, findet sich keine einzige Erwähnung des römischen Standardnominals Denar in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Die Übersetzer der Septuaginta denken offenkundig ganz aus der Perspektive hellenistischer Kultur. Eine kommunikative Übersetzung in eine römisch / lateinisch geprägte Welt ist im Blick auf die Welt des Geldes nicht angezielt.

3. Denare im Neuen Testament

Konträr zum semantischen Inventar der Septuaginta fällt der Befund im Neuen Testament aus, das nur selten von Drachmen spricht. An 16 Stellen ist innerhalb der neutestamentlichen Erzählwelt demgegenüber von Denaren die Rede. Mit Ausnahme von Apk 6,6 finden sich sämtliche Verwendungen in der Evangelienliteratur. Dabei sticht vor allem das → Matthäusevangelium heraus, in dem sich zumindest numerisch die meisten Belege (6) für das Nominal finden. Überbewerten wird man diesen Befund nicht dürfen, finden sich doch vier dieser Belege in der gleichen Perikope: Mt 20,1-16. Das Matthäusevangelium denkt, wenn es vom Geld spricht, letztlich in gleicher Weise aus einer eher römischen Perspektive, wie dies die übrigen neutestamentlichen Texte auch tun (und lässt sogar Erwähnungen des Denars im → Markusevangelium aus, vgl. Mk 6,37 diff. Mt 14,17 [par. Lk 9,13]; Mk 14,5 diff. Mt 26,9). Römische Nominale überwiegen bei weitem ihre griechischen Pendants (→ Numismatik, → Drachme). Im Neuen Testament findet sich der Denar dabei an folgenden Stellen: Mt 18,28; Mt 20,2.9.10.13; Mt 22,19; Mk 6,37; Mk 12,15; Mk 14,5; Lk 7,41; Lk 10,35; Lk 20,24; Joh 6,7; Joh 12,5; Apk 6,6 (2-mal).

Überblickt man die Erzählzusammenhänge, in denen der Denar anzutreffen ist, dann lassen sich die verschiedenen Verwendungen der Realie des Denars systematisieren. Auffällig ist, dass von Denaren dabei nie nur als Zahlungsmittel die Rede ist. Stets werden die Denare funktional als Element der Charakterisierung eingesetzt oder steht ein Denar selbst unmittelbar im Zentrum der Erzählung.

3.1. Der Denar als charakterisierendes Erzähldetail

In den allermeisten Texten erscheint die Erwähnung von Denaren als Element der Charakterisierung von Erzählfiguren oder Lebensumständen. Zu nennen sind der barmherzige Samariter, der zwei Denare aufwendet (Lk 10,35), die der Nachsorge für das Überfallopfer dienen, dem er in einem ersten Schritt Erste Hilfe zuteilwerden ließ. Die Erwähnung der zwei Denare hat dabei „keine andere Funktion, als das außerordentliche Engagement des Samaritaners für den um seine Barschaft gebrachten Überfallenen zu demonstrieren“ (Wolter, 397).

Als Wertangabe, die zugleich der Charakterisierung des Verhaltens einer Frau als scheinbar unsoziale Verschwendung dient, wird in Mk 14,5 par. Joh 12,5 von Öl gesprochen, mit dessen Verkauf um die 300 Denare hätten erlöst werden und in die Armenfürsorge fließen können.

