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Heliopolis

(erstellt: Mai 2006)

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|@iAbb. 1 Karte Ägyptens

1. Name

Altägyptisch heißt der Ort Jwnw. Im Alten Testament wird dies als ’wn (vokalisiert ’on) wiedergegeben. Bei Herodot wird die Stadt unter dem griechischen Namen Heliopolis „Stadt der Sonne“ erwähnt (→ Sonne).

2. Lage

Das am südlichen Ende des Ostdeltas gelegene Heliopolis war Hauptstadt des 13. unterägyptischen Gaus und Ausgangspunkt der Karawanenwege zum Sinai. Im späten 19. Jh. lag die Stadt noch im Vorfeld Kairos bei dem Dorf Matariyah (el-Māṭārīje [el-Matarije]), inzwischen ist sie jedoch von mehreren nordöstlichen Stadtteilen der ägyptischen Hauptstadt überbaut: Matariyah (Haupttempelbezirk), Tell Hisn / Arab el-Hisn (Tempelverwaltungsbereich), Mostorod (Stadtgebiet westlich des Tawfiqiya-Kanals), Arab el-Tawil (Tiernekropole) und Ain Shams (Nekropole).

Heliopolis 3

Heliopolis lag zu keinem Zeitpunkt an einem der Hauptverläufe der Delta-Nilarme. Von den frühesten Quellen an wird der zum Stadtgebiet gehörende Wasserweg, ein Nebenarm des Pelusischen Nilarmes, als „Kanal des Herrschers (jty)“ bezeichnet. Der Tempelbezirk befand sich auf einem spornartig ins Fruchtland ragenden Wüstenplateau, das von Sumpfgegenden umgeben war. Nördlich und westlich hiervon erstreckte sich urbane Anschlussbebauung. Schon im 3. Jt. v. Chr. sind für die nördlichen Stadtteile separate Ortsnamen belegt: Hetepet und Jusaas (vgl. Pyramidentext 1210a-b). Nicht mehr zum eigentlich Stadt- und Nekropolenbereich von Heliopolis gehören die Quarzitsteinbrüche des Ǧebel el-Ahmar [Gebel el-Ahmar] im Südosten und Tell el-Jehūdīje [Tell el-Jehudije] im Norden.

Archäologische Erforschung. Nach geologischen Prospektionen, Berichten und Skizzierungen des Areals erfolgten erste flächige Grabung im Tempelgebiet durch E. Schiaparelli (1903-04) und W.M.F. Petrie (1912). Die nördlichen Tempelverwaltungsbereiche und die Stiernekropole wurden seit 1902 stellenweise vom Antikendienst und seit den 1970er Jahren von der Universität Kairo untersucht. In der Totenstadt wurden großflächige Untersuchungen im Bereich der Nekropole des Alten Reichs (Barsanti 1916) und der Spätzeit (1921-1936) durchgeführt. In der Folgezeit wurden weite Teile von Heliopolis durch das moderne Kairo überbaut; dabei führte der Antikendienst seit den späten 50er Jahren Notgrabungen durch.

3. Geschichte

1) 4. Jt. v. Chr. Oberflächenfunde belegen eine Nekropole für die Naqada I und IIIa-Zeit. Ältere, unbestätigte Theorien nehmen an, dass Heliopolis die Hauptstadt und / oder der Schiedsgerichtsort eines unterägyptischen Königreichs war (vgl. Pyramidentext 770d). Etwa 4km südlich des Tempelbezirks befindet sich ein weiterer Friedhof des mittleren 4. Jt. v. Chr. (Naqada IIa-b).

