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Gericht Gottes (AT)

(erstellt: Januar 2008)

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1. Gott als gerechter Richter auf Erden

Nicht selten trägt der alttestamentliche Gott das Attribut des Richters oder übt die Tätigkeit des Richtens aus. Meist wird dies mit Hilfe des hebräischen Wortstamms špṭ ausgedrückt. Dieser verfügt, jedenfalls in seiner Anwendung auf Menschen, über eine recht große Bedeutungsbreite. Das Verb špṭ schillert zwischen „richten“ und „herrschen“, der šôfēṭ kann „Richter“ sein, aber auch allgemeiner der für die Geschicke einer Gemeinschaft (z.B. eines Stammes) Verantwortliche, die Nominalbildung mišpāṭ kann den „Rechtssatz“ meinen, aber auch umfassend das „Recht“ oder das „Gericht“ (→ Gericht / Gerichtswesen).

Mit den in diese Begriffe gefassten Rechtsvorstellungen wird auch Jhwh in Verbindung gebracht: grundlegend schon dadurch, dass laut Hebräischer Bibel er es ist – und nicht, wie sonst im Alten Orient, der König –, der das → Recht erlässt (vgl. die Bücher der Tora). Er wacht auch über sein Recht und ahndet dessen Nichteinhaltung. Seinem Rechtswillen hat nach alttestamentlicher Vorstellung menschliches Richten und überhaupt menschliches Verhalten gerecht zu werden.

Zuweilen wird Jhwh ausdrücklich aufgerufen, sich als Richter zu betätigen. Dies geschieht namentlich dann, wenn keine menschliche Instanz in Sicht ist, die an seiner Stelle das Recht wahren könnte. Dann soll Jhwh „zwischen“ zwei menschlichen Rechtsparteien „richten“ (Gen 16,5; Ex 5,21; 1Sam 24,12f.). Sein Richten wird auch dann erwartet, wenn hochgestellte Menschen – insbesondere Könige – sich über das Recht stellen und dafür von menschlichen Instanzen kaum zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die Bücher der Vorderen Propheten (→ Kanon) berichten immer wieder davon, dass Königen, die sich verfehlt haben, Gottesmänner entgegentreten, um ihnen das Urteil Jhwhs zu überbringen. Saul und David machen den Anfang (1Sam 13,7-15; 1Sam 15,10-23; 1Sam 28,16-19; 2Sam 12,1-15a; 2Sam 24,1-14), und ihnen folgt eine ganze Reihe israelitischer wie judäischer Könige (z.B. 1Kön 14,1-17; 1Kön 16,1-4; 1Kön 20,35-43; 1Kön 21,17-24; 1Kön 22,13-28; 2Kön 1,2-8; 2Kön 20,14-18).

Konflikte zwischen Propheten und Königen zeichnen sich auch in den Büchern der Hinteren Propheten ab (z.B. Jes 7,1-17; Jer 22,10-19; Jer 36; Hos 10; Am 7,10-17). Das Urteil des göttlichen Richters trifft indes nicht nur Könige, sondern auch die mit diesen liierte Oberschicht. Jhwh will „ins Gericht gehen mit den Ältesten und hohen Beamten“ seines Volkes; die Anklage lautet darauf, dass sich in ihren Häusern „der Raub des Armen“, d.h. das den Armen im Land Entrissene befinde (Jes 3,14). Ein göttliches „Wehe!“ gilt denen, die „Haus an Haus reihen und Feld an Feld rücken“, bis sie „allein noch Vollbürger sind im Land“: ein Verdikt gegen das Bilden großer Latifundien auf Kosten der um ihre Scholle gebrachten Kleinbauern (Jes 5,8). Es ist aufschlussreich, worin die Strafe für die Landhaie bestehen soll: Die zusammengerafften Weinberge und Äcker werden nur einen Bruchteil des erwarteten Ertrags bringen und „viele Häuser“, gerade „die großen und schönen“, leerstehen (Jes 5,9f.). Die Sanktion wird die Täter also genau dort treffen, wo sich ihre Schuld materialisiert hat: in ihrem mit unlauteren Mitteln angehäuften Besitz.