In der ersten Massenspeisungserzählung Mk 6,35-44 (vgl. auch Joh 6,1-15) wird von den Schülern Jesu erwogen, ob mit 200 Denaren (Mk 6,37) genug Brot zu kaufen wäre, um die anwesende Menge, nach Mk 6,44 fünftausend Männer, zu speisen. Je nach Verständnis des Verses kann das entweder als Zweifel, vielleicht gar als Ironie der Schüler Jesu verstanden werden (Zweifel: vgl. z.B. Dschulnigg, 189; Ironie: Klostermann, 63 [„dreiste Gegenfrage“]). Sie kontern damit die aus ihrer Sicht sie überfordernde, vielleicht gar für sie unsinnige Aufforderung Jesu, sie selbst sollten der Menge zu essen geben: „Sollen wir etwa für 200 Denare einkaufen gehen?“, ist dabei gerade angesichts des jesuanischen Verbotes, überhaupt kupfernes Kleingeld mit sich zu tragen (Mk 6,8), als ironisch-zweifelnde Antwort zu verstehen, frei nach dem Motto: „Du hast uns das Mitnehmen von Geld verboten und jetzt sollen wir Nahrung für so viele besorgen? Wie soll das gehen?“. Ein solches Verständnis setzt freilich voraus, dass 200 Denare genügen würden, um eine Menge von 5000 Männern zu speisen (das wird von Blatz, 282f, explizit bejaht: für 200 Denare erhält man etwa 1600 kg Brot, womit etwa 1/3 Brotlaib pro Mann zur Verfügung stünde). In diesem Fall würde die Ironie der Schüler sich auf ihren Meister beziehen. Alternativ kann man die erzählte Antwort der Schüler durchaus auch als kritische Spitze des Erzählers im Blick auf die Schüler Jesu werten. Dann muss man voraussetzen, dass der Vorschlag aus Mk 6,37 ernstgemeint ist. In der Folge hätten die Schüler Jesu entgegen dem jesuanischen Verbot (Mk 6,8) nicht nur Kleingeld dabei, sie würden sogar eine stattliche Menge Silbermünzen mit sich herumtragen und hätten einmal mehr gegen die jesuanischen Weisungen verstoßen und noch nicht verstanden, was Jesusnachfolge inhaltlich bedeutet. Diese Sicht des Textes erhält gewisse Unterstützung aus einem Erzähldetail in Mk 6,38: Denn die Schüler Jesu haben, das ist eindeutig, fünf Brote (und zwei Fische) bei sich und sollten nach Mk 6,8 eben gerade keine Brote mit sich herumtragen. Die Erwähnung der 200 Denare ordnet sich mithin in das markinische Konzept des Schülerunverständnisses ein (Lau, 464-466).

In Apk 6,6 begegnet die Figur einer Art himmlischen Marktschreiers, der „ein Choinix Weizen für einen Denar und drei Choinices Gerste für einen Denar“ anpreist. Choinix ist dabei ein Trockenmaß für Getreidesorten, wobei ein Choinix ca. einem Liter Getreide entspricht. Nach Roloff (81; vgl. auch Lohse, 46, der von einer acht- bis zwölffachen Teuerung spricht) ist ein Denar allerdings ein Preis, der nur als Wucher bezeichnet werden kann, liegt er doch etwa beim Zehnfachen des Normalpreises. Die Erwähnung des Denars dient also der Charakterisierung der Lebensumstände, die in Zeiten von Krieg und Katastrophe herrschen, wie sie durch die Öffnung der ersten Siegel in Apk 6 erzählt werden: Preissteigerungen, Lebensmittelverknappung und Hungersnöte sind die Begleiterscheinungen des Krieges.

