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Anthropomorphismus

(erstellt: September 2016)

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1. Begriff und Vorstellung

Der griechische Begriff „Anthropomorphismus“ bezeichnet in einem weiteren Sinne Vorstellungen oder Redeweisen, die von einer Gottheit in Analogie zu einem Menschen sprechen. In einem engeren Sinne meint er Vorstellungen, die speziell von der Gestalt (morphé) einer Gottheit in Analogie zu der eines Menschen (ánthropos) sprechen, während Anthropopathismus und Anthropopragmatismus die Analogie zu Gefühlen und Emotionen bzw. zum Handeln eines Menschen meinen. Von Anthropomorphismus ist der → Theriomorphismus, der Gottheiten in Tiergestalt(en) präsentiert (s. Martin), zu unterscheiden.

Anthropomorphismus kann in Texten und in Bildern auftreten. Mit ihm ist implizit oder explizit verbunden, den Gott oder die Göttin als Person vorzustellen. Religionswissenschaftlich wurde er in der Vergangenheit immer wieder aus der Personifikation seelischer Vorgänge (Animatismus), der Beseelung von Gegenständen, Orten oder Tieren (Animismus) oder der Vorstellung von göttlichen Kräften in Gegenständen oder Personen (Dynamis) hergeleitet. Neuerdings wird eher auf die Analogiebildungen zwischen den menschlichen Herrschern und Herrschaftsformen sowie den Gottheiten und der Götterwelt hingewiesen (Soziomorphismus; vgl. Handy).

Anthropomorphismus findet sich breit in polytheistischen Religionsformen, wird in monotheistischen dagegen in unterschiedlicher Intensität als Problem empfunden (→ Monotheismus). Hierzu gibt es im Judentum ablesbar an den → Targumin, am Gebrauch der Allegorese (Aristobul; → Philo von Alexandria) sowie der Umschreibung von Anthropomorphismen in der rabbinischen Literatur ein Problembewusstsein, das im Mittelalter dort, genauso wie im Islam, zu sich ausdifferenzierenden Debatten führt. Im Christentum finden sich derartige Diskussionen seit → Augustin. Damit verbunden und unabhängig von den theologischen Diskursen thematisiert die Philosophie die Spannung zwischen einem reflektierten Gottesbegriff und dem Anthropomorphismus. Die Positionen reichen dabei von der markanten Gegenüberstellung von Anthropomorphismus und einem transzendent-monotheistischen Gottesbegriff eines Xenophanes –

„Hätten die Rinder und Rosse und Löwen Hände wie Menschen, / Könnten sie malen wie diese und Werke der Kunst sich erschaffen, / Alsdann malten die Rosse gleich Rossen, gleich Rindern die Rinder / Auch die Bilder der Götter, und je nach dem eigenen Aussehn / würden sie auch die leibliche Form ihrer Götter gestalten.“ (Frg. B 17)

„Nur ein einziger Gott, unter Göttern und Menschen der größte, / Nicht an Gestalt den Sterblichen ähnlich und nicht an Gedanken.“ (Frg. B 23)

– hin zur Unterscheidung zwischen einem dogmatischen, abzulehnenden und einem symbolischen Anthropomorphismus als Erkenntnis per Analogie bei → Immanuel Kant. Hinzu kommen die kühnen Versuche einer Verbindung von philosophischem Gottesbegriff und anthropomorpher Rede in Bibel und Frömmigkeit im System Hegels sowie die religionskritischen Debatten im Gefolge von Feuerbach.

2. Anthropomorphismus im Alten Testament – Positionen der Forschung

Die alttestamentliche Wissenschaft bleibt in ihrer Erfassung des Anthropomorphismus im Schrifttum des antiken Israel und des frühen Judentums nicht unbeeinflusst von den Bewertungen, die das Phänomen philosophisch und theologisch erfahren hat. Exemplarisch werden im Folgenden Positionen seit dem 19. Jh. kurz dargestellt.

2.1. Entwicklungsmodelle des 19. und 20. Jahrhunderts

Beispielhaft stellt → Hermann Gunkel im Artikel „Anthropomorphismus“ der ersten Auflage des Lexikons „Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG) fest:

„In vielen andern Religionen liegen solche [anthropomorphe – JvOo] Aussagen auf dem eigentlichen Niveau der Gottesanschauung; im AT fallen sie mehr auf, weil sich dort ein geistigerer Gottesbegriff, besonders bei den Propheten vorbereitet. Die eigentliche Stätte der A[nthropomorphis]men im AT sind die älteren Sagen […]. Neben den Sagen liebt die A[nthropomorphis]men die Poesie, die ja überall das Altertümliche zu erhalten strebt […]. Später, als die Religion geistiger und abstrakter wurde, besonders unter dem Einfluß des griechischen Geistes sind die A[nthropomorphis]men zurückgetreten und sind die anthropomorphischen Aussagen des AT vielfach umgedeutet worden.“ (Gunkel, 550f)

Gunkel ordnet den anstößigen Anthropomorphismus zweifach in die Vorstellung von sich höher entwickelnden Religionen ein. Zum einen gehört er zu den „naiven ... Anschauungen, wie sie der Jugendzeit des Menschengeschlechts eigentümlich sind“ (so prägnant in derselben Denkweise → Friedrich Delitzsch – Delitzsch, 50). Auf dieser Stufe der Religionsentwicklung ist der Gottesbegriff noch unausgereift. Dies wird sich erst mit der Höherentwicklung der Religionen ändern und letztlich durch ein Christentum, wie es in der Gegenwart vorliegt, überwunden werden. Zum anderen enthält auch das Alte Testament noch Spuren dieser „naiven“ Vorstellungs- und Denkweise, auch wenn es schon Ansätze zu deren Überwindung einschließt. Auch innerhalb des Alten Testaments gibt es also eine Entwicklung weg von den naiven Anfängen hin zur Geistigkeit einer Religion der Propheten.