Hinter dieser Erwartung steht der im ganzen Alten Orient (und nicht nur dort und damals!) gültige Grundsatz, dass Tun und Ergehen sich entsprechen sollten (→ Tun-Ergehen-Zusammenhang). Rechtmäßiges Handeln führt zu Wohlergehen, unrechtmäßiges (wiewohl vielleicht legales!) Handeln zu schlechtem Ergehen – und zwar so, dass der Zusammenhang zwischen beidem erkennbar gewahrt wird. „Wer [andern] eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ (Spr 26,27; vgl. Spr 28,10; Pred 10,8). „Beraube nicht einen Geringen, weil er gering ist, und unterdrücke nicht einen Elenden im Tor; denn Jhwh wird ihren Rechtsstreit führen und denen das Leben rauben, die sie berauben“ (Spr 22,22f. – in Aufnahme der ägyptischen Weisheitslehre des Amenemope!; → Weisheitsliteratur in Ägypten). Der himmlische Richter selbst also hält bzw. setzt, wenn das gesellschaftliche Gleichgewicht verloren zu gehen droht, den Tun-Ergehen-Zusammenhang in Gang. Nach genau diesem Muster sind die prophetischen Schelt- und Drohworte angelegt: Die Gescholtenen werden mit einer Strafe bedroht, die exakt ihrer Schuld entspricht (vgl. z.B. 2Sam 12,9f.; 2Kön 9,26; Jes 10,1-3; Am 6,1-8.13f.; Mi 2,1-4).

Was für das Binnenleben Israels gilt, gilt auch für seine Außenbeziehungen. Eine verfehlte, weil ohne Rücksicht auf den Willen Jhwhs betriebene Außen- bzw. Kriegspolitik führt ins politische und militärische Desaster (z.B. Jes 30,1-5; Jes 31,1-3; Jer 27; Jer 34; Ez 17). Und da Jhwhs Arm über die Grenzen Israels hinausreicht, kann er auch andere Völker, ja scheinbar unbesiegbare Großreiche, für von ihnen verübtes Unrecht zur Rechenschaft ziehen (z.B. Jes 10,5-15; Jes 13f.; Jes 47; Jes 63,1-6; Jer 50f.; Ez 26-28; Ez 35; Ez 38; Am 1; Ob; Nah 2f.; Zef 2,4-15; Ps 2).

An den ins Apokalyptische übergehenden Rändern der Hebräischen Bibel erscheint Jhwh schließlich als Richter der gesamten Völkerwelt (z.B. Jo 4; Sach 14; Dan 2; Dan 7; vgl. auch die prägnanten, mit der Wurzel špṭ gebildeten Aussagen Jer 25,31; Ez 38,22; Ps 9,20). Das eschatologische Richten Jhwhs zielt keineswegs nur auf Verurteilung und Bestrafung von Schuldigen, sondern auch auf die Befreiung und Rehabilitierung der bisher unter Unrecht und Gewalt Leidenden (Jes 2,4; Mi 4,3; Ps 9,9; dazu viele der eben genannten Stellen).

Der positive Aspekt des Richtens Jhwhs steht durchweg in den Klageliedern des Einzelnen im Vordergrund; da erhoffen sich Menschen, denen ihr Recht vorenthalten wird, das Recht schaffende Handeln Gottes (vgl. die Wurzel špṭ in Jer 11,20; Ps 7,9; Ps 10,18; Ps 26,1; Ps 35,24; Ps 43,1; mit Blick auf die von der Oberschicht Ausgebeuteten: Ez 34,17.20.22). In Ps 58,12 findet sich die generalisierende Aussage, es gebe noch „einen Gott, der Recht spricht auf Erden“. Jhwh kann geradezu „Gott des Rechts“ genannt werden (Jes 30,18; Mal 2,17; vgl. Ps 50,6; Sir 35,11 [= Einheitsübersetzung: Sir 35,14; Lutherbibel: Sir 35,15]). Das Fundament seines Throns sind „Recht und → Gerechtigkeit“ (Ps 97,2 – eine Übertragung wohl aus der Königsideologie, vgl. Ps 72,1-4). Jhwh ist es, der das Recht „liebt“ (Ps 33,5; Ps 37,28; Jes 61,8). Wie auf Erden, so hält Jhwh auch im Himmel, unter den Göttern, Gericht (Ps 82,1).

