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(erstellt: Mai 2008)

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1. Einleitung

„Wallfahrt“ bezeichnet eine religiös motivierte Reise zu einem Kultort, an dem nach dem Glauben der Pilger die Präsenz einer Gottheit erfahrbar ist.

In hellenistisch-römischer Zeit ist es unstrittig, dass die Wallfahrt eines gläubigen Juden den Jerusalemer Tempel zum Ziel hat (→ Jerusalem; → Tempel). → Philo von Alexandria schreibt: „Zehntausende kommen (wörtl.: laufen ein) aus zehntausenden von Städten an jedem Fest zum Tempel, die einen zu Land, die anderen über das Meer, aus Osten und Westen und Norden und Süden“ (De Specialibus Legibus I, 69; vgl. auch Tob 1,6f. [Einheitsübersetzung]). Die Hebräische Bibel kennt allerdings noch weitere Ziele für religiös motivierte Reisen. So gibt es außer für Jerusalem auch Zeugnisse für → Silo, → Bethel und (evtl.) den → Horeb als Wallfahrtsorte (zur Diskussion, ob der Gottesberg / Horeb in vorchristlicher Zeit ein Wallfahrtsort war, s.u.).

2. Begriffsklärung

Um eine religiös motivierte Reise zu einem Heiligtum zu beschreiben, wird in der Hebräischen Bibel meist eine Form der Wurzel עלה ‛ālāh verwendet, die „hinaufsteigen / hinaufgehen“ im Gegensatz zu ירד jārad „hinabsteigen / hinabgehen“ bedeutet. Das Verb kann sich auch auf die Wanderung von Ägypten nach Palästina beziehen, ebenso auf die Heimkehr der 597/587 v. Chr. nach Babylonien Exilierten. Da Jerusalem ca. 800 m über dem Meeresspiegel liegt, wird das Gehen dorthin – wie zu anderen Städten, die auf einer Anhöhe liegen – meist durch עלה ‛ālāh „hinaufsteigen / hinaufgehen“ ausgedrückt. Das Verb bekommt schließlich „die technische Bedeutung ‚pilgern, wallfahren’“ (Wehmeier, 275), wenn sich im Zielort ein Heiligtum befindet. So wird vermutlich nicht nur der räumliche Aspekt durch das „Hinaufgehen“ ausgedrückt, sondern auch der Gedanke an die Begegnung mit dem in der Höhe wohnenden Gott (vgl. Wehmeier, 275).

Das von der Wurzel עלה (‛ālāh) abgeleitete Substantiv מַעֲלוֹת ma‛ǎlôt „Aufstieg / Stufen“ ist schließlich ein Begriff der sog. Wallfahrtspsalmen (Ps 120-134). Sie sind mit שִׁיר הַמַּעֲלוֹת šîr hamma‛ǎlôt überschrieben (Ps 121: שִׁיר לַמַּעֲלוֹת šîr lamma‛ǎlôt), was meist mit „Wallfahrtslied“ oder „Stufenlied“ wiedergegeben wird.

Ob es sich bei der Wendung „vor Gottes Angesicht erscheinen (ראה rā’āh Nif.)“ (z.B. Ex 23,17) um eine Formel aus der Wallfahrtssprache handelt (so Schaper, 5f.), ist in der Forschung umstritten (vgl. Dyma).

Da nur die drei Feste → Passa / → Mazzot, → Laubhüttenfest und → Wochenfest, an denen man „vor dem Herrn erscheinen soll“, als חַג chag bezeichnet werden, bedeutet der Begriff „Wallfahrtsfest“ (→ Fest / Festverständnis / Festkalender).

In der → Septuaginta und im Neuen Testament wird das „Hinaufziehen (nach Jerusalem oder zu einer anderen heiligen Stätte)“, also das Pilgern / Wallfahren, meist mit ἀναβαίνω „hinaufgehen / hinaufsteigen“ wiedergegeben (vgl. z.B. 1Sam 1,3; 1Kön 12,24; Mt 20,17f., Joh 7,8ff.). חַג chag „Wallfahrtsfest“ wird mit heortē „Fest“ übersetzt.

