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(erstellt: April 2007)

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1. Einleitung

1.1. Terminologie

Weltenbaum 1
Der Begriff „Weltenbaum“ wird vielfach mit „Lebensbaum“ (oder „kosmischem Lebensbaum“) gleichgesetzt, und beide können unter dem allgemeineren Begriff „Heiliger Baum“ subsumiert werden. Mit „Weltenbaum“ ist meist eine in vielen Mythen belegte kosmologische Vorstellung gemeint (z.B. der sumerisch-babylonische kiskanu-Baum oder die germanische Weltesche Yggdrasil), doch wird der Begriff auch auf den in Gen 2,9 genannten „Lebensbaum“ bezogen. Da der Begriff „Lebensbaum“ nur in der Bibel, aber nicht in der übrigen altorientalischen Literatur belegt ist, wird in der Altorientalistik die generellere Bezeichnung „Heiliger Baum“ bevorzugt. Angesichts der Problematik einer klaren Abgrenzung werden die Begriffe „Heiliger Baum“ und „Weltenbaum“ auch parallel verwendet (z.B. Keel / Schroer, 2002, 62), wobei es sich für den semitischen Raum nahe legt, das ikonographische Motiv des Weltenbaumes als Variante des Lebensbaumes aufzufassen (Staubli, 2005, 1434).

1.2. Generelles zur Baumsymbolik

Weltenbaum 2

Der Baum ist generell ein Lebens- und Fruchtbarkeitssymbol. Er kann mit immergrünen oder mit absterbenden und wieder sprossenden Blättern dargestellt werden, die den Zyklus „Sterben – Regeneration“ ausdrücken. Da er tief im Boden verwurzelt ist, sein Stamm sich in der Menschenwelt befindet und seine Äste in den Himmel ragen, ist er auch ein kosmisches Symbol der Verbindung zwischen Unterwelt, Erde und Himmel (Götterwelt), d.h. ein Weltenbaum, der den Kosmos hält und deswegen ein Synonym der axis mundi („Weltachse“) bietet. In den altorientalischen Religionen wird der lebenspendende Baum mit numinosen Mächten, vor allem Göttinnen, verbunden.

2. Weltenbaum in der Ikonographie des Alten Orients und Verwandtes aus Palästina / Israel

Weltenbaum 3

Seit dem 3. Jt. v. Chr. findet man im Vorderen Orient vereinzelte Darstellungen von Erdgöttinnen, aus denen Pflanzenzweige sprießen, die beistehenden Tieren als Nahrung dienen (Abb. 2). Ähnliche halb baum-, halb menschengestaltige Vegetationsgottheiten können auch mit einem von ihnen getragenen (stilisierten) Weltenbaum dargestellt werden; obgleich er selbst eine den Kosmos zusammenhaltende Größe ist, muss er vor Chaosmächten beschützt werden (Abb. 3).

Weltenbaum 4

In der ersten Hälfte des 2. Jt.s findet man auf altsyrischen Rollsiegeln den stilisierten Weltenbaum, der Astralsymbole trägt und den eine nackte Göttin mit erhobener Hand beschützt (Abb. 4). Die Gegenwart der Göttin kann auch durch das Ikon des Weltenbaums und die zu ihrer Sphäre gehörenden Tiere versinnbildlicht werden (Abb. 5).

Weltenbaum 5

In der Ikonographie Palästinas / Israels findet man ab der Mittelbronzezeit (1750-1550 v. Chr.) sehr häufig die oben genannte Erdgöttin in Form des spezifisch lokalen Typus der Zweiggöttin und etwas später dann auch die Konstellation des von Capriden (Ziegenwesen) flankierten und von → Keruben geschützten zentralen Weltenbaumes mit der nackten Göttin (Abb. 1).

Weltenbaum 6

Die Symbolik des Weltenbaums, der die geordnete Welt zu verkörpern scheint und Gedeihen der Vegetation sowie Nahrung und Leben versinnbildlicht, erhält in der assyrischen Kunst des 1. Jt.s eine neue Konnotation: wo der Weltenbaum ursprünglich auf göttlichen Ursprung und numinose Beschützer verwies, wird er zum Symbol für das Königtum oder den die Weltordnung garantierenden Großkönig (Abb. 6). Bildschriftlich findet diese Konzeption ein Echo bei biblischen Propheten (s.u. 3.3).

3. Weltenbaum im Alten Testament

3.1. Hebräischer Sprachgebrauch

Der am häufigsten vorkommende Begriff ist עֵץ ‘eṣ „Holz / Baum“, dem griechisch ξύλον xylon entspricht. Besonders mächtige Bäume werden durch Varianten der Wurzel אול II „stark sein“, d.h. durch אַיִל ’ajil, אֵלָה ’elāh, אַלָּה ’allāh, אֵלוֹן ’elôn oder אַלּוֹן ’allôn bezeichnet; die gleiche Wurzel wird auch zur Erklärung der Etymologie des Wortes אֵל ’el „Gott“ (’elāh wäre dann die feminine Entsprechung) herangezogen (HALAT I, 47). Die griechische Übersetzug (LXX) gibt diese generellen Begriffe für große Bäume mit dem nicht gattungsspezifischem δρῦς drys oder mit Worten wieder, die „Eiche“ bzw. „Terebinthe“ bedeuten. Auch das Hebräische bezeugt für einige Baumarten gattungsspezifische Ausdrücke, so z.B. אֶרֶז ’æræz „Zeder“, זַיִת zajit „Ölbaum“ usw.

