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Inklusive Lehr- und Lernprozesse, religionspädagogisch

(erstellt: Februar 2019)

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1. Einleitung

In der globalisierten, multikulturellen und -religiösen Welt nehmen Polarisierungs- und Exklusionsprozesse zu. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt stellt sich verschärft auch als Bildungsfrage. Lehr- und Lernprozesse müssen so gestaltet werden, dass ein gemeinsames Lernen (Kondiskenz) ermöglich wird und Kompetenzen für ein friedliches Zusammenleben in Differenz erworben werden. Das in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK, 2010) verbürgte Menschenrecht auf volle und wirksame → Inklusion (UN-BRK, Art. 3c) ist in allen Lebensbereichen zu verwirklichen. Inklusion ist rechtlich betrachtet ein Prozess, der sich an der Diversität aller Menschen orientiert, zunehmende Partizipationen ermöglicht und diskriminierende Exklusion in allen Lebensbereichen verringert (UNESCO, 2005). Zur Ermöglichung haben sich die Vertragsstaaten der UN-BRK, u.a. Deutschland, verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten (Art. 24). Diese Verpflichtung kommt von außen auf die Bildung zu, auch wenn sie Interessensgruppen mit Unterstützung integrativer Kräfte in der Sonderpädagogik seit den 1970er-Jahren einfordern. Als umzusetzender Top-Down-Prozess erzeugt die neue Rechtslage, die sich mittlerweile auch in Schulgesetznovellierungen manifestiert, diverse Spannungen. Es sind u.a. Antinomien zwischen dem Sollen auf der rechtlichen Seite und dem real existierenden Sein (Lernbedingungen), dem Wollen (Haltungen) und dem Können (Professionalität) auf der anderen Seite (Schweiker, 2017, 208-217). Die ambivalenten Ausgangslagen eines noch weitgehend separierten Bildungssystems mit seinen in ihm sozialisierten Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften bilden wesentliche Rahmen- und Gelingensbedingungen für inklusive Lehr- und Lernprozesse. Zu diesen Bedingungen gehört auch die als „Inklusionslüge“ (Becker, 2015) analysierte Unterfinanzierung des gesellschaftlichen Transformationsprozesses und die Gefahr des Scheiterns mit dem mahnenden Ruf „Inklusion: Ganz oder gar nicht: Wie wir das gemeinsame Lernen retten können“ (Nöldeke, 2018).

Inklusive Lehr- und Lernprozesse orientieren sich in dieser Transformation des Bildungssystems am Menschenrecht auf Inklusion, das pädagogisch kritisch zu reflektierten ist (Pemsel-Maier/Schambeck, 2014). Beide, Lernende und Lehrende (→ Lernende/Lehrende) (Nord, 2015), haben ein Recht auf Partizipation in diesen Prozessen. Sie dürfen nicht aufgrund irgendwelcher Merkmale vom gemeinsamen Lernen ausgeschlossen oder in der gemeinsamen Bildung diskriminiert werden. Es gelten die inklusionspädagogischen Grundsätze der → Inklusion: Universale Gültigkeit für alle Menschen, Normalität von Heterogenität, Vielfalt als Bereicherung, sowie die Überwindung des Zwei-Gruppen-Denkens und des Readiness-Modells (Pithan, 2015), das Mindestanforderungen für die Teilhabe formuliert. Nicht zuletzt orientieren sich alle Beteiligten – trotz des nicht vermeidbaren asymmetrischen Verhältnisses von Lehrenden und Lernenden – an der „egalitären Differenz“ (Prengel, 2006), also der gleichen Anerkennung von Unterschieden.