3. „Wallfahrt“ in der Hebräischen Bibel

In der Hebräischen Bibel bezeugen vor allem die Festkalender in Ex 23 und Ex 34 sowie Dtn 16 das Feiern von Wallfahrtsfesten. Außerhalb des Pentateuchs und des Psalters wird in Erzählungen mehrmals – teils ausführlich, teils in kleinen Notizen – von Wallfahrten berichtet, wobei unterschiedliche Wallfahrtsorte genannt werden, nämlich → Bethel, → Gilgal und → Beerscheba (Am 5,4) sowie → Silo (1Sam 1,3), evtl. der → Horeb (1Kön 19,8) und selbstverständlich Jerusalem (1Kön 12,27f.; 2Chr 30,1 u.ö.). Im → Psalter erscheint nur Jerusalem als Wallfahrtsort. Im Neuen Testament spricht Joh 4,20ff. dagegen auch vom → Garizim als Ziel religiös motivierter Reisen.

3.1. Festkalender

1. Ex 23. Innerhalb des → Bundesbuches (Ex 20-23) weist Ex 23,14-17 als wohl ältester schriftlicher Beleg der Hebräischen Bibel drei Feste als Wallfahrtsfeste aus. Nach der Einleitung „Dreimal im Jahr sollst du mir ein Fest feiern.“ werden das Mazzot-Fest (חַג הַמַּצּוֹת chag hammaṣṣôt), das Fest der Ernte (חַג הַקָּצִיר chag haqqāṣîr) und das Fest der Lese (חַג הָאָסִף chag hā’āsif) genannt. In Ex 23,17 wird schließlich noch einmal betont, dass alles, was männlich ist, dreimal im Jahr vor dem Herrn JHWH erscheinen soll.

2. Ex 34. Der spätere Festkalender in Ex 34 erwähnt ebenfalls drei Feste, an denen alle männlichen Israeliten vor dem Herrn JHWH, dem Gott Israels, erscheinen sollen (Ex 34,23). Unmittelbar vorher werden das Mazzot-Fest, das Wochenfest als Fest der Ernte und das Fest der Lese genannt. Aus dem älteren Terminus chag haqqāṣîr „Fest der Ernte“ wird chag šāvu‛ot „Wochenfest“, wodurch ein „Wochen- oder auch Sechs / Sieben-Tage-Rhythmus berücksichtigt“ wird (Körting, 1999, 35).

3. Dtn 16. Auch in Dtn 16,1-17 ist die Rede davon, dass alle männlichen Israeliten dreimal im Jahr vor JHWH erscheinen sollen (Dtn 16,16). Die Stelle enthält den Zusatz, dass dies an dem Ort geschehen soll, den JHWH erwählen wird. Darüber hinaus wird zum einen das Fest der Lese als chag hassukkot „Laubhüttenfest“ bezeichnet, zum andern wird betont, „daß Passa / Mazzot als ein Fest zu verstehen ist“ (Körting, 1999, 49).

4. Demnach weisen die Festkalender Ex 23,14-17; Ex 34,18-26 und Dtn 16,1-17 mit der Aufforderung zur Feier von Pesach / Mazzot, Wochenfest und Laubhüttenfest sowie zur Wallfahrt eine gemeinsame Grundsubstanz auf. Dabei wurden die Feste erst mit der Festlegung der Feststätte an einem von Jahwe erwählten Ort zu Wallfahrtsfesten (Körting, 1999, 81.89), die nicht mehr an einem lokalen Tempel, sondern am Zentralheiligtum in Jerusalem begangen wurden (→ Fest / Festverständnis / Festkalender).

3.2. Erzähltexte

1. Silo. Zu Beginn des 1. Samuelbuchs (→ Samuelbücher) begegnet Silo als Wallfahrtsort (1Sam 1,3ff.). Es wird berichtet, dass → Elkana jährlich nach Silo „hinaufging“, um JHWH Zebaoth anzubeten und ihm Opfer darzubringen. Da auch → Eli und seine Söhne als Priester von Silo vorgestellt werden, muss es dort ein kleines Heiligtum gegeben haben, jedoch wird dies weder thematisiert noch kritisiert. Da Jerusalem noch nicht als alleiniges Kultzentrum gilt, dürfte der Text aus vor-deuteronomistischer – also vermutlich vorexilischer – Zeit stammen.