3.2. Salomos Tempel

Der Tempel galt im Alten Orient generell als Wohnsitz der Gottheit, dem er gestiftet war und bildete das Zentrum des von ihr geschützten Kosmos. Der von der Gottheit (und dem sie vertretenden König) ausgehende Segen wurde u.a. durch die in den Vorhöfen gepflanzten Bäume ausgedrückt. Aus den biblischen Psalmen erfährt man, dass dies auch für den salomonischen Tempel zutraf (Ps 52,10; Ps 92,13.14), dessen äußeres Tor von zwei Säulen flankiert war (1Kön 7,15-22). Die ihre Kapitelle verzierenden Granatäpfel gehören zum Symbolkreis des Weltenbaumes, der den Segen des (göttlichen) Königtums, der gerechten Herrschaft, verkörpert (Keel u.a., 2004, 26).

3.3. Propheten

Mächtige Bäume werden bei den Propheten häufig mit Idolatrie (z.B. Jes 1,29; Hos 4,13) oder Hochmut (z.B. Jes 2,13) in Beziehung gesetzt. Letztere Idee kann auch bei den Weltenbaumbeschreibungen mit anklingen, die sich bei den Propheten → Ezechiel und → Daniel finden. Bei beiden dient der Weltenbaum als Metapher für das Königtum (zur Verbindung von Baummetapher und Königtum vgl. auch → Jotamfabel). Das Gedeihen und Absterben des Königs / Weltenbaumes wird von Gott bestimmt – so in Ez 17,22-24, wo u.a. von dem von JHWH erwählten zukünftigen (davidischen) König die Rede ist.

Das Bild des Weltenbaumes überträgt Ezechiel auch auf ausländische Könige, deren sich der Gott Israels bedient. Gott lässt sie „sprießen“, aber „entwurzelt“ sie, wenn sie sich überheblich für einen „Gott-König“ halten wie der in Ez 31,2-12 beschriebene Zedernbaum, der für den ägyptischen Pharao steht.

In Ez 31,8.9 klingt eine → Eden-Tradition an, die auch in Ez 28,11-19 zu finden ist. Ein Vergleich des dort beschriebenen Königs von Tyrus mit altorientalischen Weltenbaumbeschreibungen lässt vermuten, dass der Weltenbaum zum festen Motivrepertoire der Eden-Überlieferung gehört (Pfeiffer, 2001, 4-5). Dies geht ebenfalls aus Dan 4 hervor: so wie sich der Lebensbaum aus Gen 2,9 „in der Mitte des Gartens“ befindet, wird in Dan 4,7 von dem (wieder für das Königtum stehendem) Weltenbaum gesagt, er stehe „in der Mitte der Erde“ (Pfeiffer, 2001, 6).

Die Verschmelzung von Welten- und Lebensbaum spiegelt sich später auch im kabbalistischen Lebensbaum (Sefirot-Baum) wieder.

4. Weltenbaum im Neuen Testament und im Christentum

Die einzige Stelle des Neuen Testaments, die an den (bei Ezechiel und Daniel beschriebenen) Weltenbaum denken lässt, ist das Gleichnis vom Senfkorn in Mk 4,30-32. Im Christentum überlebt die Vorstellung vom Weltenbaum in seiner Verbindung zum Lebensbaum und in dessen Verschmelzung mit dem Kreuz als Schnittpunkt von Vertikaler und Horizontaler und so als Achsenkreuz und Weltmitte, von der der ganze Kosmos zusammengehalten wird (siehe Pfnür 1999).

Literaturverzeichnis

  • Keel, O. / Schroer, S., 2002, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Göttingen.
  • Keel, O. u.a., 2004, Salomons Tempel, Fribourg.
  • Pfeiffer, H., 2001, Der Baum in der Mitte des Gartens, ZAW 113, 2-16.
  • Pfnür, V., 1999, Das Kreuz: Lebensbaum in der Mitte des Paradiesgartens. Zur Bedeutung der christlichen Kreuzessymbolik; in: M.-B. von Stritzky / Christian Uhrig (Hgg.), Garten des Lebens (FS Winfrid Cramer; MThA 60), Altenberge, 203-222.
  • Staubli, T., 2005, Art. Weltenbaum. II. Kunstgeschichtlich, in RGG 8, 4. Aufl., Tübingen, 1433-1434.

Abbildungsverzeichnis

  • Von Capriden flankierter Baum (Rollsiegel aus Megiddo; 14. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg 5. Aufl. 2001, Abb. 52; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Pflanzentreibende Erdgöttin, deren Zweige Tieren (links) zur Nahrung dienen (Rollsiegel aus Schadad bei Kerman; um 2500 v. Chr.). Aus: Keel / Schroer, 2002, Abb. 18; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Thronender Gott flankiert von Vegetationsgottheiten. Die Chaoswasser, aus denen sie wachsen, werden von einem Gott bekämpft (Rollsiegel aus Mari; 2360-2180 v. Chr.). Aus: Keel / Schroer, 2002, Abb. 19; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Stilisierter Weltenbaum mit Astralsymbolen. Rechts bekämpft ein Gott das durch die Schlange symbolisierte Chaos (altsyrisches Rollsiegel; 1850-1700 v. Chr.). Aus: Keel / Schroer, 2002 Abb. 20; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Stilisierter Weltenbaum flankiert von Capriden. Er dient den Tieren zur Nahrung. Astralsymbole unterstreichen seine kosmische Bedeutung (altsyrisches Rollsiegel; 1750-1550 v. Chr.). Aus: Keel / Schroer, 2002, Abb. 21; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Stilisierter Weltenbaum mit Flügelsonne, flankiert vom assyrischen König (Vignette). In anderen Szenen flankieren geflügelte Genien abwechselnd den König und den ihn repräsentierenden Baum (Brustteil eines Gewandes auf einem Relief Assurnasirpals II.; 883-859 v. Chr.). Aus: Keel / Schroer, 2002, Abb. 34; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz

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