Religionsgeschichtlich könnte Jhwh in seiner Funktion als Richter den Sonnengott beerbt haben, der nach altorientalischer Vorstellung nach jeder Nacht Dunkel und → Chaos vertreibt und im Himmel wie auf Erden Ordnung und Recht wieder herstellt (vgl. Ps 19,7). Nicht von ungefähr kommt das Strafgericht über das verderbte → Sodom mit der ersten Morgenröte, was die nächtens aus der Stadt Flüchtenden zu äußerster Eile zwingt (Gen 19,15-25). Und in einigen Psalmen ist betontermaßen von Gottes „Hilfe“ am Morgen die Rede (Ps 46,6; Ps 90,14; Ps 143,8). Gott, der gerechte Richter, wacht, der aufgestiegenen Sonne gleich, über dem Recht der ganzen Erde (Gen 18,25; Ps 9,9; Ps 75,3f.; Ps 94,2; Ps 96,13; Ps 98,9).

2. Gott als gerechter Richter auch im Jenseits

Nicht selten machen einzelne Menschen, größere Gruppen und ganze Völker Erfahrungen, die an der Durchsetzbarkeit des Rechts auf Erden Zweifel wecken. Gläubige Menschen verstehen dies als Anfechtung. Gibt es etwa doch keinen „Gott, der Richter ist auf Erden“? Der Beter des 73. Psalms beschwert sich über „Frevler“, denen es gut gehe, die sich nicht plagen müssten und doch alles hätten – und die obendrein großmäulig verkündeten: „Wie sollte Gott es wissen? Gibt es ein Wissen beim Höchsten?“ (Ps 73,11). Ein praktischer Agnostizismus mit der Folge unethischen Verhaltens. Der Psalmist meint, die Betreffenden irrten. Gott werde am Ende ihn, den getreuen Frommen, „aufnehmen in Herrlichkeit“, die Frevler dagegen „ins Leere fallen“ lassen (Ps 73,18.24). In diesem und in einigen anderen relativ späten biblischen Texten (vgl. etwa noch Ps 49,16; Dan 12,2f.) wird entgegen der herkömmlichen Auffassung (vgl. etwa noch Pred 9,3-6) die Meinung vertreten, der Tod mache keineswegs alle gleich, sondern mache Unterschiede zwischen Gerechten und Ungerechten.

Die → „Weisheit Salomos“, eine jüdische Schrift aus dem Alexandrien des 1. Jh.s v. Chr., lässt eine Gruppe wohlhabender und selbstsicherer Juden sich ganz im Sinne der „Frevler“ des 73. Psalms äußern: „Kommt nun und lasst uns die Güter noch auskosten, solange wir jung sind. … Lasst uns den armen Gerechten unterdrücken und keine Witwe verschonen; wir wollen uns nicht scheuen vor dem altersgrauen Haar des Greises. Alles, was wir tun, das soll recht sein!“ (Weish 2,6.10f.). Die so zynisch reden, meinen, das einzige, was zähle, sei das Leben vor dem Tod; jenseits des Todes ereigne sich nichts Nennenswertes mehr: „Unsere Zeit geht vorbei wie ein Schatten, und wenn es mit uns zu Ende ist, gibt es keine Wiederkehr; denn es steht unverbrüchlich fest, dass niemand wiederkommt“ (Weish 2,5). Der Verfasser hält dagegen: Wer hier verantwortungslos handelt, wird sich dafür vor dem Richterstuhl Gottes zu verantworten haben (Weish 3,10f.) – so wie umgekehrt die Frommen und Treuen dann ihren Lohn empfangen werden (Weish 3,1-9; noch einmal ausführlicher in Weish 4,10-5,5).

