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(erstellt: Januar 2014)

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Etymologie, wörtlich die „Lehre vom Wahren“ (ἔτυμος étymos „wahr“), will die wahre Bedeutung eines Wortes sprachwissenschaftlich von seinem Ursprung her eruieren – doch ist fraglich, inwiefern die Bedeutung eines Wortes auf diesem Wege erschlossen werden kann, da z.B. mit einem Bedeutungswandel zu rechnen ist. Als Volksetymologie bezeichnet man die Ableitung eines Wortes von einem Begriff, mit dem dieses Wort zwar nicht historisch-semantisch verwandt, jedoch durch eine zufällige Ähnlichkeit im Klang oder Schriftbild verbunden ist.

1. Zur theologischen Bedeutung der Etymologie

Etymologische Untersuchungen werden in der Sprachwissenschaft betrieben, gewannen aber auch theologische Bedeutung, wie die nachfolgende Episode deutlich macht:

„…in der folgenden Station bestieg den Postwagen, nebst andern unbedeutenden Reisenden, ein Mann ernsthaftes Ansehens, der ihnen, nach der ersten Begrüßung, selbst sagte, daß sein Hauptstudium die Arabische Sprache sey. Er galt in der That, wie man nachher unter der Hand erfahren hat, allenthalben für einen grundgelehrten Mann, der Hebräisch, Arabisch, Persisch, Syrisch, Samaritanisch, Phönicisch und Koptisch aus dem Grunde verstehe. Er hatte nicht allein, gleich andern Kennern der höhern Exegese, das Hebräische durch das Arabische zu erklären gesucht, sondern er war auf eine Höhe gestiegen, die noch kein anderer Exeget erreicht hatte, nehmlich, er hatte einen Versuch gemacht, das Arabische durch das Hebräische in ein helleres Licht zu setzen. Er war in Leipzig gewesen, und freylich soll seine gerühmte Arabische Kenntniß bey Reisken nicht großen Beyfall gefunden haben, welcher glaubte, daß sie sich nicht weit über den Golius erstreckte. Unser Mann hielt dieß aber, wie billig, für Neid, und wandte sich nach Wittenberg. Er hatte eine Sammlung von ihm in der Bibel, vermittelst des Arabischen, neuentdeckter Beweissprüche bey sich, wodurch die vornehmsten Artikel der Dogmatik aufs neue befestigt werden sollten. Er glaubte dadurch in dieser orthodoxen Stadt gewiß eine ansehnliche Belohnung oder Beförderung zu erhalten. Er erstaunte aber nicht wenig, da alle dortigen Doktoren der Gottesgelahrtheit seine neuen Beweissprüche für ganz überflüßig hielten, weil sie meinten, die Dogmatik sey durch die Augspurgische Konfession und durch das Konkordienbuch befestigt genug.“ (Nicolai / Witte 243f.)

Der Pastoren(schelmen)roman „Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker“ von Friedrich Nicolai, erschienen 1773, markiert einen theologiegeschichtlichen Umbruch – und scheut sich nicht, die Farben kräftig aufzutragen. So ist der zitierte Passus getränkt von Ironie. Wie zu Recht vermutet wurde, ist der Reisende mit Carl Friedrich Bahrdt (1741-1792) zu identifizieren (Neue deutsche Biographie, 1953); Johann Jakob Reiske (1716-1774) war Mediziner und Arabist (Neue deutsche Biographie, 2003); Jakobus Golius (1596-1667) war Verfasser eines 1653 erschienenen arabischen Lexikons (Zedlers Grosses vollständiges Universallexicon, 1735).