2. Religions- und gemeindepädagogische Kontextualisierung

Erste theologische Überlegungen zu einem integrativen Bildungsverständnis wurden schon früh vorgelegt (Müller-Friese, 1996). Grundlegende religionspädagogische Reflexionen finden sich aktuell im interdisziplinären und metatheoretischen „Prinzip Inklusion“ (Schweiker, 2017), dem Wiener Sammelband „Inklusion in/durch Bildung (Lehner-Hartmann, u.a., 2018) sowie „Heterogenität und Inklusion“ (Lindner/Tautz, 2018). Inklusion ist ein neues Leitprinzip der Religionspädagogik (Schröder, 2011, 150) mit Chancen, Problemen und Grenzen. Von außen kommend entspricht diese normative Größe weitgehend den ureigenen theologischen Anliegen (u.a. Liedke, 2009). Vergleichbar zum pädagogischen Gedanken der Anerkennung liegt ein wesentlicher Akzent auf der Rechtfertigungslehre als bedingungslose Annahme des Menschen durch Gott. Inklusion wird primär von Religionspädagoginnen und Religionspädagogen auf vielfältige Weise schöpfungstheologisch, anthropologisch, christologisch, ekklesiologisch und auch trinitätstheologisch untermauert und stellt aber zugleich die theologische und religionspädagogische Theorie und Praxis kritisch auf den Prüfstand (Pithan, 2015).

Die theologische Grundlage der Inklusion des Menschen ist die Inklusion Gottes. Die von Gott ausgehende Beziehung als Leitkategorie der Religionspädagogik (Boschki, 2003) bildet den Ausgangspunkt der sozialen Einbeziehung und damit die theologische Grundhaltung für inklusive Lehr- und Lernprozesse und des religionspädagogischen Inklusionsdiskurses (Schweiker, 2017, 262-267).

2.1 Inklusiver Religionsunterricht

Die Einführungen in den inklusiven Religionsunterricht (Schweiker, 2012; Grasser, 2014; Anderssohn, 2016) bieten pädagogisch-theologische Grundlagen und didaktisch-methodische Hinweise. Neben „Zehn Grundsätzen für inklusiven Religionsunterricht“ (Comenius-Institut/ Projektgruppe Inklusive Religionslehrer_innenbildung, 2014) und zahlreichen Themenheften von religionspädagogischen Fachzeitschriften zur Inklusion, bietet die Reihe „Arbeitshilfe Religion inklusiv“ (RPE, 2012-2018) mit einem Basisband und vier Praxisbänden für die Grund- und Sekundarstufe Unterrichtsideen in allen Bildungsbereiche des Religionsunterrichts. Inklusive Unterrichtswerke für Schülerinnen und Schüler bzw. Differenzierungsmaterialien für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht liegen erst in Ansätzen vor (Gronover/Wagensommer, 2018, 289-293).

Die Rahmenbedingungen des konfessionellen Religionsunterrichts stellen inklusive Lehr- und Lernprozesse vor besondere Herausforderungen. Eine gründliche empirische Untersuchung und religionspädagogische Reflexion dieser spezifischen Situation steht noch aus. Der nach Konfessionen getrennt erteilte Unterricht liegt aus organisatorischen Gründen in der Regel in den Randstunden. Das Nebenfach weist aufgrund der differenzierten Personalsituation immer wieder Stundenausfälle auf oder ist mit fachfremdem und jahrgangsübergreifendem Unterricht verbunden. Die Fachlehrerinnen und -lehrer sind, wenn sie nicht Klassenlehrerinnen oder Klassenlehrer oder staatliche Lehrkräfte mit einem Zweitfach sind, nur ein bis zwei Stunden pro Woche in der inklusiven Klasse und kirchliche Religionslehrkräfte bzw. Pfarrerinnen und Pfarrer nur wenige Wochenstunden an der Schule präsent. Diese Lehrkräfte eröffnen einerseits die besondere Chance der Vernetzung mit dem sozialen Umfeld der Schule und der örtlichen Kirchengemeinde. Anderseits wird durch ihre geringe Präsenz die im inklusiven Kontext erforderliche kontinuierliche Beziehungsarbeit eingeschränkt. Auch der wechselseitige Informationsfluss mit den stark präsenten Lehrkräften und die Kenntnis der stattfindenden pädagogischen Prozesse und Fördermaßnahmen sind häufig unterbrochen und sporadisch. Zudem kommen die Förderstunden der Schülerinnen und Schüler mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot im Nebenfach Religion in der Regel nicht an. Ein interprofessionelles Team-Teaching ist nur in Ausnahmen realisierbar, so dass die „professionelle Passung“ zwischen den Lernbedürfnissen der Kinder und den Kompetenzen der Pädagoginnen und Pädagogen (Wocken, 2014, 73) nur selten realisiert werden kann. Bei zufälligen Häufungen von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf, die durch konfessionell-separierte, klassenübergreifende Gruppenbildung entstehen, führt dies immer wieder zu prekären Unterrichtssituationen bzw. zu dem dringenden Erfordernis, für eine Zweitkraft oder eine Schulbegleiterin/einen Schulbegleiter zu sorgen. Die Heterogenität der inklusiven Religionsklasse ist aufgrund von Altersdifferenzen und dem häufigen Besuch von Schülerinnen und Schülern ohne bzw. anderer Konfessionszugehörigkeit im sogenannten Gaststatus nicht selten gegenüber der Lerngruppe im Klassenverbund erhöht.