Im alten Ägypten gab es den Glauben an ein Jenseitsgericht schon längst (→ Totengericht). Im sog. → Totenbuch war zu lesen, wonach man dereinst im Totengericht gefragt würde und was dann tunlichst zu antworten sei: „Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, ich habe keine Tiere misshandelt. Ich habe nicht ‚Krummes’ an Stelle von Recht getan. … Ich habe nicht am Beginn jedes Tages die vorgeschriebene Arbeitsleistung erhöht. … Ich habe kein Waisenkind an seinem Eigentum geschädigt. … Ich habe nicht Schmerz zugefügt und (niemanden) hungern lassen, ich habe keine Tränen verursacht. …“ Natürlich müssen diese Aussagen der Wahrheit entsprechen; andernfalls gelangt man nicht ins Reich des Osiris, sondern fällt ewiger Verdammnis anheim. Jenseitserwartungen mit ethischen Folgen also!

Hat sich die Vorstellung eines Jenseitsgerichts erst im nachalttestamentlichen Judentum (und im frühen Christentum! vgl. Mt 25,31-46) voll entfaltet, so gibt es Vorstufen dazu doch schon in der Hebräischen Bibel.

3. „Tag Jhwhs“ und „Jüngstes Gericht“

Zur Vorstellung vom „Gericht Gottes“ gehört auch der Motivkreis → „Tag Jhwhs“ (jôm jhwh), in dem sich die Hoffnung ausdrückt, dass Gott seine Widersacher besiegt, seine Getreuen aber rettet und damit der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhilft.

1) Wurzeln. Die Wurzeln des Motivkreises vom „Tag Jhwhs“ liegen im politisch-militärischen Bereich. Die markantesten Erfahrungen des frühen Israel mit dem Gott Jhwh waren solche der Rettung vor überlegenen Feinden: vor den Ägyptern am Schilfmeer (Ex 14f.; → Meerwunder), vor den Kanaanitern bei → Gibeon (Jos 10) und am Bach → Kischon (Ri 4f.). Derartige überwältigende Befreiungserfahrungen der Frühzeit prägten Israels Gottesbild auch in der Folge. Offenbar waren es insbesondere Propheten, die in Krisensituationen die erprobte Fähigkeit und Bereitschaft Jhwhs beschworen, seinem bedrängten Volk zu Hilfe zu kommen: etwa → Elisa oder namentlich nicht genannte Propheten in den Aramäerkriegen des 9. Jt.s (1Kön 20; 2Kön 6f.) oder → Jesaja im → syrisch-ephraimitischen Krieg 734/33 v. Chr. (Jes 7,1-9) oder eine prophetische Stimme im ausgehenden 7., dem „assyrischen Jahrhundert“ (Jes 9,3 – mit Bezug auf den „Tag [jôm] Midians”, d.h. Gideons Sieg über die Midianiter Ri 6f.) oder eine Reihe weiterer Propheten gegenüber verschiedensten Feinden, z.B. Babylon (Jes 13,6.9), Ägypten (Jer 46,10; Ez 30,3) oder Edom (Jes 34,8). Der Topos von Jhwhs „Tag“ bekommt dabei zunehmend etwas Universales. Wiederholt wird in solchem Zusammenhang das Einschreiten Jhwhs gegen die gesamte, offenbar als feindselig erlebte Völkerwelt erwartet (Jo 4,14; Zef 3,8; Sach 14,1).

2) Amos. Gegenläufig zu der Hoffnung auf einen heilvollen „Tag Jhwhs“ gibt es in der Hebräischen Bibel indes Texte, die ihn gerade als Unheilstag beschreiben. Der Erste, der diese irritierend neue Sicht entwickelte, war anscheinend → Amos: In seinen Augen wird der jôm jhwh nicht „Licht“, sondern „Finsternis“ sein, wird höchstens scheinbar und vorübergehend Rettung bringen, letztlich aber Unheil und Tod (Am 5,18-20). Der Grund dieser Verkehrung liegt darin, dass Israel seinen Gott so nachhaltig erzürnt hat, dass es keinerlei Hilfe mehr zu gewärtigen hat, sondern nur noch Gericht. Davon handelt und dies begründet das Buch Amos von der ersten bis (fast) zur letzten Zeile.

