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Schmerz (AT)

(erstellt: Juli 2016)

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Leid

1. Terminologie

Im Alten Testament ist nicht ein einzelner Begriff belegt, der dem deutschen Wort „Schmerz“ in seinen verschiedenen Facetten und Konnotationen nahekommt. Die verschiedenen Erfahrungen, die mit dem Phänomen „Schmerz“ verbunden sind, werden vielmehr durch unterschiedliche Termini ausgedrückt werden. Der vielleicht dem deutschen Wort „Schmerz“ am nächsten kommende hebräische Begriff ist כְּאֵב kə’ev „Leid / Schmerz“, abgeleitet von der Wurzel כאב k’b „Schmerz empfinden / leiden“. Psychischer und physischer Schmerz kann auch mit der Wurzel עצב ‘ṣb umschrieben werden, der Verlustschmerz angesichts von Konfrontation mit dem Tod und der damit verbundenen Erfahrung von Desorientierung durch אָבֶל ’āvæl (vgl. Staubli / Schroer 2014, 478).

2. Menschlicher Schmerz

Schmerzen erlebten Menschen in unterschiedlichen Situationen, z.B. bei der → Geburt, bei → Krankheit (Ps 38,18: Ps 69,27; Hi 33,19) oder körperlicher Schwäche, bei Verletzungen (Jes 50,11), in → Trauer (2Sam 19,3), Unglück (Hi 9,28) und → Leid (Ps 39,3; Hi 16,6; Hi 2,13) oder in Noterfahrungen, die den einzelnen Menschen wie das Volk insgesamt (Ex 3,7; Jes 14,3; Jer 30,15; Jer 51,8; Klgl 1,12.18) betreffen konnten. Auch Reue (→ Umkehr), Kummer (→ Leid) und → Trost können mit Schmerzerfahrungen verbunden sein oder diese voraussetzen. Zum Ausdruck brachte man den Schmerz u.a. in → Klage- und Trauerriten, wie z.B. Weinen, Schreien (Jes 65,14), dem Zerreißen von Kleidern, dem Bestreuen mit Staub und Asche oder durch Klage (→ Totenklage). Schmerzäußerungen waren auch Händeringen, krampfartiges Winden in Schmerzen, das an Geburtsschmerzen erinnern ließ (Jes 13,8; Jer 49,24), oder auch Zittern (Jes 26,17f; Mi 4,9f). Und „selbst beim Lachen kann das Herz Schmerz empfinden“, stellt Spr 14,13 realistisch fest.

Kränkungen oder Verletzungen durch Worte (Spr 15,1.13), Zorn (1Sam 20,34) und Ärger (Gen 34,7) konnten ebenso Schmerz hervorrufen wie harte → Arbeit vor allem auf dem Feld (Gen 3,17; Gen 5,29), die immer wieder mit Enttäuschungen verbunden war (Pred 2,23). Den Sitz des Schmerzes verortete man im → Herzen, den → Nieren, in der → Leber und in den Gebeinen des Menschen.

Schmerz erfasst immer den ganzen Menschen (Hi 14,22) und mindert seine Lebenskraft, ja bringt ihn dem Untergang nahe und entfremdet den davon Betroffenen der Gemeinschaft mit anderen Menschen (Ps 38,12; Ps 69,27). Einige Stellen deuten Schmerz und die daraus resultierende Minderung des Lebens auch als Resultat von Sünde (Ps 38,18; Ps 39,3) oder gar als ein Strafen Gottes, das dem Frevler (Ps 32,10) bzw. dem in Schuld verstrickten Volk (Jer 30,15) angekündigt wird (→ Tun-Ergehen-Zusammenhang). Von Seiten Gottes dient der Schmerz u.a. zur Warnung (Hi 33,19) und Erziehung und Zurechtweisung des Menschen (Hi 5,17f; vgl. Spr 3,12), insbesondere wenn sich dieser durch sündhafte Verstrickungen verfehlt hat. „Der Mensch, den Gott zurechtweist, wird seliggepriesen, weil die Krankheit und das Leiden, das Gott ihm sendet, zur Heilung führt und Gott, die Wunden, die er schlägt, auch verbindet“ (Mosis 1984, 12; vgl. Hi 5,17f, 1Sam 2,6f; Dtn 32,39).

Besonders von Gott beauftragte Menschen, wie Propheten oder ihnen nahestehende Menschen, erleben in ihrem Auftrag Schmerz und Leid (Jer 15,18; Jer 45,3).

3. Übertragener Gebrauch

Nicht nur Menschen können Schmerz empfinden, sondern auch Landschaften, die gewaltsam zur Ödnis gemacht wurden (2Kön 3,19).

4. Der „Schmerzensmann“ (Jes 52,13-53,12)

Eine Anhäufung der verschiedenen Schmerzerfahrungen findet sich im Geschick des → Gottesknechts, von dem das vierte Gottesknechtslied (Jes 52,13-53,12) erzählt. Was ihn trifft, sind Leiden, die von der Gemeinschaft isolieren (Jes 53,3.12) und zum Tode führen (Jes 53,8). Zugleich ist es ein stellvertretendes Leiden, das der Gottesknecht aufgrund der Sünde der anderen (Jes 53,5) auf sich nimmt: der „‚Mann der Schmerzen‘ hat nicht seine, sondern ‚unsere Schmerzen‘ geschleppt“ (Berges 2015, 246; vgl. Jes 53,4). und so die Befreiung von Schuld und die Rettung der Vielen bewirkt.

5. Der Schmerz Gottes

Auch Gott kann Schmerz erleiden, wenn der Mensch sich entgegen seiner Bestimmung verhält (vgl. Ps 78,40; Jes 63,10). So betont Gen 6,6 zu Beginn der → Sintfluterzählung, dass Gott aufgrund der Bosheit des Menschen „Kummer / Schmerz empfand“, bis in sein Herz hinein. Es ist also eine „nach innen“ gerichtete, emotionale Reaktion Gottes, die auf eine Wahrnehmung des menschlichen Verhaltens zurückgeht. Gott leidet zutiefst an seiner Schöpfung, und dieser Schmerz führt dann zum Vernichtungsentschluss (Gen 6,7).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

  • Berges, U., Jesaja 49-54 (HThKAT), Freiburg 2015
  • Hermisson, H.-J., Das vierte Gottesknechtslied im deuterojesajanischen Kontext, in: B. Janowski / P. Stuhlmacher (Hg.), Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte (FAT14), Tübingen 1996,1-25
  • Janowski, B., Er trug unsere Sünden. Jesaja 53 und die Dramatik der Stellvertretung, in: ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993, 303-326
  • Mosis, R., Art. כאב k’b, in: ThWAT IV, Stuttgart u.a. 1984, 8-13
  • Scharbert, J., Der Schmerz im Alten Testament (BBB 8), Bonn 1955
  • Staubli, Th. / Schroer, S., Menschenbilder der Bibel, Ostfildern 2014, 477-479

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