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Bildungsverantwortung, staatliche, kirchliche

(erstellt: Februar 2018)

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1. Hinführung

Der Begriff Bildungsverantwortung umfasst alle Grundlagen der Bildungsaufgaben, die zur lebenspraktischen Umsetzung des Rechtes auf Bildung notwendige Voraussetzung sind. Ihr Orientierungsrahmen findet sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948: „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung“ (→ Grundrechte/Menschenrechte). Dieses Recht umfasst den Anspruch auf eine unentgeltliche Grundbildung für jeden Menschen, die Verfügbarkeit von Fach- und Berufsschulunterricht, die Zugänglichkeit von Hochschulunterricht entsprechend der Fähigkeiten von Bewerberinnen und Bewerbern und das vorrangige Recht der Eltern, über die Art der Bildung für ihre Kinder selbst zu entscheiden. Die Notwendigkeit, Bildungsverantwortung zu übernehmen, begründet sich für alle beteiligten Handlungsträger durch die schlechten Ergebnisse der Berichte über die tatsächlich erreichte Grundbildung in den Ländern. Weltweit gesehen kann jeder fünfte Mensch weder lesen noch schreiben (Lohrenscheit, 2013). Auf dem Weltbildungsforum in Dakar, Senegal, formulierten daher 164 Staaten im Programm Bildung für Alle Ziele für adäquate Veränderungen in den Bildungssystemen, die sie bis 2015 erreichen wollten, aber nur jeder dritte Staat erfüllte diesen Vorsatz (UNESCO, 2015). Im darauffolgenden Programm, der Bildungsagenda 2016-2030 der UNESCO, verabschiedeten die Vereinten Nationen Ziele nachhaltiger Entwicklung für die gesamte Staatengemeinschaft, sie wollten „bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherstellen sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen fördern“ (UNESCO, 2015). Das Recht auf inklusive Bildung ist in Deutschland seit 2009 durch die UN-Behindertenrechtskonvention verankert (→ Inklusion). Neben diesen Zielsetzungen (Benchmarks) werden Implementierungsmechanismen zur Umsetzung der Agenda aufgeführt. Auch die deutschen Bildungssysteme wurden seitens der UN auf den Prüfstand gestellt. So kritisierte der UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz Deutschland im Jahr 2006 bezüglich der Bildungsbenachteiligung (→ Bildungsgerechtigkeit) vieler Kinder:

„In kaum einem westlichen Industrieland ist der Bildungserfolg eines Kindes generell so stark von der sozialen Situation seiner Familie abhängig wie in Deutschland. Von dieser ‚sozialen Selektivität‘ sind Kinder mit Migrationsgeschichte besonders betroffen, da sie weit überdurchschnittlich häufig in sozial schlechter gestellten Familien aufwachsen“ (Lohrenscheit, 2013; Muñoz, 2007).

Die UN-Bildungsprogramme betonen neben der Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessenheit auch die Adaptierbarkeit von Bildung, indem diese sich „an die Erfordernisse sich verändernder Gesellschaften und Gemeinwesen anpassen [muss]“ (Lohrenscheit, 2013). Nicht Kinder und Jugendliche sollen sich an die Bildungssysteme anpassen, sondern diese müssen sich auf die veränderten Lebenslagen der Menschen einstellen. Damit setzen die UN die Erfahrungen der Menschen in der Gesellschaft über die systemischen Bildungstraditionen, welche sich in Konsequenz des Reformwillens nunmehr in ständigen Veränderungsprozessen befinden. Die staatliche Bildungsverantwortung soll sich nach den Lebensumständen richten, um Menschen gesellschaftliche Teilhabe und Handlungsspielräume im Hinblick auf ein gelingendes Leben zu ermöglichen. Zur Umsetzung empfiehlt die Bildungsagenda 2016-2030 den Nationalstaaten entsprechende Strategien im Hinblick auf Gesetzgebungsverfahren, Standards für die Bildung, Ressourcenverteilung, Qualitätssicherungsverfahren, bildungspolitische Maßnahmen insbesondere für die berufliche und tertiäre Bildung, engere Verschränkung von Bildungspolitik und Wissenschaft, internationale Kooperationen, Steigerung der Effizienz von Schulleitungen, Lernen in formalen und non-formalen Umfeldern, bi- und multilinguales Lernen von früh auf, die Verbesserung frühkindlicher Bildung, Fort- und Weiterbildungsprogramme und vieles mehr (UNESCO, 2015).