2. Bethel. Bethel erfährt als Wallfahrts- bzw. Kultort positive wie negative Würdigungen. Einerseits wird Bethel z.B. in 1Sam 10,3 als Ort genannt, an dem man Gott begegnen kann (vgl. Gen 28,10-22; Gen 35,1-15). Nachdem → SamuelSaul zum König gesalbt hat, prophezeit er dem neuen König, dass dieser an der Eiche Tabor auf drei Männer treffen wird, die „hinaufgehen“ zu Gott nach Bethel. Die Männer tragen Opfergaben bei sich und werden Saul zwei ihrer Brote geben, sodass er auf seiner Reise versorgt ist. 1Sam 10,3 „bezeugt die Vorstellung von der Gegenwart Gottes in Bethel, ja setzt sie ganz selbstverständlich als bekannt voraus“ (Koenen, 179). Andererseits gerät Bethel in den → Königsbüchern als Ort eines Heiligtums und illegitimer Kultausübung und so implizit auch als Ziel von Wallfahrten in die Kritik, vor allem deuteronomistischer Verfasserkreise (→ Deuteronomismus). Jerobeam spricht in 1Kön 12,28 zu seinem Volk, dass sie lange genug nach Jerusalem „hinaufgezogen“ sind. Er stellt je ein goldenes Stierbild in Bethel und in Dan auf, sodass das Volk nun vor diese „neuen Heiligtümer“ treten (und nicht mehr nach Jerusalem ziehen) soll. Die Aufstellung dieser goldenen Stierbilder wurde Jerobeam als Sünde angerechnet; er wiederholte „die Ursünde Israels“ von Ex 32 (Köhlmoos, 228; → Goldenes Kalb). So drückt sich in Bethel (und Dan) „vor allem die kultische Trennung Israels von Juda aus. In der Aufstellung der Stierbilder wird sie manifest. Diese Ätiologie des Nordreichskultes dient der Ätiologie des Untergangs“ (Köhlmoos, 227). Dementsprechend wird in deuteronomistischer Theologie der Kult von Bethel als Ketzerei gebrandmarkt und der Untergang Israels erklärt (vgl. Koenen, 192).

3. Horeb / Sinai. Als weiterer Wallfahrtsort kann der Gottesberg / Horeb angesehen werden. Wenn → Elia auf Geheiß eines Engels 40 Tage und 40 Nächte zum Berg Gottes, dem Horeb, geht (1Kön 19,8), ist es möglich, anzunehmen, dass eine „Wallfahrt“ zum „Gottesberg“ bzw. → Sinai in vorchristlicher Zeit üblich war. Nach → Martin Noth war der Sinai nicht nur ein heiliger Berg, sondern „ein Wallfahrtsziel, dem die Scharen frommer Pilger zu wahrscheinlich bestimmten Gelegenheiten stets von neuem zustrebten (Noth, 8).“ Diese These ist allerdings umstritten (vgl. z.B. Fritz, 176: „für die Annahme einer Wallfahrt zu diesem heiligen Berg im alten Israel fehlen die weiteren Hinweise“). B. Diebner kommt zu dem Schluss, dass der Sinai den jüdischen Pilgern nicht als Wallfahrtsziel gedient, sondern nur zu deren Durchzugsgebiet nach Jerusalem gehört hatte (vgl. Diebner, 699).

4. Jerusalem. Der wichtigste Wallfahrtsort ist Jerusalem (oder meist synonym gebraucht: der Zion). Dies bezeugen außer den Königsbüchern die Prophetenbücher, wenn sie eine eschatologische → „Völkerwallfahrt zum Zion“ ankündigen. So schaut → Jesaja, der Sohn des Amoz, eine → Vision, in der die Völker der Erde zum Zion hinaufgehen, um dort JHWHs Weisung / Torah zu erhalten, sodass die Völker der Welt in Frieden leben werden (Jes 2,1-5; par. Mi 4,1-5).