In zwei Gleichnissen wird schließlich der Denar als Element der kontrastierenden Charakterisierung (Charakterisierung durch Analogie) verwendet. In Lk 7,40-43 begegnen zwei Geldschuldner, die jeweils unterschiedliche Summen von Denaren dem gleichen Mann schulden: 500 vs. 50. Beiden wird die Schuld erlassen, weil sie den Kredit nicht mehr bedienen können. Der lukanische Jesus nutzt diese kleine Erzählung, um bei seinem Gesprächspartner Simon eine Änderung seiner Einstellung im Blick auf die anwesende „Sünderin“ zu bewirken. Noch deutlich krasser fällt der wertende Kontrast in Mt 18,21-35 aus. Hier stehen sich wiederum zwei Schuldner gegenüber, wobei der eine die unglaubliche Summe von 10.000 Talenten schulden soll (Mt 18,24). Diese wird ihm, was wohl nur in der Welt der Parabel möglich ist, von seinem Gläubiger erlassen (Mt 18,27). Der so Beschenkte lässt nun seinerseits wenig Gnade walten. Seinen Schuldner, der ihm 100 Denare schuldet (Mt 18,28), lässt er in Schuldhaft nehmen und die Schuldsumme durch Zwangsarbeit abarbeiten. Die 100 Denare stehen insofern den 10.000 Talenten gegenüber, die umgerechnet einer Summe von 60.000.000 Denaren entsprechen (1 Talent = 6000 Denare). Die fraglos überzeichneten Kontraste (der Kleinschuldner schuldet den 600.000sten Teil) dienen zur Charakterisierung von Großzügigkeit und Hartherzigkeit. Mit diesem Kontrast will die Parabel zur grenzenlosen zwischenmenschlichen Vergebungsbereitschaft motivieren (Mt 18,21f; vgl. auch Konradt, 293-296).

3.2. Ein Denar als Mindestlohn für alle? Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16)

In der Parabel von den → Arbeitern im Weinberg (vgl. zur Perikope Konradt, 306-312; Avemarie, 461-472; Luz, 138-156), die als ein Himmelreichgleichnis vorgestellt wird (Mt 20,1) und im Kontext der Frage nach dem Lohn für die geleistete Nachfolge steht (vgl. Mt 19,27-30; Mt 20,20-28), begegnet der Denar nicht weniger als viermal: zunächst als Tageslohn, der den Tagelöhnern der Frühe (gegen 6.00 Uhr) als Entlohnung angeboten wird. Auf diese Entlohnung lassen sie sich ein (Mt 20,2) und gehen ans Werk.

Die Perikope Mt 20,1-16 ist dabei ein wesentlicher Beleg für die These, dass ein Denar der Standardtageslohn für einen Tagelöhner in neutestamentlicher Zeit war, mit dem er sich und seine Familie einen Tag versorgen konnte. Ob diese Gleichung tatsächlich zutreffend ist, ist allerdings umstritten und Gegenstand von Forschungsdebatten (vgl. ausführlich → Numismatik 2.3).

Mit welchem Lohn die in der Folge in der dritten (9.00 Uhr), sechsten (12.00 Uhr), neunten (15.00 Uhr) und elften Stunde (17.00 Uhr) angemieteten Tagelöhner rechnen dürfen, lässt der Text bewusst offen. Sie sollen erhalten, was „immer gerecht ist“ (Mt 20,4). Darin liegt einer der Clous der Erzählung, die ab Mt 20,8 die Auszahlung der Tageslöhne in umgekehrter Reihenfolge erzählt. Dazu werden zunächst alle Arbeiter zusammengerufen. Alle sollen in der Erzählwelt miterleben, welchen Lohn jede Gruppe erhält, angefangen bei den letzten bis hin zu den Arbeitern der Frühe. Die angesichts der Auszahlung von einem Denar an die Arbeiter der elften Stunde (Mt 20,9) geweckte Erwartung der Arbeiter der Frühe auf eine proportional höhere Entlohnung (Mt 20,10) wird indes bitter enttäuscht: Auch sie erhalten, wie alle anderen auch, einen Denar, also jene Summe, auf die sie sich am Anfang eingelassen haben. Der Hausherr entlohnt offenkundig nicht nach Kriterien der Leistungsgerechtigkeit, sondern zahlt einen Mindestlohn für alle aus – unabhängig von der faktisch geleisteten Arbeit. Ein Denar entspricht damit dem, was „gerecht ist“ (Mt 20,4). Und diesen gerechten Lohn erhalten alle, die sich in den Dienst des Hausherrn haben stellen lassen und sich für die Arbeit im Weinberg von ihm haben in Anspruch nehmen lassen. Dieses Himmelreichgleichnis will dabei kaum für die soziale Option eines bedarfsgerechten Mindestlohns für alle votieren, sondern macht eine Aussage über das „Königtum der Himmel“ und die göttliche Lohngerechtigkeit im Rahmen der Nachfolge. Dabei wird am Denar exemplifiziert: „Dabei sein ist alles!“ Das Himmelreich ist keine Leistungsgesellschaft, in der die besonders Frommen und Engagierten mit besseren Plätzen und einem höheren Lohn rechnen können. Entscheidend ist vielmehr, sich überhaupt in Dienst nehmen zu lassen und in die Jesusnachfolge einzutreten. Wie lange und in welchem Umfang das geschehen ist, spielt für das Matthäusevangelium augenscheinlich keine Rolle. Der Lohn der Nachfolge ist für alle, die sich auf die Nachfolge einlassen, gleich: In der Erzählwelt der Parabel „ein Denar“. Ehrenplätze im Himmel mag es geben, aber sie werden nicht nach Kriterien der Leistungsgerechtigkeit besetzt und stehen nicht automatisch den Jesusschülern der ersten Stunde zu (vgl. Mt 19,27-30; Mt 20,21).