Noch → Ernst Sellin (Sellin, 44) und Walther Eichrodt (Eichrodt, 4f) greifen in ihrer Verteidigung des Alten Testaments gegen kritische Anwürfe auf diese Erklärung zurück. Das persönliche, körperliche Erscheinen Gottes verschleiere zusammen mit anderen Anthropomorphismen die „Vergeistigung der Theophanie“ (Eichrodt, Kap. 12), wie sie auf der Höhe des alttestamentlichen Prophetismus erreicht werde.

2.2. Theologische und hermeneutische Einordnungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts

In einem erkennbar veränderten Klima nach dem Ende des Kampfes um das Alte Testament im Deutschland der NS-Herrschaft tritt eine Rechtfertigung anthropomorpher Rede in einer religions- oder AT-kritischen Debatte in den Hintergrund.

So kann → Gerhard von Rad geradezu hymnisch die Geistigkeit eines → Jahwisten beschreiben, der unbefangen und ohne jedes Bedenken Gott in der Abendkühle des Gartens Eden umhergehen sieht (von Rad 1987, 11). Auch in seiner Theologie kontrastiert er, wie bereits → Walther Zimmerli, kritische Einsprüche gegen eine anthropomorphe Rede von Gott schlicht mit der alttestamentlichen Gegenwelt. Sie denke den Menschen von Gott her, theomorph. Insofern verfehle die Aussage, Israel verstehe seinen Gott anthropomorph, die Sinnspitze des Alten Testament – zumal der Abstand zwischen Gott und Mensch fraglos vorausgesetzt werde (von Rad, 1969 159; Zimmerli, 28).

Horst Dietrich Preuß greift in seiner „Theologie des Alten Testaments“ (Preuß, 281) eine systematisch-theologische Denkfigur auf, nach der der Anthropomorphismus als Angleichung (Akkomodation) Gottes an das Denk- und Vorstellungsvermögen der Menschen zu verstehen ist. In scharfer Antithetik formuliert er: „Er [Gott – JvOo] will Beziehung zwischen sich und uns, uns und sich. So gibt er sich durch sein erwählendes Handeln auch in unsere Aussagebedingungen hinein, und doch gibt es nichts, womit man ihn vergleichen könnte.“ Erkenntnistheoretisch und theologisch bleiben hier viele Fragen offen.

Hermeneutisch grundsätzlicher versteht Otto Kaiser den (alttestamentlichen) Anthropomorphismus. Menschliche Rede über Gott könne entweder als theologia negationis Gottes Transzendenz und fundamentale Andersartigkeit durch die Verneinung jeder Analogie Gottes mit der Weltwirklichkeit aussagen und ihn damit letztlich schweigend verehren. Oder sie greife zu anthropomorpher Rede, die metaphorisch und nicht begrifflich Gott positiv in Analogie zur Weltwirklichkeit beschreibe. Gott werde dabei nicht in seinem Wesen erfasst, sondern in seiner Beziehung zu Welt und Mensch beschrieben (Kaiser, 313-316). Dass Kaiser dabei die historische und kulturelle Reichweite solcher Anthropomorphismen mit im Blick hat, macht die weitergehende Einschränkung deutlich: „Sie [Anthropomorphismen – JvOo] haben die Aufgabe, das Verhältnis Gottes in einem bestimmten Augenblick zu einer bestimmten innerweltlichen Situation zum Ausdruck zu bringen.“ (315)

Rolf Rendtorff kommt in seinem kanonischen Entwurf einer alttestamentlichen Theologie auf den Anthropomorphismus nur unter dem Aspekt der Anschaulichkeit des Zeugnisses von Gott zu sprechen. Dessen Kritik müsse die Theologie des Altes Testaments nicht beschäftigen (Rendtorff, 182).

Exegetisch wie theologisch anregend profiliert die kleine Studie „Die Reue Gottes“ von Jörg Jeremias die anthropopathische Rede im alttestamentlichen Schrifttum auch in ihrem Kontrast zur Wirkungsgeschichte. Wird in der Theologiegeschichte der Topos häufig deshalb als anstößig empfunden, weil damit Gottes Willkür Tor und Tür geöffnet würde, so formulieren fast alle alttestamentlichen Stellen (Ausnahme einzig Jer 18,7-10) mit diesem Topos die Gewissheit und Verbindlichkeit der Heilszusage JHWHs, der sich in seinem Vernichtungswillen selbst begrenzt. Entsprechend plädiert Jeremias dafür, die spezifischen Verwendungskontexte anthropomorpher Rede exegetisch wahrzunehmen (150-152).

