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(erstellt: März 2011)

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Lot ist ein Neffe → Abrahams sowie der Stammvater der → Moabiter und → Ammoniter. Gen 13 erzählt, wie er sich bei der Trennung von Abraham den Jordangraben, den er als fruchtbares Gebiet sieht, zum Siedlungsgebiet wählt. In Gen 19 wird dieses Gebiet von Gott mit → Sodom und Gomorra verwüstet, jedoch kann Lot sich ins Ostjordanland retten. Dort machen ihn seine beiden Töchter, um Nachwuchs zu erhalten, betrunken und schlafen mit ihm. Geboren werden die Stammväter der Moabiter und Ammoniter, denen die polemische Erzählung damit einen inzestuösen Ursprung zuschreibt.

1. Der Name Lot

Der Name Lot (לוֹט lôṭ) wird im Alten Testament nicht erklärt und ist auch wissenschaftlich nicht geklärt. Westermann (2003, 151) belässt es bei der Feststellung: „Herkunft und Etymologie des Namens sind unbekannt.“, ähnlich Seebass (1997, 6). Engelken (1995, 668) verweist auf die hebräische Verbalwurzel לוט lôṭ „verhüllen / einwickeln“, ohne jedoch daraus eine Erklärung ableiten zu können.

2. Lot im Alten Testament

Als Textakteur tritt Lot nur in einigen Kapiteln der → Abraham-Erzählung in Erscheinung (zwischen Gen 11 und Gen 19), er wird aber darüber hinaus einige Male in Zusammenhängen erwähnt, die vielleicht literargeschichtlich, sicher aber traditionsgeschichtlich älter sind, sodass der folgende Überblick sinnvollerweise dort einsetzt.

2.1. Lot im Deuteronomium und Ps 83

In den ersten Kapiteln des Buches → Deuteronomium wird den Israeliten untersagt, die ostjordanischen Nachbarvölker → Edom, → Moab und → Ammon zu bekriegen und Landansprüche gegen sie geltend zu machen. In diesem Zusammenhang werden die Moabiter (Dtn 2,9) und die Ammoniter (Dtn 2,19) als „Söhne Lots“ bezeichnet.

Ps 83,9 schließt eine Aufzählung von Feinden Israels ab, die überwiegend ostjordanische Völker nennt (Ps 83,6-9) und diese zusammenfassend als „Söhne Lots“ bezeichnet. Zwar werden zuvor auch Moab (Ps 83,7) und Ammon (Ps 83,8) genannt, aber eben nicht nur diese. Möglicherweise besteht auch ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang zu dem in Edom verorteten „Fürsten Lotan“ (Gen 36,20.29) und dessen Abkömmlingen, den „Söhnen Lotans“ (Gen 36,22).

Insgesamt lässt sich dieser Befund so deuten, dass die Bezeichnung „Söhne Lots“ bzw. „Söhne Lotans“ traditionellerweise auf ostjordanische Völker und Gruppen angewendet wurde. Auffällig ist weiter, dass Dtn 2,9.19 wie Gen 19,30-38 Ammon und Moab als Abkömmlinge von Lot auffassen, eine eindeutige Bezugnahme auf die Erzählungen der Genesis gibt es jedoch nicht.

2.2. Lot im Buch Genesis

2.2.1. Lot in der Vätergeschichte / Erzeltern-Erzählung (ohne Gen 14)

Die Abschnitte, in denen Lot vorkommt, sind integraler Teil der Vätergeschichte und deren Intentionen untergeordnet. Zwei traditionelle Motive werden dabei aufgegriffen und verarbeitet: die Ahnherrschaft Lots über Moab und Ammon (vgl. Dtn 2,9.19) und die Verdorbenheit bzw. die Zerstörung von Sodom und Gomorra (vgl. Jes 1,9-10; Jes 13,19; Jer 23,14; Jer 49,18; Jer 50,40; Am 4,11; Zef 2,9). Insbesondere die „Überlieferung von einem Gottesgericht über Sodom und Gomorra war … … vielfach, wahrscheinlich überwiegend, nicht als ein Bestandteil der Geschichte von Abraham bekannt“ (Westermann, 2003, 364).