3.3. Das Konterfei des Kaisers: Der Denar als Steuermünze (Mk 12,13-17 par. Mt 22,15-22; Lk 20,20-26)

In Mk 12,13-17 (par. Mt 22,15-22; Lk 20,20-26) steht der Denar schließlich ganz im Zentrum eines literarisch geschickt inszenierten Streitgesprächs (vgl. zur Perikope z.B. Schreiber, 65-85 [zu den politischen Implikationen der Perikope als einem Beispiel für das Ineinander von public und hidden transcript im Neuen Testament]; Ostermann, 48-53 [der die numismatischen Realien detailliert aufarbeitet und argumentiert, dass es in der erzählten Zeit praktisch keine Denare im geographischen Palästina gab und die Erzählung in der vorliegenden Form eine nachösterliche Bildung ist]). Ausgangspunkt ist die Jesus von einigen → Pharisäern und Herodianern hinterhältig vorgelegte Streitfrage, ob dem Kaiser Steuern zu zahlen seien oder nicht. Der synoptische Jesus erkennt die Verschlagenheit, die in dieser Form der Fragestellung und ihren binären Antwortoptionen steckt, waren doch sowohl ein klares Ja wie auch ein klares Nein gesellschaftspolitisch heikle Optionen, insofern sie entweder Auflehnung gegen die römische Besatzung und den Kaiser oder Anerkenntnis der Besatzung und damit Aufgabe des Herrschaftsanspruches des einen Gottes bedeuteten (vgl. z.B. Ebner, 125f). Jesus zieht sich geschickt aus der Affäre, indem er unter Rückgriff auf einen Denar Kaiser und Gott in seiner Antwort kontrastiert. Dazu erbittet Jesus in der markinischen und lukanischen Erzählung unmittelbar einen Denar von seinen Gegnern – er selbst trägt also ganz im Einklang mit den Aussendungsregeln (Mk 6,8 par. Mt 10,9; Lk 9,3) kein Geld bei sich und kann damit praktisch die Steuer schon nicht bezahlen (!) – und erhält ihn dann im Markusevangelium auch umgehend (im → Lukasevangelium bleibt unklar, ob der Denar auch zu Jesus gebracht wird; im Matthäusevangelium hingegen verlangt Jesus nach einer Steuermünze und erhält daraufhin einen Denar). Seine im Licht dieses Denars formulierte Gegenfrage zielt auf Epigraphik und Ikonographie des Averses der Münze ab: Wessen Bild und Aufschrift trägt die Münze? Die Antwort seiner Gegner: „Des Kaisers“, ist eindeutig und deckt sich mit den numismatischen Realien. Das kaiserliche Portrait, seine Namen und seine Titel finden sich auf der Münze, die damit als Eigentum des Kaisers erscheint. Die abschließende Antwort Jesu, auf die hin die Erzählstimme das Staunen der Gegner Jesu erzählt, kontrastiert nun jene Größen, die auch in der Fangfrage nach dem Zahlen der Steuer implizit präsent waren: Kaiser und Gott. Was dem Kaiser gehört, ist dem Kaiser zu geben, und was Gott gehört, ist Gott zu geben, ist die Antwort Jesu. Damit wird die binäre Antwortoption „Ja oder Nein“ durch die explizit theologische Option an die Gegner Jesu zurückgespielt, die ihrerseits nun überlegen müssten, ob die Besitzansprüche des Kaisers nicht von den viel umfänglicheren Ansprüchen Gottes übertroffen werden.