Im Hintergrund dieser groben Analyse zu den Rahmenbedingungen des inklusiven Religionsunterrichts steht das Dilemma von Konfessionalität und Inklusion (Schweiker, 2017, 366).

Während die EKD-Orientierungshilfe Inklusion zum Religionsunterricht unterstreicht, „dass eine konfessionelle Form von Religionsunterricht keineswegs im Widerspruch zum Inklusionsprinzip steht“ (EKD, 2014, 38), wird dieser Zielkonflikt in der religionspädagogischen Diskussion immer wieder angemahnt (Schröder, 2011), jedoch nicht grundlegend bearbeitet. Der aktuelle Sachstand der Reformbemühungen ist jedoch, dass bisher neben der Idee der kooperierenden Fächergruppe (EKD, 1994) noch kaum Konzepte für eine inklusive religiöse Bildung entwickelt wurden (Schröder/Norrmann, 2013, 262).

In Diskrepanz zu den während der letzten Dekade zunehmenden empirischen Erkenntnissen in der inklusiven Schulpädagogik stehen diese in der Religionspädagogik, trotz einer initialen Studie zur Einstellung von Lehrkräften (Möller, 2018; Pithan, 2018), noch in den Anfängen (Schweiker, 2017, 362).

2.2 Inklusive Gemeindepädagogik und Erwachsenenbildung

Inklusive Lehr- und Lernprozesse vollziehen sich im Unterschied zum Religionsunterricht in der Gemeindepädagogik in einem weit heterogeneren und weniger reflektierten Kontext. Im „Handbuch Inklusion in der Kirchengemeinde“ (Kunz/Liedke, 2013) wird der Stand der inklusiven Entwicklungen in gemeindepädagogischen Bildungsorten erstmals grundlegend dargestellt. Zu ihnen gehören Kindertageseinrichtungen, Konfirmandinnen- und Konfirmandenarbeit, Erwachsenenbildung, sogar Akademien und Hochschulen und der inklusive Kindergottesdienst (Evangelisch-lutherische Landeskirche, 2014). In der inklusiven Konfirmandinnen- und Konfirmandenarbeit liegen Praxisreflexionen, Unterrichtshilfen und einzelne explorative empirische Studien vor (Schweiker, 2013) sowie Praxisimpulse für die Firmvorbereitung (Haas/Weiß, 2013). Vergleichbares gilt für Kindertagesstätten (Jerg, 2013), während sich die inklusive Arbeit in Konfi3 bzw. Kommunionsarbeit, in der evangelischen bzw. katholischen Erwachsenbildung (Markowetz, 2013) und in der Kinder- und Jugendarbeit trotz eines frühen Auftakts (Arbeitsgemeinschaft, 2003) erst noch systematisch in der Fläche etablieren muss.

3. Religionsdidaktische Herausforderungen

Die offene Frage in der Religionspädagogik ist nicht, ob Inklusion verwirklicht werden soll, sondern wie sie ohne Rest verwirklicht werden kann. Dies ist eine primär religionsdidaktische Herausforderung, die auch Fragen der (Förder-)Diagnostik und Professionalisierung (Pithan, 2015) einschließt.

