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Unsichtbarkeit Gottes

(erstellt: Oktober 2012)

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Die Vorstellung, dass Gott unsichtbar ist, ist im Alten Testament nicht zu finden. Im Neuen Testament wird Gott dagegen dreimal als unsichtbar (ἀόρατος) bezeichnet (Kol 1,15; 1Tim 1,17; Hebr 11,27), und das hat die christliche Theologie beeinflusst. Die Idee der Unsichtbarkeit stammt aus den griechischen philosophischen Traditionen und hat jüdische Autoren erst in hellenistisch-römischer Zeit geprägt. Insbesondere → Philo von Alexandrien hat oft über die Unsichtbarkeit Gottes geschrieben: „Wir werden somit in unserem Denken über die gesamte sichtbare Welt hinwegsehen und dem Gestaltlosen, Unsichtbaren, nur dem Verstande Erfassbaren die Ehre geben, der nicht nur Gott der Götter, sondern auch ihrer aller Schöpfer ist“ (De specialibus legibus I.3 §20; Wikisource: Philo). In der → Septuaginta wird Gott dagegen nicht als „unsichtbar“ bezeichnet, allerdings hat er alles aus „Unsichtbarem“ gemacht (Gen 1,2).

Der Begriff der Unsichtbarkeit Gottes kann an bestimmte Vorstellungen im Alten Testament anschließen. In Texten über Theophanien finden wir die Idee der Unansichtigkeit Gottes. Sähe jemand Gott (oder eine andere göttliche Macht), könnte er nicht überleben. Am klarsten ist Ex 33,20. „Und er [Jhwh] sagte: ‚Du kannst mein Angesicht nicht sehen, kein Mensch kann mich sehen und leben’“. → Mose sieht hier nicht das Angesicht (פָּנִים pānîm) Jhwhs, sondern nur die „Rückseite“ (אָחוֹר ’āḥôr; Ex 33,23) Jhwhs. In anderen Texten behaupten Personen, Gott zu sehen, aber sie fürchten sich dabei zu Tode (Gen 32,31; Ri 6,22-23; Ri 13,22; Jes 6,5). In die gleiche Richtung weisen Texte, die über die Stimme Gottes (Dtn 5,23-31), den Namen Gottes (Ri 13,17-18; vgl. Gen 32,30) oder heiligen Boden (Ex 3,5) sprechen. Der direkte Kontakt mit dem → Heiligen ist nämlich lebensbedrohlich, weil Gott sich grundlegend vom Menschen unterscheidet. Der ethische Aspekt des Heiligen ist in der → BerufungJesajas berücksichtigt. Jesaja ruft aus: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, Jhwh Zebaoth, mit meinen Augen gesehen“ (Jes 6,5).

Das Alte Testament geht davon aus, dass Gott einen → Körper hat (Sommer; Wagner), der in Wolken und Dunkel verborgen ist (Ex 19,9.16-18; Hi 22,14; Ps 18,12; Ps 97,2; Ps 105,39). Obwohl Gott zu sehen oft als tödlich beschrieben wird, kann es auch als literarisches Motiv für eine besondere Offenbarung genutzt werden. Mose spricht mit Gott von Angesicht zu Angesicht (Ex 33,11), und Jesaja hat Jhwh Zebaoth gesehen (Jes 6,5). Der Zusammenhang von der Unansichtigkeit Gottes (Ex 33,20) und der Ansichtigkeit Gottes (Ex 33,11) im gleichen Kapitel zeigt, dass wir hier keinen Widerspruch finden müssen. Vielmehr arbeitet der nachpriesterliche Redaktor von Ex 33 mit einem theologischen Paradox. Dennoch finden wir eine Tendenz, die Beschreibung des Körpers Gottes zu vermeiden. In dem späten Text Dtn 4, der die erste Rede Moses im → Deuteronomium mit einer Predigt über das Hauptgebot und das → Bilderverbot abschließt, wird das Bilderverbot mit der Unansichtigkeit Gottes am Sinai begründet. „Ihr hörtet die Stimme seiner Worte, aber ihr saht keine Gestalt außer der Stimme“ (Dtn 4,11). Gott hat eine Gestalt, aber sie ist nicht zu sehen. Ebenfalls vermeidet → Ezechiel, anders als Jesaja, in seiner Berufungsvision über die Gestalt Gottes zu sprechen. Er sieht die vier Tiere mit vier Angesichten und die Räder, die den Thron stützen, und hört eine Stimme. Darüber sieht er den Thron und eine Figur wie einen Mann, aber er glänzt wie Feuer. Ezechiels Worte bieten keine nähere Beschreibung von Jhwh an außer „das war der Anblick der Gestalt der Herrlichkeit Jhwhs“ (Ez 1,28). Die abstrakten Nomina distanzieren die Beschreibung von dem, was vor Ezechiel erschien. Die spätere Vermeidung der Beschreibung des Körpers Gottes in den Targumim und vielleicht auch in der Septuaginta liegt in der gleichen Richtung. Die Targumim übersetzen Wörter wie → Hand, → Finger, → Fuß usw. (→ Körperteile), wenn sie sich auf Gott beziehen, mit Abstraktnomen oder umschreiben diese Begriffe.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979

2. Weitere Literatur

  • Hartenstein, F., Das Angesicht JHWHs. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34 (FAT 55), Tübingen 2008.
  • Smith, M.S., „Seeing God“ in the Psalms: The Background to the Beatific Vision in the Hebrew Bible, CBQ 50 (1988), 171-183.
  • Sommer, B., The Bodies of God and the World of Ancient Israel, Cambridge, 2009.
  • Wagner, A., Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010.

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