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Zuflucht

(erstellt: Juli 2014)

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1. Zufluchtsorte in der realen Lebenswelt

Zufluchtsorte waren in der realen Lebenswelt erfahrbare, sichere, unzugängliche Stätten, die Menschen in Zeiten von Verfolgung oder bei drohenden Naturgefahren, wie drückender Hitze oder starken Regenfällen (vgl. Jes 4,6 und das Gegenbild Hi 24,8), aufsuchten. In der Regel waren dies Gebirge (Gen 14,10), Felsen (1Sam 13,6; Ps 27,5, vgl. Keel 1980, Taf. XII), Wälder (vgl. 1Sam 22,5; Jes 21,13) oder → Höhlen (Gen 19,30; Jos 10,16; Ri 6,2 u.ö.), z.T. auch die Wüste (Gen 16,7; Ex 3,1; 1Kön 19,4; 1Makk 2,29; vgl. Jer 9,1) oder von Menschen errichtete Schutzräume, wie z.B. eine Hütte (Jes 4,6), die vor Sturm und Unwetter schützt, ein Turm (Ri 9,51) oder gar eine Stadt (Gen 19,20). Zuflucht boten in besonderer Weise die Asylstädte (Dtn 19,1-10 u.a.), die vor dem Zugriff von Bluträchern schützten (→ Asyl). Zufluchtsorte konnten auch andere Länder sein, wo Menschen sich dem Zugriff der jeweils Mächtigen entziehen konnten (1Kön 11,17.23.40; 1Kön 12,2: Ägypten als Zufluchtsort für → Jerobeam I.; vgl. Neh 13,10). Für wilde Tiere wie dem → Steinbock oder dem → Klippschliefer sind unzugängliche Regionen von Gott als sicherer Lebensraum und damit als Zufluchts- und Rückzugsort vorgesehen (Ps 104,18), an dem sie vor natürlichen Gefahren geschützt sind.

2. Metaphorik

In der alttestamentlichen Bildsprache erscheint Gott selbst als bergender Zufluchtsort angesichts der Not der Armen oder der Bedrohungen der Natur (vgl. Jes 25,4). Auch die Psalmensprache nimmt diese Raumsemantik auf, in der die Erfahrungen und Konnotationen, die sich mit den oben beschriebenen realen Zufluchtsorten verbinden, anklingen. Der Beter rühmt Gott als „meine Zuflucht“ (Ps 61,4; Ps 71,7; Ps 73,28; Ps 91,2; Ps 94,22; Ps 142,6). Er wird angesichts von Not und Gefahren gleichsam zu dem bergenden Ort, zu dem man hinflieht (Ps 61,4: // Turm; Ps 91,2: // Burg). Meist ist eine Bedrohung durch Feinde vorausgesetzt, angesichts derer sich der Beter die einzig bleibende und beständige Zufluchtsstätte in Erinnerung ruft. Lange Zeit hat man angenommen, dieser Bezug auf JHWH habe kultische Hintergründe, wie z.B. die sakralrechtliche Asylie (Delekat). Ähnlich wie bei der bildlichen Übertragung von Landbegriffen auf JHWH sollte man bei der auf JHWH bezogenen Rede von der Zuflucht aber eher von einer Metaphorisierung des Begriffs ausgehen. Hinter dem Bild steht somit eine menschliche Urerfahrung: „man flieht aus der Gefahrenzone weg zu etwas Starkem hin, das Schutz bietet“ (Hugger 1971, 61, vgl. ebd. 70f). Und dieses Starke ist und bleibt JHWH.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Delekat, L., Asylie und Schutzorakel am Zionheiligtum. Eine Untersuchung zu den privaten Feindpsalmen, Leiden 1967
  • Hermisson, H.-J., Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult. Zur „Spiritualisierung“ der Kultbegriffe im Alten Testament (WMANT 19), Neukirchen-Vluyn 1965
  • Hossfeld, F.-L., Die Metaphorisierung der Beziehung Israels zum Land im Frühjudentum und im Christentum, in: F. Hahn u.a. (Hgg.), Zion – Ort der Begegnung (BBB 90; FS L. Klein), Hanstein 1993, 19-33
  • Hugger, P., Jahwe meine Zuflucht. Gestalt und Theologie des 91. Psalms (MüSt 13), Münsterschwarzach 1971
  • Keel, O., Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 1980, 158-161
  • Riede, P., Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen (WMANT 85), Neukirchen-Vluyn 2000

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