3) Jesaja. Die Amos-Linie setzt sich in der prophetischen Literatur fort. Im → Jesajabuch findet sich ein Gedicht (Jes 2,6-19), das den Tag Jhwhs als ein Einschreiten gegen alles beschreibt, was sich mächtig und erhaben dünkt, und dessen Refrain verkündet, „an jenem Tag“ werde „der Hochmut der Menschen gebeugt und der Stolz der Männer gedemütigt – und Jhwh allein erhaben sein“ (Jes 2,11.17). An anderer Stelle werden die herrschenden Kreise im Land gewarnt: „Was wollt ihr tun am Tag der Heimsuchung und bei der Verwüstung, die von fernher kommt?“ (Jes 10,3). Kaum verhohlen wird hier der verheerende Ansturm der Assyrer als „Tag (Jhwhs)“ gedeutet.

4) Zefanja. In der Prophetie → Zefanjas wird der jôm jhwh zum Grundthema. Der „Tag“ bildet das dreizehnfach wiederkehrende Leitmotiv einer ganzen Spruchkomposition (Zef 1,4-16). Nacheinander wird hier allen das Gericht Gottes angesagt, die sich seinem Gerechtigkeitswillen widersetzen: der Geistlichkeit, den Königsbeamten und Königssöhnen, den Kaufleuten, den reichen Oberen („die auf der Hefe dick geworden sind”, Zef 1,12f.), den Militärs. Zusammenfassend wird der „Tag Jhwhs“ geschildert als „ein Tag des Zorns, ein Tag der Not und der Bedrängnis, ein Tag der Vernichtung und der Verwüstung, ein Tag der Finsternis und des Dunkels, ein Tag des Gewölks und des Gewitters, ein Tag des Hornrufs und des Kriegsgeschreis wider die befestigten Städte und wider die hohen Zinnen“ (Zef 1,15f.). Die hier verwendete düstere Metaphorik mag ihre Hintergründe in assyrischer (Aber-)Gläubigkeit haben (Spieckermann, Dies irae); das Motiv des jôm jhwh indes, einschließlich seiner Wendung ins Negative, ist genuin biblisch-prophetisches Erbe. Interessanterweise findet sich bei Zefanja auch wieder die (Rück-)Wendung des Motivs ins Positive – freilich in sehr verhaltener und begrenzter Form: Einzig die Armen im Lande, und auch sie nur bedingt, haben eine Chance auf Verschonung am Tag Jhwhs: „Sucht Jhwh, all ihr Armen des Landes, die ihr sein Recht befolgt! Sucht Gerechtigkeit, sucht Bescheidenheit – vielleicht werdet ihr geborgen am Tag des Zornes Jhwhs!“ (Zef 2,3).

5) Joel. Noch ausgeprägter als das Zefanja- entwickelt das → Joelbuch eine doppelte Perspektive auf den „Tag Jhwhs“: einerseits als Unheils-, andererseits als Heilstag. Im ersten Teil der Schrift erscheint eine Heuschreckenplage als Einbruch des „großen und überaus furchtbaren Tages Jhwhs“ (Jo 2,11; vgl. schon Jo 1,15; Jo 2,1). Im Bild der gefräßigen, in Wellen einfallenden Tiere zeichnet sich die Verwüstung durch feindliche Heere ab, wie Juda sie, bis hin zum traurigen Höhepunkt der → Zerstörung Jerusalems 586 v. Chr., immer wieder erlebt hat. (Dieses traumatische Ereignis wird noch in anderen exilszeitlichen Texten als Tag Jhwhs gedeutet: Klgl 1,12; Klgl 2,1.21f.; Ob 12f.). Im zweiten Teil der Joelschrift aber wechselt die Stimmung. Da wird zunächst verheißen, Jhwh werde über Alte und Junge, Hohe und Niedere seinen Geist ausgießen (Jo 3,1f.). Auf diese Weise wird Juda gewappnet sein für das Kommen des „großen und furchtbaren Tages Jhwhs“, der sich schon in Blut, Feuer, Rauch und Sonnenfinsternis ankündigt. Doch diesmal wird auf dem Zion Zuflucht sein für jeden, „der Jhwhs Namen anruft“ und „den Jhwh beruft“ (Jo 3,3-5). Judas Feinde hingegen, die so lange triumphiert haben und sich noch einmal zu einem großen Angriff aufmachen (Jo 4,1-12), werden am Tag Jhwhs, wenn „Sonne und Mond sich verfinstern, die Sterne ihren Glanz verlieren und Jhwh vom Zion her brüllt“, ihr Fiasko erleben (Jo 4,15f.).