2) Altes Reich (3.-6. Dynastie; ca. 2640-2160 v. Chr.). Das Tempel- und Siedlungsniveau der 1. Hälfte des 3. Jt. v. Chr. liegt unter dem heutigen Grundwasserspiegel und ist deswegen bislang von keiner Ausgrabung erreicht worden. Älteste Relieffunde belegen ein Sanktuar des Djoser. Inschriftlich sind eine Reihe von Denkmälern für Heliopolis und die „Seelen von Heliopolis“ aus den Annalen der 5. Dynastie bekannt (Urkunden des aegyptischen Altertums, I, 240-249; Ägyptologie Online). Die Tempelausstattung und Bautätigkeit ist zudem durch den Obelisken und Schreinfragmente des Teti sowie durch biographische Inschriften von Expeditionsleitern (Urkunden des aegyptischen Altertums. I, 215; Ägyptologie Online) belegt. Unter Pepi II. ist erstmals eine paarweise Obeliskenaufstellung bezeugt.

Von den ältesten Quellen in den → Pyramidentexten an scheint ein gewisser Baubestand im Heiligtum vorzuliegen, nämlich Fürstenhaus (ẖw.t-sr), Obeliskenhaus (ẖw.t-bnbn) und Phoenixhaus (ẖw.t-bnw). Das zentrale Heiligtum des Bezirkes ist von Beginn an die „Residenz“ (ẖw.t-‘3.t) des Sonnen- und Schöpfergottes. Zum Kernbestand der religiösen Topographie des Bezirks scheint auch der Ischedbaum zu gehören, bei dem es sich um eine Feigensykomore handelt, die die Regeneration des Königtums versinnbildlichte. Die Vorbildhaftigkeit des heliopolitanischen Tempels für die Sonnenheiligtümer der 5. Dynastie wird inzwischen angezweifelt.

Vom frühen Alten Reich an spiegelt sich die Bedeutung des Tempels in der Besetzung des heliopolitanischen Hohenpriesterpostens durch Königssöhne. Aus dem späten Alten Reich stammen mehrere Grabbauten der lokalen Hohenpriesterschaft. In ihnen finden sich von der 6. Dynastie an kleinformatige Grabobelisken.

3) Mittleres Reich (11.-12. Dynastie; 2134-1785 v. Chr.). Auf ein gewalttätiges Ende der Herakleopolitenzeit (9. / 10. Dynastie) im 13. unterägyptischen Gau könnte die Verfolgung des Namens eines Herakleopolitenherrschers in einem Privatgrab der Nekropole von Heliopolis weisen. Heliopolitanische Arbeitskräfte wurden später bei den Baumannschaften für die Pyramide Amenemhets I. in Lischt erwähnt; die Stadt erscheint dort als in 4 w‘r.t-Bezirke unterteilt.

Der große Neubau im Haupttempel von Heliopolis scheint in der Zeit der Koregenz Amenemhets I. mit Sesostris I. begonnen und unter Sesostris I. in monumentaler Form vollendet worden zu sein. Zu ihm gehörte ein Paar von 20m hohen Granitobelisken, von denen einer noch aufrecht stehend erhalten ist. Der Neubau von Heliopolis und die mit ihm verbundene, systematisierte Sonnentheologie des Mittleren Reiches gewinnt Vorbildhaftigkeit für ganz Ägypten und spiegelt sich in der Benennung thebanischer Sanktuarteile in Karnak nach heliopolitanischen Toponymen. Ein zusätzliches Gebäude entstand unter Sesostris III., Die Ausstattung des Heiligtums mit Statuen wurde von fast jedem König des Mittleren Reiches fortgesetzt.

Unter den Hohenpriestern gibt es auffallend viele mit basilophoren Personennamen – möglicherweise weil das Amt auch im Mittleren Reich mit Königssöhnen besetzt wurde. Neben einer Anzahl von Privatstelen und Tempelstatuetten sind mehrere Hinweise auf qualitätvoll reliefdekorierte Mastabas der späten Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches bezeugt.

In der religiösen Literatur der Zeit tritt der Aspekt der von Heliopolis ausgehenden Totenversorgung auf (vgl. Sargtexte, Sprüche 207 und 660 sowie Totenbuch, Kap. 106). Die Entstehung literarischer Werke in Heliopolis ist im Mittleren Reich erstmals greifbar und zieht sich bis in die griechisch-römische Zeit.

In der Zweiten Zwischenzeit gehört Heliopolis – gemeinsam mit dem 15 km nördlich gelegenen Tell el-Jehūdīje [Tell el-Jehudije] – zur Einflusssphäre der Hyksos.