2.3. Anthropomorphismus auf dem Hintergrund von Bild- und Körperstudien – Andreas Wagner

Die Arbeiten Wagners markieren insofern ein neues Verstehen des alttestamentlichen Anthropomorphismus (→ Körper, speziell Absatz 7.2.), als sie die kulturwissenschaftliche Debatte zum Bild- und Körperverständnis einbeziehen. Über eine Untersuchung der Bildsprache und der Sprachbilder im altisraelitischen und altorientalischen Bereich erhebt er zunächst deren Eigenheiten. Die Darstellungsweise von Menschen sei dabei, verglichen mit einer naturalistischen Wiedergabe, von Reduktion, Typisierung und Idealisierung geprägt (Wagner, 80). Sie ziele auf die Darstellung des Ganzen, wofür sie additiv unterschiedliche Hinsichten zusammenfüge. Individualität der dargestellten Personen spiele dabei keine Rolle. Diese Eigenarten und deren Funktionalität seien im Bereich der Bildsprache und der Sprachbilder deckungsgleich. Auf diesem Hintergrund erhebt Wagner dann die Körperbilder zu Mensch und Gott, wobei sowohl die Übereinstimmungen als auch die Besonderheiten herausgearbeitet werden. Vier Punkte sind als Ertrag seiner Untersuchung besonders hervorzuheben:

1. Die These einer zunehmenden Vergeistigung der Gottesstellung, u.a. im Zusammenhang der Entwicklung einer monotheistischen Denkweise, lässt sich nicht aufrechterhalten. Der alttestamentliche Monotheismus bedient sich ohne Scheu der Vorstellungen vom Körper Gottes (186).

2. Die spezifische Leistungsfähigkeit anthropomorpher Gottesvorstellung liegt nach Wagner darin, den einen Gott anschaulich als kommunikationsfähigen und handelnden zur Sprache zu bringen: „der alttestamentliche Gott ist kein ferner, weltabgewandter Gott, sondern ein mit den Menschen kommunizierender und in der Welt handelnder Gott.“ (156)

3. Das Alte Testament verknüpft die anschauliche Rede vom weltzugewandten Gott mit dem Verbot des Kultbildes: „Im Netz des Sprachbildes vom Körper Gottes […] bleibt Gott präsent, fassbar, tritt als Gegenüber des Menschen auf, ohne in einem Kultbild festgelegt zu sein.“ (157)

4. Die alttestamentliche Zurückhaltung gegenüber Theriomorphismen erklärt sich nach Wagner daraus, dass die Nutzung von Tier- und Mischgestalten zur Darstellung der Gottheit im Alten Orient die Fremdheit und Andersartigkeit der Götter hervorhebe. Diese Betonung der Distanz und Unzugänglichkeit widerspreche den Grundanliegen des alttestamentlichen Redens von Gott (187f).

3. Anthropomorphismen im Alten Testament

Das Alte Testament redet von Gott in menschlicher Gestalt, also von Gottes Körper, identifiziert ihn und sein Handeln mit Rollen aus dem menschlichen Sozialleben und vergleicht ihn mit Vorgängen im Erfahrungsumfeld der Adressaten. Die Anthropomorphismen werden dabei weder in einem Gegensatz zur monolatrischen oder monotheistischen Verehrung und Denkweise gesehen noch stehen sie in Spannung zur menschen- und weltüberlegenen Andersartigkeit Gottes. Sie finden sich breit gestreut über die Literaturen, Gattungen und Zeiten.

3.1. Gott in Menschengestalt – Gottes Körper

In großer Selbstverständlichkeit und Breite ist von Gott und seinem Handeln durch die Nennung von Körperteilen die Rede. Die Texte spiegeln ein Körperbild wider, das sich aus einer Fülle von Einzelsegmenten zusammensetzt, jedoch an keiner Stelle im Sinn eines Gesamtbildes synthetisiert wird. Am häufigsten ist dabei von Gottes Gesicht (פָּנִים pānîm, 598 Belege), seiner Hand (יָד jād, 218 Belege), seiner Nase (אַף ’af, 162 Belege) und seinen Augen (עַיִן ‘ajin, 123 Belege) die Rede. Ebenfalls noch mehrfach wird von Gottes Mund (פֶּה pæh, 57 Belege), seinem Arm (זְרוֹעַ zərôa‘, 42 Belege), seiner Rechten (יָמִין jāmîn, 34 Belege), seinem Ohr (אֹזֶן ’oṣæn, 28 Belege), seiner Kehle / Hals (נֶפֶשׁ næfæš; 16 Belege) und seinem Fuß / Bein (רֶגֶל rægæl, 13 Belege) gesprochen. Auffällig ist dabei, dass die jeweiligen Körperteile Gottes mit der gleichen Häufigkeit erwähnt werden, wie dies bei den entsprechenden Körperteilen von Menschen der Fall ist (vgl. Wagner 107; → Körper und → Körperteile). Die einzige Ausnahme ist der → Kopf (רֹאשׁ ro’š), der mit Blick auf den Menschen mit 596 Belegen an der 5. Stelle der Häufigkeit auftaucht, während von Gottes Kopf nur dreimal im Alten Testament gesprochen wird (Ps 60,9 // Ps 108,9; Jes 59,17; Dan 7,9).