3.3. Psalmen

Ein zentrales Thema des → Psalters ist der → „Zion“: Er ist die Wohnstätte Gottes (z.B. Ps 48), Inbegriff der Sehnsucht der Exilierten (z.B. Ps 137) und wohl das Zentrum der sogenannten Wallfahrtspsalmen Ps 120-134. Alle Psalmen dieser Sammlung tragen die Überschrift שִׁיר הַמַּעֲלוֹת šîr hamma‛ǎlôt, die auf eine Wallfahrt hinweist. Es entsteht darüber hinaus der Eindruck, „daß es sich bei den Ma‛alot-Psalmen in vieler Hinsicht um eine im großen ganzen homogene und in sich kohärente Textgruppe sui generis handelt“ (Seybold, 22). Nach L. Crow liegen hier „agrarian songs“ zugrunde, vielleicht aus Nord-Israel, die ein Redaktor überarbeitete (Crow, 157).

Innerhalb der Wallfahrtslieder ist der Zion ein klarer Themenschwerpunkt: „Zion ist Ziel der Wallfahrer, denn er ist der Ort, den sich Jhwh erwählt hat und an dem er wohnen will (Ps 132,13f.). Auf dem Zion ist Gott gegenwärtig. Doch es gibt nicht nur eine Bewegung zum Zion hin, sondern auch eine vom Zion aus. „Der Segen Gottes geht aus von Zion, erfaßt den, der den Herrn fürchtet, und bleibt dem vorenthalten, der Zion haßt“ (Körting, 2006, 145).

Darüber hinaus fällt die „Direktheit der Gottesbeziehung, die Gottesnähe, in der die Psalmisten zu leben glauben“ (Seybold, 77), ins Auge. So bieten einige Psalmen Anrufungen Gottes in persönlicher Not (Ps 120,1: „Zu JHWH habe ich in meiner Not gerufen, und er erhörte mich.“; Ps 121,1: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“; Ps 130,1: „Aus der Tiefe rufe ich, JHWH, zu dir.“). Auch spielen die Bekenntnisse zu Gott und die Freude und Glückwünsche eine Rolle, wie dies beispielsweise der kurze Ps 133 illustriert, ebenso Ps 126,3: „JHWH hat Großes an uns getan, deshalb sind wir fröhlich“.

Ps 122 ist der einzige Psalm in dieser Sammlung, der nicht nur durch die Überschrift, sondern auch durch seinen gesamten Inhalt eine Wallfahrt thematisiert. Er beginnt mit „Ich freute mich über die, die mir sagten: Lasst uns ziehen zum Haus JHWHs! Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem“ und schließt mit Glück- und Friedenswünschen.

Die Wallfahrtspsalmen sind vermutlich nach der Restitution Zions und Jerusalems, der Exilswende, zu datieren (nach 520 v. Chr.; Seybold, 75).

4. Wallfahrtstheologie in der sog. zwischentestamentlichen Literatur

Die sich nachexilisch ausbildende Zionstheologie der Wallfahrtspsalmen findet in den → Psalmen Salomos (1. Jh. v. Chr.) eine Fortsetzung. Im 11. Psalm der Psalmen Salomos ist die Vorstellung einer Wallfahrt zum Zion sehr ausgeprägt: Hier wird keine jährlich zu wiederholende Pilgerreise beschrieben, sondern der Zion ist das Symbol der Sehnsucht für das zerstreute Israel. Der Beter beschreibt in diesem Psalm, dass Gott sein Volk heimführen und ihm den Weg bis zum Zion ebnen wird (so z.B. auch in Jes 40,9-11). Jerusalem auf dem Zion ist das Ziel dieser Reise. Auch die Theologie einer Völkerwallfahrt ist in den Psalmen Salomos präsent: In PsSal 17 wird um einen neuen König gebeten, der Israel in Weisheit und Gerechtigkeit führen soll (PsSal 17,23-26). Wenn er Jerusalem wieder heilig und rein gemacht hat (PsSal 17,33), werden von Ferne Völker kommen, „um seine Herrlichkeit zu schauen“ (PsSal 17,34).

