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(erstellt: März 2015)

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1. Vorbemerkung

„Unzucht“ ist ein schwieriger, weil etwas antiquierter und zugleich massiv wertender Begriff, nicht unähnlich dem moderneren Fremdwort „Perversion“. Unter dem Begriff werden üblicherweise sozial unerwünschte Handlungs- und Verhaltensweisen speziell im sexuellen Bereich (→ Sexualität) erfasst. Was erwünscht oder unerwünscht ist, ist aber zu erheblichen Teilen soziokulturell vermittelt und kodiert, d.h. kulturspezifisch. Dieser Artikel soll nicht den Eindruck vermitteln, als ob sich unter „Unzucht“ einfachhin nur kulturunabhängiges, anthropologisch konstantes und immer gleich bewertetes Fehlverhalten fände.

2. Hinweise zu den gängigen Übersetzungen

„Unzucht“ ist in den modernen deutschen Übersetzungen sehr unterschiedlich präsent, auch für unterschiedliche hebräische Äquivalente: am häufigsten für die Wurzel זנה znh, in der Lutherübersetzung speziell für das Nomen זִמָּה zimmāh.

Die Elberfelder Übersetzung verwendet das Wort insgesamt nur zweimal (Num 25,1 und Hos 5,2), dazu zweimal das Adjektiv „unzüchtig“ (Ez 16,27; Ez 23,44, immer Frauen). Die Neue Zürcher Übersetzung hat es zwar über 30-mal im Neuen Testament, aber nur 2-mal im Alten Testament (Dtn 22,21; Ri 20,4). Die Lutherübersetzung bietet im Alten Testament das Wort „Unzucht“ nur 10-mal im → Ezechielbuch (vergleichbar Luther 1545), im Neuen Testament hat sie es halb so oft wie die Zürcher, dazu hat sie die „fremden Frauen“ fälschlicherweise in „unzüchtige Frauen“ verwandelt (Spr 22,14; Luther 1545: „der Huren Mund“!). Spitzenwerte erreicht die Einheitsübersetzung (ohne Deuterokanonika) mit über 40-mal „Unzucht“ im Alten Testament, über 30-mal im Neuen Testament, dazu 6-mal „unzüchtig“ im Ezechielbuch. Nur in Ez 23,35 gibt es eine terminologische Schnittmenge von Einheitsübersetzung und Lutherübersetzung. Dafür benutzt die Einheitsübersetzung aber auch praktisch gar nicht die in der Lutherübersetzung beliebten Ableitungen des Verbs „huren“.

Bei den Belegen der Lutherübersetzung steht hinter „Unzucht“ immer das sexuell inakzeptierte Gebaren einer weiblichen Figur, seien es voreheliche Aktivitäten mit männlichen Figuren (Ez 23,21) oder Ehebruch, und zwar als Metapher für den Abfall Israels / Judas von JHWH. Alternativbegriffe im Kontext sind dementsprechend „Hurerei“ und „Buhlerei“ (Ez 23,29). Massiv ist die doppelte Verwendung des Wortes „Unzucht“ in Ez 23,48, weil der Text hier aus der historischen Fiktion tritt und die Leserinnen direkt anspricht bzw. verwarnt.

Auch bei der Einheitsübersetzung ist oft, aber nicht immer eine weibliche Figur die Unzucht treibende, wegen vorehelicher Aktivität (Dtn 22,21; Ez 23,3), Ehebruchs (Dtn 31,16; Jer 3,8f) oder auch um direkt Fremdgötterverehrung zu diskreditieren (Ex 34,15.16; 2Kön 9,22). Zu den Vorwürfen kommt explizit unerlaubte Prostitution dazu, aber die Übergänge zu Ehebruch sind fließend (Gen 38,24; Ez 23,43), schließlich weibliche Selbstbefriedigung mit andromorphen technischen Hilfsmitteln (Ez 16,17) und sogar bezahlter Sex (Ez 16,33f). In Num 25,1 ist es aber das (männlich gedachte) Volk, das mit den → „Moabiterinnen“ Unzucht treibt, was „nicht näher spezifizierte Verbindungen mit Moabiterinnen zur Abgötterei“ meint, also nicht Prostitution (Seebass 116). Schon in Ex 34,16 sind explizit „Söhne“ als Unzucht treibende Akteure genannt, auch in Ez 23,17 (die Babylonier). Die Einheitsübersetzung kombiniert „Unzucht“ gerne mit „Schandtat“ (Lev 19,29) bzw. „schändlichem Treiben“ (Ez 23,27.35), also dem Wortfeld „Schande“.

Die Zürcher Übersetzung bietet als weiteren Tatbestand den der mehrfachen Vergewaltigung einer Frau durch Männer (Ri 20,6; neben der vorehelichen Aktivität von Frauen: Dtn 22,21). Man darf gespannt sein, ob die derzeit laufenden Revisionen der Luther- und der Einheitsübersetzung zu einer Reduktion von „Unzucht“ zumindest im Alten Testament führen werden, die der Zürcher oder Elberfelder Übersetzung vergleichbar ist.