4) Neues Reich (18.-20. Dynastie; ca. 1540-1070). Die Rückeroberung des Stadtgebietes von Heliopolis wird zu Beginn des Neuen Reichs im Nachtrag des mathematischen Papyrus Rhind erwähnt. Mit Thutmosis III. erfolgt der große Ausbau des Tempelbezirks des Mittleren Reiches mit neuer Umfassungsmauer, Tempelhaus und Obelisken.

In der Amarnazeit ist Heliopolis der einzige große Tempelbezirk Ägyptens mit ungebrochener Kultkontinuität unter Beibehaltung der administrativen Struktur und des Kultes des Mnevisstieres. Aus der gesamten Amarnazeit sind Neubauten belegt, die mit Reliefs und Statuetten der königlichen Familie ausgestattet waren. Ferner ist die Errichtung einer monumentalen Stele bezeugt.

Mit der Tilgung der Spuren der Amarnazeit ist eine weitere große Ausbaustufe des Tempels unter Sethos I. und → Ramses II. verbunden. Erstmals seit Ahmose errichtet Sethos I. ein heliopolitanisches Millionenjahrhaus. Unter → Merenptah scheint die Stadt und ihr Tempel durch die ins Delta einfallenden Libyer gefährdet gewesen zu sein. Im Anschluss an den militärischen Erfolg der Ägypter wird unter anderem in Heliopolis eine Siegessäule errichtet.

Unter Ramses III. wurden umfangreiche Stiftungen und Stiftungsbestätigungen erteilt. Eine königliche Inschrift im Tempel von Karnak berichtet von einem spektakulären Festauftakt im Kontext des Herrschaftsantritts Ramses’ IV. Ein anderweitig unbekanntes Wesen namens „Djay“ erscheint am Tempel, anschließend sind die Blätter des Ischedbaumes mit den Namen Ramses’ IV. beschriftet.

Obwohl Heliopolis für die Legitimation der Thronfolge von zentraler Bedeutung war, scheint die Stadt – zumindest in historischer Zeit – keine reguläre Krönungsstätte des ägyptischen Königtums gewesen zu sein. Eher dürfte ein Bestätigungsbesuch des Königs in Heliopolis im Rahmen der Regierungsantrittfeierlichkeiten die Regel gewesen sein.

Die Sonnentheologie von Heliopolis wird konsequent in die landesweit relevanten theologischen Konzepte eingearbeitet, im späteren Neuen Reich z.B. in Gestalt der Teilhabe an der Triade der Götter und Städte des „ramessidischen Weltgottes“. Mehrfach ist, wohl in Anlehnung an den heliopolitanischen Sukzessionsmythos von der Anbindung der Herrschaftsnachfolge an die Weltschöpfung (s.u.), eine auffällige Anzahl von Mitgliedern der königlichen Familie als Amts- und Ranginhaber, und z. T. mit Wohnhäusern und Amtssitz belegt. Aus der 19. und 20. Dynastie sind erstmals Bauschichten im Tempel und in den Verwaltungsbereichen des Heiligtums erhalten.

In der Ramessidenzeit gibt es Hinweise darauf, dass auch externe Menschen am Stierkult von Heliopolis teilnahmen und in der Nekropole überregional bedeutende Persönlichkeiten bestattet wurden. Der Ort dient jetzt auch der Amtsausübung des Wesirs. Königliche Butlerbedienstete sind bekannt, daneben ist eine durchgehende Militärpräsenz belegt. Die Militärkolonie Tell el-Jehūdīje [Tell el-Jehudije] gehörte in der 20. Dynastie administrativ zur heliopolitanischen Tempeldomäne.

Landesweit ist eine Präsenz der heliopolitanischen Tempeldomäne durch Weiden, Viehherden, Handelsagenten etc. in Unternubien, Oberägypten und im Delta belegt. Heliopolitanische Arbeitskräfte sind auch bei Bauprojekten in Theben bezeugt, u.a. am Totentempel der Hatschepsut und in Dēr el-Medīna [Der el-Medina].