Das Motiv der Völkerwallfahrt findet sich auch im Lobgesang des Tobias (Tob 13,13f.). Dort wird von den Völkern gesagt, dass sie aus fernen Ländern zum Herrn kommen werden, mit Geschenken in ihren Händen, und dass sie ihm in Freude dienen werden.

In der essenischen Gemeinde nahm man von Wallfahrtsregelungen nach Jerusalem wieder Abstand, da der bestehende Jerusalemer Tempel in den meisten Schriften als illegitim betrachtet wurde. So pilgerte man nicht zum Zion nach Jerusalem, sondern war der Überzeugung, dass der wahre Zion sich mitten in der essenischen Gemeinde befinde, unter den Söhnen der Gerechtigkeit. Eine solche Uminterpretation des Zion findet sich zum Beispiel in 11QMelch Z. 23f. Dort ist Zion „der Rat aller Söhne der Gerechtigkeit. Sie richten den Bund auf und weichen ab vom Weg des Volkes“.

5. Ausblick: Wallfahrt im Neuen Testament

Zur Zeit Jesu hatte sich das jüdische Ritual der Wallfahrt zum Jerusalemer Tempel etabliert. Jesus selbst wird vor allem in den Evangelien als ein jüdischer Pilger dargestellt, der zum Pesach- und Laubhüttenfest nach Jerusalem hinaufzog. Nach D. Sänger werden die Wallfahrten Jesu nicht nur nebenbei erwähnt, sondern haben ein besonderes Gewicht: Im Markus-Evangelium wird „der Gang nach Jerusalem zu einem christologischen Erkenntnisweg“, bei Johannes dienen die Festreisen Jesu nach Jerusalem „als Interpretament seines kreuzestheologisch akzentuierten Evangeliums“ (Sänger, 419). Die bekannteste Erwähnung einer Wallfahrt Jesu nach Jerusalem ist schließlich die zu jenem Passafest, an dem er mit seinen Jüngern das letzte Mahl hielt und anschließend verhaftet wurde (Mk 11 par.).

Nicht nur die Praxis der Wallfahrt zum Jerusalemer Tempel wurde fester Bestandteil im Judentum zur Zeit Jesu, auch das alttestamentliche Motiv der Völkerwallfahrt wird in den Schriften des Neuen Testaments aufgenommen. Zum einen beschreibt Mt 8,11 eine eschatologische Völkerwallfahrt der „Vielen von Osten und Westen, die mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen werden“. Im Vergleich mit dem Alten Testament hat diese „Wallfahrt“ aber weder Zion / Jerusalem noch konkret den Tempel zum Ziel. Darüber hinaus wird das Motiv der „Völkerwallfahrt“ mit der Aussage weitergeführt, dass die „Kinder des Reiches“ in die Finsternis hinaus gestoßen und nicht an diesem Tisch im Himmelreich sitzen werden. Zum andern vermutet D. Georgi, dass die paulinische Anschauung von der Kollekte durch das Motiv der Völkerwallfahrt nach Jerusalem bestimmt wurde, „wenngleich in einer die apokalyptische Intention deutlich modifizierenden Weise“ (Georgi, 28). Diese Zusammenstellung von Kollekte und Völkerwallfahrt ist in der neutestamentlichen Forschung allerdings umstritten (vgl. Sänger, 420).

6. Zusammenfassung

Vermutlich hat es Wallfahrten schon in vorexilischer Zeit gegeben, nur waren sie weniger im Leben verankert als in der Zeit des Zweiten Tempels und führten nicht nur nach Jerusalem. Ab dem 6. Jh. v. Chr. entsteht die deuteronomistische Theologie, die Jerusalem als einzigen legitimen JHWH-Kultort deklariert und kultische Höhen sowie andere Orte scharf kritisiert und ablehnt (z.B. 1Kön 12; 2Kön 17). In der Zeit des Zweiten Tempels (520 / 515 v. Chr. bis 70 n. Chr.) bildet sich schließlich eine Wallfahrts- und Zionstheologie heraus. Ob Wallfahrten aus der Diaspora nach Jerusalem in der Frühzeit des Zweiten Tempels üblich waren, ist zu bezweifeln, aber gegen Ende der Hasmonäerzeit nehmen Nachrichten über Wallfahrten zu, auch aus der Diaspora, „und deutlich werden sie in den letzten Generationen vor der Tempelzerstörung von Herodes an“ (Safrai, 8).