Für sein name-dropping hatte Nicolai eine kluge Wahl getroffen, markiert er damit doch die große Tradition der niederländischen Orientalistik und vor allem Arabistik, die im europäischen Zusammenhang ihren Weg nach Deutschland findet. Nach dem Abklingen der altprotestantischen Orthodoxie in ihrer Spätphase verändert sich das Verständnis der Heiligen Schrift. War das Konzept „Biblia sui ipsius interpres“ ursprünglich gegen die katholische Vorstellung gerichtet, die kirchliche Tradition sei Richtschnur für die Interpretation der Bibel, so wird im Laufe der Zeit ihre Mehrdeutigkeit, gepaart mit textkritischer Unsicherheit, deutlich. Der Umbruch ergibt sich mit der Aufklärung: Die Bibel ist methodisch als Literaturwerk zu untersuchen, das Hebräische ist eine normale menschliche Sprache, die mit den Mitteln der Sprachwissenschaft, damals den Mitteln der Philologie, anzugehen ist. Dies bedeutet die Abkehr von der traditionellen philologia sacra (→ Bibelauslegung, Geschichte der christlichen).

Jede Wissenschaft erprobt ihre Innovationen. So seltsam es einem neoprotestantischen Bewusstsein erscheinen mag, arabische Etymologien zur Befestigung der Dogmatik heranzuziehen, so scheint hier doch noch die Heilige Schrift als norma normans durch: Ergeben sich in ihrer Auslegung gravierende neue Erkenntnisse, kann die Lehre der Kirche davon nicht unberührt bleiben. Der Held des Romans teilt diese Sicht nicht, denn was der Reisende vorbringt, sind nur Quisquilien, unbedeutende Produkte einer abstrusen Schreibtischgelehrsamkeit.

Auch die Professoren aus Wittenberg finden daran keinen Gefallen. Sie werden als orthodox gekennzeichnet, verhalten sich indes merkwürdig modern: Die Dogmatik beruft sich auf die Bekenntnisschriften und bedarf der Exegese nicht mehr, die Trennung der Disziplinen durch → J.P. Gabler 1787 wetterleuchtet am Horizont. Eine subtile Ironie: Der Innovator denkt eigentlich konservativ, und die Konservativen sind ihm schon längst voraus.

2. Zur Etymologie hebräischer Begriffe

Etymologie

Der Charakter des Alten Testaments als Urkunde des Morgenlandes wurde von Herder betont; zugleich antizipierte er auch einen Neubeginn in der alttestamentlichen Lexikographie, der dann mit → Wilhelm Gesenius tatkräftig ins Werk gesetzt wurde. Basierend auf den Arbeiten aus den Niederlanden zog er vor allem das Arabische zur Erklärung von Wortbedeutungen heran. Die arabische Schrift hat mehr Zeichen als die Hebräische und kann daher Konsonanten wiedergeben, die in der hebräischen Schrift zusammenfallen. Dies ist z.B. für die Konsonanten und der Fall, die im Hebräischen mit ח wiedergegeben werden, obwohl sie aller Wahrscheinlichkeit nach verschieden ausgesprochen wurden. Es kann mithin vorkommen, dass zwei Wörter gleich geschrieben werden, obwohl sie verschieden ausgesprochen wurden. Diese Fälle von Homographie werden Gesenius folgend in der modernen hebräischen Lexikographie in getrennten Lexikoneinträgen aufgeführt. In den älteren Lexika, so z.B. von Coccejus, ist dies nicht der Fall. Einige Beispiele der modernen Auffassung nach Gesenius18 mögen dies in einer Tabelle verdeutlichen. War dieses Phänomen erst einmal erkannt, ging die Entwicklung von der Homographie weiter zur Homonymie, d.h. gleich lautende Wörter können eine verschiedene Bedeutung haben. Es ergibt sich, dass den Wurzeln nicht einfach die Bedeutungen zuzuordnen sind; viele Wurzeln bzw. Verben sind polysem.