Die ältere überlieferungsgeschichtliche Forschung wollte in Gen 13; Gen 19 eine „Sodom-Lot-Sage“ erblicken, die in Gen 13 vom „edelmütigen Ahnherrn“ Abram / Abraham und „mit Schadenfreude“ vom „habgierigen Lot“ erzählt habe (Gunkel, 1964, 176) und sich in Gen 19 „mit der Entstehung dieser schauerlichen Landschaft“ beschäftige (Gunkel, 1964, 214f).

Für Westermann waren die Abraham-Lot-Erzählungen dagegen typischer Ausdruck der Lebensweise der Ahnväter. So handle es sich in Gen 13 um eine „Streiterzählung“ (Westermann, 2003, 202) und Gen 19 verarbeite die „Erfahrung einer Katastrophe“ (Westermann, 2003, 362). Lot gilt dieser Deutung als typischer Vertreter jenes nomadischen Milieus, das sich in den Väterüberlieferungen Ausdruck verschafft hat.

Gerhard von Rad hatte demgegenüber das Ganze der „jahwistischen“ Darstellung vor Augen, wenn er meinte, in den Erzählungen über Lot werde in „großer innerer Geschlossenheit … etwas wie ein Charakterbild“ entfaltet. Und zwar eines Mannes, der „von Gottes Gnade gehalten … der geschichtsführenden Hand Gottes völlig entglitten“ sei (von Rad, 1981, 177).

Blum sieht dagegen in Gen 13; Gen 18; Gen 19 „keine Zusammenstellung von Einzelsagen“, sondern eine „einheitlich ‚konzipierte‘, in wesentlichen Teilen neugestaltete Komposition“ (Blum, 1984, 289). Der Lot dieser Erzählung ist nichts anderes als der „Ahnherr von Ammonitern und Moabitern“ (Blum, 1984, 288). Der Horizont der Völkergeschichte ist sowohl der Erzählung als auch der Erzählfigur nicht zu nehmen.

Im Anschluss an die zuletzt referierte Forschungsmeinung soll ein Durchgang durch die Vätergeschichte die Funktion der Figur des Lot skizzieren. Die Einführung Lots in Gen 11,27-32 zielt bereits auf seine spätere Funktion als Ahnvater von Ammon und Moab. Lots Großvater Terach übernimmt nach dem frühen Tod des Vaters Haran die Vormundschaft über Lot (Gen 11,28.31), nach dem Tod Terachs geht sie auf Abram / Abraham über (Gen 11,32; Gen 12,4-5). Lot ist der Neffe, mithin der jüngere Verwandte Abrams / Abrahams, und als solcher migriert Lot unter der Führung des Älteren nach Kanaan. Die genealogisch konstruierte Distanz zwischen Israel auf der einen und Ammon bzw. Moab auf der anderen Seite ist somit größer als die zwischen Israel und etwa Edom, ein Unterschied, der sich so auch in der Satzung zum Versammlungsbeitritt Dtn 23,2-9 findet.

Bei allen für die Programmatik der Vätergeschichte wichtigen Ereignissen spielt Lot jedoch keine Rolle, weder beim Aufruf zum Auszug (Gen 12,1-3) noch bei den Altarbauten (Gen 12,7.8; Gen 13,18) noch bei den weiteren Verheißungsreden (Gen 12,7; Gen 13,14-17).

Die Trennung von Abram / Abraham und Lot erfolgt nach dem Prinzip der friedlich-schiedlichen Aufteilung der Siedlungsgebiete, wie es auch in der älteren Jakob-Erzählung zwischen Israel und Edom geschieht (Gen 33,12-17), doch ansonsten überwiegt die Assymetrie. Während das Land Lots ausgesprochen fruchtbar und schön ist (Gen 13,10), fehlt eine entsprechende Qualifizierung für das Siedlungsgebiet Abrams / Abrahams. Im Gegenzug erhält Letzterer jedoch die Verheißung, darin auf Dauer wohnen zu können (Gen 13,14-17), während bei Lot eine entsprechende Zusage fehlt.