3. Unterthemen von Unzucht

Traditionell ist das Spektrum von „Unzucht“ im Alten (und Neuen) Testament freilich weiter, als es die bestehenden Übersetzungen hergeben: Als „Unzucht“ akzentuiert werden in den Übersetzungen nur Ehebruch (→ Ehe), Prostitution (→ Hure / Hurerei), vorehelicher Verkehr (→ Ehe), Selbstbefriedigung (→ Onan), und zwar meistens in androzentrischer Perspektive mit Frauen als Täterinnen. Dazu wird immerhin einmal auch eine von Männern inszenierte Vergewaltigung (→ Dina; → Tamar) in diesem Sinne stigmatisiert. Dagegen werden folgende Bereiche mittels der Übersetzungen nicht umfasst, obwohl sie inhaltlich traditionell unter „Unzucht“ verhandelt werden bzw. wurden und in der Bibel in irgendeiner Form Erwähnung finden: Inzest (→ Blutschande), → Homosexualität, und zwar immer männliche, Zoophilie bzw. Sodomie (→ Sodom und Gomorra), Missbrauch Minderjähriger (Päderastie, Pädophilie), ja sogar Mischehen mit NichtisraelitInnen (anhand Dtn 23,3 so immer noch LThK 10, 2001!). Man könnte mit Blick auf die biblischen Bestimmungen auch an sich legitimen, aber während der Menstruation praktizierten Sexualverkehr (Lev 18,19, dazu Lev 15) ebenfalls unter „Unzucht“ fassen oder auch die Wiederaufnahme einer einmal geschiedenen und dazwischen mit einem anderen Mann verheirateten Frau (Dtn 24,1-4). Da die meisten der genannten sexuellen Praktiken in Einzelartikeln besprochen werden, sei in diesen Fällen darauf verwiesen. Umgekehrt ist auch offensichtlich, dass die Bibel keineswegs auf alle, zu unterschiedlichen Zeiten ggf. akzeptablen bzw. vor allem inakzeptablen und deshalb eigentlich unzüchtigen sexuellen Praktiken eingeht (z.B. Fetischismus, Exhibitionismus, Sadismus, Masochismus; zu Voyeurismus vgl. allerdings die deuterokanonische → Susannaerzählung in Dan 13).

Bei zwei Verhaltensweisen ist darauf hinzuweisen, dass die Terminologie, zumindest im Deutschen, dem in der Bibel inkriminierten Fehlverhalten nicht entspricht: → Onan hat sich in Gen 38 nicht der Masturbation schuldig gemacht, sondern des coitus interruptus beim Verkehr mit einer Frau während des Vollzug einer → Leviratsehe. Auf Masturbation wird im Alten Testament außer in Ez 16,17 auch nicht mehr angespielt oder hingewiesen. Sodomie hat nur im angelsächsischen Bereich meistens die Bedeutung (männlicher) Analverkehr, passt also halbwegs zu Gen 19. Im Deutschen jedoch geht es bei „Sodomie“ um sexuellen Verkehr mit Tieren, in den Lexika z.T. auch unter „Bestialität“ zu finden. Dieser steht im → Bundesbuch (Ex 22,18) und im → Heiligkeitsgesetz (Lev 20,15f) unter → Todesstrafe (sog. mot-jumat-Sätze). In Lev 20 wird die Todesstrafe auch über das Tier verhängt, mit der verschärften persönlichen Aufforderung „du sollst es / sie töten“ unter Implementierung des nicht deutungsoffenen, d.h. nicht abschwächend interpretierbaren Verbs הרג hrg. Außerdem wird wie in Lev 18 nach Männern und Frauen differenziert, während die maskuline Formulierung in Ex 22,18 wohl inklusiv zu deuten ist. Nach Lev 18,23 freilich macht der Verkehr eines Mannes mit einem Tier ihn danach (nur) „unrein“, der Verkehr einer Frau mit einem Tier ist (nur) etwas „Schändliches“ bzw. eine „Befleckung“. Weitere Konsequenzen werden in Lev 18 nicht genannt. Im Übrigen finden sich in Lev 18 und Lev 20 die längsten Listen nichterwünschter sexueller Handlungs- und Verhaltensweisen, wenn man so will „Unzuchtskataloge“. Gravierende wirkungsgeschichtliche Folgen hatte die prophetische Übertragung der Ehebruchs- und Prostitutionsmetapher auf das Verhältnis JHWH-Israel / Juda mit Israel / Juda als weiblichem Partner. Im übrigen wird institutionalisierte Prostitution im Alten Testament keineswegs grundsätzlich abgelehnt (vgl. z.B. Jos 2).

Missbrauch minderjähriger Jungen oder Mädchen wird im Alten Testament nicht wirklich eindeutig erwähnt. Die Übersetzung „Lustknaben“ der Einheitsübersetzung bzw. (jugendliche) „Hurer“ der Lutherübersetzung in Hi 36,14 ist alles andere als gesichert. Wenn „Vater und Sohn zum selben Mädchen gehen“ (Am 2,7), ist über das Alter des „Mädchens“ nichts Definitives gesagt, außerdem könnte „Mädchen“ (נַעֲרָה na’ǎrāh) auch mit „Magd“ bzw. „Sklavin“ übersetzt werden. Bei der Vergewaltigung junger Frauen (meist בְּתוּלָה bətûlāh) geht es eher um deren sozialen Status als um ihr Alter (Dtn 22,23.28; Ri 19,24; Klgl 5,11), auch bei → Tamar in 2Sam 13 (dazu auch Num 31,17-18, vgl. Michel 294f).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003 (Hure)
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg 2008
  • Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 (Prostitution)

2. Weitere Literatur

  • Michel, A., 2004, Sexuelle Gewalt gegen Kinder in der Bibel, Conc 40, 289-297.
  • Sals, U., 2013, Die Hure liegt im Auge des Betrachters – Prostitution in der Bibel., Diakonia 44, 87-93.
  • Seebass, H., 2007, Numeri, 3. Teilband. Numeri 22,2-36,13 (BK.AT IV/3), Neukirchen-Vluyn.

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