3.1 Inklusive Religionsdidaktik

Eine inklusive Religionsdidaktik hat eine allgemeine Didaktik in dem Sinne zu sein, dass sie allen Lernenden auf je individuelle Weise gerecht wird und zugleich die spezifischen Anforderungen der gemeinsamen religiösen Bildung berücksichtigt. Obgleich in den letzten Jahren unterschiedliche Bausteine entwickelt wurden, steht eine konsistente Praxistheorie einer inklusiven Religionsdidaktik (Möller, 2012, 17), aber auch einer allgemeinen inklusiven Didaktik noch aus. Die Ansätze der inklusiven Religionsdidaktik stützen sich auf Georg Feusers (2005) integrative Didaktik, die auf der Grundlage von Wolfgang Klafkis allgemeiner Didaktik noch im Sinne des Inklusionsprinzips weiterzuentwickeln und unterrichtspraktisch zu erproben wäre. Feuser beschreibt seine integrative Didaktik als „eine Allgemeine (kindzentrierte und basale) Pädagogik, in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungskompetenzen in Orientierung auf die ‚nächste Zone ihrer Entwicklung‘ an und mit einem ‚gemeinsamen Gegenstand‘ spielen, lernen und arbeiten.“ (Feuser, 2005, 173f.). Seine didaktische Schlüssel-Idee ist der gemeinsame Lerngegenstand, mit dem sich alle kooperativ beschäftigen. Die didaktische Analyse erfolgt in den drei Schritten Sachstrukturanalyse, Tätigkeitsanalyse und Handlungsstrukturanalyse. Seine drei didaktischen Prinzipien Individualisierung, innere Differenzierung und Kooperation wurden religionsdidaktisch rezipiert und additiv durch Elementarisierung, Handlungsorientierung und ganzheitliche Zugangs- und Aneignungsformen ergänzt (Schweiker, 2012, 30f.). Ein Überblick zu den Ansätzen der inklusiven Religionsdidaktik zeigt darüber hinaus, dass die Autoreninnen und Autoren fast ausschließlich der sonderpädagogisch orientierten Religionspädagogik zugehören und die inklusionsdidaktischen Prinzipien weitgehend der allgemeinen Religionsdidaktik entstammen (Flake/Schröder, 2014, 49f.): Subjektorientierung, Erfahrungsorientierung, dialogische Struktur, biografische Elemente, strukturgenetische Entwicklungsorientierung (Anderssohn, 2016.

3.2 Formen der inneren Differenzierung

Eine inklusive Religionsdidaktik orientiert sich neben Individualisierung und Kooperation am Schlüsselprinzip der inneren Differenzierung. Die religiösen Lehr- und Lernprozesse richten sich am Individuum mit seinen besonderen Bedürfnissen und Potentialen als Subjekt seiner eigenen Bildung aus (Subjektorientierung). Die Ansprüche auf sonderpädagogische Förderung werden gemäß der Individualisierung eingelöst. Die acht, von der Kultusministerkonferenz festgelegten Förderschwerpunkte, sind: Lernen, Sehen, Hören, Sprache, körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, emotionale und soziale Entwicklung, (psychisch bzw. chronisch) Kranke und autistisches Verhalten (Kultusministerkonferenz, 2011, 23).

Die Kooperation spielt im Religionsunterricht und in der gemeindepädagogischen Bildung bei der Gestaltung der Gemeinschaft eine besondere Rolle. Dies zeigt sich besonders an gemeinsamen Anfangs- und Schlussritualen, Feiern, performativen Handlungen und Liedern, die nicht nur gesungen, sondern auch getanzt oder gebärdet werden (Müller-Friese, 2015, 271f.).

Um individuelle und gemeinsam-kooperierende Lernprozesse in angemessener Balance zu halten, bedarf es der inneren Differenzierung auf den Ebenen von Bildungsplänen, Kommunikation sowie der Sozial- und Beteiligungsformen, der Aneignungsformen und der vorbereiteten Lernumgebung im Sinne eines Angebotsbüfetts (Schweiker, 2012, 34; 41-44).

Die Bildungspläne der allgemeinbildenden Schulen differenzieren in der Sekundarstufe 1 zum Teil in Konkretisierungen nach Leistungsniveaus. In den Förderschwerpunkten Lernen und geistige Entwicklung liegen in den meisten Bundesländern spezifische Curricula mit Inhalten und Kompetenz für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht vor. Auf dieser Grundlage, bzw. den Rahmenplänen der übrigen Förderschwerpunkte folgend, werden an den Schulen individuelle Lern- und Entwicklungspläne (ILEP) erstellt, die auch für den Religionsunterricht maßgebend sind.