Die Angaben ganz am Anfang der Lexikoneinträge eines hebräischen Wörterbuchs ziehen Vergleiche zu Lexemen anderer, meist verwandter, Sprachen und werden herkömmlich als „Etymologie“ bezeichnet. Die Bezeichnung ist unglücklich, da auch auf Sprachen und hebräische Sprachstufen hingewiesen wird, die jünger sind als das Althebräische. Die Bezeichnung kommt aus dem Griechischen; ἐτυμολογία etymología bedeutet „Ableitung eines Wortes aus seiner Wurzel u. Nachweisung seiner eigentlichen, wahren (ἔτυμος étymos) Bedeutung in Uebereinstimmung mit der dadurch bezeichneten Sache.“ (Pape, 1053). In der Antike erfreuten sich Etymologien dieser Art einiger Beliebtheit. Beispiele finden sich z.B. in Platos Kratylos. Der Dialog behandelt den Konflikt zweier Anschauungen: nach Kratylos beruhen die Benennungen auf natürlicher Richtigkeit; nach Hermogenes auf Vertrag und Übereinkunft. Die Beispiele, die die Sicht des Kratylos belegen sollen, beruhen auf Etymologien, viele von Götternamen. Diese Etymologien segmentieren Lexeme recht willkürlich und gehen assoziativ vor. Ein alttestamentliches Beispiel für ein solches Vorgehen ist die Abteilung der → Gottesbezeichnung שַׁדַּי šaddaj in שֶׁ šæ + דַי daj „(das), was genügt“ in griechischen Übersetzungen, die sie mit ἱκανός hikanos „hinreichend / genügend“ übersetzen (Steins, ThWAT VII, 1103). „Volksetymologien“ kennt auch das Alte Testament, gelegentlich bei Namenserklärungen: Gen 4,1 (Kain), Gen 29,31-30,24; Gen 35,16-18 (Die Söhne Jakobs), Ex 2,10 (Moses), Ex 3,14 (Jahwe).

Die griechisch-platonische Idee, dass die Etymologie eine Art Wesens- oder Urbedeutung eines Wortes in sich trage, hielt sich mancherorts in der alt- und neutestamentlichen Exegese bis zur Mitte des 20. Jh.s und wurde von James Barr heftig in Frage gestellt. Den weitaus pragmatischeren Zugang hatte schon Gesenius über ein Jahrhundert zuvor formuliert: In manchen Fällen ist sie ein Notbehelf, um die Bedeutung selten belegter Ausdrücke durch Sprachvergleich zu erraten. Daneben treten der jeweilige Kontext und die Auslegungstradition, bezeugt durch die antiken Übersetzungen.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass es beim Übergang eines Wortes von einer Sprache zur anderen Lautwechsel geben kann und dass diese regelhaft erfolgen. Wegweisend in der Semitistik war das Standardwerk von C. Brockelmann, das sich vor allem dem Sprachvergleich widmet, wobei das Arabische grundlegend ist; ein neuerer Versuch stammt von B. Kienast, der bei der Vergleichung stärker das Akkadische berücksichtigt.

Literaturverzeichnis

  • Barr, J., Bibelexegese und moderne Semantik, München 1965, 111-163.
  • Barr, J., Comparative Philology and the Text of the Old Testament, Oxford 1968.
  • Brockelmann, C., Grundriß der vergleichenden Grammatik der semitischen Sprachen, 2 Bd.e, Berlin 1908/1913.
  • Hamp, E.P., Art. Etymology, International Encyclopedia of Linguistics, 2. Aufl. Oxford u.a. 2003, 2, 6-12.
  • Kienast, B., Historische Semitische Sprachwissenschaft, Wiesbaden 2001.
  • Nicolai, F., Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, Hg. v. B. Witte, Stuttgart 1991.
  • Opelt, I., Art. Etymologie, RAC 6, Stuttgart 1966, 797-844.
  • Pape, W., Handwörterbuch der griechischen Sprache, Bd. 1, 3. Aufl. Braunschweig 1914
  • Rüterswörden, U., Art. Wortforschung I. Altes Testament, TRE 36, Berlin u.a. 2004, 329-335.
  • Rüterswörden, U., Wilhelm Gesenius als Theologe, in: T. Wagner u.a. (Hgg.), Kontexte (FS H.J. Boecker), Neukirchen-Vluyn 2008, 99-113.
  • Silva, M., Biblical Words and Their Meaning. An Introduction to Lexical Semantics, Grand Rapids 1983 (3. Aufl. 2010).
  • Steiger, J.A., Philologia Sacra (BThST 117), Neukirchen-Vluyn 2011.

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