5) Dritte Zwischenzeit / Spätzeit (21.-31. Dynastie; 1070-332 v. Chr.). In der Dritten Zwischenzeit wurde in Heliopolis kaum noch gebaut. Belegt sind aber z.T. sehr aufwendige königliche Opferstiftungen durch z.B. Osorkon I. und Pamy. In der Äthiopenzeit (25. Dynastie; 712-664 v. Chr.) besuchte König Pianchi den Tempel und erwähnt hierbei den „Hohen Sand“, wohl eine Tempelhöhenplattform im Zentrum des Haupttemenos. Der Tempel ist in der Folgezeit Fluchtburg für die Truppen des Königs Tanutamun und wird unter den Eroberungen des assyrischen Königs → Assurbanipal aufgeführt.

In der Saitenzeit (26. Dynastie; 664-525 v. Chr.) erlebt der Tempel eine umfassende Renaissance mit neuen Bauten und Ausstattungsgegenständen. Psammetich II. stellt die letzten monumentalen Obelisken auf. Es scheint eine Reihe kleinerer, auf Plattformen gelegener j3.t-Sanktuare gegeben zu haben.

Späte Quellen schreiben dem persischen König → Kambyses eine Zerstörung von Heliopolis bei der Besetzung Ägyptens zu. Diese Zerstörungen könnte der Grund für die Neuerrichtung der großen Umfassungsmauer sein, die parallel zu den Mauerzügen des Neuen Reichs verläuft. Letzte Bauaktivitäten und Objektaufstellungen sind für die Zeit Nektanebos’ II. belegt (Plinius, Naturalis Historia 36, 67-69; Text gr. und lat. Autoren).

Auch in der 1. Hälfte des 1. Jt. v. Chr. weist Heliopolis als Prinzendomäne in der 22. Dynastie und als Stiftungsregion einen deutlichen Bezug zur königlichen Familie auf. Die Nekropole dehnt sich in Nord-Süd-Richtung mehr als 1 km aus. Man hat dort zahlreiche Stelen gefunden sowie z. T. dekorierte Tonnengewölbe mit spätzeitlich redigierten Pyramiden- und Sargtexten.

Bis in das frühe 3. Jh. v. Chr. hält sich der Ruf der Stadt als Zentrum altägyptischer Weisheit (Herodot II.3; Text gr. und lat. Autoren). Dieser Ruf hat wohl dazu geführt, dass Prophezeiungen literarisch häufig in Heliopolis situiert werden. Heliopolis spielt in ägyptischen Ritualtexten der Dritten Zwischenzeit und der Spätzeit eine große Rolle und ist in der Literatur der Zeit auch Schauplatz der Handlungen. Studienreisen nach Heliopolis werden unter anderem Pythagoras sowie Platon und Eudoxos (Strabo XVII 1, 29; Text gr. und lat. Autoren) zugeschrieben sowie von Herodot für sich selbst in Anspruch genommen. → Manetho wird eine heliopolitanische Herkunft zugesprochen.

6) Griechisch-römische Zeit. Im Jahr 159 v. Chr. ist das letzte Mal das Sterbedatum eines heiligen Stieres belegt. Ansonsten schwindet schon im 3. Jh. v. Chr. das staatliche Interesse an Heliopolis als Kultort. Man beginnt mit dem Abtransport der Tempelausstattung. Zahlreiche Königssphingen des 2. und 1. Jt. v. Chr. werden nach Alexandrien gebracht und dort zu Grabwächtern umgedeutet in den Nekropolen aufgestellt. In diesem Zusammenhang kann man darüber spekulieren, ob der Grundbestand der alexandrinischen Bibliothek nicht eine aufgelöste Tempelbibliothek von Heliopolis gewesen sein könnte. Unter Cleopatra VII. beginnt auch der Abbau großer Hauptobelisken.