Selten vorkommend (1-4 Belege), aber doch verwendet, ist die Rede von Gottes Handfläche (כַּף kaf, 4), den Fingern (אֶצְבַּע ’æṣba‘, 3), der Lippe (שָׂפָה śāfāh, 3), der linken Hand / Seite (שְׂמֹאל śəmo’l, 2), der Brust / Busen (חֵיק ḥêq, 2), dem Bauch (חֹמֶשׁ ḥomæš, 1), der Zunge (לָשׁוֹן lāšôn, 1), der Seite (צַד ṣad, 1), dem Zahn (שֵׁן šen, 1), dem Rücken (אָחוֹר ’āḥôr, 1+1), dem Nacken (עֹרֶף ‘oræf, 1), der Ferse (עָקֵב ‘āqev, 1), den Augenlidern (עַפְעַפַּיִם ‘af’appajim, 1), der Pupille (אִישׁוֹן ’îšôn, 1), der Fußsohle (כַּף־רֶגֶל kaf rægæl, 1), der hohlen Hand (חֹפֶן ḥofæn, 1+1), der Hüfte (מָתְנַיִם mātnajim, 1) und dem Unterleib (מֵעֶה me’æh, 1) (nach Zählung Wagner, 137-138). Dies dokumentiert erneut die Selbstverständlichkeit, mit der auf Körperbeschreibungen anthropomorph zurückgegriffen wird.

Bezeichnend ist weiter die Zusammenstellung der Körperteile, die auf den Menschen bezogen verwandt werden, jedoch nie auf Gott Anwendung finden (vgl. die komplette Liste bei Wagner 135-136). Alttestamentlich wenig überraschend ist es, dass keine geschlechtsbezogenen Körperteile im Zusammenhang mit Gott zur Sprache kommen (Lende, Gesäß, Hüfte, Leiste, Scham, Schamteile, Penis, Hoden, Vorhaut). Damit wird im Unterschied zu geschlechtlich klar einzuordnenden Gottheiten eine Identifikation JHWHs mit einem Geschlecht vermieden und zugleich eine Distanz zu sexuell konnotierten Kulten gewahrt.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass Körperbegriffe, die detailliert den → Kopf beschreiben, auf Gott keine Anwendung finden. Dazu gehören etwa Schädel, Glatze, Scheitel, Stirn, Augapfel, Augenbraue, Augenhöhle, Ohrläppchen, Schläfe, Haare, graues Haar, Haupthaar, Stirnhaar, Locke, Zöpfe, Bart, Gaumen, Gebiss, Zahnfleisch, Gurgel. Daraus kann gefolgert werden, dass die mit diesen Körperteilen verbundenen Wirkungen und Handlungen (vgl. für den menschlichen Bereich → Hoheslied) für die Darstellung Gottes keine Bedeutung haben. So spielt etwa die soziale Rangstellung, die mit dem Kopf oder mit Gesten, die mit diesem verbunden sind, ausgesagt wird („Köpfe / Häupter eurer Stämme“ Dtn 1,15; „das Haupt erheben / das Haupt erhebt sich“ Ps 110,7; Ps 27,6; Ps 83,4), für die Rede von Gott keine Rolle, da dieser jenseits solcher menschlicher Rangordnungen steht. Dies erklärt, dass vom Kopf Gottes selbst nur dreimal und von anderen mit dem Kopf verbundenen Körperteilen gar nicht die Rede ist. Angesichts der Bedeutungslosigkeit, die Kultbilder spätestens mit dem Ende der Königszeit in Israel und Juda hatten (zur Diskussion über königszeitliche JHWH-Bilder → Bilderverbot), ist auch verständlich, dass entsprechende Beschreibungen des Kopfes keine Relevanz für ein Körperbild JHWHs in den Texten hatten.

Körperteile Gottes werden nicht mit einem beschreibenden, sondern mit einem funktionalen Interesse verwandt. So bringt ein „leuchtendes Angesicht“, das der König (Spr 16,15) oder Gott dem Volk oder einzelnen Menschen zuwenden (Num 6,22-24; Ps 67,2; Ps 80,4.8.20), die lebensförderliche Zuwendung zum Ausdruck. Wird jemand vom Angesicht Gottes ausgeschlossen (Ps 51,13 – verworfen) oder wendet sich dessen Angesicht gegen eine Stadt (Jer 21,10), so bedeutet dies Unheil und Lebensverlust. Die Vielfalt der Zu- oder Abwendung Gottes, die vorhandene oder gestörte Kommunikation mit ihm wird mittels der Rede vom „Angesicht Gottes“ zur Sprache gebracht (vgl. Hartenstein).

Auch das am zweithäufigsten im Alten Testament erwähnte Körperteil Gottes, die → Hand, dient umfassend der Darstellung göttlichen Handelns an seiner Schöpfung, seinem Volk und einzelnen Menschen. Die Schöpfung ist „Werk seiner Hand“ (Ps 19,2); seine „Hände haben den Himmel ausgebreitet“ (Jes 45,12). Befreit er sein Volk aus Ägypten, dann handelt er „mit starker Hand und ausgestrecktem Arm“ (Dtn 4,34; Dtn 5,15; Dtn 7,19; Dtn 11,2; Dtn 26,8 u.ö.), eine Formel, die das → Deuteronomium und deuteronomistische Texte (→ Deuteronomismus) gleichlautend zur Beschreibung des Exodus gebrauchen. Die Hand steht weiter für ein machtvolles Agieren Gottes (Ex 15,4; Ps 89,11), das auch einzelnen Menschen neue Kraft zuführt (1Kön 8,46, → Elia) oder sie unter seiner Gewalt beeinflusst (Jes 8,11; Ez 3,14).

