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Fasten / Fastentage (AT)

(erstellt: August 2012)

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„Fasten“ bedeutet: freiwilliger und zeitlich begrenzter, vollständiger Verzicht auf Nahrungsaufnahme (teilweise einschließlich Getränken). Damit ist Fasten von einer auf Dauer angelegten, durch Speisegesetze geregelten Vermeidung bestimmter Lebensmittel zu unterscheiden. Als Bestandteil von sog. Selbstminderungsriten (Zeichen zum Ausdruck von → Trauer, Verzweiflung und Selbstdemütigung wie: das Tragen eines Saq-Gewandes [→ Kleidung], das Wälzen in Staub, Schlagen oder die Haut Ritzen, Scheren von Haupt- und Barthaar, Ablegen oder Zerreißen von Kleidern) wird das Fasten jedoch selten als isolierte Handlung beschrieben. Fastentage führen damit zu einer massiven Zäsur im Alltag, grenzen, besonders als individuelle Fastentage, aus der Gesellschaft aus (vgl. 2Sam 12,16-23) und schaffen auf diese Weise Raum für Buße (→ Umkehr) oder Trauer.

1. Terminologie

Die weitaus am häufigsten im Alten Testament für „Fasten“ verwendeten Begriffe sind das Verbum צום ṣûm (21-mal im Qal) bzw. das Nomen צוֹם ṣôm (26-mal). Ein Alternativbegriff ist ענה ‘nh II „niedrig sein / sich demütigen“, der nicht zuletzt in der Redewendung ענה אֵת נֶפֶשׁ bzw. ענה נֶפֶשׁ ‘nh (’æt) næpæš Piel „seine næpæš / seine Seele / sein Leben demütigen“ verschiedene Selbstminderungsriten einschließlich des Fastens abdeckt (vgl. Lev 16,29.31; Lev 23,27.32; Num 29,7; Num 30,14; Jes 58,3.5; Ps 35,13). Es können jedoch auch Umschreibungen wie „nicht essen und trinken“ (vgl. Ex 34,28; Dtn 26,14; 1Sam 1,8; Dan 10,2f.) verwendet werden.

2. Rituelles Fasten – Fastentage

In der alttestamentlichen Kultgesetzgebung verankertes rituelles Fasten findet allein als Teil der umfangreichen Riten für den → Jom Kippur (Lev 16,29.31; Lev 23,27.29; Num 29,7) statt. Das Volk verleiht durch Fasten seiner Bußwilligkeit Nachdruck. Es ist damit aktiv am Geschehen des Sühnetages beteiligt. Allerdings hat das Fasten selbst keine sühnende Wirkung (das ändert sich erst im 3./2. Jh. v. Chr.; vgl. PsSal 3,8). → Sühne am Jom Kippur wird durch die rituellen Handlungen des Hohepriesters erreicht.

Darüber hinaus wird jedoch in verschiedenen Zusammenhängen von in Notsituationen eigens einberufenen Fastentagen gesprochen (vgl. u.a. 1Sam 7,6; Jo 1,14). So fasten die Juden des persischen Reiches angesichts der gegen sie geplanten Pogrome; sie klagen, weinen und liegen in Sack und Asche (Est 4,3). Fastentage aus Notsituationen heraus sind teilweise nachträglich institutionalisiert worden und haben einen Platz im Kalender erhalten. Das gilt für das Fasten am Vorabend des Purimfestes (13. Adar; vgl. Est 9,31) ebenso wie für die in Sach 7,1-3 und Sach 8,18-19 genannten Fastentage. Fasten wird hier zu einem Modus der Erinnerung. Die vier Fastentage des → Sacharjabuches gehen sicher auf Bräuche der Exilszeit zurück, sind jedoch erst in späterer jüdischer Tradition mit konkreten Exilsereignissen in Verbindung gebracht worden. Von herausgehobener Bedeutung unter den vier Tagen ist der 9. Av als Fasten- und Trauertag. Die vier Fastentage gelten:

im 4. Monat (17. Tammuz = Juni / Juli) der Erinnerung an die Überwindung der Jerusalemer Stadtmauer zuerst durch Nebukadnezar (vgl. Jer 39,2; Jer 52,6f; 2Kön 25,3f.) und später noch einmal durch Titus;

im 5. Monat (9. Av = Juli / Aug.) der Trauer um die Zerstörung des ersten Tempels 587 v. Chr. (vgl. 2Kön 25,8ff.; Jer 52,12ff.), des zweiten Tempels 70 n. Chr. wie auch der Trauer um die letzten gefallenen Kämpfer des Bar-Kochba-Aufstandes (132-135 n. Chr.) und die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden (→ Klagelieder Jeremias);

im 7. Monat (3. Tishri = Sept. / Okt.) dem Gedenken der Ermordung des Statthalters Gedalja (vgl. 2Kön 25,22ff.; Jer 41,1f.);

im 10. Monat (10. Tebet = Dez. / Jan.) der Erinnerung an den Beginn der Belagerung Jerusalems (vgl. 2Kön 25,1).

Die Aussage Sacharjas zielt allerdings auch nicht auf die dauerhafte Installation von Fastentagen als Trauer- und Klagetagen, sondern gerade auf deren grundsätzliche Verwandlung von Trauer- zu Freudentagen.

