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Fürbitte (AT)

(erstellt: November 2011)

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Bei der Fürbitte trägt eine Mittlerperson (→ Mittler) einem Menschen oder Gott Anliegen einer anderen Person mit der Bitte um Hilfe vor. Das Auftreten des Fürsprechers kann nötig oder zumindest Hilfe versprechend sein, weil die Kommunikation zwischen demjenigen, der Hilfe benötigt, und der Instanz, die Hilfe gewähren kann, gestört oder beeinträchtigt ist. Ein Beispiel für die Fürbitte gegenüber einem menschlichen Retter bietet das Buch → Ester: Königin Ester tritt beim persischen König, ihrem Gatten, bittend für das Leben ihres Volkes ein (Est 7,2; Est 5,6-8). Im neutestamentlichen → Philemonbrief bittet Paulus den Herrn des entlaufenen Sklaven Onesimus um dessen Aufnahme. Sofern die Hilfe von Gott erwartet wird, ist die Fürbitte eine Sonderform des → Gebets.

Von der Fürbitte zu unterscheiden ist der Wunsch. Relativ häufig finden sich im Alten Testament und auch in altbabylonischen Privatbriefen wohlwollende Wünsche wie die allgemein gehaltene Formulierung „Jahwe sei mit dir!“. Anders als in Fürbitten wird in Wünschen nicht Gott bzw. der, der eine Gunst erweisen soll, angeredet, sondern derjenige, dem die Gunst zuteil werden soll. Damit drückt der Sprecher seinem Gegenüber seine Anteilnahme aus (vgl. z.B. in 1Sam 24,20; 2Sam 14,17; 2Sam 24,3.23; 1Kön 1,36f.; Rut 1,8f.; Rut 2,12; Rut 4,11).

In den Psalmen kommen Segenswünsche vor, die Gottes Gunst für das Volk aussprechen, bes. im sog. Wallfahrtspsalter (Ps 120-134, z.B. in Ps 121,7; Ps 126,4; Ps 128,5; Ps 134,3; → Psalter).

1. Fürsprecher

1.1. Fürbitte durch einen Propheten

Die Fürbitte gehört zu den zentralen Aufgaben von → Propheten und wurde von ihnen unter anderem – vielleicht sogar vor allem – in institutionellem Kontext ausgeführt. Belegt ist sie z.B. für → Ahija von Silo (1Kön 14), → Elia (2Kön 1,2-17a), → Elisa (2Kön 8,7-15), → Amos (Am 7,2.5), → Jeremia (Jer 21,2; Jer 37,7; Jer 42,2), → Ezechiel (Ez 14,3; Ez 20,1-3) und → Jesaja (Jes 37,1-7 = 2Kön 19,1-7). Eine Reihe von Erzählungen der → Königsbücher (1Kön 14; 1Kön 22; 2Kön 3; 2Kön 8,7-15) zeigt den Zusammenhang zwischen der Befragung von Propheten, durch die man sich eine positive Prognose erhoffte, und der Fürbitte. Dass die Fürbitte institutionell mit der Prophetie verbunden ist, lässt sich auch daraus schließen, dass Fürbitten auch abgelehnt werden konnten (so Jer 21,2; Jer 37,3; Ez 14,7.10; Ez 20,1.3; vgl. die Visionen des → Amos). Nach einigen Überlieferungen konnte Gott selbst dem Propheten verbieten, für Israel zu bitten (Jer 7,16; Jer 11,14; vgl. Jer 15,1f.; Ez 9,8f.). Ein solches Verbot unterstreicht indirekt, welche Bedeutung und Macht der prophetischen Fürbitte zugemessen wurde. Gegen die Mehrheitsmeinung bestreitet Gerstenberger, dass die Fürbitte eine Spezialaufgabe von Propheten gewesen sei. Zu einer solchen sei sie erst in später Zeit und nur auf der literarischen Ebene geworden.