Eine Bautätigkeit im ägyptischen Stil ist für die griechisch-römische Zeit nicht bekannt. Eine eindrückliche Schilderung der weitgehend brachliegenden Verwaltungstrakte findet sich bei Strabo (XVII 1, 29 Text gr. und lat. Autoren). Eine isoliert erhaltene Wundererzählung aus der Zeit des römischen Kaisers Hadrian scheint an ältere Merkmale von Heliopolis anzuschließen. Im Norden des Tempels existiert die Stadt als Provinzmetropole weiter und ist auch in römischer Zeit noch als Militärstützpunkt belegt.

Im 5. Jh. n. Chr setzt im heliopolitanischen Haupttempel der Abbau der eigentlichen Tempelbausubstanz ein, der sich bis in mamelukische Zeit und in die frühe Neuzeit fortsetzt.

Tell el-Jehūdīje [Tell el-Jehudije] (mit kanaanäischen Befunden des 17. Jh. v. Chr.) befindet sich etwa 15km nördlich vom Stadtgebiet von Heliopolis. Hier hat Ptolemaios VI. im 2. Jh. v. Chr. im Anschluss an die Revolte der → Makkabäer gegen die → Seleukiden jüdische Flüchtlinge angesiedelt. Unter Führung des Jerusalemer Hohenpriesters → Onias durften sie einen Tempel für Jahwe errichten, der im Kontext des Jüdischen Krieges nach 343 Jahren Kultzeit von Vespasian geschlossen wurde (Josephus, De bello Judaico I 1, 6-7; VII 2-4; Text gr. und lat. Autoren). Die jüdische Bevölkerung lässt sich bis in die frühere Kaiserzeit nachweisen.

4. Religionsgeschichtliche Bedeutung

Sonnenkultstätte. Isolierte Einzelfunde sprechen für eine herausragende Bedeutung des Tempels von Heliopolis im früheren 3. Jt. v. Chr. Im Anschluss an die Sonnenheiligtümer des Alten Reiches in der Nekropole von Memphis ist er wieder die wichtigste Sonnenkultstätte Ägyptens. Als solche hat er seit der 12. Dynastie eine Vorbildfunktion und führt zur Benennung von Theben als „oberägyptischem Heliopolis“ sowie zur Übernahme heliopolitanischer Tempelteilnamen und Priestertitel im Neuen Reich in Theben und anderen Orten (z.B. Urkunden des aegyptischen Altertums IV, 515; Ägyptologie Online; K.A. Kitchen, Ramesside Inscriptions III, Oxford 2001, 472).

Die Neunheit von Heliopolis: der Schöpfungsmythos. Das physikalische Weltschöpfungsmodell einer Urmasse (Jtmw = nichts sein / alles sein = das All), die sich aus sich selbst entfaltet und über mehrere Generationen als Neunheit (Urmasse > Erde / Himmel > Luft / Feuchte > 4 Geschwister; Neunheit symbolisiert Vollständigkeit [3x3; Plural der Plurale]) hin zum Horus-Kind als dem legitimen Herrscher und damit im regierenden König manifestiert, wird in dieser staatstheologischen Gestalt zuerst in Heliopolis lokalisiert.

Gerichtsort des Sonnengottes. Schon in den Pyramidentexten erscheint Heliopolis in Anspielungen als Platz eines Göttergerichts mit landesweiter Zuständigkeit. Diese Vorstellung wird z.B. in der Ramessidenzeit politisch umgesetzt. Die Funktionsweise wie auch die Benennung der Instanzen des 3. Jt. v. Chr. wird hierbei aus der sozialen Realität in die Götterwelt gespiegelt. Hauptthema des Gerichtes ist die legitime Herrschaftsnachfolge, die dort erstmalig (zugunsten von Horus) entschieden wird. In der Übertragung dieses Grundgedankens kann dasselbe Gericht z.B. über den Ausgang von Krankheiten in magischen Texten entscheiden.

5. Kulte

Der Sonnengott erscheint in unterschiedlichen Dimensionen als Königs- und Schöpfergottheit Atum, als kosmische Herrschergottheit Re-Harachte, in der zyklischen Wesensdreiheit Chepri-Re-Harachte-Atum oder in der ramessidischen Weltgottkonstellation Atum-Herr-beider-Länder-Heliopolitaner. Von den frühesten Textzeugen an kann er als Atum oder Re angesprochen werden. Die Frage, ob sich hieraus auch die Existenz zweier getrennter Heiligtümer ableiten lässt, wird derzeit unterschiedlich beantwortet.