Lot 2
Dementsprechend wird Lot in Gen 19 auch als Fremdbürger im kanaanäischen Sodom dargestellt (גור gûr Gen 19,9). Als die Boten / Engel (→ Engel) zu ihm kommen, erweist er sich als vorbildlicher Gastfreund, der die Wanderer einlädt und zudem vor den Zugriffen der Sodomiter in Schutz nimmt. Schließlich beschützen diese ihn sogar vor den Einheimischen und fordern ihn zur Flucht auf, da die Stadt unmittelbar vor ihrer Vernichtung steht. Lot flieht ohne seine mutmaßlich kanaanäischen Schwiegersöhne zunächst in die Stadt → Zoar, die im Jordangraben, am Südende des Toten Meeres liegt. Diese wird daher nicht vernichtet und kann legitimerweise als moabitische Stadt (vgl. Jes 15,5; Jer 48,4.34) weiterbestehen.

Schließlich wird die Zerstörungsandrohung wahrgemacht, wobei für das Verständnis der Erzählung außerordentlich wichtig ist, dass nicht allein Sodom und Gomorra, sondern mit der erwähnten Ausnahme von Zoar alle Städte des Jordangrabens „umgedreht“ werden (Gen 19,17.25.28). Während Lots Frau zur sprichwörtlichen Salzsäule erstarrt (Gen 19,26), zieht Lot nun allein mit seinen Töchtern in das ostjordanische Gebirgsland, das traditionelle Siedlungsgebiet der Ammoniter und Moabiter.

Abschließend teilt die Erzählung mit, dass sowohl Ammoniter als auch Moabiter Ergebnis eines Inzests sind, da die Töchter den Vater betrunken machen und in diesem Zustand zu ihm eingehen (Gen 19,31-38). Im Hintergrund steht ein Wortspiel um die Namen der Kinder: Moab wird als „vom Vater“ und Ben-Ammi als „Sohn des Verwandten“ gedeutet.

Als Ganze kann diese Erzählung als eine Stimme in jener Debatte verstanden werden, zu der auch Dtn 2,1-3,11 und Ri 11,14-29 ihren Beitrag leisten: Wer darf legitime Landansprüche auf das Land im Jordangraben erheben? Alle – natürlich judäisch-israelitischen – Stimmen sind sich einig, dass Moab und Ammon keine Landansprüche haben. Die Texte des Deuteronomiums und des → Richterbuches vertreten die Auffassung, Moabiter und Ammoniter hätten niemals in dem Streifen östlich des Jordans gesiedelt, vielmehr hätten dort zwei amoritische Königreiche bestanden (Sihon und Og), die von den Israeliten besiegt wurden. Dagegen behauptet Gen 19, die dort ansässigen Kanaanäer seien von Jhwh selbst vernichtet worden, während sich der Ahnherr der Moabiter und Ammoniter dort zunächst nur als Gastbürger aufgehalten und anschließend das Bergland als Siedlungsgebiet gewählt habe.

Während insbesondere Ri 11,23 – aber der Sache nach auch Dtn 2,1-3,11 – aus der beschriebenen Konstellation explizit ableitet, dass Israel in Gestalt der zweieinhalb ostjordanischen Stämme (Dtn 3,12-17) diese Gebiete besiedeln darf, belässt es die Vätergeschichte bei der expliziten Delegitimierung moabitischer, ammonitischer und kanaanäischer Besitzansprüche. Der positive Anspruch auf diesen Landstrich wird eher implizit geäußert, und zwar in der Verheißungsrede Gen 13,14-17, in der Abram / Abraham und seinen Nachkommen das gesamte einsehbare Land übergeben wird. Dazu gehört aber nach Maßgabe von Gen 13,10 auch der Jordangraben. Zwar erwählt sich Lot dieses Gebiet zunächst als Siedlungsgebiet, er erhält aber dafür keine Besitzzusage durch Gott und verlässt es auch vor dessen Zerstörung. Es ist somit frei für Abram / Abraham und seine Nachkommen. Wichtig ist der Unterschied, der die Vätergeschichte insgesamt von der Landnahme-Erzählung bzw. dem → Deuteronomistischen Geschichtswerk unterscheidet: Während dort Israel seine Rechte im Jhwh-Krieg gewaltsam durchsetzt, ist es in der Vätergeschichte Jhwh selbst, der ohne Zutun des Volkes im Sinne des → Tun-Ergehen-Zusammenhangs die Untaten der Sodomiter ahndet.