Numismatik / → Münze

Literaturverzeichnis

1. Verwendete Literatur

  • Alkier, S., 2003, „Geld“ im Neuen Testament – Der Beitrag der Numismatik zu einer Enzyklopädie des Frühen Christentums, in: S. Alkier / J. Zangenberg (Hgg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments (TANZ 42), Tübingen, 308-335
  • Avemarie, F., 2007, Jedem das Seine? Allen das Volle! (Von den Arbeitern im Weinberg). Mt 20,1-16, in: R. Zimmermann u.a. (Hgg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh, 461-472
  • Blatz, H., 2016, Die Semantik der Macht. Eine zeit- und religionsgeschichtliche Studie zu den markinischen Wundererzählungen (NTA NF 59), Münster
  • Dschulnigg, P., 2007, Das Markusevangelium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 2), Stuttgart
  • Ebner, M., 2008, Das Markusevangelium. Neu übersetzt und kommentiert, Stuttgart
  • Howgego, C., 2000, Geld in der Antiken Welt. Was Münzen über Geschichte verraten, Darmstadt
  • Klostermann, E., 41950, Das Markusevangelium (HNT 3), Tübingen
  • Koffmahn, E., 1968, Die Doppelurkunden aus der Wüste Juda. Recht und Praxis der jüdischen Papyri des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. samt Übertragung der Texte und deutscher Übersetzung (StTDJ 5), Leiden
  • Konradt, M., 2015, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen
  • Lau, M., 2018, Der gekreuzigte Triumphator. Eine motivkritische Studie zum Markusevangelium (NTOA 114), Göttingen
  • Luz, U., 1997, Das Evangelium nach Matthäus 3. Teilband: Mt 18-25 (EKK I / 3), Zürich / Neukirchen-Vluyn
  • Lohse, E., 51979, Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), Göttingen
  • Mlasowsky, A., 1997, Art. Denarius, DNP III, 476-477
  • Ostermann, S., 2009, Lepton, Quadrans und Denar. Drei Münzen im Jerusalemer Tempel zur Zeit Jesu, in: G. Theißen u.a. (Hgg.), Jerusalem und die Länder. Ikonographie – Topographie – Theologie (FS M. Küchler; NTOA 70), Göttingen, 39-56
  • Reiser, M., 2000, Numismatik und Neues Testament, Bib. 81, 457-488
  • Roloff, J., 1984, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich
  • Schreiber, S., 2004, Caesar oder Gott (Mk 12,17)? Zur Theoriebildung im Umgang mit politischen Texten des Neuen Testaments, BZ 48, 65-85
  • Schwank, B., 1999, Das Neue Testament und seine Münzen, EuA 75, 214-233
  • Wolter, M., 2008, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen
  • Wolters, R. / Ziegert, M., 2014, Umbrüche – Die Reichsprägung Neros und Domitians im Vergleich, in: S. Bönisch-Meyer u.a. (Hgg.), Nero und Domitian. Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich (Classica Monacensia 46), Tübingen, 43-80

2. Literaturempfehlungen

  • Alkier, S., 2003, „Geld“ im Neuen Testament – Der Beitrag der Numismatik zu einer Enzyklopädie des Frühen Christentums, in: S. Alkier / J. Zangenberg (Hgg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments (TANZ 42), Tübingen, 308-335
  • Reiser, M., 2000, Numismatik und Neues Testament, Bib. 81, 457-488

