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Zikkurat

(erstellt: Februar 2017)

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1. Bedeutung

Mit dem Begriff „Zikkurat“ wird heute in der Regel der altmesopotamische, mehrstufige Tempelturm bezeichnet, der vor allem aufgrund der griechischen Geschichtsschreibung und der biblischen Überlieferung (→ Turmbauerzählung) vom „Turmbau zu Babel“ (→ Babylon) zum Sinnbild des altorientalischen Sakralbaus geworden ist. Durch archäologische Forschungen sind heute mehrere Bauwerke aus der Region vom 3. bis ins 1. Jt. v. Chr. bekannt (vgl. Heinrich 1982). Sie haben gezeigt, dass die als „Zikkurat“ bezeichneten Bauwerke keineswegs einen uniformen Bautyp mit einheitlicher Funktion darstellen, sondern vielmehr zahlreiche regionale Varianten aufweisen.

2. Bezeichnung / Terminologie

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Der Begriff Zikkurat ist abgeleitet vom akkadischen Verbum zaqāru (*zqr) „hoch sein / hoch machen“ als feminine Abstraktbildung ziqqurratu mit den häufigsten Schreibungen zi-qú-ra-at (altbabylonisch) bzw. ziq-qur-rat (neuassyrisch). Bereits in den frühesten sumerischen Texten des 3. Jt.s v. Chr. erscheint die Gebäudebezeichnung e2-u6-nir, welche dort mit einem weiteren Baubegriff gi-gu3-na verschwimmt; eine konkrete Bauform lässt sich mit diesen Termini jedoch nicht verbinden. Insofern ist die Bezeichnung des mehrstufigen Bauwerkes von Ur aus der Ur III-Zeit (ca. 21. Jh. v. Chr.) als Zikkurat streng genommen anachronistisch und eine terminologische Rückprojektion (Waetzoldt).

Zu Beginn des 2. Jt.s v. Chr. erfolgt eine Gleichsetzung verschiedener Begriffe, und die sumerischen Termini e2-u6-nir sowie gi-gu3-na sind nur schwer von dem akkadischen Begriff ziqqurratu zu differenzieren bzw. lassen sich auch nach wie vor als Gebäudeform nicht näher fassen. Der Terminus ziqqurratu ist erstmals in der altbabylonischen Zeit (ca. 18. Jh. v. Chr.) in einer Bauinschrift Schamschi-Adads I. (1808-1776 v. Chr.) belegt und bezieht sich auf seine Bauarbeiten am Heiligtum der → Ischtar von → Ninive. Sein Zikkuratbau ist Teil des Tempelkomplexes in Ninive, ohne dass sich das Gebäude, seine Funktion oder sein Aussehen näher beschreiben ließen. Der Begriff ziqqurratu findet danach vornehmlich in mittel- und neuassyrischen Quellen sowie in den spätbabylonischen Bauinschriften der jeweiligen Herrscher Verwendung, also etwa ab dem 13. Jh. v. Chr. Die Stufentürme Babyloniens scheinen tatsächlich erst durch die Bautätigkeit der neuassyrischen Herrscher als Zikkurate bezeichnet worden zu sein; zuvor werden sie in den (babylonischen) Bauinschriften wie zuvor als sumerisch e2-u6-nir benannt. Ab dem frühen 1. Jt. v. Chr. lässt sich der Begriff ziqqurratu allerdings mit größerer Verlässlichkeit auf einzelne turmartige Gebäude beziehen, ohne dass es sich dabei jedoch um einen fest definierten Bautyp handelt.

3. Quellenlage und Funktion

Aufgrund der unklaren philologischen Quellenlage kann der Zikkurat keine eindeutige Funktion im Kontext mesopotamischer Tempelanlagen zugewiesen werden. Ihre Bezeichnung als Haus des Gottes, Tempel bzw. Heiligtum ist ebenso unspezifisch wie die für sie in Bauinschriften verwendeten Epitheta. Zikkurat-Gebäude scheinen jeweils zu den Haupttempeln einer Stadt gehört zu haben, allerdings sind inschriftlich auch mehrere Zikkurat-Gebäude in einer Stadt bezeugt.