1.2. Fürbitte durch einen Repräsentanten

Außer den Propheten können in Erzählungen andere Beter Fürbitten sprechen. Es handelt sich durchweg nicht um „Laien“ oder Privatleute, sondern um Repräsentanten oder Anführer ihrer Gruppe oder Familie bzw. um Protagonisten der Geschichte des Gottesvolkes, z.B. um → Isaak, der für seine Frau (Gen 25,21), und → David, der für sein todkrankes Kind (2Sam 12,16) bittet.

Der wichtigste dieser Fürbitter ist → Mose, der sich bei Gott für das Volk einsetzt (z.B. Ex 5,22ff.; Ex 17,4.11-12; Ex 32,11ff.; Num 11,1-3.11-15; Num 12,13; Num 14,13-19; Num 21,4b-9). Sein Auftreten als Fürbitter hängt allerdings damit zusammen, dass er als prophetische Gestalt gezeichnet wird. Seine Interzession ist dabei „gesteigert, ja in ein Extrem radikalisiert: um Israel zu retten, erklärt sich Mose bereit, selbst zum anathema für das Volk zu werden (Ex 32,32)“ (Gerhard von Rad, 335). Neben Mose erscheint in Jer 15,1 der Prophet → Samuel als potentieller Fürbitter. Die Aussageabsicht des Textes liegt darin, dass selbst diese beiden exemplarischen Repräsentanten und Fürbittgestalten Gott nicht von seinem Entschluss abbringen werden, über Israel Unheil zu bringen.

2. Begünstigte von Fürbitten

Begünstigte von Fürbitten sind häufig das Volk Israel (z.B. Ex 32,11-14; Neh 1,4-11) und der König (Ps 20; Ps 28,8f.; Ps 61,7; Ps 72; Ps 84,9; Ps 89; Ps 132). Der israelitische König → Jerobeam I. kann aufgrund der Fürbitte eines anonymen Gottesmannes wieder seine Hand bewegen (1Kön 13,6). Der ägyptische König bittet im Rahmen der → Plagenerzählungen Mose und Aaron viermal um ihre Fürbitte zur Beendigung der jeweiligen Plage (Ex 8,4.24; Ex 9,26; Ex 10,17), wovon der Pharao und das Volk kurzfristig profitieren.

Als Einzelperson wird beispielsweise → Rebekka aufgrund der Fürbitte ihres Mannes (Gen 25,21) begünstigt, so dass sie schwanger wird. Durch die Fürbitte → Abrahams wird → Abimelech wieder gesund und Abimelechs Frau und Dienerinnen können wieder gebären (Gen 20,17-18).

Die Fürbitte kann darüber hinaus auch die „andersgläubige Umwelt der israelitischen Exulanten“ (K.F. Wiggermann) im Blick haben:

„Und sucht das Wohl der Stadt, in die ich euch in die Verbannung geführt habe, und betet für sie zum HERRN, denn in ihrem Wohl wird euer Wohl liegen.“ (Jer 29,7; Zürcher Bibel).

Exkurs: Ausblick auf die entgrenzte Fürbitte im Neuen Testament

Strukturell ähnlich schließt im Neuen Testament einerseits die Fürbitte das Gebet des Apostels Paulus für die Gemeinde (z.B. Phil 1,3f.; Röm 1,9f.) und der Gemeinde für den Apostel (z.B. Röm 15,30) ein, andererseits wird die Fürbitte entgrenzt, indem die Gemeinde Jesu aufgefordert wird, für „alle Menschen“ und auch die staatliche Obrigkeit fürbittend einzutreten (vgl. 1Tim 2,1-4). Die Nächsten- und Feindesliebe schließt das Gebet für die Verfolger der Gemeinde ein (vgl. Mt 5,44; Lk 6,28). Dabei ist die entgrenzte Fürbitte christologisch begründet. Zu Fürbittern werden alle geistbegabten Gotteskinder und in die Fürbitte eingeschlossen werden die ganze Welt, insbesondere auch die Feinde.

Der griechische Begriff parakletos kann mit „Beistand“, „Anwalt“ und „Fürsprecher“ übersetzt werden. Die Sache eines Beklagten oder Klägers wird vom Fürsprecher vor Gericht angeführt, welcher für ihn spricht und für ihn eintritt. 1Joh 2,1 stellt Christus als denjenigen vor, der vor seinem himmlischen Vater für diejenigen eintritt, die ihm nachfolgen. Im sog. Hohepriesterlichen Gebet (Joh 17) wird Gott-Vater von Jesus kurz vor seinem Tod darum gebeten, allen Gläubigen ewiges Leben zu schenken.