Durchgängig mit einer Emotion Gottes und der ihr entsprechenden Handlung verknüpft, ist die Rede von Gottes → Nase. Sie steht – ganz wie bei der Rede von der Nase eines Menschen – für seinen → Zorn, mit dem er auf das Handeln des Volkes oder der Menschen reagiert (Jer 21,5). Wenn seine Nase brennt, dann ist sein Zorn entbrannt (Ex 4,14; Ex 32,12), sprich: Gott zürnt. Gesteigert kann von dem Auflodern des Feuers in seiner Nase, ergo einem stark aufwallenden Zorn geredet werden (Dtn 32,22).

Unmittelbar auch für unsere heutige Vorstellung einleuchtend ist die Rede von Gottes Auge(n), seinen Ohren und seinem Mund sowie die ihnen entsprechenden Verben sehen, hören, sprechen. Sie stehen durchgängig für seine Wahrnehmungsfähigkeit und seinen Wahrnehmungswillen (Ps 94,6; Ps 34,16; Ps 139,16). Vor allem im Bereich der Gebetsliteratur wird damit die fürsorgliche Achtsamkeit Gottes vertrauensvoll bekannt (Ps 33,18; Ps 10,17; Ps 116,2) oder erbeten (Ps 17,6).

Die funktionale Dimension in der Rede von den Körperteilen Gottes wird erneut deutlich, wenn von Gottes Füßen, seinem Arm und seiner Rechten die Rede ist. Seine Füße bringen Machtausübung und Präsenz (Ez 43,7) zum Ausdruck; so etwa, wenn Gottes Tempel (Ps 132,7), der → Zion (Ps 99,5; Klgl 2,1) oder die ganze Welt (Jes 66,1) als Schemel seiner Füße bezeichnet werden. Dort betet man den präsenten Gott an (Ps 99,5; Ps 132,7). Macht und Schutz gewähren Gottes Arm und seine Rechte (Dtn 4,35; Ps 89,11; Jes 51,9), wobei sich diese Redeweise nicht im Bereich der individuellen Klage findet.

Die Parallelität von menschlichem und göttlichem Körper wird weiter in der Anwendung der næfæš-Vorstellung auf Gott deutlich. So wird mit diesem, althebräisch komplexen und jeweils durch seinen Kontext näher bestimmbaren Begriff, ganz analog zur Rede beim Menschen, die vitale Präsenz und Potentialität Gottes ausgedrückt. Wenn Gott sich gegen etwas wendet oder etwas hasst, dann ist es seine næfæš, die agiert (Lev 26,30; Lev 26,43; Jes 1,14; Ez 23,18). Umgekehrt kann auch eine auf Gutes ausgerichtete Intention Gottes mit næfæš ausgesagt werden: mit ganzem Herzen und ganzer næfæš handelt JHWH für sein Volk (Jer 32,29). Hier greift das → Jeremiabuch eine geprägte deuteronomisch-deuteronomistische Wendung (→ Deuteronomismus) auf, die dort als Forderung zur unbedingten Gottesliebe (→ Liebe) begegnet (Dtn 6,5). Das sachliche Problem, bei wem Gott schwören soll (→ Schwur), da er selbst die höchste Instanz ist, bei der Menschen sonst schwören, löst die Rede von der næfæš Gottes: JHWH schwört bei seiner næfæš (Jer 51,14; Am 6,8). Hier fungiert diese Redeform als Selbstdistanzierung, wie dies in 1Sam 19,5; 1Sam 28,21 und Ri 12,3 auch bei deren Anwendung auf den Menschen zu beobachten ist.

3.2. Rollenzuschreibungen

Gott und sein Handeln erfasst das Alte Testament auch unter Rückgriff auf Rollen aus dem sozialen und politischen Leben des eigenen Erfahrungsraumes. Die Auswahl ist dabei ebenso naheliegend wie selektiv. Gehäuft findet sich verbal und substantivisch die Identifikation Gottes mit einem König (→ Königtum Gottes). Der Gott Israels herrscht als König (Ex 15,18) und die Inthronisation dieses Königs, der zugleich Herr des Himmels ist (Dtn 33,26), wird in der Versammlung der Stämme Israels vorgestellt (Dtn 33,5). Als König wird er tituliert (Jes 44,6; Zef 3,15 „König Israels“; Jes 41,21 „König Jakobs“). Die Qualität dieser Herrschaft wird in Anlehnung an die irdischen Könige in Juda bzw. Israel (Ps 45,7) sowie an die altorientalische Umwelt als „ewig“ (עוֹלָם ‘ôlām) gekennzeichnet. Dies geschieht vor allem in bekenntnisartigen Formulierungen des → Psalters (Ps 10,16; Ps 29,10). In eigener Prägung präsentieren die JHWH-Königspsalmen Herrschaft und Königsein Gottes (Ps 24; Ps 47; Ps 93; Ps 96-97; Ps 99). Sachlich verbunden mit der Königsthematik ist das altorientalische Herrschaftsmotiv des → Hirten, das alttestamentlich auch auf JHWH angewandt wird (Gen 48,15; Gen 49,24; Jer 31,10; Ez 34; Ps 23,1; Ps 80,2), jedoch dort nie direkt mit dem Königsein Gottes verbunden ist. Die breit entfaltete, soziomorphe Rede von Gott als König entspricht der Bedeutung dieser Herrschaftsform im Alten Orient sowie deren geschichtlicher Gestaltungskraft im vorexilischen Israel bzw. Juda. In der königslosen Folgezeit nach dem → Exil wirkt sie in der → Zionstheologie sowie in den theokratischen Traditionen nach. Artikuliert wird sein Königsein als souveränes und beständiges sowie als Ausdruck seiner heilvollen, Gerechtigkeit schaffenden Gegenwart.