Wenngleich Unterbauten bzw. Terrassen in mehreren Fällen archäologisch bezeugt sind, ist ein Gebäude auf deren Spitze in keinem Fall erhalten, was die Funktionsbestimmung erschwert. Während die assyrischen Zikkurate vermutlich eher als Opferplätze oder für kultische Handlungen wie Orakel gedient haben, ist im Falle der babylonischen Zikkurate mit einem Gebäude auf der Spitze zu rechnen. Für diese Deutung stehen neben der Überlieferung einiger griechischer Historiker – allen voran Herodot, welcher einen Tempel auf der Spitze ausführlicher beschreibt – auch keilschriftliche Quellen zur Verfügung.

Mit der sog. Esagila-Tafel des Priesters und Schreibers Anu-bēl-schunu aus dem Jahr 229 v. Chr. liegt die Abschrift eines vermutlich neuassyrischen mathematischen Textes vor, der vordergründig eine nähere Beschreibungen der Zikkurat mit Namen Etemenanki („Haus, Fundament von Himmel und Erde“) des Marduk-Heiligtums von Babylon gibt (George 2005/6). Die bereits 1876 erwähnte und schließlich 1912 publizierte Tafel des Anu-bēl-schunu erschien wie eine detaillierte Beschreibung des Bauwerks unter Angabe konkreter Maße. In der Tafel werden die einzelnen Gebäudeteile, Treppen und Terrassen, die Cellae für verschiedene Götter sowie die Tore des Bauwerks in Babylon benannt und mit ihren Abmessungen sehr genau angegeben. Nach neueren Erkenntnissen handelt es sich aber nicht um einen Text, der eine tatsächliche Beschreibung des Gebäudes intendierte, sondern um einen mathematischen Aufgabentext, dem die Zikkurat von Babylon lediglich als prominentes Rechenbeispiel diente. Sind die Maßangaben des Textes daher nur mit großer Vorsicht für die Rekonstruktion des realen Bauwerks heranzuziehen, so scheinen die Erwähnung und Benennung der Räumlichkeiten im Text jedoch verlässlicher zu sein.

In einer jüngst publizierten Stele aus dem Kunsthandel ist ein mehrstufiges Gebäude dargestellt mit einem Gebäudegrundriss darüber, der sich auf einen Bau auf der obersten Stufe beziehen lässt. Diese Stele trägt eine Abbildung sowie eine Inschrift → Nebukadnezars II. von Babylon (605-562 v. Chr.) und nennt explizit den Bau an Etemenanki und Eurmeiminanki („Haus, das die sieben [Me's] von Himmel und Erde vereint“), den Zikkuraten von → Babylon und Borsippa (George 2011). Die Echtheit dieser Stele ist allerdings bislang umstritten und insbesondere der dargestellte Grundriss nur schwer mit archäologisch bekannten Gebäudegrundrissen dieser Zeit zu vergleichen.

Aus den antiken Texten ergibt sich der allgemein sakrale Charakter der Zikkurate, aber nicht ihre genaue Funktion in Kult und Theologie. Bei der Rekonstruktion des Aussehens helfen außer den Texten und archäologischen Quellen zusätzlich antike Darstellungen mehrfach gestufter Bauwerke; die Bildquellen sind allerdings ihrerseits mit verschiedenen Interpretationsproblemen behaftet.

4. Anfänge und Verbreitung

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Rund 20 mehrstufige Bauwerke aus drei Jahrtausenden sind heute aus der Region von Syrien, Irak und Iran bekannt, die aber sehr unterschiedlich gestaltet sind. Einzig das grundlegende Baumaterial Lehm ist allen gemeinsam. Häufig wurden die Bauwerke auf einer Fundamentplatte errichtet und bestanden aus einem Kern von ungebrannten Lehmziegeln, der in regelmäßigen Abständen mit Lagen von in Asphalt vergossenen Schilfmatten und horizontalen Ankertauen aus Palmfasern in seiner Stabilität verbessert wurde und zusätzliche Entlüftungskanäle besaß. Bei den späteren Bauwerken wurde für den Kern eine Bauweise aus einfachen Lehmschüttungen im Wechsel mit Lagen aus Lehmziegeln in einem bestimmten Raster verwendet (vgl. Allinger-Csollich, 6-11). Der äußere Mantel der Zikkurate bestand in der Regel aus gebrannten Lehmziegeln, die widerstandsfähiger gegen Regen und Bodenfeuchte waren und häufig mit kurzen Bauinschriften der jeweiligen Herrscher gestempelt waren. Einzelne Stufen, besonders aber das Bauwerk auf der Spitze, konnten farbig verputzt oder mit farbig glasierten Ziegeln geschmückt sein, vergleichbar dem Ischtar-Tor von → Babylon. Seitlich anliegende Treppen, innenliegende Treppenaufgänge oder Freitreppen erschlossen die einzelnen Terrassen der Türme, auf denen bisweilen einzelne, kleinere Bauwerke stehen konnten.