Hathor. Der heliopolitanische Kult der Hathor, wohl stets als Hathor-Nebet-Hetepet, ist schon im Alten Reich belegt. Jüngste Funde in der Altstadt von Kairo belegen durch Annaleninschriften Sesostris’ I. schon für das frühe 2. Jt. v. Chr. ein eigenständiges Sanktuar der Hathor-Nebet-Hetepet; auf einer spätzeitlichen Inventartafel ist sein Grundriss erhalten.

Mnevis / Osiris. Der Kult des Heiligen Stieres Mnevis (Mr-wr, Epitheton: „Herold des Re“) ist seit der 18. Dynastie durch den Fund von Kanopengefäßen aus der Zeit der Hatschepsut nachgewiesen und während des Neuen Reichs durch zahlreiche private Votivstelen sowie reliefdekorierte königliche Sargkammern bezeugt. Ein funktionierender Kultablauf kann durch die Beschreibung Strabos zumindest bis in die frührömische Zeit belegt werden (XVII 1, 27; Text gr. und lat. Autoren).

Im Zusammenhang von der Vorstellung der nächtlichen Vereinigung des Sonnengottes mit Osiris kann Heliopolis als Ort des Grabes des Osiris gelten. Dabei wird die „Unterwelt von Heliopolis“ im Bereich der Stiernekropole von Heliopolis lokalisiert.

„Seelen von Heliopolis“ bezeichnet eine Konstellation, die seit den Inschriften des Alten Reiches als Adresse königlicher Zuwendung erscheint. Sie wurde oft als Gemeinschaft königlicher Ahnenschaft verstanden. In den Sargtexten wird sie vereinzelt als die ersten beiden Generationen der Neunheit von Heliopolis gedeutet.

Phoenix. Der Mythos vom Phoenix und seiner alle 500 oder 1461 Jahre erfolgenden Regeneration in Heliopolis ist vor allem durch Herodot überliefert (II.73; Text gr. und lat. Autoren). Bislang ist es schwierig, diese Merkmale mit den ägyptischen Quellen (z.B. Kap. 17 des Ägyptischen Totenbuchs) in Einklang zu bringen. Funde vor Ort konnten bislang nicht weiterhelfen.

Weitere Kulte. Eine Reihe weiterer Gottheiten wurden in Heliopolis kultisch verehrt. Dies waren u.a.: Amun „-in-Heliopolis“, Horus-khentiperu, Isis, Jusaas, Nehebkau, Sobek, Thot, Wadjit sowie Angehörige der Neunheit (Schu, Geb, Tefnut); seit dem Mittleren Reich: Mut-Kherisenues; im Neuen Reich: Seth; ab Dritter Zwischenzeit: Herischef.

6. Biblische Überlieferung

Heliopolis wird im Alten Testament als eine repräsentative Stadt Ägyptens mehrfach erwähnt.

1) Ein Priester von Heliopolis als Schwiegervater Josefs. Nachdem Josef in Ägypten zum Wesir aufgestiegen ist, lässt der biblische Erzähler seinen Helden → Asenat heiraten, die Tochter des heliopolitanischen Priesters → Potifera (Gen 41,45.50; Gen 46,20), die ihm die beiden Söhne Manasse und Ephraim gebiert. Die Erzählung zeugt davon, dass Heliopolis auch in Palästina als Kultort bekannt war.

2) Prophetensprüche. Im Alten Testament wird Heliopolis zunächst Unheil angekündigt. Jeremia verheißt Israel, dass der babylonische König → Nebukadnezar Ägypten verwüsten und dabei die Obelisken (→ „Mazzeben“) des Sonnentempels – also des Tempels von Heliopolis – zerstören wird (Jer 43,13). Ezechiel kündigt an, dass die jungen Männer von Heliopolis (’wn; von den Masoreten jedoch als ’āwæn vokalisiert: „Männer der Schuld“) dem Schwert zum Opfer fallen und die Einwohner in Gefangenschaft gehen werden (Ez 30,17).