Schließt die Rolle des Königs schon die Sicherung des Rechts und der Gerechtigkeit, der ṣədāqāh, mit ein, so macht die Kennzeichnung Gottes als Richter dies noch einmal explizit. Wiederholt wird er direkt als Richter bezeichnet (meist mit Part. von שׁפט špṭ, u.a. Ps 50,6; Ps 75,8; Jer 11,20; Ps 9,5; Gen 18,25; Ps 93,13; → Gericht / Gerichtswesen). Zahlreiche verbale Aussagen zur göttlichen Aufgabe der Rechtsfindung und Rechtssicherung zeigen, dass diese Funktion zentral zum alttestamentlichen Gottesbild gehört. Aus dem Umfeld familialer und zugleich juridischer Rollen kommt noch die gehäuft in Deuterojesaja zu findende Kennzeichnung Gottes als → Löser (גֹּאֵל goʼel, → Löser / Loskauf) hinzu (Jes 43,14; Jes 44,24; Jes 48,17; Jes 49,7; Jes 54,8). JHWH übernimmt damit die Rolle des Rechtswahrers, die ursprünglich einem nahen Verwandten zum Erhalt der Familie und ihres Besitzes zugedacht war. So sprechen ihn auch die Hiobrede in Hi 19,25 und der Psalter an (Ps 78,35; Ps 19,15). Mehrfach kann Gott als Zeuge benannt werden (Gen 31,50; Ri 11,10; Jer 42,5; Mal 2,14).

Soziale wie politische Macht und Herrschaft bringt der Begriff אָדוֹן ’ādon „Herr / Gebieter“ (Gegensatz: עֶבֶד ‘ævæd „Knecht / Sklave“) zum Ausdruck und kennzeichnet damit ein Macht- und Herrschaftsverhältnis zwischen Personen, das, anders als der Begriff בַּעַל ba‘al „Herr / Besitzer“, nicht auf den Besitz und Eigentumsaspekt konzentriert ist. In der um das Possessivsuffix ergänzten Form אֲדֹנָי ’ādonǎj wird der Begriff exklusiv für Gott verwandt (ca. 440 Belege, davon 315 in Verbindung mit dem Tetragramm JHWH).

Der soziomorphe Zugriff auf Rollen des direkten sozialen Umfeldes von Familie und Sippe findet sich in naheliegender Weise ebenfalls, auch wenn diese Redeweisen erkennbar weniger und erst nach dem Ende des Königtums auftauchen. So tritt in Jes 63,16 Gott als → Vater für die betenden Israeliten an die Stelle von Israel und Abraham. Letztere, so die Klage, wissen nichts von ihnen. Ostentativ löst Gott als Vater diese vormalige Tradition ab, verknüpft mit der Vorstellung des väterlichen Gottes als dem Schöpfer Israels (Jes 64,7). Verbunden mit der Anspielung auf das → Elterngebot des → Dekalogs wendet Mal 1,6 dies in einer Gottesrede gegen Israel. Gott fordert als Vater seine כָּבוֹד kāvôd „Ehre / Herrlichkeit“ ein. Auch hier verbindet sich die nun direkte Parallelisierung zu menschlicher Elternschaft mit der Rede vom väterlichen Gott als Schöpfer (Mal 2,10). Diese Verbindung findet sich auch in einer älteren Variante mit JHWH als dem Vater und Schöpfer des Volkes Israel (Dtn 32,6; vgl. Sir 23,1.4). Diese perserzeitlichen und frühhellenistischen Redeweisen können dann auch für die Reformulierung der Davidszusagen verwandt werden. So ruft David JHWH als seinen Vater an (Ps 89,27) und das Verhältnis zwischen Gott und König kann reziprok als Vater-Sohn Verhältnis ausgesagt werden (2Sam 7,14). Die traditionell besondere Fürsorge Gottes für Witwen und Waisen bringt Ps 68,6 dann ebenfalls unter Rückgriff auf die Einführung der göttlichen Vaterrolle zur Sprache.

Ist im Vergleich zur späteren christlichen Tradition schon die zurückhaltende und weitgehend späte Verwendung der Vaterrolle für Gott auffällig, so ist mit Blick auf eine Mutterrolle keine einzige, direkte Übertragung auf Gott feststellbar. Einzig die indirekte Parallelisierung des zeugenden Vaters und der in Wehen liegenden Mutter mit Gott als dem Schöpfer Israels in Jes 45,10 kommt dem nahe. Ansonsten werden nur einzelne Züge des Handelns Gottes in Vergleichen mit denen einer Mutter verbunden (s.u.). Auch wenn zu Momenten mütterlicher Rollen Analogien hergestellt werden, verstärkt sich die Zurückhaltung in der Nutzung solch familialer soziomorpher Parallelen hier noch einmal. Darin eine Auswirkung patriarchal geprägter Religionsform zu erkennen, liegt nahe.