4.1. Terrassentempel und Tempeltürme in Südmesopotamien

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Die Form des auf einer Terrasse errichteten sakralen Gebäudes bildet sich in Gebieten mit etablierter Lehmziegelbautradition bereits seit dem 6. Jt. v. Chr. heraus. Gebäude werden kontinuierlich weitergenutzt, renoviert und neu errichtet, wobei die älteren Bauzustände in das Fundament des jeweils folgenden Baues integriert werden. So wachsen insbesondere die heiligen Bezirke im Laufe der Zeit zu immer höheren, unregelmäßigen Terrassenanlagen heran. Eine der längsten Gebäudefolgen (18 Bauphasen) konnte in Eridu festgestellt werden, wo aus einem kleinen einräumigen Gebäude von etwa 2,3 x 3,2 m zu Beginn des 6. Jt.s v. Chr. der Tempelbau im Laufe des 4. Jt.s auf rund 12 x 20 m vergrößert wird und der Unterbau entsprechend zwiebelschalenartig zu einer Hochterrasse anwächst. In ähnlicher Art und Weise erreicht auch das sakrale Gebäude auf einer Terrasse im Bereich Kullab von Uruk bis zum Ende des 4. Jt.s v. Chr. eine Höhe von ca. 14 m, auf der ein Sakralbau nachweisbar ist (Eichmann 2007, Kap. 7). Größerflächig angelegt ist die spätere Terrasse des Heiligtums von Tell Uqair, wobei hier, wie auch in Eridu, bereits zum Teil vertikal auf die Terrasse zuführende Treppen verwendet werden. Spätestens in den konsekutiven Tempelanlagen von Hafaği aus der ersten Hälfte des 3. Jt.s v. Chr. bekommt der Terrassenunterbau für den Haupttempel eine regelmäßige, rechteckige Form und leitet damit über zu den symmetrisch geplanten Anlagen der Ur III-Zeit.

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Nach seinem Regierungsantritt lässt König Urnamma von Ur (2112-2095 v. Chr.) ein einheitliches Baukonzept bei der Erneuerung der Hauptheiligtümer von Ur, Uruk, Nippur und Eridu umsetzen (Woolley 1939; Van Ess 2001). Die jeweiligen Tempel werden auf einen zwei- bis dreistufigen, rechteckigen Unterbau aus zunehmend kleineren Terrassen gesetzt, die durch symmetrische, axial angelegte T-förmige Treppenanlagen erschlossen werden. Das so entstehende turmartige Gebäude ist von einem engen Gebäudezingel bzw. einer Temenosmauer zu ebener Erde umgeben und insofern primär nicht auf räumliche Monumentalität angelegt.

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Die Baulösung der Ur III-Zeit wird richtungsweisend für Südmesopotamien und findet sich später etwa bei den Heiligtümern von Larsa und Dur-Kurigalzu umgesetzt. Die Überreste in Dur-Kurigalzu wurden von den frühen Orient-Reisenden zunächst für die Überbleibsel des biblischen „Turms zu Babel“ gehalten. Die Ruine des Turmes von Dur-Kurigalzu aus dem 14. Jh. v. Chr. erreicht bereits eine Grundfläche von 67 x 69 m und die unterste, erhaltene Stufe eine Höhe von 33 m; die Gesamthöhe wird auf 45 m rekonstruiert. Kennzeichnend bleibt der weiterhin sehr enge Gebäudezingel, der die monumentale Raumwirkung des erhöhten Gebäudes mit seiner Freitreppenanlage jedoch stark beeinträchtigt. Die Anzahl der Stufen bleibt zunächst unbekannt, es setzt sich jedoch ein zunehmend quadratischer Grundriss durch, dem die Freitreppenanlage quadratisch vorgelagert ist. Dieser Bautyp gipfelt schließlich in dem mehrstufigen Tempelturm Etemenanki des Marduk-Heiligtums von Babylon.