In dem Weltendrama des Joelbuchs zeichnen sich die Weltuntergangsszenarien ab, die spätere Visionäre und Künstler in immer flammenderen Farben an den düsteren Himmel ihrer jeweiligen Gegenwart gemalt haben. Die schaurigen Bilder und Kompositionen vom „Dies irae, dies illa“ sollten indes nicht vergessen machen, dass die Triebfeder der jôm jhwh-Erwartung (und letztlich der gesamten jüdischen und christlichen Endzeiterwartung) nicht in morbiden Angstphantasien und perverser Katastrophenlust liegt, sondern im sehnsüchtigen Warten auf die Gerechtigkeit. Was jetzt so schmerzlich vermisst wird – dass Gott seine Widersacher niederringt und seine Getreuen zu sich nimmt –, soll im „Jüngsten Gericht“ endlich wahr werden.

4. Messias, Menschensohn und Endgericht

1) Messias. Laut biblischer Überlieferung hat → David „seinem ganzen Volk Recht und Gerechtigkeit geschaffen“ (2Sam 8,15). Dem von ihm begründeten Königshaus galt seit alters die Verheißung besonderer Gottesnähe und Dauerhaftigkeit (2Sam 7,11-15; 1Kön 2,45; Jes 7,3-9; Ps 89,4f.). Dies alles schien mit dem Untergang des Königreichs Juda obsolet zu werden. Doch statt zu einer Suspendierung der alten Verheißungen kam es zu deren Eschatologisierung (→ Eschatologie). Zunächst noch, in frühnachexilischer Zeit, keimte die Hoffnung auf eine Restituierung der davidischen Herrschaft im alten Stil (vgl. Hag 2,20-23; Sach 4f.; Sach 6,9-15). Doch als sich diese Möglichkeit zerschlug, richtete sich die Hoffnung auf einen David redivivus, der am Ende der Zeiten in Jhwhs Auftrag seinem Volk Recht verschaffen und in der Welt Gerechtigkeit durchsetzen werde (→ Messias).

Aus der Reihe der sog. messianischen Weissagungen (Jes 9,1-6; Jes 11,1-9; Jer 23,1-8; Ez 34,23-31; Hos 3,5; Am 9,11-15; Mi 5,1-4; Sach 4,1-14) verdient im Blick auf die Thematik des Richtens Jes 11 besondere Beachtung. Dort wird das Kommen des Endzeitherrschers so beschrieben: „Es wird hervorgehen ein Spross aus dem Stumpf Isais, ein Reis aus seinen Wurzeln Frucht bringen. Und ruhen wird auf ihm der Geist Jhwhs, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Ehrfurcht Jhwhs (…). Nicht nach dem Augenschein wird er richten und nicht auf Gerüchte hin Recht sprechen. In Gerechtigkeit richtet er die Niederen, und in Geradheit spricht er Recht den Armen des Landes. Schlagen wird er den, der Furcht verbreitet, mit dem Stab seines Mundes, und mit dem Geist seiner Lippen wird er den Übeltäter töten. Und Gerechtigkeit wird der Schurz seiner Lenden sein und Verlässlichkeit der Gurt seiner Hüften“ (Jes 11,1-5*). Der erwartete neue David wird sich weniger durch Macht als durch Gerechtigkeit auszeichnen. Er wird endlich tun, was Könige eigentlich von Haus aus tun sollten (vgl. z.B. 1Kön 3,16-28; Ps 72,2-7; Spr 20,8; Spr 31,8f.): gerecht richten und dabei vor allem die Schwachen schützen. Sein Wirken (bzw. das Wirken des in seine Gestalt einrückenden Israel) wird, wie ein Zusatz betont, weltweite Ausstrahlung haben: „Und es wird sein an jenem Tage: Der Wurzelspross Isais steht da als Panier für die Nationen; nach ihm fragen die Völker und seine Ruhe ist herrlich“ (Jes 11,10).