2. Staatliche Bildungsverantwortung

Mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur UNESCO im Jahr 1951 verzahnten sich die Tätigkeiten der nationalen Kultusministerien nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend mit den Programmen der UN-Einrichtungen und weiteren internationalen Organisationen. Die notwendige Übernahme staatlicher Bildungsverantwortung rückt spätestens seit den Ergebnissen internationaler Vergleichsstudien der OECD ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. So reagierte die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) auf die PISA-Studie durch Einführung von → Bildungsstandards in den Curricula und Lehrplänen aller Schulformen. In der → Kultusministerkonferenz, wie die Ständige Konferenz im Sprachgebrauch heißt, übernimmt der föderale Staat durch die Repräsentanz der Länder Bildungsverantwortung. Die KMK hat kein rechtliches Mandat, es handelt sich vielmehr um einen freiwilligen Zusammenschluss der Kultusminister aller Länder seit 1948. Ihr Einfluss auf die Kultushoheit der Länder ist gegeben, indem sie sich folgenden Aufgaben stellt:

  • die Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit von Zeugnissen und Abschlüssen,
  • die Sicherung von Qualitätsstandards in Schule, Berufsbildung und Hochschule,
  • die Kooperation von Einrichtungen der Bildung, Wissenschaft und Kultur (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, 2017).

Die Architektur des Verhältnisses der Bundesländer zum Bund beruht auf dem Grundsatz, dass Bildung Ländersache ist (vergleiche hierzu Artikel 30 GG). Die 16 Kultusminister verstehen vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung „ihre Ständige Konferenz vor allem als Instrument der Selbstkoordinierung“ (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, o.J.) und wirken durch ihre Beschlüsse, Empfehlungen und Vereinbarungen auf die Bildungspolitik und die Gesetzgebungsverfahren der Länder ein: „Dabei nehmen die Länder ihre Verantwortung für das Staatsganze selbstkoordinierend wahr. In Angelegenheiten von länderübergreifender Bedeutung sorgen sie für das notwendige Maß an Gemeinsamkeit in Bildung, Wissenschaft und Kultur“ (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, o.J.). Spätestens seit der Grundgesetzänderung von 1969 in Bezug auf Artikel 75 GG wurde der Aktionsradius des Bundes gegenüber den Ländern vergrößert, indem er Rahmenvorschriften gegenüber Ländergesetzgebungsverfahren und damit auch Bildungsangelegenheiten erlassen kann (Köhler, 1996, 49). Ebenso wurde der Artikel 91a ins → Grundgesetz eingefügt, wonach die Mitwirkung des Bundes bei Gemeinschaftsaufgaben, wie beispielsweise dem Hochschulwesen (Art. 91a Abs. 1 GG), geregelt ist. Jüngste Entwicklungen hinsichtlich der Einführung nationaler Bildungsstandards in den sogenannten Kernfächern (Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen, Naturwissenschaften) zeigen, dass der Bund in Kooperation mit der KMK sich zunehmend verantwortlich in Hinsicht auf Vereinheitlichungen in den Bildungssystemen und Bildungsabschlüssen zeigt (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2007). Die Beschlüsse der EU-Kommission, die seit dem Weißbuch Lehren und Lernen zur allgemeinen und beruflichen Bildung veröffentlicht sind, intendiert er umzusetzen (EU-Kommission, 1995): Erhöhung der Mobilität, Angleichung der Bildungssysteme, Qualitätskontrolle durch Learning Outcomes, Anhebung der Basisqualifikationen sollen dazu beitragen, dass die Menschen ihre Ressourcen früher auf den Arbeitsmarkt bringen und damit die Wirtschaftskraft der Staaten steigern können (Lindner, 2008, 15). Die Folge dieser Entwicklungen ist die zunehmende Eigenverantwortung zentraler Institutionen und Gremien gegenüber den einzelnen Länderparlamenten, die kritisch beurteilt wird, da sie die Kultushoheit der Länder einschränken können oder auch nicht beachten:

„Die Vertretung der Bundesrepublik durch den Bund in Angelegenheiten der Länder ist in jedem Fall fragwürdig, weil mangels Kompetenzen keine parlamentarische Behandlung im Bundestag möglich ist. Die unbefangene Benutzung des Regionenbegriffs und seine Gleichsetzung mit der gegenwärtigen Länderstruktur sind aber historisch und bildungspolitisch ebenso problematisch wie die Auffassung, Europa lasse sich eher auf Regionen als auf Nationalstaaten gründen“ (Köhler, 1996, 50).

Gegenüber der religiösen Bildung besteht die Bildungsverantwortung des Staates in der Ermöglichung von Rahmenbedingungen gegenüber den Religionsparagraphen im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Somit beruht der Religionsunterricht entfaltungsrechtlich auf der positiven → Religionsfreiheit in Art. 4 GG, in welchem die unverletzliche „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, 2005, 58) niedergelegt sind. Folgerichtig ist der Religionsunterricht in konfessioneller Verantwortung durch die Religionsgemeinschaften als Ermöglichung und institutionelle Umsetzung positiver und korporativer Religionsfreiheit im Grundgesetz in Art. 7 Abs. 3 geregelt (Lindner, 2008, 304-321). Absatz 2 impliziert sowohl die positive als auch die negative Religionsfreiheit: „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen“ (Art. 7 Abs. 2 GG), mit Eintritt in die Religionsmündigkeit geht dieses Recht, das auch die Abmeldung vom Religionsunterricht ermöglicht, auf den Jugendlichen (ab 14 Jahren) über. Diese Grundrechte haben in jüngster Zeit auch zu einer Ausgestaltung konfessionellen Religionsunterrichts auf muslimischer und jüdischer Seite geführt. Die konfessionelle Ausrichtung des Religionsunterrichts gilt jedoch nur für die Bundesländer, in denen 1949 das Grundgesetz bereits Gültigkeit hatte. Länder, wie z.B. Berlin oder Brandenburg, haben nach der sogenannten Bremer Klausel eigene, nicht-konfessionelle Formen eingerichtet, wie beispielsweise das Fach Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde (LER). Auf der verwaltungsrechtlichen Ebene nimmt der Staat in den Schulgesetzgebungen der Länder seine Verantwortung wahr.

3. Kirchliche Bildungsverantwortung

Die Bildungsverantwortung der Kirchen gestaltet sich durch ein Innenverhältnis zu den unterschiedlichen kirchlichen Handlungsträgern und durch ein Außenverhältnis im Zusammenwirken mit staatlichen Einrichtungen. Zur Kennzeichnung der beiden Ebenen wird häufig der Terminus Bildungs(mit-)verantwortung eingesetzt. Der Begriff tauchte in der religionspädagogischen Fachliteratur insbesondere nach der politischen Wende 1989 auf, da Diskussionen um eine Neuordnung der Bildungsstrukturen vor allem in Ostdeutschland notwendig waren.