Die Zusammengehörigkeit von Trauer, Klage und Fasten steht außer Frage. Ebenso klar ist, dass Fastentage, wie sie oben genannt wurden, kollektiv zu begehen sind. Unbeantwortet ist hingegen das Problem, inwieweit diese Tage liturgisch gestaltet sind. Die großen Volksklagelieder des Psalters mögen bei Klagefeiern gesungen worden sein, erweisen sich in ihrer jetzigen Gestalt aber als für den Buchzusammenhang gestaltete Texte. Die Lesung der Klagelieder Jeremias für den 9. Av ist erst seit der Mitte des 8. Jh.s n. Chr. belegt (Traktat Soferim 18,4). So ist es bisher bei Versuchen geblieben, ein Ritual eines Fastentages nachzuzeichnen (u.a. anhand von → Joel). Wesentliche Elemente eines Rituals, die mit dem Fasten einhergehen, neben den Selbstminderungsriten nicht zuletzt das → Gebet, sind jedoch benennbar.

So stellt sich schließlich die Frage, ob die Belege chronologisch zu ordnen sind. Fasten, sei es kollektiv oder individuell, ist ein weit verbreitetes kulturelles Phänomen. Das einzige im alttestamentlichen Festkalender verankerte Fasten, das des Jom Kippur, ist, je nach Datierung der Einführung dieses Sühnetages, wohl eher ein frühnachexilisches Phänomen. Für zwei Aspekte des Fastens lässt sich dennoch eine Entwicklung nachzeichnen. Die sühnende Wirkung des Fastens gewinnt erst im 3./2. Jh. v. Chr. an Bedeutung, ebenso wie sein divinatorischer Aspekt (→ Divination). Zur Funktion des Fastens aber mehr im Folgenden:

3. Kollektives und individuelles Fasten

Auslöser oder Ziel eines Fastens für Kollektiv wie Individuum können sehr variieren. Wie die institutionalisierten Fastentage zeigen, sind Notsituationen jedoch ein wesentlicher auslösender Faktor. Das Ziel des Fastens kann in der Folge eine Bußbewegung sein, ein Zeichen der Umkehr (1Sam 7,6), es kann Ausdruck von Klage und Trauer sein (vgl. Est 4,3) oder aber einen Gottesbescheid vorbereiten (Ri 20,26-28). In Neh 1,4-11 wird jedoch auch deutlich, wie sehr diese hier getrennt aufgeführten Bereiche miteinander verzahnt sind. → Nehemia wird von Trauer überfallen, er fastet und spricht ein Gebet der Buße und Umkehr. Erst im Gebet wird das Ziel des Fastens wirklich deutlich.

Fasten in Notsituationen kann durch den König, einen Propheten, Priester oder die Ältesten einberufen (vgl. 1Sam 14,24-30; 1Kön 21,9.12.27; Jo 1,13-15) oder aber individuell durchgeführt werden.

4. Funktionen des Fastens

4.1. Bußfasten

Not verlangt kollektive → Umkehr, Buße, Hinwendung zu Gott. Fasten ist ein Ausdruck dieser inneren Bewegung (Jo 2,12). Hervorzuheben ist, dass dieses Fasten tatsächlich als kollektiver Akt durchgeführt wird, jeweils begleitet von einer heiligen Versammlung (עֲצָרָה ‘ăṣārāh; vgl. Jo 1,14; Jo 2,15; s. auch Neh 9,1) mit Gebet. In Jon 3 geht das kollektive Fasten schließlich so weit, dass auch die Tiere beteiligt sind (→ Jona).

David fastet, als das aus der illegitimen Beziehung mit → Batseba stammende Kind im Sterben liegt. Es wird sich hier um ein Bußfasten handeln. Ein Trauerfasten hingegen schließt sich nicht an (vgl. 2Sam 12,16.20-23). David beendet das Fasten nach dem Tode des Kindes. Bußfasten erweist sich schließlich als ein Akt persönlicher Frömmigkeit (vgl. Ps 69,11; Ps 109,24).

4.2. Trauerfasten

Die Verbindung von Fasten mit anderen Selbstminderungsriten wird vor allem beim Trauerfasten deutlich. Im Kontext von → Sauls Tod (vgl. 1Sam 31,13; 2Sam 1,11f.; 1Chr 10,12) werden Fasten, das Zerreißen von Kleidern, Klagen und Weinen genannt. Es dauert sieben Tage lang.

4.3. Fasten zur Vorbereitung von Gottesbescheid und Gottesbegegnung

Das Fasten in Notlagen kann schließlich auch dem konkreten Ziel der Vorbereitung für einen Gottesbescheid oder der Bitte um helfendes Eingreifen Gottes dienen (vgl. Ri 20,26; Est 4,16; Esr 8,21.23; Ps 35,13; 2Chr 20,3). Auch als individuelle Vorbereitung einer Gottesbegegnung wird gefastet. → Moses fastet 40 Tage auf dem Sinai (Ex 34,28; Deut 9,9-10; vgl. Mt 4,2); → Hanna fastet, bevor sie vor Gott tritt (1Sam 1,7-10); in den Anfängen der apokalyptischen Literatur wird Fasten als Vorbereitung der Gottesbegegnung jedoch erst wirklich prominent (vgl. Dan 9,3; Dan 10,3).

5. Fasten-Kritik

Prophetisch geäußerte Fastenkritik bezieht sich, ähnlich der Kritik an Opfern und Festen, auf die Motivation der Fastenden, auf das Verfolgen eigener Interessen und auf das fehlende Bemühen um die Ehre Gottes. Auch die Annahme, Gottes Aufmerksamkeit erzwingen zu können, ist falsch. Das Fasten, das Gott hingegen gefällt, ist rechtes Handeln und Fürsorge für die Armen (vgl. Jes 58,1-12; Sach 7,5-10).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
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2. Weitere Literatur

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  • Willi, T., Art. Fasten / Fasttage, in: NBL, Bd. 1, Zürich u.a. 1991, 660-661

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