3. Weiterführende Literatur

  • Göbl, R., 1978, Antike Numismatik, Bd. 1-2, München
  • Ziegler, R., 2004, Münzen, Münzsysteme und Münzumlauf im Palästina der frühen römischen Kaiserzeit, in: K. Erlemann / K.L. Noethlichs (Hgg.), Neues Testament und Antike Kultur. Band 1: Prolegomena – Quellen – Geschichte, 130-136

Abbildungsverzeichnis

  • Denar des Caius Plutius (Rom, 121 v. Chr.; 3,878 g Silber): Avers: die Göttin Roma nach rechts mit geflügeltem Helm; Zahlzeichen X links; in Punktekranz; Revers: nach rechts galoppierende Dioskuren mit Piloi und je einem Stern in Punktekranz; Bildunterschrift: C PLUT(I); ROM(A). © Stiftung Bibel+Orient, Freiburg (Schweiz).
  • Denar des Lucius Cornelius Lentulus (Rom, 12 v. Chr.; 3,55 g Silber): Avers: Portrait des Augustus nach rechts; in Punktekranz; Umschrift: AUGUSTUS; Gegenstempel links des Portraits: C; Revers: rechte Figur (vermutlich Augustus) bekränzt, Toga tragend und mit Schild (CV) setzt der linken Figur (vermutlich eine Statue Caesars mit Speer in der linken und schlecht erhaltener geflügelter Viktoria auf der rechten Hand) als divus Iulius einen Stern über das Haupt; Umschrift: L. LENTVLVS FLAMEN MARTIALIS; die Münze kommuniziert die Vergöttlichung Caesars durch Augustus, der damit indirekt selbst zum Sternensohn wird. © The Trustees of the British Museum.
  • Denar des Octavian (Rom / Brundisium [?], 28 v. Chr.; 3,89 g Silber): Avers: Portrait des Octavian nach rechts; Umschrift: CAESAR COS VI; Revers: nach rechts stehendes Krokodil als Symbol für Ägypten; Umschrift: AEGVPTO CAPTA; der Denar erinnert an die Eroberung Ägyptens durch Octavian, verkündet und feiert diesen Sieg in Italien; vergleichbar sind dieser Prägung z.B. die flavischen Emissionen von Judaea-Capta-Münzen. © The Trustees of the British Museum.
  • Denar des Octavian (Rom / Brundisium [?], 32-29 v. Chr.; 3,72 g Silber): Avers: Portrait des Octavian nach rechts; in Punktekranz; Revers: nach links stehende weibliche Personifikation der pax, mit Olivenzweig in der rechten und einem Füllhorn in der linken Hand; Umschrift: CAESAR DIVI F; in Punktekranz; versinnbildlicht wird, wie der von Octavian errungene Friede zum Wohlstand für seine Untertanen wird. © The Trustees of the British Museum.
  • Denar des Hadrian (Rom, 132-134 n. Chr.; 3,54 g Silber): Avers: Portrait des bärtigen Hadrian nach rechts; Umschrift: HADRIANVS AVGVSTVS; in Punktekranz; Revers: nach links stehende weibliche Personifikation der clementia mit Patera in der ausgestreckten rechten Hand und Szepter in der linken Hand; Umschrift: CLEMENTIA AVG COS III P P; in Punktekranz. © The Trustees of the British Museum.
  • Denar des Septimius Severus (Kappadokien, 194 n. Chr. [oder später]; 3,20 g Silber): Avers: Portrait des Septimius Severus mit Lorbeerkranz nach rechts; Umschrift (schwer lesbar): SEP SEV PERT AVG COS; Revers: axialsymmetrische doppelte Füllhörner mit Getreideähre in der Mitte; Umschrift: FELICITAS TEMPO; in Punktekranz. © The Trustees of the British Museum.

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