Evangelischerseits befasste sich die EKD-Synode – mit gleichnamigem Titel Bildungsverantwortung der Kirche – im Jahr 1990 explizit mit dieser Thematik und entwickelte schließlich in einem bis heute unabgeschlossenen Prozess richtungsweisende Bildungs-Denkschriften (→ Denkschriften). Federführend in den Diskussionen war schon damals Karl Ernst Nipkow (Nipkow, 1990), der insbesondere das Wirken von Religionspädagogik und Gemeindepädagogik in Bezug auf staatliche und kirchliche Einrichtungen in den Blick nimmt, ebenso die evangelischen Schulen und die Erwachsenenbildung (Schweitzer, 2016, 36f.). So gelangten wesentliche Inhalte seiner Arbeit in die EKD-Denkschriften Identität und Verständigung (Kirchenamt der EKD, 1994) und Maße des Menschlichen (Kirchenamt der EKD, 2003). Unter Vorsitz von Karl Ernst Nipkow entwickelte die zuletzt genannte Denkschrift Beispiele aktiver Bildungsverantwortung seitens der Kirche. Hier wurde ein ganzheitliches Bildungsverständnis zugrunde gelegt, das „den einzelnen Menschen als Person [betrifft], seine Förderung und Entfaltung als ‚ganzer Mensch‘ und seine Erziehung zu sozialer Verantwortung für das Gemeinwesen“ zugrunde legt (Kirchenamt der EKD, 2003, 89). Erziehung zur Mündigkeit, Orientierung an den Schwächsten in der Gesellschaft im Sinne eines diakonischen Handelns machen die Eckpunkte selbstständigen Denkens, sozialer Sensibilität und kultureller Kompetenz aus, die in dem Begriff „verantwortungsbewusste Mündigkeit“ zusammengefasst sind (Kirchenamt der EKD, 2003, 61). Die Denkschrift erinnert schöpfungstheologisch an „die Güter des Lebens als Gottes Gaben“, welche zur Dankbarkeit erziehen, und eschatologisch mit dem Reich-Gottes-Gedanken an die „Erziehung zum Frieden, Achtung der freiheitlichen Rechtsordnung, Förderung sozialer Gerechtigkeit, Fürsorge für das versehrbare Leben und Verständigung mit Menschen anderer Kulturen und Religionen“ (Kirchenamt der EKD, 2003, 64). In einer späteren Veröffentlichung stellt Karl Ernst Nipkow folgende Bezugspunkte für die Ausgestaltung kirchlicher Bildungsverantwortung vor (Nipkow, 2010, 298-322):

Bildungsverantwortung wirkt in pädagogischen Prozessen

  • auf der Grundlage eines Bildungsbegriffs, der die Perspektive der Allgemeinbildung berücksichtigt (Nipkow, 2010, 299, hierzu bezieht er sich auch auf die bildungstheoretische Didaktik von Wolfgang Klafki),
  • im Verhältnis von Pädagogik und Theologie, welches Fragen des Menschenbilds und des Wirklichkeitsverständnisses aufgreift (Nipkow, 2010, 301) und zur kritischen Urteilsbildung beiträgt,
  • wenn der Umgang mit interner, protestantischer und externer weltanschaulich-religiöser Pluralität eingeübt wird (Nipkow, 2010, 306),
  • ausgehend vom protestantischen Grundprinzip des Priestertums aller Gläubigen (das heißt der Gläubige ist geistlich gesehen Subjekt), indem Subjektivismus und Individualisierung mit Rechtfertigungslehre in Verbindung gesetzt werden (Nipkow, 2010, 312),
  • im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche (→ Kirche – Staat), wenn jenes historisch eingeordnet und auf der Grundlage der Verfassung aktiv demokratisch (mit-)gestaltet wird (Nipkow, 2010, 313),
  • durch Hermeneutik der wechselseitigen Anerkennung, in Wahrhaftigkeit den Dialog der Religionen und Kulturen um der Wahrheit willen zu führen (Nipkow, 2010, 319).

Bildung als Grundaufgabe der Kirche verweist genuin auf Gottesdienst und Gemeindearbeit, Arbeit in Kindertagesstätten und Schulen, in der Kinder- und Jugendhilfe, in Betrieben, Gefängnissen und Krankenhäusern, ebenfalls auf die evangelische Bildungsberichterstattung seitens des Comenius-Instituts in Münster (Schweitzer, 2016, 43). Zudem sind für die Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen der Kirche insbesondere die Pädagogisch- theologischen Institute (PTI) beziehungsweise die Religionspädagogischen Institute der Landeskirchen (RPI) zu nennen.