Inklusion braucht außerdem inklusive Kommunikation. Die Kommunikationsformen sind binnendifferenziert an die Verstehensvoraussetzungen der Lernenden anzupassen. Für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung oder Personen mit nichtdeutscher Muttersprache dient die standardisierte Leichte Sprache (www.leichtesprache.org) als Orientierungspunkt. Ergänzend sind auch lautsprachunterstützenden Gebärden (www.schau-doch-meine-haende-an.de) oder unterschiedliche Programme der Visualisierung von Sprache durch Piktogramme (kostenfrei: www.pictoselector.eu) sowie eigenständige Sprachformen wie Deutsche Gebärdensprache (DGS), Brailleschrift oder Lormen (Schweiker, 2012, 74-79) zu nutzen.

3.3 Inklusionsorientierte Diagnostik

Das Randthema Diagnose bzw. Diagnostik im Religionsunterricht wird religionspädagogisch konträr beurteilt und ist im Unterschied zu anderen Fächern kein systematisches Gebiet innerhalb der Religionsdidaktik. Erst aktuell skizziert Oliver Reis (2018) in acht Thesen einen religionsdidaktisch begründeten Ansatz einer inklusionsbezogenen Förderdiagnostik im Religionsunterricht. In Abgrenzung zu den im religionspädagogischen Inklusionsdiskurs dominierenden Vorbehalten gegenüber der Kompetenzorientierung (Grasser, 2014, 33) plädiert Reis (2018, 184f.) dafür, die Diagnostik nicht nur an inklusionspädagogische Prinzipien zu binden, sondern inklusive Didaktik primär didaktisch zu verstehen und die inklusive Diagnostik im Kontext der Kompetenzorientierung zu verorten. Im Sinne der Förderdiagnostik integriert er mit der didaktisch begründeten, zielgeleiteten Koppelung von Diagnose und Förderung die sonderpädagogische Expertise und bezieht die Norm der curricularen Kompetenzerwartungen ein (Reis, 2018, 191). Er hält das Response-to-Intervention-Modell (RTI) grundsätzlich dafür geeignet, religiöses Lernen zu strukturieren (Reis, 2018, 192) und fordert auf der Basis eines didaktischen Modells, das sich an der fachlichen Re-Modellierung oder normativen Leistungserfassung orientiert, die evidenzbasierte Sonderpädagogik nicht zu vernachlässigen (Reis, 2018, 193). Neben alltagsdiagnostischen Zugängen, wie sie z.B. die Arbeitshilfe Religion inklusiv (RPE, 2012) mit Methoden zur Bestimmung der Lernausgangslage und des Lernzuwachses im Unterricht vorsieht, ist in gleicher Weise zu prüfen, inwiefern ein Lernimpuls bzw. eine Förderung lernwirksam wurde.

Auf der Grundlage von Feusers entwicklungslogischer Didaktik plädiert Reis (2018, 198) dafür, die in der religionspädagogischen Rezeption vernachlässigten drei Größen der Sachstrukturanalyse, Tätigkeitsstrukturanalyse und Handlungsstrukturanalyse so aufeinander zu beziehen, dass die kompetenzorientierten Handlungsaufgaben zum Motor der inneren Entwicklung von der Zone der aktuellen zur nächsten Zone werden kann.

5. Ausblick

Die inklusiven Lehr- und Lernprozesse bedürfen neben religionspädagogischen Reflexionen über die Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern hinaus der weiteren empirischen Erforschung. Eine konsistente inklusive Religionsdidaktik ist auf der Basis aktueller inklusionsdidaktischer Ansätze (Reich, 2014) und vorhandener religionsdidaktischer Bausteine dringend erforderlich. Dabei sind neben inklusionspädagogischen Prinzipien auch Aspekte einer evidenzbasierten Förderdiagnostik, der (curricularen) Kompetenzorientierung und der sonderpädagogischen Expertise angemessen zu berücksichtigen.

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