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Exkurs: Der Turm zu Babel, das Haus: Fundament von Himmel und Erde

Das Bauwerk geht in seinem Kern vermutlich bereits auf eine Gründung des frühen 2. Jt.s v. Chr. zurück, was aber unbewiesen ist. Er erfährt mehrfach Restaurierungen durch die Könige von Babylon (Koordinaten: N 32° 32' 32'', E 44° 25' 16''), wie es im Wesentlichen durch die Bauinschriften des Nabupolassar (626-605 v. Chr.) und Nebukadnezar II. (605-562 v. Chr.) bezeugt ist. Nach der persischen Eroberung von Babylon verfiel das Gebäude zusehends, bis sich schließlich Alexander d. Große zu einem Neubau veranlasst sah. Für die Neufundamentierung ließ er die alten Reste weitestgehend abtragen und eine Baugrube ausheben. Über den Bauarbeiten verstarb Alexander allerdings und das Bauvorhaben kam unter seinen Nachfolgern in Babylon zum Erliegen; die letzten Bauaktivitäten an dem Turm sind für das Jahr 267 v. Chr. bezeugt. Insofern ist der Turm zu Babel heute lediglich als Fundamentgrube in seinen Ausmaßen zu erahnen. Die Rekonstruktion des Bauwerks erfolgt heute allgemein über Vergleiche und mittels der keilschriftlichen Überlieferung (vgl. Schmid 1995; George 2005/6).

Obwohl durch die biblische Überlieferung sowie durch Reisebeschreibungen verschiedener antiker Autoren dieses Bauwerk zu allen Zeiten bekannt geblieben war und auch in der europäischen Kunstgeschichte eine breite Rezeption erfahren hatte, konnten erst mit der Übersetzung der keilschriftlichen Quellen sowie den archäologischen Ausgrabungen an dem Bauwerk in Babylon am Ende des 19. Jh.s mehr Fakten gewonnen werden. Wichtigstes Korrektiv für alle Rekonstruktionsversuche bleiben die Ergebnisse der Ausgrabungen an dem Bauwerk, die unter Robert Koldewey 1913 durchgeführt wurden (Koldewey 1911; Wetzel / Weißbach 1938). Spätere Nachgrabungen 1962 konnten weitere Daten zur Bauweise liefern (Schmid 1995 Kap. 2).

Der Grundriss der untersten Stufe misst rund 91,5 x 91,5 m; die mittig vorgelagerte Freitreppe weist eine Länge von ca. 51 m auf. Wie im unteren Wandbereich noch zu erkennen, sind die Wände der ersten Terrasse nahezu senkrecht und außen durch flache Nischen gegliedert. Für die Höhe der ersten Terrasse werden in Anlehnung an die Anu-bēl-schunu-Tafel rund 31 m angenommen, die folgenden Terrassenstufen sind entsprechend schmaler und weniger hoch, wodurch die Höhenwirkung des Gebäudes noch gesteigert wird. Nicht zuletzt anhand der schriftlichen Überlieferung, nach der der Baukörper so hoch wie breit gewesen ist, wird die Höhe allgemein mit rund 90 m angegeben. Die heutigen Rekonstruktionen gehen allerdings – gegen Herodot – von lediglich sechs Stufen aus, auf deren letzter ein Tempel nach dem babylonischen Breitraumschema gestanden hat. Die am meisten diskutierte Frage der Treppenaufgänge wird ohne weitere Beweise offen bleiben müssen; Hauptdiskussionspunkt ist hier, ob die vorgelagerten Treppen sich in einem Treppenabsatz auf Höhe der ersten Stufe treffen und diese erschließen oder ob lediglich die beiden seitlich angelegten Treppen auf die erste Stufe führen, während die mittig vorgelagerte Treppe direkt bis auf die zweite Stufe reicht. Anders als etwa sein Schwesterbauwerk, der Turm des Nabû-Tempels von Borsippa, welches wesentlich besser erhalten ist, steht der Etemenanki in einem weiten Temenosbereich von rund 400 x 400 m.

Die Funktion der babylonischen Zikkurat als ein „Hochtempel“ bleibt gerade im Hinblick auf die zugehörigen „Tieftempel“ nach wie vor unklar. Wie Allinger-Csollich (2013, 16f.) ausführt, sollte der Turm nicht als einfacher Unterbau für einen Hochtempel betrachtet werden, sondern viel mehr als ein vollwertiger, eigenständiger Tempelbau, der lediglich eine vertikale Ausdehnung erfahren hat. Die genaue kultische Funktion des Gebäudes ist bis heute nicht vollständig erschlossen. Der Stufenturm Etemenanki von Babylon ist nur ein Gebäudeteil des zentralen Marduk-Heiligtums von Babylon: Er steht inmitten eines weiten Gebäudezingels, welcher Wirtschaftsräume und wahrscheinlich auch Wohnräume für Priester beherbergte. Im Mittelpunkt von Babylon an zwei zentralen Straßenachsen gelegen bildet dieses Heiligtum den Ausgangspunkt der alljährlichen Neujahrsprozession.