Immer wieder greifen die Verfasser auch auf Tätigkeiten und Berufe zurück, die aus der Lebenswelt des 1. Jahrtausends v. Chr. in der Levante bekannt sind, und verwenden sie, um Gottes Tun zu kennzeichnen. Dabei kann JHWH ebenso als Krieger (אִישׁ מִלְחָמָה ’îš milḥāmāh, Ex 15,3), Bogenschütze (Klgl 2,4) oder als Kriegsheld (גִּבּוֹר gibbôr Jes 42,13), wie als Wächter (שׁוֹמֵר šômer, Ps 121,4-8), Töpfer (יוֹצֵר jôṣer, Jer 18,6; Jes 64,7) oder Arzt (Ex 15,26, vgl. Dtn 32,39) vorgestellt werden. Durch die Beschreibung einer entsprechenden Tätigkeit erscheint Gott implizit als Bauer oder Gärtner (Jes 27,12; Gen 2,8f; Jes 61,4; Ez 28,13; Ez 31,8f), als Winzer und Besitzer eines Weinbergs (Jes 5,1-7; Jes 63,1-3; Ps 80,9-17), als Bauherr (1Sam 25,28; 2Sam 7,11), als Vogelfänger (Hos 7,12) oder als Hebamme (Ps 22,10f; Hi 10,18).

3.3. Vergleiche

Neben den Rollenzuschreibungen und teilweise in fließendem Übergang zu ihnen findet sich eine Fülle an Vergleichen, die Gott und sein Wirken analog zu menschlichen Erfahrungswelten aussagen. Der schon erwähnte Trost bzw. das Erinnern der Mutter (Jes 66,13; Jes 49,15) oder das Erbarmen des Vaters über seine Kinder (Ps 103,13) werden dabei genauso herangezogen wie Vergleiche aus der Tierwelt (die Motte Hos 5,12; der (junge) Löwe Hos 5,14; Hos 11,10; Am 1,2; der Leopard Hos 13,7 oder die Bärin Hos 13,8). Die gehäufte Verwendung von Tiervergleichen, wie sie etwa im Hiobbuch zu beobachten ist, oder die Zurückhaltung im Blick auf Theriomorphismen hängen von den jeweiligen Aussageintentionen ab (Schwab; Martin; → Tier).

3.4. Der menschen- und weltüberlegene Gott

Mit der Perserzeit und dem sich etablierenden Judentum verbinden sich literarische und theologiegeschichtliche Transformationen, wie sie anhand der Großwerke von → Deuteronomium und Deuteronomismus, → Priesterschrift, den → Prophetenbüchern und dem entstehenden → Psalter sowie den weisheitlichen Schriften (→ Sprüchebuch, →Hiob, →Prediger) ablesbar sind. Trotz der im Einzelnen sehr unterschiedlichen Akzentsetzungen verbindet die Schriften eine Gottesvorstellung, die JHWH als den universalen und alleinigen Weltenherrn kennt (→ Monotheismus), ihn ohne Kultbild verehrt und an vielen Stellen eine theologische Sensibilität für seine Kult- und Weltüberlegenheit zeigt (→ Namenstheologie im → Deuteronomium und → Herrlichkeitstheologie in der → Priesterschrift). Verbunden mit diesen Tendenzen, Gott als den Menschen und der Welt Überlegenen zu verstehen, bedienen sich auch diese Schriften anthropomorpher Vorstellungen und Redeweisen. So bestimmt die Priesterschrift das Ziel der Geschichte etwa in einem „Wohnen“ Gottes „inmitten der Söhne Israels“ (Ex 29,45), das schon jetzt als Vorschattung in der Begegnung mit ihm in seinem „Zelt“ erlebt werden kann (Ex 29,43).

3.5. Theomorphismus – Der Mensch als Bild Gottes

Zu einer ganz eigenen Ausprägung von theologischer und anthropologischer Rede gelangt die → Priesterschrift, wenn sie die ehemals auf das Verhältnis von König und Gott bezogene Rede von der Gottesgestaltigkeit des Königs auf die species Mensch überträgt (Gen 1,26f; vgl. Gen 5,1-3; Gen 9,6). In Anlehnung an die ägyptische Vorstellung vom Pharao als Bild der Gottheit übernimmt damit der Mensch die Funktion des Repräsentanten und Stellvertreters Gottes auf Erden. In das herausgehobene und enge Verhältnis, das bislang allein der König zu Gott hatte, tritt nun die Menschheit ein. Wie im Anthropomorphismus ist auch dies funktional gedacht. Es geht hier ebenso wenig um die Vergöttlichung des Menschen, wie es an anderer Stelle um die Vermenschlichung Gottes geht. Königliche Aufgaben und Funktionen werden dem Menschen als Mandat übertragen und er vertritt Gott, indem er die Schöpfung bewahrt und die Gerechtigkeit erhält. Trat bislang mehrfach Gott etwa als König und Richter an die Stelle menschlichen Handelns, so verkehren diese Texte die Rollen: Menschen vertreten Gott. Die universal gültige Rolle und Bestimmung des Menschen greift damit auf einen zum Theomorphismus gewendeten Anthropomorphismus zurück.