Im Jesajabuch wird Heliopolis dagegen Heil angesagt. Eine Verheißung ex eventu, die wohl als Ätiologie jüdischer Gemeinden in Ägypten zu verstehen ist, kündigt an, dass fünf Städte Ägyptens die Sprache Kanaans sprechen und bei Jahwe schwören werden. Eine wird namentlich genannt: „Stadt der Zerstörung (hrs)“, was jedoch – wie schon die antike Textüberlieferung zeigt – auf „Stadt der Sonne (chrs)“ zurückgeht, einer hebräischen Übersetzung von Heliopolis (Jes 19,18).

3) Israeliten in Heliopolis. Nach Ex 1,11 erbauten die Israeliten während ihres Aufenthalts in Ägypten die Städte Pitom und Ramses. Die → Septuaginta fügt als dritten Ort Heliopolis hinzu, vielleicht weil es zur Zeit ihrer Entstehung im benachbarten Tell el-Jehūdīje [Tell el-Jehudije] eine jüdische Siedlungen gab.

4) Mose als Priester von Heliopolis. Der ägyptische Priester → Manetho, von dessen Werk Auszüge bei Josephus erhalten sind (Contra Apionem; Text Josephus, Contra Apionem), erzählt eine hellenistische Legende, nach der es in Ägypten zur Zeit Amenophis’ III. einen Aufstand von Aussätzigen gab, die der König zur Zwangsarbeit verpflichtet hatte. Sie werden von Osarsiph (< Osiris), einem Priester von Heliopolis, angeführt, der ihnen Gesetze gibt, welche der ägyptischen Tradition widersprechen. Dieser Anführer nimmt am Ende der Erzählung den Namen Mose an. So wird Mose eine Herkunft als Priester von Heliopolis zugeschrieben.

7. Antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Überlieferung

In der Ägyptenbeschreibung Herodots erscheint Heliopolis als Zentrum eines großen Festes (II.59) und als ein Ausgangspunkt für die Vermessung Ägyptens (II.7-9). Mehrfach wird der Ort bei Diodor und Plinius erwähnt. Die ausführlichste Beschreibung zu den Tempeln und den angeschlossenen Priesterbezirken findet sich bei Strabo, der Heliopolis in den Jahren nach dem Tode Cleopatras VII. in frühaugustäischer Zeit besuchte (XVII 1, 27-29; Text gr. und lat. Autoren). Plutarch zitiert für seine Berichte zu Heliopolis eigens einen heliopolitanischen Priester namens Oinuphis.

Noch im 13. Jh. ist das Bewusstsein um die Bedeutung der Stadt in frühmittelalterlichen Quellen präsent: arabische Reisende wie Al-Idrisi (um 1251) und Al-Makrisi (um 1440) sind zum Teil Details der Kulte bekannt; in alchemistischen Abhandlungen des 14. Jh.s erscheinen Kopien der Texte des stehenden Obelisken Sesostris’ I.

Jüngere Berichte entstanden zumeist im Zusammenhang mit Wallfahrten zu den beiden Stätten, an denen die Heilige Familie auf ihrer Flucht nach Ägypten Rast gemacht haben soll: el-Māṭārīje [el-Matarije] mit dem „Baum der Maria (Schagarat Mariam)“ und Mostorod.

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  • Yoyotte, J., 1954, Prêtres et sanctuaires du nome héliopolite à la Basse Époque, BIFAO 54, 83-115
  • Zauzich, K.-Th., 1983, Das Lamm des Bokhoris, in: Festschrift Papyrus Erzherzog Rainer, Wien, 165-174

Abbildungsverzeichnis

  • Matariya / Heliopolis, Obelisk Sesostris’ I. © Deutsches Archäologisches Institut, Kairo
  • Fundplätze in Heliopolis, nach Abd el-Gelil, M. et al., Orientalia 65, 1996, Pl. I. © Deutsches Archäologisches Institut, Kairo

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