Dass die Wallfahrt nach Jerusalem immer größere Ausmaße annahm, ist nach S. Safrai vor allem in „der religiösen Rechtsetzung zu spüren. Außer an den Bestimmungen, welche die Tätigkeit des Hohen Rats, seine Sorgewaltung für Instandsetzung der Wege, der Zisternen und die Wasserversorgung unterwegs, die Ordnungen des Tempels an den Festen und die Beherbergung der Pilger regeln, ist ihr Einfluß auch auf einige Verordnungen grundsätzlicher Art wahrzunehmen“ (Safrai, 10). Die Hauptquelle für das jüdische Pilgerwesen in der Zeit des Zweiten Tempels ist die rabbinische Literatur, auch wenn manche rabbinischen Schriften nach der Zerstörung des Zweiten Tempels niedergeschrieben wurden; es beruht aber „ein Großteil der mischnischen sowie die überwiegende Mehrheit auch der talmudischen Traditionen auf solider Überlieferung“ (Safrai, 12). So gibt es eigene → Talmud-Traktate wie Sukka, Chagiga und Pesachim, die die Wallfahrtsordnungen samt den darzubringenden Opfern regeln (ausführlich zur Wallfahrt in den rabbinischen Quellen s. Safrai).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979

2. Weitere Literatur

  • Crow, L.D., 1996, The Songs of Ascents (Ps 120-134). Their Place in Israelite History and Religion (SBL.DS 148), Atlanta / Georgia
  • Diebner, B.J., 1995, Sinaitische Wallfahrtstraditionen im vorchristlichen Judentum?, in: Akten des XII. internationalen Kongresses für christliche Archäologie. Bonn 22.-28. September 1991, Teil II (JAC.E 20,2), Münster, 690-699
  • Dyma, O., 2007, „Gottes Angesicht schauen“ oder „vor ihm erscheinen“ als Wallfahrtsterminologie?, in: Literatur- und sprachwissenschaftliche Beiträge zu alttestamentlichen Texten. Symposion in Hólar í Hjaltadal, 16. - 19. Mai 2005 (Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 83; FS W. Richter), St. Ottilien, 23-36
  • Fritz, V., 1996, Das erste Buch der Könige (ZBK.AT 10,1), Zürich
  • Georgi, D., 2. Aufl. 1994, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Neukirchen-Vluyn
  • Keel, O., 2004, „Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn“, Welt und Umwelt der Bibel 33, 16-21
  • Koenen, K., 2003, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie (OBO 192), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Köhlmoos, M., 2006, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-El-Überlieferung (FAT 49), Tübingen
  • Körting, C., 1999, Der Schall des Schofar. Israels Feste im Herbst (BZAW 285), Berlin / New York
  • Körting, C., 2006, Zion in den Psalmen (FAT 48), Tübingen
  • Noth, M., 1940, Der Wallfahrtsweg zum Sinai (Nu 33), Palästinajahrbuch 36, 5-28
  • Safrai, S., 1981, Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels (FJCD 3), Neukirchen-Vluyn
  • Sänger, D., 2003, Art.: Wallfahrt / Wallfahrtswesen. III. Neues Testament, TRE 35, Berlin / New York
  • Schaper, J., 2004, »Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser«. Studien zu Ps 42/43 in Religionsgeschichte, Theologie und kirchlicher Praxis (BThSt 63), Neukirchen-Vluyn
  • Seybold, K., 1978, Die Wallfahrtspsalmen. Studien zur Entstehungsgeschichte von Psalm 120-134 (BThSt 3), Neukirchen-Vluyn
  • Wehmeier, G., 2. Aufl. 1979, Art. עלה, THAT II, München / Zürich, 272-290
  • Zeller, D., 1971, Das Logion Mt 8,11f / Lk 13,28f und das Motiv der »Völkerwallfahrt«, BZ N.F. 15, 222-237

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