4. Einordnungen

Anthropomorphismen finden sich breit verteilt über die verschiedenen Literaturgattungen des Alten Testaments hinweg. Gehäuft finden wir sie in den Psalmen, in der Prophetie, in Erzählungen und in der Apokalyptik, seltener in Gesetzestexten und in Kultgesetzen. Entgegen früheren Versuchen einer Einordnung des Anthropomorphismus als einer frühen, unausgereiften Stufe der israelitischen Religiosität zeigen sich auch im Bereich der Prophetie oder nach Ausbildung des Monotheismus keine Tendenzen einer Vergeistigung der Gottesvorstellung oder seiner andersartigen Eliminierung des Anthropomorphismus. Wir begegnen im Alten Testament vielmehr einer sich aus polytheistischer Glaubensweise heraus entwickelnden monotheistischen Gottesrede (Dtn 4; Jes 40-52), verbunden mit verstärkt theozentrischen Konzeptionen (→ Theokratie), die durch Nutzung anthropomorpher Analogiebildungen die Gottesvorstellungen anschaulich und verknüpft mit menschlicher Erfahrung erhält (→ Gottesbild).

Anthropomorphismus kann im Alten Testament daher nicht allein als hermeneutisch unumgänglich verstanden werden, da menschliche Rede von und über Gott immer auf Analogiebildungen zur Welterfahrung des Menschen angewiesen ist (Kaiser, Wagner). Die Breite und an zentralen Stellen zu findende Verwendung anthropomorpher Redeweise machen vielmehr deutlich, dass der Anthropomorphismus in diesen Traditionen nicht als hermeneutisches Übel, sondern als theologisch gewolltes Element der Rede von Gott verstanden wird. Dazu gehört etwa die Anthropologie der Priesterschrift (Gen 1) und der Psalmen (Ps 8) mit ihrer Übertragung der Repräsentation Gottes auf den Menschen (→ Gottesebenbildlichkeit; Waschke, 235-252). Wenn im frühen Judentum Gott weltüberlegen, ohne Kultbild und geschlechtsübergreifend ausgesagt und zugleich weiterhin in selbstverständlicher Weise auf Anthropomorphismen zurückgegriffen wird, kann dies ebenfalls in diesem Sinn verstanden werden.

Neuere Arbeiten versuchen eine klassifizierende Differenzierung von Anthropomorphismen im Alten Testament. So unterscheidet Annette Schellenberg zwischen wörtlichen und metaphorischen Aussagen (Schellenberg, 253-254). Anthropomorphe Rede sei weitestgehend metaphorisch und nur an wenigen Stellen wörtlich gemeint. Dabei bleibt zu fragen, ob eine Differenzierung zwischen beschreibend-darstellendem und funktionalem Anthropomorphismus den Sachverhalt nicht besser trifft.

Nahe bei dieser Unterscheidung liegt der Versuch von Esther J. Hamori, die im Zusammenhang der Analyse der Theophanien von Gen 28,1-15 (Jakob und die Himmelsleiter) und Gen 32,23-33 (Kampf am Jabbok) zwischen „Concrete Anthropomorphism“ und „Envisioned Anhtropomorphism“ unterscheidet. Konkret sei demnach der Anthropomorphismus, wenn Gott in einer körperlich auftretenden Figur beschrieben werde, wie etwa in Gen 3 oder in den beiden genannten Theophanietexten (Hamori, 65-103). Dieser Versuch stellt textbeschreibende (konkret als menschliche Figur) und interpretative Momente (vorstellend) einander gegenüber und führt so nicht wirklich weiter.

Eine Typologie schlägt Anne K. Knafl vor, wenn sie zwischen körperlichem, auf ein Gegenüber bezogenem („proximate“), interaktivem Figuren- oder Rollenanthropomorphismus, sozialem und mittelbarem Anthropomorphismus unterscheidet.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1908-1914.
  • Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel et al. 1971-2003.

2. Weitere Literatur

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  • Handy, L.K., Among the Host of Heaven: The Syro-Palestinian Pantheon as Bureaucracy, Winona Lake 1994.
  • Hartenstein, F.,Das Angesicht JHWHs. Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34 (FAT 55), Tübingen 2008
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  • Preuß, H.D., 1991, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, JHWHs erwählendes und verpflichtendes Handeln, Stuttgart et al.
  • Rendtorff, R., 2001, Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf, Bd. 2, Thematische Entfaltung, Neukirchen-Vluyn.
  • Schellenberg, A., 2011, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich.
  • Schwab, E., 1991, Die Tierbilder und Tiervergleiche des Alten Testaments. Material und Problemanzeigen, BN 59, 37-43.
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  • von Rad, G., 1969, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, 6. Aufl., München.
  • von Rad, G., 1987, Das 1. Buch Mose. Genesis (ATD 2-4), 12. Aufl., Göttingen / Zürich.
  • Wagner, A., 2010, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh.
  • Waschke, E.-J., 2009, Die Bedeutung der Königstheologie für die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: A. Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugange zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen, 235-252.
  • Zimmerli, W., 1985, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, 5. Aufl., Stuttgart u.a.

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