2) Menschensohn. In der apokalyptischen Bewegung der spätalttestamentlichen Zeit wollte man solche Zukunftshoffnung offenbar nicht gar so eng an das (davidische) Königtum gebunden sehen. Hier trat an die Stelle der königlichen eine betont unkönigliche Hoffnungsfigur: der → „Menschensohn“ (und auch seine Konturen oszillieren zwischen denen einer individuellen Gestalt und des Kollektivs Israel). Zentraler Text ist Dan 7,1-15. Der nach den vorangehenden Legenden im babylonischen Exil lebende Visionär → Daniel sieht aus dem aufgewühlten Meer nacheinander vier Furcht erweckende Tiere an Land steigen: das erste einem geflügelten Löwen gleich, das zweite einem Bären, das dritte einem Leoparden. Am Ende erscheint eine vierte Bestie, für die es in der Tierwelt offenbar keinen Vergleich gibt: „fürchterlich und schrecklich und überaus stark, mit großen eisernen Zähnen … und zehn Hörnern“ (Dan 7,7). Die apokalyptischen Bilder lassen sich entschlüsseln: Der geflügelte Löwe war Wappentier der Babylonier, Bären waren im iranisch-armenischen Bergland zu Hause, dem Stammland der Meder, Leoparden bzw. Geparden waren bevorzugte Jagdtiere der Perserkönige. Es waren also die Weltreiche der exilischen und nachexilischen Zeit, die Daniel im Traum aufsteigen sah. Damit kann das vierte (Un-)Tier nur das von Alexander d. Gr. begründete griechische Weltreich sein. Die nähere Schilderung führt bis ins 2. Jh. hinunter, genauer: zu den Verfolgungsmaßnahmen des Seleukidenherrschers → Antiochos IV. gegen die Juden im Jahr 166 v. Chr. In ihnen kündigt sich aber bereits die Krisis der alten Weltzeit an. Denn das vierte Tier wird von einem „Hochbetagten“ – offenkundig Gott – gerichtet und anschließend getötet und verbrannt. Auch den anderen Tieren wird die Macht genommen und einem übergeben, „der einem Menschen glich“ (Dan 7,13). Gottes Richtspruch über die Reiche dieser Welt ermöglicht die Aufrichtung einer humanen, den Menschen dienenden Herrschaft.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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2. Weitere Literatur

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  • Dietrich, W. / Link, C., 2. Aufl. 2004, Die dunklen Seiten Gottes, Bd. 2: Allmacht und Ohnmacht, Neukirchen-Vluyn
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  • Spieckermann, H., 1989, Dies irae: der alttestamentliche Befund und seine Vorgeschichte, VT 39, 194-208
  • Struppe, U. (Hg.), 1989, Studien zum Messiasbild im Alten Testament (SBAB 6), Stuttgart 1989
  • Uehlinger, C., 1996, Astralkultpriester und Fremdgekleidete, Kanaanvolk und Silberwäger. Zur Verknüpfung von Kult- und Sozialkritik in Zef 1, in: Dietrich, W. / Schwantes, M. (Hgg.), Der Tag wird kommen. Ein interkontextuelles Gespräch über das Buch des Propheten Zefanja (SBS 170), Stuttgart, 49-83.
  • Zeindler, M., 2005, Gott der Richter. Zu einem unverzichtbaren Aspekt christlichen Glaubens, 2. Aufl. Zürich

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