Die Wichtigkeit des Marduk-Kultes, dem Stadtgott von Babylon, lag in der zentralen Bedeutung der Gottheit für die Legitimation des babylonischen Königs. Der durch das babylonische Weltschöpfungsepos → Enuma elisch zum König der Götter erhobene Gott Marduk bestimmt die Könige Babyloniens, die sich im alljährlichen Neujahrsfestritual der Unterstützung Marduks versichern mussten.

4.2. Terrassentempel und Tempeltürme in Nordmesopotamien

Während die babylonischen Turmanlagen einander recht ähnlich sind, sind die gleichzeitigen Anlagen Nordmesopotamiens wesentlich individueller gestaltet. Bereits die frühesten Gebäude von Tepe Gawra befinden sich an herausgehobenen Platzanlagen innerhalb der Siedlung. Die großen Sakralgebäude der späten Uruk-Zeit (drittes Viertel 4. Jt. v. Chr.) von Tell Qannas oder Ǧebel Aruda am mittleren → Euphrat werden an prominenter Stelle oberhalb der Siedlungen auf weiten Terrassenanlagen errichtet und ähneln damit den Bauwerken Südmesopotamiens. Während der einräumige Antentempel im Laufe des 3. Jt.s zur Haupttempelform in Syrien wird, erfolgt hier zunächst keine Übernahme der südmesopotamischen mehrstufigen Gebäudeform.

Das stufenförmige Bauwerk von Tell al-Rimah ist insofern nicht nur das erste, welches den Bauwerken des Südens nahe kommt, es wird durch die Inschriften Schamschi-Adads I. (1808-1776 v. Chr.) von Assyrien auch gleichzeitig eindeutig als Zikkurat identifiziert. Es handelt sich hierbei um einen vermutlich mehrstufigen Turm, der den Haupthof des Tempels an einer Seite beschließt und insofern keine Freitreppenanlage besitzt. Der Zugang muss von daher über das Dach der Nebengebäude erfolgt sein. Als weitere Besonderheit ist die Cella in Form eines babylonischen Breitraums in die unterste Stufe des Turmbaus integriert. Ein ähnliches Bauwerk ist die Zikkurat von Kar Tukulti-Ninurta, bei der ebenfalls die Cella in die unterste Stufe des Turmes hineingebaut wurde. Die Integrierung eines quadratischen Turmbaus in einen Tempel, zu welchem der Aufgang über das Dach erfolgt sein muss, findet sich auch bei den Doppeltempeln für Anu und Adad sowie Sîn und Schamasch in der assyrischen Hauptstadt → Assur wieder. Damit stellt sich die Frage nach der Nutzung dieser Turmanlagen – ob sich auf der obersten Stufe ein Tempel für die jeweilige Gottheit befunden hat, wie für die mesopotamischen Bauten zu erwarten ist, oder ob hier andere heilige Handlungen wie Opferungen oder Himmelsbeobachtungen stattgefunden haben.

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Auch die jeweiligen Zikkurate in den anderen neuassyrischen Hauptstädten → Kalchu, → Dur-Scharrukin und → Ninive am Mittleren → Tigris haben, soweit es die archäologischen Befunde erkennen lassen, keine eigene Freitreppenanlage besessen. Für den assyrischen Haupttempel in → Assur für den gleichnamigen Gott wird der Zugang bislang über einen separaten Treppenbau neben dem Turm vermutet, wobei auch eine Brückenlösung von einem Obergeschoss des Haupttempels zum Turm nicht auszuschließen ist. Archäologisch besser bezeugt ist die Zikkurat von Dur-Scharrukin, die eine umlaufende Rampe zeigt. Zusätzlich konnten die Ausgräber an den erhaltenen unteren Stufen farbigen Verputz der Wände feststellen, die eine entsprechende farbige Gestaltung der zu rekonstruierenden sieben Stufen nahelegt. Einen zusätzlichen Hinweis zu Aufbau und Gestaltung geben einige Siegeldarstellungen aus dem frühen 1. Jt. v. Chr., die Beter vor gestuften Turmanlagen zeigen, welche als Zikkurate gedeutet werden können.