In der lukanischen Überlieferung bittet Jesus am Kreuz selbst für diejenigen, die ihn töten (Lk 23,34a), und erfüllt damit selbst die Aufforderung zur Fürbitte für die Verfolger. Im Sinne des Vorbildes Jesu ist die Überlieferung von Apg 7,60 so gestaltet, dass Stephanus auf ähnliche Weise Fürbitte für diejenigen einlegt, die ihn steinigen.

3. Gegenstand von Fürbitten

Die Fürbitten des Alten Testaments widmen sich im Wesentlichen drei größeren Themen: Im Bereich der Gesundheit wird in der Fürbitte um Heilung von Krankheit (1Kön 13,6), die Fruchtbarkeit der Frau (Gen 25,21) und die Abwendung einer Todesgefahr (2Sam 12,16) gebeten.

Im Kontext militärischer Auseinandersetzung findet sich die Fürbitte um Abwehr der Bedrohung und Hilfe im Krieg (Jer 21,2) oder Wegweisung für die Heerführer (Jer 42,2-3).

Wichtigstes Thema der Fürbitten ist die Vergebung von Schuld und Abwendung des angedrohten Gerichts Gottes (Ex 32,11-14; Am 7,2.5; Neh 1,4-11).

4. Ungewöhnliche Fürbitten

Einen Sonderfall der Fürbitte bildet die Erzählung von → Abraham und seinem Einsatz für → Sodom (Gen 18,22-32). Nach der Ankündigung der Zerstörung Sodoms fragt Abraham Gott fünfmal, ob er die Stadt auch vernichten werde, wenn darin 50 oder auch nur 10 Gerechte zu finden seien. Dabei versichert Gott gegenüber Abraham, dass er die Stadt um der Gerechten willen verschonen würde. Abrahams Interzession betrifft einerseits eine fremde Stadt und andererseits Gottes Verhalten selbst, denn er soll davor bewahrt werden, Unschuldige und Schuldige gleich zu behandeln (Gen 18,25). Der argumentative Dialog zwischen Gott und Abraham hat stark juristische und weisheitliche Züge und reflektiert theologische Problemstellungen im Gewand einer erzählten Fürbitte.

Eine ebenfalls ungewöhnliche Fürbitte präsentiert Hi 42,7-9. Da → Hiobs Freunde nicht recht von Gott geredet haben, sollen sie auf Geheiß Jahwes bei Hiob Opfer darbringen und Hiob soll fürbittend für sie eintreten. Die Wirkung dieses Opfers hängt von der Fürbitte Hiobs ab. Einerseits sind die Freunde ganz aktiv, indem sie das Opfer bereitstellen und ausführen, andererseits sind sie ganz passiv und auf Hiobs Eintreten für sie angewiesen sowie darauf, dass Hiob Zutritt in die Audienzsphäre Gottes hat und Gott Hiobs Angesicht erhebt. Aufgrund dieser Fürbitte legt sich Jahwes Zorn. Damit will die Erzählung die besondere Stellung Hiobs hervorheben, denn Hi 42,7-9 zeigen Hiob als Beter beim Opfer anderer, der in einer einmaligen Situation zum einzigen Mittler für das Opfer anderer wird. Vielleicht soll Hiob auch, nachdem er selbst sich an keinen „Heiligen“ wenden konnte (Hi 5,1), die Funktion des → „Engels“, der nach Hi 33,24 bei Gott für den Menschen eintritt, übernehmen.

Der Gottesknecht des vierten Gottesknechtsliedes wird als jemand beschrieben, der die Sünden vieler getragen und für Übeltäter gebeten habe (Jes 53,12). Dass der Fürbitter selbst die Schuld anderer trägt, ist eine ungewöhnliche Vorstellung.

Literaturverzeichnis

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2. Weitere Literatur

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