Katholischerseits hat ein vergleichbarer Prozess ebenfalls nach der Wendezeit 1989 eingesetzt, der sich in Verlautbarungen der Deutschen Bischöfe, in kirchlichen Einrichtungen und entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen an den Lernorten Schule und Kirche niedergeschlagen hat. Als richtungsweisende Schrift ist Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 1996) zu nennen, auch hier gibt es einen schöpfungstheologischen und eschatologischen Rahmen für das Bildungshandeln in Kirche und Schule, der sich durch Aufnahme des Dreischritts Glaube – Hoffnung – Liebe (→ 1Kor 13,13) vor allem in der Liebe Gottes manifestiert: „Gott erschafft die Welt, weil er Mitliebende will. Das heißt: Liebe ist der Grund für die Schöpfung und für die Erlösung“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 31). Diese schöpfungstheologische und eschatologische Bestimmung durch die Liebe ist im Evangelium in den Taten Jesu Christi ausgedrückt und in der Reich-Gottes-Botschaft offenbar: „Das Evangelium macht diesen Grund täglichen Glauben-, Hoffen- und Liebenkönnens [Hervorhebung im Original], die Liebe Gottes, öffentlich“ und ist als bildende Kraft „für Bildung und Unterricht relevant“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 34). Das Wissen um die Unvollkommenheit und die Begrenztheit eigener gegenwärtiger Möglichkeiten bestimmt den eschatologischen Vorbehalt (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 43) auch der Bildungsanstrengungen, was sich – in säkulare Sprache übersetzt – im pädagogischen Zukunftsparadox widerspiegelt: Lehr- und Lernprozesse sind danach stets auf Zukünftiges hin ausgerichtet und bleiben damit ergebnisoffen (Lindner, 2008, 345). In einem „Kontaktgesprächskreis“ der beiden großen Kirchen hat es nach Erscheinen der EKD-Denkschrift Identität und Verständigung regelmäßigen Austausch in Sachen Bildung, insbesondere seit Aufkommen alternativer, nicht-konfessioneller Organisationsformen von Religionsunterricht, wie beispielsweise dem Fach Lebenskunde – Ethik – Religionskunde (LER) in Berlin und Brandenburg, gegeben (Lindner, 2008, 7). Die Situation in Ostdeutschland nach der Wende zeichnete sich durch gerichtliche Auseinandersetzungen um den Religionsunterricht bis zum Bundesverfassungsgericht aus, der in einigen Bundesländern in Aufnahme der Bremer Klausel (Lindner/Meckel, 2014, Abschnitt 2.1.) zu anderen Organisationsformen führte. Die besondere Situation in Bezug auf die wachsende Anzahl konfessionsloser Schülerinnen und Schüler lässt andere Kriterien für die kirchlichen Standortfaktoren vor dem Hintergrund einer Bildungsverantwortung erforderlich werden, die die Wahrnehmung der Lebenssituationen ostdeutscher Schülerinnen und Schüler aufgreifen (Ziller, 2004, 9). Die religiösen Bildungsaufgaben müssen angesichts der wachsenden Konfessionslosigkeit jedoch auch heute als eine gesamtdeutsche Herausforderung beschrieben werden hinsichtlich des gemeinsamen Lernens von konfessionsverschiedenen und konfessionslosen Kindern und Jugendlichen (Käbisch, 2014, 31). Zur Erfassung der Quoten Konfessionsloser in der Gesellschaft sind nach wie vor empirische Erforschungen bezüglich der Verbindung von Religiosität und Kirchlichkeit von Nöten (Käbisch, 2014, 36), um daraus pädagogisch die richtigen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Lernvoraussetzungen und Lernzielentwicklung (Käbisch, 2014, 39) ziehen zu können. Bildung kann einerseits auf den Gedanken der Gottesebenbildlichkeit zurückgeführt werden (Biehl/Nipkow, 2003, 7), andererseits wird sie weitere Begründungsmuster benötigen, wenn sie in der säkularen und pluralen Gesellschaft kommunikabel sein will. Im Wissen darum, dass der christliche Glaube in Geschichte und Gegenwart „zu den Fundamenten unserer Gesellschaft entscheidende Impulse beigetragen hat“ (Tzscheetzsch, 2005, 7), werden die Kirchen grundsätzlich für die Einbindung der Gottesfrage im Bildungsgeschehen eintreten. Dies wird auch durch die Angebote der Schulpastoral (→ Schulseelsorge/Schulpastoral) möglich sein, die auch zur Qualitätsentwicklung, insbesondere der katholischen Schulen, einen wichtigen Beitrag leisten kann:

„Gerade in Angeboten der Schulpastoral kann die Beziehungsdimension und -qualität der Reich-Gottes-Botschaft Kontur gewinnen: Wer von dieser Botschaft spricht, muss auch verdeutlichen können, dass dieser Botschaft bestimmte Haltungen entsprechen. Zu diesen Haltungen zählen die prinzipielle Wertschätzung der Würde des Anderen und die Hoffnung auf die Beziehungsfähigkeit des Menschen. Solche Haltungen in der Schule anzuregen, ist eine herausfordernde Aufgabe, denn sowohl der zeitliche Rahmen als auch die unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen der Schüler/innen setzen hier Grenzen“ (Tzscheetzsch, 2005, 8).

In Zeiten eines Wertepluralismus sind Standortbezogenheit, Entscheidungsfähigkeit und Verantwortlichkeit wichtige Grundlagen eines Dialogs mit unterschiedlichen Meinungen und Überzeugungen (Tzscheetzsch, 2005, 11).

4. Schlussbemerkungen

Historisch gesehen haben die Kirchen von jeher Bildungsverantwortung übernommen, indem sie sich der Gründung von Schulen und dem Aufbau eines Hochschulwesens gewidmet haben.

Früheste Bildungsanstrengungen sind bereits im sogenannten Katechumenat der Taufvorbereitung zu finden, in welchem Christen zur Teilhabe an den kirchlichen Kasualien vorbereitet werden sollten (Boschki, 2008, 27). Institutionell übernahmen vor allem die Klöster die theologische und liturgische Bildung ihrer Novizen. Im 6. Jahrhundert entstanden bischöfliche Schulen und Schulen der Pfarren zur Ausbildung ihres Nachwuchses (Boschki, 2008, 29). Mit den karolingischen Schulen, die auch von den Domstiften unterhalten wurden, wurden christliche Schulen für Laien und Kleriker eingerichtet, die sogenannten Lateinschulen, im Hochmittelalter expandierte das Schulwesen, indem Domschulen in vielen größeren Städten errichtet wurden.

Die Reformatoren entwickelten die Katechismustradition weiter und forderten […] die Ratsherren aller Städte deutschen Landes [auf], dass sie christliche Schulen aufrichten sollen (Luther, 1524). Angesichts des miserablen Zustandes, in dem sich vielerorts die Schulen befanden, verlangte Philipp Melanchthon in seiner Schrift Unterricht der Visitatoren von 1528 eine Reform der Lateinschulen in Kursachsen in Bezug auf

  • eine Begrenzung der zu lernenden Inhalte auf das Wesentliche,
  • eine Konzentration auf den Bildungssinn der Lerngegenstände,
  • eine Einteilung der Kinder in Lerngruppen, sodass sie angesichts ihrer Wissensstände gefördert werden können (Lindner, 2012, 45).

Melanchthon verband den Humanismus der Renaissance mit den neuen reformatorischen Gedanken und übertrug diese in die Schul- und Hochschulprogramme. Die Bildungsarbeit der Reformatoren ist hochanschlussfähig an heutige formale Konzepte einer Erziehung der Kinder und Jugendlichen im Hinblick auf eine wohl geordnete Gesellschaft (→ Gemeinwohl) und ein funktionierendes Staatssystem (Lindner, 2011, 60). Religions-, Kirchen- und Wissenschaftsgeschichte tragen dazu bei, neue Möglichkeiten, Entwürfe und Konzepte religiöser Bildung und Katechese kritisch zu prüfen und mit theologischen, pädagogischen und anthropologischen Einsichten in Beziehung zu setzen. Staatliche und kirchliche Bildungsverantwortung sind aufeinander angewiesen, wenn sie Freiheit für den Einzelnen in der Gesellschaft ermöglichen wollen.

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