4.3. Terrassentempel und Tempeltürme im Iran (Elam)

In Elam (Südwestiran) zeichnet sich ab dem 4. Jt. v. Chr. eine homologe Entwicklung terrassenartiger Anlagen wie in Mesopotamien ab, wobei die Befundlage weitaus spärlicher ist (vgl. Herles 2012). So sind bereits im 5. Jt. v. Chr. eine aus ungebrannten Lehmziegeln errichtete Terrassenanlage in Tepe Sialk und vermutlich eine weitere in Jiroft nachgewiesen. Auch in Susa ist für das 5. und 4. Jt. v. Chr. eine Hochterrasse archäologisch dokumentiert, ohne dass ihre Funktion allerdings näher beschrieben werden kann (Potts 2006). Allerdings steht zu vermuten, dass auch hier sakrale Gebäude an exponierter Lage hervorgehoben wurden.

Aufgrund der engen kulturellen Verflechtung des Südwest-Iran mit Mesopotamien ab dem 5. Jt. v. Chr. sind kulturelle Beeinflussungen nicht auszuschließen. So stellt die elamische Gebäudebezeichnung kukunnum eine Entlehnung aus dem sumerischen giguna (s.o.) im 19. Jh. v. Chr. dar. Spätestens ab dem 14. Jh. v. Chr. findet sich auch die Bezeichnung zagratume im elamischen Wortschatz, eine Entlehnung des assyrisch-akkadischen ziqqurratu.

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Ein solches Gebäude errichtet der elamische Herrscher Untasch-Napirischa (ca. 1340-1300 v. Chr.) für die Götter Inschuschinak und Napirischa in einem heiligen Bezirk in seiner Hauptstadt Chogha Zanbil unweit von Susa. Dieses stellt den zweifelsohne am besten erhaltenen Stufenturmbau des Alten Orients dar und ist mit einer Seitenlänge von rund 105 m und einer geschätzten ursprünglichen Höhe von 52 m zugleich die größte Anlage dieser Art (Ghirshman 1966). Allerdings unterscheidet es sich sowohl in seiner Erscheinung als auch seiner Bauweise wesentlich von den Anlagen in Südmesopotamien: So ist das Gebäude nicht Stufe auf Stufe errichtet worden, sondern schalenartig um einen Kern herum angelegt. Insgesamt fünf Schalen – und mithin fünf Stufen – mit abnehmender Höhe bilden den Sockel für ein Gebäude auf der Spitze, das allerdings auch hier nicht mehr erhalten ist. Die Wände sind mit flachen Nischen gegliedert, deren Anlage bis in die Fundamente reicht. Bei dem Stufenturm von Tchogha Zanbil sind die Treppen als innenliegende Aufgänge von außen nicht sichtbar, worin er den assyrischen Anlagen näher steht. Der quadratische Kern stand anfangs in einem engen Raumzingel, bis dieser Zingelbereich eingewölbt und mit Räumen gefüllt und damit gleichsam zur untersten Stufe der Zikkurat umfunktioniert wurde. Diese Räume wurde vermutlich für Lagerzwecke genutzt, während sich zu Füßen der Zikkurat mehrere kleine Tempel befinden.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Die Zikkurat des Urnamma von Ur (um 2100 v. Chr.; Foto 2006). Aus: Wikimedia Commons; © Michael Lubinski, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 2.0 Generic; Zugriff 21.11.2017
  • Karte zu Fundorten von Zikkuraten in Mesopotamien und Elam. Aus: Wikimedia Commons; © Zunkir, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 3.0 unported; Zugriff 21.11.2017
  • Plan zum Weißen Tempel, der in Uruk auf einer 14 m hohen Terrasse stand (Ende des 4. Jt.s v. Chr.). Aus: Wikimedia Commons; © Lamassu Design Gurdjieff, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 3.0 unported; Zugriff 21.11.2017
  • Die Zikkurat des Urnamma von Ur (um 2100 v. Chr.; Rekonstruktion). Aus: L. Woolley, The Ziggurat and its surroundings (UE 5), London 1939, pl. 86
  • Zikkurat von Dur-Kurigalzu (Foto 2010). Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 15.11.2017
  • Rekonstruktion von Etemenanki. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der Anu-Adad-Tempel in Assur (Rekonstruktion von Andrae). Aus: W. Andrae, Der Anu-Adad-Tempel in Assur (WVDOG 10), Leipzig 1909, Taf. 8.
  • Die elamische Zikkurat von Chogha Zanbil (Foto 2008). Aus: Wikimedia Commons; © Dynamosquito, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 2.0 generisch; Zugriff 17.11.2017

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