2.2.2. Lot in Gen 14

Das erratische und in keinem engeren Zusammenhang zu den Themen der Vätergeschichte stehende Kapitel Gen 14 erzählt von einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen einigen Königen aus dem mesopotamischen Raum mit Königen aus dem Jordangraben. Das Szenario entbehrt jeglicher Plausibilität im modernen historischen Sinne, es ist insgesamt als frühantiker Versuch einer Historisierung zu verstehen. Zweck der Komposition ist es, Abram / Abraham in vielfältiger Weise in ein gutes Licht zu rücken und am Beispiel seiner Person den rechten Umgang mit den Kanaanäern des Jordangrabens (in Gestalt der fünf Könige), mit den Ammonitern und Moabitern (in Gestalt Lots) und mit dem Tempel in Jerusalem (in Gestalt des Priesters → Melchisedeq) zu demonstrieren (vgl. zuletzt Ziemer, 2005, 133; → Amrafel; → Arjoch; → Emiter; → Eschkol; → Kedor-Laomer; → Tidal). Lot ist in dieser Erzählung als Neffe Abrams / Abrahams (Gen 14,12-16) lediglich der Anlass für dessen Eingreifen, darüber hinaus gewinnt er kein Profil.

3. Lot im Frühjudentum und im Neuen Testament

Die Gestalt des Lot wird in der Literatur des Frühjudentums nicht breit rezipiert, das Interesse gilt vielmehr dem Untergang von Sodom (und Gomorra), der als Beispiel für das Gerechtigkeitshandeln Gottes häufig angeführt wird. Des Öfteren werden die Sintflut und die Vernichtung Sodoms parallelisiert und, dort wo Personen erwähnt werden, Noah und Lot als Gerechte hervorgehoben (Sir 16,7-8 [Lutherbibel: Sir 16,8-9]; Weish 10,4-7; 2Petr 2,5-8, vgl. auch 1Clem 11,1).

Aber Lot gilt im Frühjudentum nicht durchweg als Gerechter, da ihm der Verkehr mit seinen Töchtern angelastet wird (vgl. Jub 16,8f [The Online Critical Pseudepigrapha] sowie die rabbinische Literatur). Vgl. dazu Uebele, 1999, 49f.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Anchor Bible Dictionary, New York u.a. 1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001

2. Weitere Literatur

  • Blum, E., Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984
  • Engelken, K., Art. Lot, in: Neues Bibel-Lexikon, Bd. II, Zürich u.a. 1995, 668-670
  • Gunkel, H., Genesis (HKAT I,1), 6. Aufl., Göttingen 1964
  • v. Rad, G., Das erste Buch Mose / Genesis (ATD 2/4), 11. Aufl., Göttingen 1981
  • Seebass, H., Genesis II, Vätergeschichte I (11,27-22,24), Neukirchen-Vluyn 1997
  • Seebass, H., Genesis II, Vätergeschichte II (23,1-36,43), Neukirchen-Vluyn 1999
  • Uebele, W., Der zweite Sündenfall und die Frommen der Urzeit: Kain und Abel, Henoch und Noach im Spiegel der alttestamentlich-frühjüdischen und urchristlichen Literatur, in: M. Oehler (Hg.), Alttestamentliche Gestalten im Neuen Testament (Beiträge zur Biblischen Theologie), Darmstadt 1999, 40-53
  • Westermann, C., Genesis 12-50 (EdF 48), 3. Aufl., Darmstadt 1992
  • Westermann, C., Genesis, 2. Teilband Genesis 12-36 (BKAT I/2), 3. Aufl., Neukirchen 2003
  • Ziemer, B., Abram – Abraham, Kompositionsgeschichtliche Untersuchungen zu Genesis 14, 15 und 17 (BZAW 350), Berlin 2005

Abbildungsverzeichnis

  • Lot und Abraham trennen sich (Mosaik in St. Maria Maggiore, Rom; 5. Jh.).
  • Lot und seine Töchter fliehen aus Sodom (Albrecht Dürer; 1498).
  • Lot und seine Töchter (Francesco Guercino; 1650).

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